Überschneidungen von Kunst und Kino

Von Carsten Probst |
Die Zeiten, in denen sich Kunst und kommerzielles Kino strikt voneinander abgrenzen ließen, gehören der Vergangenheit an. Dass sich Filmemacher durch die Gegenwartskunst beeinflussen lassen und Videokünstler sich für die Filmgeschichte interessieren, zeigt das Festival "Rencontres Internationales" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Hier werden über 200 Film-Arbeiten aus über 60 Ländern präsentiert.
Dieses Festival kann fürwahr für sich beanspruchen, ein Bilderdschungel zu sein, ein Panorama des Bildermachens, bei dem es aber nicht, wie bei Filmfestivals üblich, um die Erstaufführungen kassenfüllender Spielfilm-Leichtkost geht, sondern um die Verbindung von verschiedenen Kunstformen und Bildersprachen. Festival-Kurator Jean-Francois Rettig:

"Unser Programm versucht, in den einzelnen Screenings immer wieder verschiedene Genres miteinander zu verbinden, also einen Dokumentarfilm mit einem Spielfilm und zum Beispiel einem Animationsfilm. So etwas können Sie natürlich auch woanders sehen. Das Besondere aber bei uns ist, dass wir den Filmemacher, den Dokumentationsfilmer und den Animationsfilmzeichner einladen, miteinander zu debattieren und ihr Werk zu präsentieren. Es ändert alles, wenn ein Publikum dabei ist, und die Erklärungen der anscheinend doch so verschiedenen Arbeiten beginnen am Ende zu zirkulieren."

"Zirkulation" scheint ohnehin ein Lieblingswort der Organisatoren zu sein. Gemeint ist einerseits, dass sich einzelne Filmgenres einander immer wieder thematisch oder auch formal berühren sollen – vor allem aber geht es um die Wechselwirkungen von Film und Bildender Kunst. Sattsam bekannt sind immer noch die alten Vorurteile, die Medienkünstler der ersten Stunde wie Valie Export oder Ken Jacobs in den sechziger Jahren zu hören bekamen, dass Film keine Kunst sei. Auch wenn heute viele Künstler mit Video arbeiten, gibt es doch immer noch traditionelle Genregrenzen, Berührungsängste vor allem seitens der Kinofilmemacher. Gerade darauf zielt seit zehn Jahren dieses Festival – auf die Frage nach den Grenzen und Überschneidungen zwischen Kunst und Kino.

"Das ist der springende Punkt, und die Frage ist in der Tat immer schwerer zu beantworten. Nicht, weil es etwa keine Unterschiede mehr gäbe zwischen Videokunst und Kinofilm – da sind noch eine ganze Menge, denken Sie nur an das finanzielle Budget oder den Aufwand für Technik und Filmset. Aber auch Filmemacher interessieren sich neuerdings immer mehr für die Geschichte der Gegenwartskunst. Etwas länger schon saugen ja die Videokünstler die Filmgeschichte auf und zitieren sie in ihren Arbeiten. Es gibt mittlerweile schon einen regen Austausch zwischen diesen beiden Bereichen. Seit ungefähr zehn Jahren kann man beobachten, dass alte Genregrenzen fallen. Auch das Kino arbeitet zunehmend mit den typischen Methoden der Gegenwartskunst, der gefilmten Recherche als Teil der Gesellschaftskritik zum Beispiel. Die Verbindung von Bild und Kritik gehört eindeutig zum Entwicklungsprozess des heutigen Kinos hinzu."

Seit seiner Gründung vor zehn Jahren findet das Festival in Paris und Berlin statt, aus einem simplen Grund, wie Kuratorin Nathalie Hénon berichtet: Geschichte bestimmt das Bildbewusstsein – daher habe man sich für das Festival Städte gesucht, in denen es eine starke Präsenz von Geschichte und ihrer politischen Bildprogramme gibt. Paris bietet das im Überfluss. Aber, so Hénon:

"Von der ersten Ausgabe unseres Festivals an haben wir immer auch eine Ausgabe in Berlin folgen lassen, auch wenn die kulturellen Hintergründe in den beiden Städten völlig unterschiedlich sind. Berlin aber war und ist für uns die Stadt in Europa, wo zwei Bildkonzepte historisch aufeinandergeprallt sind, einerseits das Dokumentarische, die Faszination von dieser Stadt, andererseits das politische, propagandistische Bild. Hier standen sich die Bilder sozusagen direkt gegenüber, Auge in Auge, physisch."

Schon deshalb ist das sechstägige Riesenprogramm Im Haus der Kulturen der Welt auf Bild-Konfrontationen ausgerichtet. Über 200 Film-Arbeiten aus über 60 Ländern, viele prominente Namen sind dabei wie Manon de Boer, Gordon Matta-Clark, Hans op de Beeck, Antonio Muntadas oder Lawrence Weiner: Beiträge mit völlig unterschiedlichen Längen, ergänzt durch ein hoch ambitioniertes Debattenprogramm – in all seiner Vielfalt sind die sechs Tage jedoch spielerisch souverän geplant und mit einer französischen Selbstverständlichkeit, über die man in Berlin nur staunen kann. Nathalie Hénon erklärt das Prinzip:

"Zum Beispiel haben wir Nicolas Wackerbarth, der bekannt ist für seine radikalen Spielfilme, in denen er keine Konzessionen macht hinsichtlich der Strenge seiner erzählerischen Struktur, in der Sektion 'Soliloque' – 'Einsamkeit' mit den experimentellen Filmemachern John Menick aus den USA und Ansuya Blom aus den Niederlanden zu einem Screening vereint, die beide Bildende Künstler sind. Bei Menick dreht sich alles um das Thema: Der letzte Mensch auf Erden, das passt also auch thematisch gut zu "Einsamkeiten". Dabei zitiert er ausgiebig die amerikanische Filmgeschichte. Und dann ist da noch Adel Abidin, ein irakischer Künstler, der in Finnland lebt und der eine Website für eine imaginäre Reiseagentur im Irak betreibt – eine schreckliche Arbeit. Wir haben ihn eingeladen mit einem Spielfilm über das Leben eines fundamentalistischen Muslim."

Ebenso gibt es an den verschiedenen Tagen Screenings zu Themen wie "Postkolonial", "Kriegsportrait", "Psyche" oder zum geheimnisvollen Begriff "Protofiction". In einer eigenen Sektion sind außerdem Künstlervideos als Endlos-Loops zu sehen. Das prominent besetzte Debattenprogramm sorgt abschließend für eine theoretische Einordnung.