Überraschende Einflüsse

02.06.2009
1936 unternahm der spätere Literatur-Nobelpreisträger Samuel Beckett eine Bildungsreise durch Deutschland. Beckett verordnete sich ein strenges Kulturprogramm - und ging oft ins Kino. Darum geht es auch in dem Buch "Kraft der Melone" von Carola Veit, die zeigt, wie Filme das Werk des Schriftstellers beeinflusst haben.
"Go to Hund von Baskerville. Kitsch." Becketts Urteile waren gnadenlos. Die meisten der 16 Kinofilme, die er während seiner Reise durch Deutschland sah, mochte er nicht. Die Auswahl der Filme war durch die NS-Diktatur eingeschränkt.

In seinen bis heute in größtenteils unter Verschluss gehaltenen "German Diaries" hat Carola Veit Becketts persönliche Filmkritiken gefunden. Er achtete beim Schauen der Filme nicht nur auf Inhalte. Beckett schaute sehr präzise auf Konstruktion, auf Machart, auf Technik, also wesentliche Dinge, die seine späteren Meisterwerke auch ausmachen sollten.

Die Reise nach Deutschland fiel genau in die Zeit seiner intensiven Beschäftigung mit Film und Filmtheorie: 1936 hatte sich der junge Beckett mit einem persönlichen Brief als Student bei Sergej Eisenstein in Moskau beworben. Er bekam allerdings nie eine Antwort.

Das Buch skizziert Becketts Kinotour durch Deutschland auch in amüsanten Details: Man erfährt zum Beispiel, wie sich Beckett Bier und Wurstsalat auf der Reeperbahn gönnte, um danach mehr zufällig ins Kino zu stolpern. Oder aber auch, wie er von einem 22-jährigen, "extremely good looking" Mädchen versetzt wird und sich die "Meuterei auf der Bounty" allein ansehen muss.

Immer wieder entdeckt die Autorin Details in den Kinofilmen, die auf Becketts Werk Einfluss genommen haben. So konnte er einen Film insgesamt zwar schlecht finden, aber trotzdem Momente entdecken, die ihn faszinierten: In dem österreichischen Streifen "Lumpacivagabundus" von 1937 beispielsweise erklärt einer der Protagonisten den angeblich bevorstehenden Weltuntergang mit Hilfe seiner Melone - eine Szene, die genau so in Becketts Werk vorkommen könnte.

Vom frühen Stummfilm mit seinem Slapstick angefangen haben Filme das schriftstellerische Werk Becketts ebenso beeinflusst wie beispielsweise Malerei. Carola Veit nähert sich diesen Aspekt anhand Becketts deutscher Kinoerfahrungen.

Jeder der 16 Filme, die er in Deutschland gesehen hat, ist mit einer ausführlichen Inhaltsangabe vertreten. Das ist die einzige Schwäche der Abhandlung: Sie ist an der falschen Stelle zu ausführlich. Das Buch konzentriert sich zu sehr auf die oftmals unspektakulären Streifen von der Komödie bis zum Propagandafilm.

Für den ohnehin schmalen Band wäre es besser gewesen, wesentlich mehr auf Beckett und sein späteres Werk einzugehen. So bleibt es oft bei Andeutungen, die selten in die Tiefe gehen. Dafür eignet sich das Buch aber als Einführung für angehende Beckett-Liebhaber, die einige Anregungen zur Lektüre des irischen Nobelpreisträgers bekommen können.

Besprochen von Martin Becker

Carola Veit: Kraft der Melone. Samuel Beckett im Kino
Verbrecher Verlag Berlin 2009, 80 Seiten, 11 Euro