Frieden braucht Vertrauen
Mit Blick auf den NSA-Skandal meint die Religionsphilosophin Gesine Palmer: Die wahren Helden der Sicherheit sind Beamte in den geheimen Behörden, die verantwortungsbewusst mit der Privatsphäre anderer Leute umgehen. Edward Snowden habe gezeigt, dass das Vertrauen innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses gestört ist.
DDR-Bürger, die von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit ausgeforscht wurden, behalfen sich gern mit doppeldeutigen Bemerkungen. So stand zum Beispiel über dem Amtszimmer eines mecklenburgischen Pfarrers geschrieben: "Lieber übermüdet als überwacht". Man nannte es "Subversion".
Jeder wusste, dass er überwacht wurde, jederzeit verraten und verhaftet werden konnte, wenn eine Anschwärzung überzeugte. Demgegenüber galt der Westen denen, die von ihm träumten, als jener unerreichbare Ort, an dem freie Menschen gerade deswegen in Frieden und Sicherheit lebten, weil sie einander vertrauen konnten.
Inzwischen haben wir alten Westler den Schaden und brauchen für Spott nicht mehr zu sorgen. Der Gipfel war sicher Gregor Gysis Vorschlag, Edward Snowden mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen. Der Whistleblower hat uns ziemlich kalt erwischt, als er uns verriet, dass Geheimdienste über Internet und Handy so ziemlich alle Daten über alle Aktivitäten so ziemlich aller Bürger erfassen können – und das offenbar auch tun.
Seither versuchen wir abzuwiegeln und uns den Glauben an die westliche Freiheit zu erhalten, indem wir jubeln, wir hätten nichts zu verbergen. Oder wir wehren uns mit Sprüchen wie diesem, der Benjamin Franklin zugeschrieben wird: "Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren".
Vertrauen braucht keine Überwachung
Darüber, dass echte Freiheit und ein gelassenes Zusammenleben der Menschen auf Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre angewiesen ist, darüber sollte mittlerweile alles gesagt sein. Was aber, wenn man der Idee der Sicherheit das Wort Frieden beigibt? Über den Frieden schreibt der Kirchenvater Augustinus, dass es zwar einen Frieden ohne Krieg gibt, aber keinen Krieg ohne Frieden.
Denn in einem Krieg müsse mindestens innerhalb der Armeen, die gegeneinander antreten, eine Art Frieden herrschen, und noch die gewalttätigste Räuberbande könne nicht funktionieren, wenn sie von internem Streit zerrissen werde. Ein friedliches Gemeinwesen, das seine Konflikte löst, ohne sich oder andere zu bekriegen, ist durchaus denkbar. Und zu den höchsten Gütern zählt Augustinus natürlich den himmlischen Frieden, den wir Weihnachten auch regelmäßig auf die Erde herabrufen.
Das Zauberwort, mit dem wir ihn verbinden, ist ebenfalls ein durchaus christliches: Vertrauen. Es ist so etwas wie der diplomatische Ersatz der Überwachung: Wenn ich jemandem vertraue, prüfe ich gerade nicht, ob der mein Vertrauen auch verdient. Und jemandem, den ich überprüfe, vertraue ich nicht. Was zumeist den Nebeneffekt hat, dass er mir auch nicht vertraut.
Eine Aufdeckungsmedaille für Snowden
Edward Snowden hat offengelegt, dass das Vertrauen innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses gestört ist. Und das auch dadurch, dass er nach dem Gesetz zum Hochverräter wurde, der strategische Geheimnisse verraten hat. Er verriet einem "Feind", der ansonsten ein Freund ist, einen "subversiv" kriegerischen Akt unter Freunden, wie er nur unter Feinden üblich ist.
Wenn wir den Whistleblower ehren, weil er den geheimen Informationskrieg in einen offenen verwandelt, sollten wir ihm vielleicht eine Aufdeckungsmedaille geben, denn er hat nur den Nichtfrieden hinter dem Bündnisfrieden aufgedeckt und eine neue Debatte eröffnet – die vielleicht einmal in eine neue Art des Friedens münden kann.
Auch die Kanzlerin, die umsichtig einen Burgfrieden mit Washington wahrt, indem sie dem wünschenswerten Vertrauen das Wissen um die Nichtvertrauenswürdigkeit aller Geheimdienste beigibt, wäre keine Anwärterin auf einen Friedensnobelpreis. Mir scheint, die wahren Friedenshelden sind solche Beamte, die auf sicherheitsrelevante Informationen wach reagieren – und die irrelevanten souverän verschlafen.
Dr. Gesie Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das „Büro für besondere Texte“ und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind „Religion, Psychologie und Ethik“ – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.