Ukraine

"Die EU hat die Kräfteverhältnisse in der Ukraine verkannt"

Andreas Heinemann-Grüder im Gespräch mit Ursula Welty · 04.02.2014
In der Ukraine entstehen gerade bürgerkriegsähnliche Zustände, meint der Politikwissenschaftler Heinemann-Grüder. Es brauche einen Vermittler, der aber nicht von Seiten der EU kommen dürfe, da diese im strategischen Machtkampf mit Russland parteilich sei.
Ute Welty: Wir haben schon darüber berichtet in dieser "Ortszeit", der Kampf um die Demokratie in der Ukraine ist auch ein Kampf zwischen West und Ost, zwischen den USA und Russland. Und der wird auch ausgetragen mit Dollar und Rubel. Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte in den "tagesthemen" angesichts der Situation vor einem Bieterwettbewerb.
Frank-Walter Steinmeier: "Es bleibt ein Pulverfass, und deshalb hoffe ich, dass von keiner der Seiten gezündelt wird, weder von innen aus der Ukraine heraus, noch von anderen, die interessiert sind, da einen Konfliktstand aufrechtzuerhalten. Wir sollten jetzt nicht in einen Wettbewerb – Wer zahlt am meisten? – eintreten, sondern wir sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, dass das Land langsam wieder zu sich kommt und dass aus den direkten Gesprächen zwischen Opposition und Präsident und seinen Vertretern etwas entsteht, was dem Land eine politische Zukunft gibt."
Welty: So weit der Außenminister. Aber lässt sich dieser Bieterwettbewerb tatsächlich noch verhindern? Und was kann die Lage wirklich entspannen? Darüber spreche ich jetzt mit Andreas Heinemann-Grüder, Privatdozent am Institut für Politische Wissenschaft an der Uni Bonn und dort verantwortlich für den Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung. Guten Morgen!
Andreas Heinemann-Grüder: Guten Morgen!
Welty: Russland hat der Ukraine Milliardenkredite versprochen, jetzt locken die USA und die EU mit Hilfspaketen. Überholt sich da eine Idee, die vielleicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt war?
Heinemann-Grüder: Ich glaube, dass der Bieterwettbewerb natürlich ungleich ist zwischen Russland und der EU. Die EU hat bisher 650 Millionen Euro an Soforthilfe angeboten. Das, was Russland auf den Tisch gelegt hat, sind 15 Milliarden. Das ist ein sehr ungleiches Verhältnis. Die Frage ist allerdings die, ob die EU und die NATO selbst auch zur Eskalation vor Ort mit beigetragen haben, wenn Herr Steinmeier sagt …
Welty: Inwieweit?
"Man hätte die Ukraine besser vorbereiten müssen"
Heinemann-Grüder: Weil angesichts einer tief gespaltenen Ukraine natürlich die Frage ist auch an die EU, ob sie letztlich die Ukraine vor eine Situation stellt, wo die Regierung nur noch zurücktreten kann und sie sich mit den Forderungen der Opposition solidarisiert, die eben nur Maximalforderungen erhebt und sich bisher nicht bereit zeigt, an einen Runden Tisch mit der Regierung zu setzen.
Welty: Daran wird auch das deutsche beziehungsweise das europäische beziehungsweise das amerikanische Geld wohl wenig ändern, oder?
Heinemann-Grüder: Nein, die Oppositionsgruppen, -parteien sind sich zumindest in der Forderung nach Ablösung des amtierenden Präsidenten einig und sie hoffen eben auf Sanktionen, die ja zumindest von Teilen auch des westlichen Bündnisses und der EU unterstützt werden, und hoffen damit, dass die Ukraine so in eine ausweglose Situation kommt, in der dann die Wahl in der Tat zwischen EU und amtierendem Präsidenten steht.
Welty: Tatsache ist auch, dass es der Ukraine wirtschaftlich sehr schlecht geht. Hätte man also vielleicht eher Geld in die Hand nehmen müssen, um eine solche Entwicklung von Anfang an zu verhindern?
Heinemann-Grüder: Man hätte vielleicht die Ukraine insgesamt besser vorbereiten sollen, politisch auch. Denn etwa die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung ist pro EU-Mitgliedschaft, die andere aber nicht. Und von den Regionen der Ukraine sind insgesamt auch nur etwa fünf hinter dieser Forderung nach EU-Mitgliedschaft. Also, es hätte einerseits eine politische Vorbereitung gebraucht und wahrscheinlich hätte man auch die nächsten Wahlen in der Ukraine abwarten müssen, um dann einen Präsidenten zu haben, der auch ein ganz klares Mandat der Wähler für die EU-Mitgliedschaft hat. Und das Zweite in der Tat, die Assoziierung an die EU, die ja erst mal im Moment zur Debatte steht, nicht die Vollmitgliedschaft, wobei die Bedingungen vergleichsweise ähnlich sind, wird für die Ukraine erst mal bedeuten, dass der Markt mit EU-Produkten überschwemmt wird, möglicherweise die Arbeitslosigkeit zunimmt. Das heißt, die wirtschaftlichen Besorgnisse sind ja durchaus berechtigt, da hätte man auch längere Zeitpuffer einbauen können.
Welty: Nicht nur Sie äußern sich ja inzwischen kritisch, sondern eben auch, wie gehört, Außenminister Steinmeier. Dabei hat er den Deal für das Hilfspaket doch wohl am Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz miteingefädelt! Wie erklären Sie diesen dann doch sehr raschen Sinneswandel?
"Das Einlenken ist Ausdruck einer Selbstüberschätzung der EU"
Heinemann-Grüder: Ich glaube, dass die EU die Kräfteverhältnisse vor Ort außerordentlich verkannt hat und nicht gesehen hat, dass eine bürgerkriegsähnliche Situation in der Ukraine entstehen kann. Insofern ist das gegenwärtige Einlenken auch Ausdruck einer Selbstüberschätzung, die es aufseiten der EU und ihrer Verhandlungspartner gegeben hat. Das wäre allerdings, wenn man auf die Umfragen und auch auf die, ich sage mal, Wahlunterstützung, die zum Beispiel Klitschko hat, geguckt hätte – der hat ja knapp 14 Prozent bei den letzten Wahlen bekommen, also bei Weitem nicht eine Mehrheit –, dann hätte man das auch durchaus vorhersehen können.
Welty: Warum hängt Politik eigentlich immer wieder der Illusion nach, man könne Frieden kaufen? Das kommt ja gleich nach der Illusion älterer Männer, dass jüngere Frauen das eigene Leben verlängern!
Heinemann-Grüder: Ich glaube nicht, dass es allein um das Kaufen ging. Also, im Moment stellt es sich so dar, als ob die EU da mehr anbieten müsste. Letztlich ist es eine Auseinandersetzung darum, ob die Ukraine Mitglied in der NATO werden wird, ob sie sicherheitspolitisch mit der EU kooperieren wird, ob sie sich der Freihandelszone mit Russland anschließt. Es geht also um einen sehr großen Machtkampf, darum, ob die Ukraine zu einer russischen Einflusszone wird oder ob die Ukraine zur westlichen Einflusszone gehört. Insofern geht es hier nicht nur um Geld, sondern um einen sehr weitreichenden strategischen Machtkampf zwischen Russland auf der einen und der EU und der NATO auf der anderen Seite.
Welty: Geld scheint jetzt auch eine Rolle zu spielen in der innenpolitischen Diskussion in der Ukraine. So wirft Oppositionspolitiker Klitschko dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch vor, sich im großen Stil persönlich zu bereichern. Ist das eine neue Eskalationsstufe?
Heinemann-Grüder: Nein. Die Vorwürfe an die Regierung Janukowitsch, dass es da erhebliche Korruption, Selbstbereicherung und Justizmissbrauch gegeben hat, die Vorwürfe sind ja alle lange bekannt und tragen natürlich auch zu der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Regierung bei. Das heißt, es geht aus Sicht der Demonstranten ja nicht allein um die EU, sondern um ein in hohem Maße unglaubwürdig gewordenes politisches Regime.
Welty: Angesichts dieser Frontenbildung, wer kann denn da noch schlichtend eingreifen? Ist es die EU-Außenbeauftragte Ashton, die heute wieder mal in Kiew erwartet wird?
Heinemann-Grüder: Ich glaube, man braucht einen Runden Tisch in einer solchen Situation. Wenn man jetzt nicht die Ukraine in eine Situation treiben will, die Irak nach Saddam Hussein oder Libyen nach Gaddafi ähnelt, also, wenn man eine derartige Konfrontation und innenpolitische Bürgerkriegsverhältnisse verhindern will, dann muss man sich auf etwas einigen, was es in Polen 89/90 gegeben hat, nämlich einen Runden Tisch. Vermutlich braucht es dafür einen Vermittler. Ob Frau Ashton die rechte Person ist, weil sie ja selber in dem Konflikt auch Partei ist: Höchst fraglich! Man bräuchte wahrscheinlich eher einen von beiden Seiten akzeptierten Vermittler dabei und einen Vermittlungsprozess. Die EU ist Partei, insofern kann sie nicht Vermittler sein.
Welty: Meint der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder, der in Bonn über Frieden und Konflikte forscht. Ich danke sehr für dieses Interview hier in der "Ortszeit"!
Heinemann-Grüder: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema