Ukraine

"Eine postrevolutionäre Situation"

Frauen winken in der ukrainischen Stadt Slawjansk einem Panzer mit Blumen.
Berichterstattung in der Ukraine: Frauen winken einem Panzer mit Blumen. © picture alliance / dpa
Moderation: Katrin Heise · 07.05.2014
Sie leitet in Kiew die Partnerorganisation von Reporter ohne Grenzen. Oksana Romaniuk dokumentiert seit Jahren Verstöße gegen die Pressefreiheit in ihrem Land. Die Leser vertrauten ihren lokalen Blättern mehr als denen in der Hauptstadt.
Katrin Heise: Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit. Dieses geflügelte Wort, ausgesprochen 1917 vom US-amerikanischen Senator Hiram Warren Johnson, hat immer und immer wieder leider Konjunktur. Wem kann der Zeitungsleser, Radiohörer, Fernsehzuschauer in der Ukraine zum Beispiel noch glauben? Unter welchen Umständen entsteht das, was er da sieht, hört, liest? Reporter ohne Grenzen hat die Medienexpertin Oksana Romaniuk nach Berlin eingeladen, um über die Situation in der Ukraine zu sprechen, denn die Journalisten werden vor allem in der Ostukraine ja in ihrer Arbeit stark behindert, auch bedroht. Frau Romaniuk leitet in Kiew die Reporter ohne Grenzen Partnerorganisation. Sie dokumentiert seit Jahren Verstöße gegen die Pressefreiheit in ihrem Land. Vor der Sendung konnte ich sie fragen, welche Möglichkeiten die Menschen in der Ukraine momentan haben, um sich einigermaßen objektiv zu informieren.
Oksana Romaniuk: Es gibt viele Möglichkeiten, weil es viele russische Medien gibt, viele eigene Medien, verschiedene politische Positionen innerhalb dieser Medien, und es gibt das Internet. Es gibt lokale Nachrichten, lokale Medien, ausländische, also viele verschiedene Möglichkeiten.
Heise: Kann man denn so glauben, was man liest, hört, sieht, oder wird überall, vielleicht das Internet in gewisser Weise ausgenommen, Druck ausgeübt und zensiert?
"Man kann durchaus glauben, was man liest"
Romaniuk: Nein, eine Zensur in dieser Art gibt es nicht. Unter Janukowitsch gab es diese Zensur. Da gab es diese vertikale Machtausübung, von oben nach unten Zensur. Aber jetzt gibt es das nicht. Wir bereiten ja die Wahlen Ende Mai vor und man kann durchaus glauben, was man liest, und dem auch vertrauen. Im Osten der Ukraine ist es vielleicht etwas schwieriger, weil da sehr andere Informationen ankommen, aber es gibt durchaus Informationen, es gibt auch das Internet dort und einige lokale Medien. Wenn man will, findet man Informationen.
Heise: Frau Romaniuk, man liest hier, dass die ukrainische Seite, die ukrainische Regierung überlegt, russische Journalisten aus der Ukraine auszuweisen. Findet das tatsächlich statt?
Romaniuk: Es gibt in der Tat zwei Fälle, in denen das passiert ist. Ein Journalist machte Fotos vom ukrainischen Flugabwehrsystem, und da sind lokale Autoritäten gekommen und haben ihn weggeschickt. Er war nämlich offiziell mit einer ganz anderen Mission unterwegs und sagte, er würde über die Kirche eine Reportage machen, und da erschien das doch bedrohlich und als Sicherheitsrisiko, und wenn man dann besorgt ist und unsicher ist, dann werden diese Leute im Zweifelsfall natürlich weggeschickt.
Der zweite Fall waren russische Kameraleute, von denen wir allerdings erst später erfahren haben, dass sie wieder nach Russland zurückgeschickt worden sind, und wir konnten ihnen nicht mehr helfen zu dem Zeitpunkt, als sie sich noch in der Ukraine aufgehalten haben. Normalerweise würden wir allerdings in einem solchen Fall eingreifen. Wenn Russen zum Beispiel an der Grenze festgehalten werden, dann würden wir das Außenministerium verständigen und ihnen sagen, dass das okay ist, es handelt sich in dem Fall nur um Journalisten und nicht um Separatisten zum Beispiel. Aber es gab auch Fälle, wo welche an der Grenze festgehalten wurden, weil sie den Grenzbeamten gefährlich erschienen, und nicht, weil sie Journalisten waren, denn an der Grenze ist es üblich, nur seinen Ausweis vorzuzeigen, nicht aber den Presseausweis, also nur seinen Pass. Und das wurde dann erst später klar, dass es sich um Journalisten gehandelt hat. Normalerweise werden keine russischen Journalisten weggeschickt.
Heise: Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, Frau Romaniuk, dann haben Sie, Ihre NGO, Reporter ohne Grenzen nicht den Eindruck, dass die Regierenden in Kiew Einfluss nehmen auf die Berichterstattung. Gilt das auch für die Rechte in der Regierung?
Romaniuk: Wir sind die Zensur wirklich losgeworden, wir sind die Unterdrückung losgeworden und befinden uns jetzt sozusagen in einer postrevolutionären Situation. Wir haben für diese Werte gekämpft und diese Werte sind immer noch sehr präsent. Wir haben jetzt ein Medienreferendum abgehalten. Es gibt zum ersten Mal ein Gesetz über öffentlichen Rundfunk in der Ukraine. Das hat es 20 Jahre lang so nicht gegeben. Und das ist sehr wichtig für uns.
Auf der anderen Seite werden gerade zwei Wahlen vorbereitet und da treten natürlich sehr verschiedene Politiker an. Aber da findet im Vorfeld keine Zensur im eigentlichen Sinne statt. Es gibt natürlich einen politischen Wettbewerb. Das macht sich dann vielleicht auch in einigen Medien deutlich, dass dann Besitzer der einen Zeitung eher den einen Kandidaten favorisieren und andere vielleicht jemand anderen und das dann vielleicht in ihrem Sinne auch darstellen.
Die größte Bedrohung sehe ich derzeit aber aufseiten Russlands, denn Putin will diese Wahlen unterbrechen, am liebsten unmöglich machen, und wir hoffen natürlich, dass sie trotzdem stattfinden können, dass wir unsere Reformen durchsetzen können, dass wir eine transparente, multiethnische Gesellschaft schaffen können.
Heise: Oksana Romaniuk von Reporter ohne Grenzen berichtet über die Situation der Medien in der Ukraine. – Frau Romaniuk, Sie haben jetzt ja die angespannte Situation vor allem in der Ostukraine angesprochen. Man hört da von diversen sogar Verschleppungen von Journalisten. Welche Möglichkeiten haben Ihre einheimischen Kollegen, dort zurzeit wirklich objektiv zu berichten?
Romaniuk: Die Bedrohung für sie besteht in erster Linie in ihrer physischen Sicherheit, in ihrer physischen Unversehrtheit, weniger in einer Zensur. Bis jetzt sind 31 Journalisten entführt worden, vier werden als Geiseln festgehalten, von denen wir nicht wissen, ob sie noch leben oder nicht, und diese Situation beeinflusst natürlich die Medien und die Berichterstattung einfach deshalb, weil die Journalisten in Angst leben und in Angst arbeiten müssen. Diese Separatisten behandeln die Journalisten als Feinde. Die Hälfte der Entführungsopfer sind Ausländer, die andere Hälfte Ukrainer.
"Bitte kommt und berichtet!"
Aber wir bitten dennoch die Journalisten zu berichten, zu kommen und zu zeigen, was in der Ukraine passiert. Diese Öffentlichkeit und die Transparenz hilft den Menschen. Sie unterstützt unser Anliegen. Deswegen ist es auch so wichtig, internationale Berichterstattung zu erhalten und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu haben. Also bitte kommt und berichtet, aber achtet auf eure physische Sicherheit.
Heise: Wie würden Sie denn sagen, Frau Romaniuk, ist überhaupt das Medienverhalten der Menschen in der Ostukraine? Können Sie da etwas drüber sagen? Wie informieren sie sich dort? Werden jetzt vor allem russische Medien genutzt, oder wie verbreitet sich da Information? Ich meine, man sagt ja immer, die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges, und kriegerische Verhältnisse herrschen ja schon fast in der Ostukraine. Wie ist dort das, was ich am Anfang gefragt habe, die Möglichkeit, Medien zu nutzen in der Ostukraine?
In einer Redaktion wurde durchs Fenster geschossen
Romaniuk: Es wird berichtet in den ukrainischen Medien auf der einen Seite, dass in Kiew alles ruhig sei und dass dort nichts passiert, und in den russischen Medien wird so getan, als ob das absolute Chaos regieren würde und die Babys ermordet würden und so weiter, also sehr entgegengesetzte Meldungen. Eine wichtige Informationsquelle ist in dem Fall natürlich das Internet, und sie wird auch immer wichtiger, die sozialen Netzwerke, Twitter und so weiter, weil man dort einfach anders an Informationen kommen kann. Die zweite wichtige Quelle sind die lokalen Medien. In die haben die Leute gemeinhin größeres Vertrauen, weil man den eigenen Leuten einfach mehr vertraut als den Medien aus der Hauptstadt zum Beispiel. Und die prorussische Seite merkt das natürlich. Sie wissen das und gehen deshalb auch klar gegen die lokalen Medien insbesondere vor. Es gab viele Angriffe auf lokale Medienbüros. Es wurde zum Beispiel durchs Fenster geschossen bei Ostrow in Donezk. Es wurden Redaktionen mit Baseball-Schlägern angegriffen. Das ist eine sehr starke Bedrohung für vor allem die lokale Presse. Eine wichtige Quelle sind deswegen auch die ausländischen Medien, die hier viel mehr als unparteiisch betrachtet werden als die eigenen. Es ist also sehr wichtig, dass auch Leute von außerhalb zu uns kommen, gut arbeiten und wirklich recherchieren und nicht nur an der Oberfläche bleiben.
Heise: Über die Situation der Medien, der Berichterstattung und über die Situation der Berichterstatter in der Ukraine gab uns Oksana Romaniuk Informationen. Sie gehört zu Reporter ohne Grenzen in Kiew. Und übersetzt wurde das Gespräch von Marei Ahmia.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema