Überwachung in Deutschland

Heiligt der Zweck die Mittel?

Polizisten von hinten. Sie tragen Helme.
Polizei in Dresden rechnet mit schweren Straftaten © Arno Burgi, dpa
Von Philip Banse · 26.09.2016
Im Februar 2011 demonstrieren rund 20.000 Menschen in Dresden gegen Neonazis. Die Polizei rechnet mit "schweren Straftaten" und besorgt sich die Mobilfunkverbindungen von Zehntausenden Bürgern per Funkzellenabfrage - eine juristisch fragwürdige Ermittlungsmethode.
Dresden im Februar 2011. Rund 20.000 Menschen demonstrieren gegen Neonazis, die sich anlässlich der Bombardierung der Stadt 1945 versammeln wollen. Die Polizei rechnet mit "schweren Straftaten" der linken Szene und entscheidet sich für eine juristisch fragwürdige Ermittlungsmethode, die den Polizeichef seinen Job und Dresden viel Ansehen kosten wird: Die Dresdner Polizei besorgt sich die Mobilfunkverbindungen von Zehntausenden Bürgern per Funkzellenabfrage.
"Funkzellenabfrage beschreibt das Aufzeichnen aller Verbindungen, die eine Funkzelle hält."
Erklärt der Berliner Hacker und Sicherheitsforscher Karsten Nohl.
In Dresden kann die Polizei mit richterlicher Erlaubnis auf die Daten mehrerer Mobilfunkmasten zugreifen und speichert, wer mit wem wann telefonierte oder SMS austauschte. Mittels dieser Funkzellenabfrage erfährt die Polizei auch den Aufenthaltsort Zehntausender Menschen - die meisten unverdächtig, viele besonders geschützt: Journalisten, Anwälte und Bundesabgeordnete wie Halina Wawzyniak:
"Das ist ein Generalverdacht gegen Zehntausende Menschen, die sich an friedlichen Protesten beteiligt haben, und das ist absurd."

Koffer mit digitalen Werkzeugen

Polizei und Geheimdienste haben heute einen gut gefüllten Koffer mit digitalen Werkzeugen, um soziale Bewegungen und Aktivisten zu überwachen. Ulf Buermeyer, Verfassungsrechtler und Richter am Landgericht Berlin, unterscheidet zwei Kategorien. Massenüberwachung und gezieltes Ausspähen konkreter Verdächtiger - etwa mittels abgehörter Telefonate oder der stillen SMS - "still", weil die Nachricht auf Telefonen nicht angezeigt wird und Nutzer sie nicht bemerken. Die Polizei verschickt stille SMS an Mobiltelefone, um deren genauen Aufenthaltsort festzustellen. Denn der Standort eines jeden Mobiltelefons wird zwar standardmäßig beim jeweiligen Mobilfunkanbieter gespeichert - allerdings nur alle 6 Stunden oder wenn das Telefon benutzt wird.
"Und deshalb werden die stillen SMS zwischen drin geschickt, teilweise sogar im Minutentakt, um immer die aktuellste Lokation zu haben."
Sagt der Berliner Mobilfunk-Hacker Karsten Nohl.
"Die stillen SMS werden immer öfter eingesetzt - sowohl von der Polizei, als auch vom Verfassungsschutz."
Sagt Matthias Monroy, Redakteure bei "Bürgerrechte & Polizei".
"Für den Versand der stillen SMS gibt es bisher keine Rechtsgrundlage"
Sagt der Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer:
"Ich will damit nicht sagen, dass die Maßnahme als solche verfassungsrechtlich unzulässig ist. Ich denke, dass es eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage geben kann. Aber der Gesetzgeber sollte sie schaffen und es sollte von dieser Maßnahme nicht im Graubereich Gebrauch gemacht werden."

Massenüberwachung

Weit kritischer als die gezielte Überwachung Verdächtiger, sei die Massenüberwachung, bei der viele Unbeteiligte erfasst werden - wie etwa bei der beschriebenen Funkzellenabfrage:
"Aus meiner Sicht ganz problematisch sind die Massenüberwachungsprogramme, die aber die Strafverfolgungsbehörden nicht einsetzen, sondern die Geheimdienste, weil da bislang überhaupt keine Erfolge nachgewiesen sind, zugleich aber die bürgerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kosten extrem hoch sind."
So werden im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung etwa Verbindungsdaten von Telefonaten oder Internetaktivitäten bis zu zehn Wochen gespeichert – von allen und ohne Verdacht. Im Rahmen des neuen BND-Gesetzes soll der Bundesnachrichtendienst das Recht bekommen, weltweit Internetverkehr abzuhören, also alles, was an Daten durch Glasfaserkabel geht. Deutsche Staatsbürger sollen zwar vorher rausgefiltert werden:
"Und hier räumt der BND ein, dass diese Filtermethoden nicht hundertprozentig treffsicher funktionieren. Denn sie setzen auf abstrakte Filterkriterien wie eine Domainendung .de oder eine deutsche Handynummer. Und es reicht schon, wenn man eine internationale Domain benutzt oder nicht-deutsche Handynummer, dass man durch diese Filter durchrutscht."

Polizei analysiert Tweets und Hashtags

Und so können auch deutsche Aktivisten in die Auswertung der deutschen Geheimdienste gelangen. Viel unverfänglicher ist dagegen auf den ersten Blick die polizeiliche Auswertung öffentlicher zugänglicher Quellen, vor allem Twitter und Facebook. Mit Analysen von Tweets und Hashtags kann die Polizei erfahren, wer mit wem zu tun hat und auch wo sich Menschen aufhalten. Wehren kann man sich gegen die Überwachung nur schwer. Der Sicherheitsforscher Karsten Nohl hat "SnoopSnitch" geschrieben, eine AndroidApp, die Überwachungsmaßnahmen zumindest anzeigt, etwa eine stille SMS:
"Nicht nur stille SMS, sondern alle möglichen Überwachungsformen. Aber ohne den Einsatz einer solchen Applikation kann der Nutzer eigentlich wenig machen."
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