Ukraine-Hilfe Lobetal

"Machen Sie alle Matratzen in Deutschland mobil!"

06:27 Minuten
Freiwillige verteilen Wasser an Ukrainische Geflüchtete nach dem Grenzübertritt in Polen.
Der Krieg in der Ukraine ruft auch immer mehr Hilfe von deutschen Hilfsorganisationen auf den Plan. © imago images/Agencia EFE
Von Christoph Richter · 28.02.2022
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Seit 28 Jahren organisiert Elisabeth Kunze Hilfstransporte in die Ukraine. Momentan stehen bei ihrer Organisation „Ukraine-Hilfe Lobetal“ die Telefone nicht mehr still. Besonders gebraucht werden zurzeit Matratzen, sagt sie.
„Was jetzt am wichtigsten gebraucht wird, sind Matratzen. Wir brauchen ganz dringend Matratzen. Machen Sie alle Matratzen in Deutschland mobil. Wir brauchen dringend Matratzen. Wir müssen die ganzen Menschen in den Westgebieten der Ukraine unterbringen.“
Die Hilferufe kommen von ukrainischen Kirchengemeinden und Kooperationspartnern, mit denen man weiter in Kontakt stehe, erzählt Elisabeth Kunze. Sie ist die Vorsitzende der „Ukraine-Hilfe Lobetal“. Eine couragierte und engagierte Frau, die anpackt. Seit nun schon 28 Jahren organisiert sie Hilfstransporte in die Ukraine. Sie tut das für die „Hoffnungstaler Stiftung Lobetal“, einer Stiftung unter dem Dach der Diakonie, die in der Nähe von Bernau vor den Toren Berlins ihren Sitz hat.

Derzeit gefragt: Bettdecken, Isomatten und Matratzen

„Die Telefone laufen heiß: mit Anfragen, mit Unterstützung und Hilfsangeboten.“
Menschen aus der ganzen Region fragen, wie sie helfen können, erzählt Elisabeth Kunze.
Kleiderspenden sind derzeit nicht gefragt, da gebe es derzeit genug. Dafür brauche man Geld. Damit kann die „Ukraine-Hilfe Lobetal“ Arzneien, Lebensmittel, Wasserfilter oder Notstromaggregate kaufen und in die Ukraine schicken. Noch im Laufe des heutigen Tages, erzählt die 64-Jährige, soll ein Transport von Lobetal aus in die Westukraine geschickt werden. Und schon wieder erhält sie einen Hilferuf, eine E-Mail mit einer Audiobotschaft:

Die neuesten Entwicklungen im Ukrainekonflikt können Sie in unserem Newsblog verfolgen.

Der Anrufer bitte ganz Deutschland um Bettdecken, Isomatten und eben Matratzen, übersetzt Elisabeth Kunze. Den Namen und die Organisation des Anrufers können wir hier aus Sicherheitsgründen nicht nennen.
Während sich Elisabeth Kunze einen Moment Zeit nimmt für das Interview, steht sie vor einer Landkarte der Ukraine. Auf der stecken viele gelbe Stecknadeln. Sie kennzeichnen die Orte, wohin in der Vergangenheit bereits Hilfstransporte hingegangen sind.

Während Hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer über die Grenzen flüchten, wächst die Hilfsbereitschaft in Deutschland. In Berlin bieten jetzt Menschen auch Übernachtungsplätze in ihren Wohnungen an: "Hilfe ganz privat" - Zimmer für Ukraineflüchtlinge

Angst um ukrainische Jugendliche

Aktuell sorgt sich Elisabeth Kunze aber um eine ukrainische Jugendgruppe, die in Zusammenarbeit mit der „Ukraine-Hilfe Lobetal“ Kinder und Flüchtlinge in Druzhkovka und Umgebung unterstützt. Druzhkovka liegt in der Ost-Ukraine, die Stadt war zeitweise von den Separatisten besetzt und ist nur 40 km zu den sogenannten „Volksrepubliken Lugansk“ und „Donezk“ entfernt, erzählt die ausgebildete Physiotherapeutin Elisabeth Kunze.
„Wir unterstützen die. Gestern Abend habe ich gehört, auch in Drushkovka fallen Bomben. Und die Leute, die jetzt noch da aktiv sind, die sitzen in der Kirche zusammen, singen und Beten. Und: Angst."
Mit den jungen Leuten in der Ostukraine stehe man in engen Kontakt, erzählt sie. Die Stimme der ehrenamtlichen Vorsitzenden der „Ukraine-Hilfe Lobetal“ stockt. Sie fühle sich ohnmächtig, während Menschen leiden, fast vor der eigenen Haustür, wie sie sagt.

Ehrenamtliche Helfer packen Pakete

Doch davon lässt sie sich nicht aufhalten, denn gerade jetzt müsse man helfen. Und das macht sie zusammen mit etwa 30 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern.
In einer alten, aus DDR-Zeiten stammenden Lagerhalle packen Frauen und Männer Hilfspakete für die nächste Fahrt. Unter anderem Kindersachen und Winterkleidung verstauen sie in handliche Pakete.
"Jetzt erst Recht, weil die Menschen unsere Hilfe brauchen", erzählt die 75-jährige pensionierte Grundschullehrerin Ursula Philipps.
„Ich war schon mehrmals in der Ukraine und habe auch vieles hinter den Kulissen kennengelernt. Es tut weh, man kann es nicht beschreiben, wie es ist. Und kann es nicht verstehen, dass man innerhalb so kurzer Zeit Menschenleben vernichtet, Werte vernichtet und den Frieden zerstört.“

Brandenburg bereitet sich auf 10.000 Flüchtlinge vor

Erste ukrainische Kriegsflüchtlinge sind bereits in Brandenburg angekommen, doch nach Angaben des Potsdamer Innenministeriums bewegt sich deren Zahl noch im unteren Bereich. Man bereite sich jedoch auf „mindestens 10.000 Menschen vor, die wir in den nächsten Tagen unterbringen müssen", sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. 
Zurück ins brandenburgische Lobetal. Die Hilfslieferungen waren in der Vergangenheit nicht immer einfach, kritisiert Elisabeth Kunze von der „Ukraine-Hilfe Lobetal“. Polen habe bisher nur eine eng begrenzte Zahl an Durchfahrerlaubnissen für ukrainische Transporte vergeben. Die Ukraine habe zudem vor einigen Jahren die Zollvorschriften verschärft.
„Man kann sich nicht einfach ins Auto setzen und losfahren. Man braucht eine Ausfuhranmeldung, dazu braucht man eine Zollnummer, braucht internationale Frachtpapiere. Dann kann man losfahren. Und dann hat man die Hoffnung, dass man gut durch die Grenze kommt. Dann gehen die Papiere nach Kiew und an die örtlichen Stellen. Dann muss alles genehmigt werden. Das kann ein paar Wochen dauern. Und dann können die Sachen verteilt werden.“
Aber jetzt habe man Krieg, weshalb sie damit rechne, dass es mit den Hilfslieferungen sicher einfacher werde, ergänzt Elisabeth Kunze noch.

Jährlich 30 bis 40 Hilfstransporte

Der Kontakt in Lobetal in die Ukraine existiert seit 28 Jahren. Und geht auf die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs abziehenden Sowjetsoldaten der Westgruppe der Roten Armee zurück, die rund um Berlin stationiert waren.
„Russische und ukrainische Offiziere, Offiziersfrauen sind gekommen. Und die haben über die Lage berichtet in der Ukraine. Als sich eine Gelegenheit ergeben hat, haben wir einen ersten kleinen Transport auf den Weg gebracht. Und das hat uns so berührt und überzeugt davon, dass es wichtig ist, weiterzumachen.“
Seit 1994 sind jährlich zwischen 30 und 40 Hilfstransporte in die Ukraine unterwegs. Seit der ersten Stunde ist Elisabeth Kunze dabei. Viel Schlaf bekomme sie derzeit nicht, sagt sie noch. Das sei aber auch völlig unwichtig.
„Natürlich hoffen und beten wir, dass es aufhört, dass Frieden kommt, dass die Ukrainer nicht die gewonnene Freiheit verlieren."
(maw)
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