Ukraine

"Die Lage muss stabilisiert werden"

Der Maidan-Platz in Kiew. Verbranntes Material und Trümer liegen überall herum, Rauchschwaden sind zu sehen.
Auf dem Maidan-Platz in Kiew errichten Demonstranten weiter Barrikaden und zünden diese an © picture alliance / dpa / Andrey Stenin
Ricardo Giucci im Gespräch mit Ute Welty · 20.02.2014
Wirtschaftliche Probleme seien eine der Ursachen für die politische Krise in der Ukraine, sagt der Wirtschaftsexperte Ricardo Guicci. Mit einem Programm des IWF wäre das Land nicht mehr auf russische Hilfen angewiesen.
Ute Welty: Keine weitere Eskalation – das ist die gute Nachricht heute Morgen: Der Unabhängigkeitsplatz Maidan ist nicht geräumt worden. Die weniger gute lautet: Die Lage in der Ukraine ist weiter äußerst angespannt, auch wenn es immerhin Gespräche gegeben hat zwischen der Regierung und der Opposition. Gespräche führt auch Ricardo Guicci als Geschäftsführer von Berlin Economics, der Wirtschaftsberater leitet seit 2007 die deutsche Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung und ist zurzeit in Kiew. Guten Morgen!
Ricardo Guicci: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wie haben Sie die letzten Stunden, die letzten Tage erlebt?
Guicci: Na ja, ich bin am Dienstag, vorgestern, angereist und schon die Fahrt vom Flughafen zum Hotel war sehr merkwürdig, mit sehr vielen Menschen auf der Straße, die nach Hause gelaufen sind, weil die Metro nicht mehr fuhr, und auch sehr viele Autos, Stau überall. Und dann im Institut, unserem Partnerinstitut waren die Leute nicht mehr da, die mussten Fahrgemeinschaften bilden, um überhaupt nach Hause zu kommen. Und dann gestern praktisch war die Stadt relativ leer, weil viele Leute zu Hause geblieben sind, weil man ja … die Metro nicht mehr fuhr.
Welty: Welchen Sinn macht es überhaupt, in einer solchen Situation über Wirtschaftsthemen sprechen zu wollen, wenn die politische Situation so derart schwierig ist?
Guicci: Ja, es gibt nicht nur eine politische Krise, es gibt auch sehr viele wirtschaftliche Probleme, die ja zum Teil die Ursache für die politische Krise sind. Ich erinnere daran, dass die politischen Probleme damit anfingen, dass die Regierung, der Präsident das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet haben und sich dafür ausgesprochen haben, mit Russland einen Deal zu machen. Das heißt, es liegen hier wirtschaftliche Ursachen vor. Und außerdem muss man sehr aufpassen, dass die Krise, die jetzt existiert, die politische Krise nicht in eine richtige Wirtschaftskrise mit Abwertung und Bankenkrise mündet. Insofern sind beide Themen sehr eng verbunden.
Welty: Und was bedeutet das für Sie persönlich, für Ihren Besuch auch in Kiew, wenn zum Beispiel die Mitarbeiter in Ihrem Partnerbüro gar nicht mehr vorhanden sind, gar nicht mehr ansprechbar sind?
"Das ist jetzt eine Ausnahmesituation"
Guicci: Na ja, gut, wir haben trotzdem noch Gespräche, wie gesagt, es müssen noch wichtige Entscheidungen getroffen werden und es ist zum Teil eingeschränkt, weil viele Regierungsgebäude sind schwer zu erreichen, aber das ist jetzt eine Ausnahmesituation, und wir hoffen natürlich, dass das bald sich beruhigt.
Welty: Wenn wir noch mal auf die Ursachen schauen: Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit der ursächlichen Wirtschaftskrise die Nationalbank?
Guicci: Die Nationalbank ist sehr wichtig. Ein wichtiger Faktor hier war der Wechselkurs, der lange Zeit überbewertet war, und es gab keine Bereitschaft, den anzupassen. Der IWF hatte das verlangt. Das wurde nicht gemacht. Das hat das Land sehr geschwächt, die Exporte waren sehr schwach, und deswegen war man auf Geld aus dem Ausland angewiesen – und so ist auch der Deal mit Russland zustande gekommen, und das war ja eine wichtige Ursache für die politische Krise. Und insofern war wichtig, dass jetzt abgewertet wurde. Allerdings muss das in einer kontrollierten Fassung sein, in einer geregelten Fassung, und nicht einfach eine Abwertung, wo man nicht weiß, wo die landet.
Welty: Und das passiert im Moment?
Guicci: Nein, das passiert noch nicht. Erstaunlicherweise ist die Reaktion der Menschen noch nicht so stark, und es gibt schon Anzeichen, dass Liquidität von den Banken abgezogen wird und dass die Menschen verstärkt auch Dollar kaufen in den Wechselstuben – aber es hält sich noch in Grenzen, wahrscheinlich, weil die Leute an andere Sachen denken. Aber wenn die politische Krise noch lange andauert, dann ist nicht auszuschließen, dass es doch zu solchen Reaktionen kommt, und dann wäre eine wirtschaftliche Krise wahrscheinlich, und es wäre für die Menschen natürlich schwer zu ertragen.
Welty: Sind das vor allem die Oligarchen, die jetzt handeln, oder warten die noch ab?
"Oligarchen haben auch unterschiedliche Interessen"
Guicci: Ja gut, Oligarchen ist keine homogene Gruppe, die haben auch unterschiedliche Interessen. Ich habe auch in der Woche Gespräche mit Vertretern von den Oligarchen gehabt, und da gibt es ja verschiedene Seiten. Es gibt Oligarchen, die praktisch wenig mit Russland zu tun haben, es gibt andere, die sehr viel Geschäft mit Russland haben. Insofern ist das Bild sehr differenziert zu sehen.
Welty: Ungarn stellt sich inzwischen schon auf eine ukrainische Flüchtlingswelle ein, was die Lage im Land ja selbst nicht verbessern dürfte. Treffen Sie auf Menschen, die nicht mehr bleiben wollen oder nicht mehr bleiben können?
Guicci: Eigentlich gar nicht. Ich denke, das ist auch ein Augenblick, wo die Leute merken, wie wichtig sie auch für das Land sind, und mein Gefühl war bisher, dass die Menschen eher sagen: Wir wollen jetzt für das Land was machen.
Welty: Die USA haben schon Sanktionen beschlossen, die EU diskutiert darüber. Ist das etwas, was Ihre Gespräche belastet?
Guicci: Wir haben uns nicht mit dem Thema Sanktionen beschäftigt, weil das ja eine rein politische Tätigkeit, Entscheidung ist. Aber man muss immer natürlich aufpassen, dass, wenn man Sanktionen trifft, dass das nicht die normalen Menschen trifft, sondern nur die Leute, die man treffen will. Und das ist gar nicht so einfach.
Welty: Welche Vorschläge können Sie denn jetzt noch machen, wenn Sie die ukrainische Regierung beraten?
"Die Lage muss stabilisiert werden"
Guicci: Gut, ich denke, es ist eine Empfehlung, die wir auch schon länger gemacht haben: Die Lage muss stabilisiert werden, auch wirtschaftlich. Und wir bleiben bei unserer Auffassung, dass ein IWF-Programm ein wichtiger Bestandteil wäre, weil wenn man ein IWF-Programm hat, dann ist man auch nicht auf russische Hilfen angewiesen und dann kann man natürlich auch besser helfen aus dem Westen, indem man zusätzliche Mittel zur Verfügung stellt auf der Basis eines IWF-Programms. Und dann wäre auch eine Perspektive für die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU. Und insofern würde eine solche Reihenfolge dazu führen, dass es auch zu einer politischen Stabilisierung kommen kann.
Welty: Der Wirtschaftsberater Ricardo Guicci leitet die deutsche Beratergruppe für die ukrainische Regierung. Ich danke für dieses Interview in der "Ortszeit“!
Guicci: Vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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