"Überrascht und enttäuscht"

Von Phillip Kreisselmeier |
Italiens Verhandlungen mit dem Getty-Museum sind noch nicht abgeschlossen, dennoch zeigt sich Kulturminister Francesco Rutelli vom bisherigen Angebot des Museums in Los Angeles enttäuscht. Zwar sollen 25 der illegal erworbenen antiken Kunstgegenstände nach Italien zurückkehren, doch zwei besonders bedeutende Werke stehen nicht auf der Rückgabeliste.
Die zwei prominentesten Streitobjekte heißen auf italienischer Seite "Venus von Morgantina" und "Athlet von Fano". Auf amerikanischer Seite nennt man die Göttin eine Kultstatue – ohne Herkunftsbezeichnung. Und auch lieber "Aphrodite" als "Venus", denn es ist eine griechische, keine römische Göttin; aber Morgantina liegt auf Sizilien, und das war zur fraglichen Zeit eine Kolonie der Alten Griechen. Für den siegreichen Sportler, der lange dem Bildhauer Lysipp zugeschrieben wurde, ist die Bezeichnung "Getty-Bronze" geläufig; das ist dem gleichnamigen Museum natürlich auch sehr recht.

Nicht nur die Namen der Kunstwerke sind uneinheitlich – vielleicht liegt auch dem gegenwärtigen Streit zwischen Kulturminister Francesco Rutelli in Rom und den Herren über die Antiken-Sammlung in Kalifornien nur ein großes Missverständnis zugrunde – eine unterschiedliche Auffassung über die Bedeutung eines Dokumentes, das beide Seiten am 5. Oktober unterzeichnet haben. Nach der Darstellung von Michael Brand, dem Direktor des J.-Paul-Getty-Museums, handelte es sich da um eine verbindliche Absichtserklärung, die dann aber anschließend von der italienischen Seite nicht eingehalten worden sei. Und das, obwohl das kalifornische Haus weitreichende Zugeständnisse gemacht habe; etwa die Bereitschaft erklärt, sofort einen Mitbesitz der Republik Italien an der Göttinnen-Statue eintragen zu lassen. Minister Rutelli dagegen ist schon deshalb vergrätzt, weil die Amerikaner den gegenwärtigen Stillstand der Verhandlungen öffentlich gemacht haben. Von diesen Pressemeldungen sei er "überrascht und enttäuscht", erläuterte Rutelli …

"…weil wir konstant in Kontakt geblieben sind: Noch vor wenigen Tagen, am vergangenen Freitag, haben wir eine ranghohe Delegation des Getty hier empfangen, an der Spitze Mr. Brand. Dabei hatten wir Stillschweigen über das Scheitern dieses Gesprächs vereinbart, auch um negative Auswirkungen auf die USA-Reise zu vermeiden, die ich am Montag antreten werde."

Doch größer ist der Unmut darüber, dass das Museum ausgerechnet die beiden bekanntesten der umstrittenen Kunstwerke nicht zurückgeben will. Das wird in Rom als ein zumindest vorläufiges Scheitern der Verhandlungen eingestuft, da die wissenschaftliche Klärung der Herkunft, der Fundgeschichte und des Weges der Antiken über den Atlantik noch nicht abgeschlossen sei. Beim siegreichen Athleten ging Rutelli ins Detail …

"Ich habe hier das Protokoll der Carabinieri vor mir, die die Fischer vernommen haben, die 1964 die Statue gefunden haben. In dem Protokoll, es ist von 1977, da hatte es schon diverse Gerichtsverhandlungen gegeben, steht … das wertvolle Stück, aufgefunden vor der Küste von Fano, mit Sicherheit in italienischen Gewässern. … Da ist keinerlei juristischer Zweifel möglich. Und das Museum selbst gibt an, die Statue in Italien erworben zu haben. Wie soll das möglich gewesen sein, wenn nicht dadurch, dass der Athlet in Italien eine zeitlang verborgen wurde und dann illegal ins Ausland verkauft wurde? Das ist die Antwort!"

…die Antwort auf die Getty-Darstellung, die Fischer hätten ihren sensationellen Fund seinerzeit außerhalb der Zone gemacht, die noch eindeutig als Staatsgebiet gelten muss, im internationalen Teil des adriatischen Meers. Gleichzeitig sagte Kulturminister Rutelli, man sei ja auf einer Pressekonferenz, nicht im Gerichtssaal. Deswegen gehe es ihm gar nicht um die legalen Aspekte des Kunststreits, sondern vielmehr ums Grundsätzliche:

"Darin liegt der Kern der Frage: Allzu lange hat man auf der Welt mit einiger Gleichgültigkeit akzeptiert, dass es einen umfangreichen illegalen Handel mit gestohlenen antiken Kunstwerken gab. Aber: Das waren die 60er-Jahre, die 70er, die 80er. Auch wir hier in Italien haben das nicht wichtig genug genommen, hatten vielleicht das Gefühl, wir könnten uns um unser Kulturerbe gar nicht genug kümmern. - Was hat sich seither geändert? Die Welt hat sich geändert! Die Wahrnehmung hat sich geändert, beispielsweise bei den Archäologen der USA; das Urteil der Weltöffentlichkeit hat sich geändert; auch die italienische Einstellung hat sich geändert: Der italienische Staat – das will ich unterstreichen – ist auf diesem Gebiet jetzt besser organisiert; wir sind da international führend: unsere Carabinieri und die Untersuchungsrichter ermitteln effizient, die technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten sind gewachsen. Es ist klar geworden, dass wir ernst machen. So sind viele Diebe gefasst worden und im Laufe der Zeit viele Werke zurückgeholt worden."

Dieser italienische Stolz droht nun durch die Hartleibigkeit des Getty-Museums angekratzt zu werden. Da genügt es nicht, dass seine Ex-Kuratorin Marion True, in deren Amtszeit viele der aus heutiger Sicht heiklen Ankäufe fallen, seit gut einem Jahr in Rom unter dem Vorwurf der Hehlerei vor Gericht steht. Allerdings hat der Prozess nun auch für die Aphrodite von Morgantina und den siegreichen Athleten aus den italienischen Küstengewässern (oder auch: aus den internationalen Gewässern) zusätzliche Bedeutung gewonnen; wird True schuldig gesprochen, so wäre das ein Argument für die italienischen Besitzansprüche. Doch auch diesen Aspekt, den juristischen, wollte Minister Rutelli gar nicht ins Feld führen, sagte er; es handle sich ja um ein laufendes Verfahren:

"Ich spreche vielmehr vom moralischen Aspekt. Kann ein international wichtiges Museum öffentlich Werke ausstellen, die ganz offensichtlich Diebesgut sind? Daum geht es doch. Sie könnten auch einen Prozess gewinnen, wegen der Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme zwischen den USA und Italien, oder wegen Verjährung. Aber moralisch gesehen ist meines Erachtens die Beweislage erdrückend."

Nun, das Getty-Museum sieht derzeit offenbar ebenso viele Beweise zu seinen Gunsten. Hier könnten nur unabhängige Wissenschaftler Klarheit schaffen. Sollte es sich bei dem Zerwürfnis zwischen dem Museum und der italienischen Regierung tatsächlich nur um ein Missverständnis gehandelt haben, so wären weitere Verhandlungen und weitere gemeinsam in Auftrag gegebene Untersuchungen denkbar. Minister Rutelli hat – bei aller an den Tag gelegten Entschlossenheit – diplomatisch auch die Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der Gespräche mit den Kaliforniern ausgedrückt; und auch die Stellungnahmen von Museumsdirektor Brand – soweit in Italien bekannt geworden – lassen die Tür zur Wiederaufnahme der gütlichen Verhandlungen ein Stück offen.