Überraschendes von den Tieren

Es gibt Bienen, die Geiselnehmer sind, Pinguine, die sich als Zuhälter verdingen, und Bären, die im Handstand pinkeln - das schreibt zumindest Mario Ludwig in seiner Sammlung "Unglaubliche Geschichten aus dem Tierreich". Die augenzwinkernden Illustrationen des Donald-Duck-Zeichners Jan Gulbransson werten das Lesevergnügen noch zusätzlich auf.
Das Tierreich kennt unzählige Strategien, um Beute zu fangen oder selbst nicht zur Beute zu werden, um sich fortzupflanzen oder fortzubewegen, um zu balzen oder zu kommunizieren. Mario Ludwig hat in seinem schmalen Buch "Unglaubliche Geschichten aus dem Tierreich" solche teils bekannten, aber dennoch erstaunlichen Verhaltensweisen von Insekten, Fischen, Vögeln und Säugetieren gesammelt.

Manche Bücher sind wie eine Tüte Chips. Man fängt an zu knabbern, und ehe man sich versieht, hat man sie aufgegessen. Die Chips sind bei Mario Ludwig Minigeschichten über Bienen, die Käfer gefangen halten, Eulen, die in Höhlen wohnen, Möwen mit eingebauter Sonnenbrille, Prostitution bei Pinguinen, schießende Fische, Verwandlungskünstler und Bären, die im Handstand pinkeln.

Über 200 tierische Verhaltensweisen skizziert der Biologe humorig auf jeweils kaum mehr als einer halben Seite und entdeckt oft Überraschendes, wo man es nicht vermutet hätte. Das laute Zirpen einer Grille beispielsweise ist weithin hörbar. Mit ihren Flügeln erzeugen sie einen Schalldruck, der der Lautstärke eines Presslufthammers entspricht. Aber ihnen selbst macht das nichts aus. Sie können ihre Ohren für die Dauer des Gesangs einfach abschalten.

Salopp und allzu menschlich schildert Ludwig in seinen Darstellungen mitunter die tierische Sexualität. Da entdeckt er Beischlafbetrüger bei Tanzfliegen, lustfeindliche Befruchtungen bei Tintenfischen, stundenlange Vergewaltigungen bei Milben oder wahlweise heißen, aggressiven oder rücksichtslosen Sex bei anderen Tieren.

Im Gegenzug liefert er aber auch wissenschaftliche Erklärungen zu Fragen wie: Warum können Geckos unter der Decke laufen? Warum frieren Pinguine auf dem Eis nicht fest? Und warum können Pottwale so tief tauchen, ohne zerquetscht zu werden?

Einen kaum zu unterschätzenden Mehrwert stellen die 70 begleitenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen aus der Feder von Jan Gulbransson dar. Gulbransson hat sich als Comiczeichner von Donald Duck und mehreren Animationsfilmen einen Namen gemacht. Seine augenzwinkernden Illustrationen werten das Leseerlebnis nochmals deutlich auf.

Die zusammenhanglosen Geschichten bringen es allerdings mit sich, dass das Buch keiner sinnvollen Ordnung folgt. Zwar sind alle Abschnitte alphabetisch nach Überschriften sortiert, aber die Überschriften geben keine erhellenden Hinweise auf den Inhalt der Abschnitte. Da auch ein Inhalts- oder Stichwortverzeichnis fehlt, findet sich kein einziger Eintrag wieder, was das Nachschlagen oder interessegeleitete Wiederlesen gezielt verhindert.

Kein Problem, offensichtlich wurde das Buch als Lesefutter für Zwischendurch angelegt. Mario Ludwig schreibt angenehm allgemeinverständlich im Plauderton. Seine Minigeschichten sind kurz genug, dass ein einzelner Abschnitt in jeder noch so kleinen Zeitlücke des Alltags gelesen werden kann. Die Info-Häppchen passen von der Länge her bequem auf ein Kalenderblatt. Und vielleicht hätte man sie auch besser so veröffentlicht.

So ist es eine dieser Sammlungen geworden, die sich vor allem als unverbindliches Mitbringsel und Geschenk eignen. Denn als Buch konsumiert es sich wie eine Tüte Chips. Ehe man sich versieht, hat man sie aufgegessen - und hinterher trotzdem noch Hunger auf substanziellere Kost.

Rezensiert von Gerrit Stratmann

Ludwig, Mario: Unglaubliche Geschichten aus dem Tierreich
Mit 70 Illustrationen von Jan Gulbransson
BLV Buchverlag, München 2008
160 Seiten, 14,95 Euro