Übernatürlich

Ein feiner Atem

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Manche hielten die Seele für einen Hauch oder Atem, andere für einen Vogel. © dpa picture alliance/ Ralf Hirschberger
Moderation: Gabi Wuttke · 17.04.2014
Die Zahl der Fähigkeiten, die man der Seele zuschrieb, hat sich seit der Antike immer weiter verringert, sagt der Philosoph Michael Pauen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sei der Seelenbegriff aus Neurowissenschaft und Psychologie ganz verschwunden.
Katrin Heise: Der Frühling ist aufgewacht, überbordend das junge Grün, die Seele baumelt in der ersten Wärme jetzt vor den Osterfeiertagen und die Sinne sind für die Kreisläufte der Jahreszeiten, das immer Wiederkehrende, das nie Vergehende geschärft. Michael Pauen ist Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität, einen schönen guten Morgen, Herr Pauen.
Michael Pauen: Guten Morgen.
Heise: Auferstehung nach dem Tod, das gilt in unserem Kulturkreis nur für einen Einzigen. Ist die Seele für uns so etwas wie die Fluchtbewegung vor dem alles beendenden Tod oder hält sie als Konstruktion unser Leben zusammen?
Pauen: In der Tat spielt wohl beides eine Rolle, also als eine Art Versicherung dafür, dass man den Tod des eigenen Körpers überleben kann, aber natürlich auch so etwas wie Identität. Wobei seelische Fähigkeiten vor allen Dingen oder stärker emotionale Fähigkeiten als rationale Fähigkeiten betrachtet werden. Früher war die Bedeutung der Seele natürlich noch viel, viel größer, da führte man auch noch auf die rationalen Fähigkeiten zurück, die Identität, auch Wahrnehmungsfähigkeiten und auch die Belebtheit des menschlichen Körpers.
Heise: Was hat es für Sie als Philosoph denn überhaupt mit diesem Konstrukt zwischen Seele und Unsterblichkeit auf sich?
Die Seele war das belebende Prinzip des Körpers
Pauen: Es gab die Vorstellung – das finden Sie zum Beispiel auch in der Bibel –, dass die Belebtheit des menschlichen Körpers von der Seele abhing. Man stellte sich also die Seele – man merkt das auch am Namen der Seele, also psyche, pneuma –, das hat alles etwas mit Atem zu tun. Atem beginnt dann, wenn das Leben beginnt. Die Seele war also das belebende Prinzip des Körpers, gleichzeitig die Identität. Und man stellte sich vor, wenn dieses belebende Prinzip eben nicht mehr im Körper ist, dann kann es trotzdem weiterleben, in einem Jenseits.
Das spielte aus verschiedenen Gründen eine Rolle, einmal deswegen, weil es einfach ein Bedürfnis natürlich gab, den früher ja viel, viel früheren und viel, viel präsenteren Tod zu überwinden, auf der anderen Seite aber auch aus moralischen Gründen. Das ist in der christlichen Religion ja immer noch so: Die Seele konnte nur dann hoffen, den Tod des Körpers zu überwinden, wenn man sich an bestimmten moralischen Prinzipien orientiert hatte. Und das hat das Christentum aus der ägyptischen Religion übernommen und damit konnten natürlich moralische Prinzipien, die Befolgung moralischer Prinzipien in dieser Welt gesichert werden.
Heise: Kann man der Seele irgendetwas Materielles anhaben? Oder anders gefragt, wann begann man, die Seele im Menschen verorten zu wollen?
Pauen: Das ist eine Vorstellung, die sehr alt ist. Wir stellen uns heute die Seele als etwas Immaterielles vor, das ist eine relativ neue Vorstellung, die so mit Descartes, also im 17. Jahrhundert erst in dieser Konsequenz durchgeführt worden ist. Früher hat man sich die Seele, also in traditionellen Kulturen, auch da wieder ist das Christentum aufschlussreich, hat man sich die Seele sehr wohl als etwas Materielles, allerdings als etwas besonderes Materielles, also einen besonders feinen Atem, einen besonders feinen Hauch vorgestellt, der dann üblicherweise von Gott oder von irgendwelchen übernatürlichen Instanzen kam.
Aber es gab auch andere materielle Vorstellungen in der ägyptischen Religion und in vielen anderen Religionen, zum Beispiel die Vorstellung eines Vogels. In neusteinzeitlichen Gräbern gibt es zum Beispiel noch ein Loch, damit dieser Vogel rein- und rauskommen kann.
Heise: Wie sieht es denn mit der Seele in – Sie haben davon gesprochen – den anderen Kulturen aus? Es gibt ja wohl keine, in der es einen Begriff für Seele nicht gibt, oder?
Pauen: Von einem Begriff würde ich nicht sprechen. Meistens sind es irgendwelche Bilder oder Vorstellungen, teilweise diffuse und auch widersprüchliche Vorstellungen. In fast jeder Kultur gibt es so etwas, was man mit der Seele vergleichen kann, also eine Instanz, ein Objekt, das verantwortlich ist vor allem für die Identität des Menschen, das vom Körper unterschieden wird, den Körper verlassen kann, nicht nur im Tod, sondern zum Beispiel auch in ekstatischen Zuständen, und gegebenenfalls auch das Überleben nach dem Tod sichert. Aber die Seele ist nicht in jeder Kultur unsterblich.
Heise: Die Altgriechen, Sie haben es schon erwähnt, die haben ja die Seele als Psyche bezeichnet. Fällt in unserem Kulturkreis eine Veränderung des Begriffs der Seele mit der Psychologie, mit Sigmund Freud zusammen? Oder ist das tatsächlich maßgeblich durch die Aufklärung gewesen?
Heute werden die menschlichen Fähigkeiten anders erklärt
Pauen: Ich würde sagen, weder noch. Was man beobachten kann, ist erst einmal, dass sich die Zahl der Fähigkeiten, die man der Seele zuschrieb, im Laufe der Geschichte, und zwar seit der Antike bis zur Aufklärung, verringert hat. Das hat aber weniger mit der Aufklärung selber zu tun als viel mehr damit, dass man Möglichkeiten und auch Begriffe gefunden hat, bestimmte Fähigkeiten anders zu erklären. Das beste Beispiel ist eben die Lebenskraft. Ursprünglich ist die Vorstellung, dass auch die Lebendigkeit des menschlichen Körpers durch die Seele gewährt wird, und seit dem 17. Jahrhundert, also seit man den Blutkreislauf entdeckt hat, kommen dann, sagen wir, mechanische oder biologische Erklärungen für die Belebtheit des menschlichen Körpers, treten in den Vordergrund. Und dadurch schreibt man diese Fähigkeit der Seele nicht mehr zu.
Weitere Forschungen führen dann dazu, dass man andere Ideen davon hat, wie zum Beispiel Wahrnehmung zustande kommt, später im 19. Jahrhundert die Sprachfähigkeit. Ursprünglich seelische Fähigkeiten, die dann biologisch erklärt werden und dann aus dem Bereich der seelischen Fähigkeiten ausgegliedert werden, bis man dann gegen Ende des 19. Jahrhunderts diese Vorstellung der Seele als eine wissenschaftliche Vorstellung aufgibt.
Heise: Nach all dem, was Sie geschildert haben: Man kann sich uns Menschen ohne diese Seele eigentlich gar nicht vorstellen. Wird sie jetzt aber von den Neurowissenschaftlern ausgehebelt?
Pauen: Es sind nicht erst die Neurowissenschaften, also die heutigen Neurowissenschaften, sondern ein Prozess, der bereits im 19. Jahrhundert stattgefunden hat. Man sollte sich dazu klarmachen, dass man auch in der breiten Bevölkerung sich die Seele wirklich als etwas halb Materielles auch noch bis ins 19. Jahrhundert vorgestellt hat.
Heise: Aber im 19. Jahrhundert gab es auch die Romantiker.
Pauen: Sie haben völlig recht, da kommt noch ein völlig anderer Strang zur Geltung, auf der einen Seite die Seele als etwas, was wirklich die geistigen Fähigkeiten, also eine materielle Instanz, oder übermaterielle Instanz die materiellen Fähigkeiten erklärt, aber dann eben auch die Seele als etwas, was für die Identität, für nicht rationale Fähigkeiten verantwortlich ist. Das ist etwas, was in der Romantik dann in den Vordergrund tritt und dann auch nachher noch und auch unseren Gebrauch des Begriffes prägt.
Heise: Und die heutigen Neurowissenschaftler, um darauf noch mal zurückzukommen?
Pauen: Die heutigen Neurowissenschaftler, die brauchen den Seelenbegriff natürlich nicht mehr. Der Seelenbegriff wird aus der Psychologie eben gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgegliedert, stattdessen spricht man dann eben von kognitiven Fähigkeiten, geistigen Fähigkeiten, im Behaviorismus versucht man, sich rein auf das Verhalten zu konzentrieren. Da spielt die Seele als wissenschaftlicher Begriff tatsächlich keine Rolle mehr.
Heise: Tut Ihnen das als Philosoph manchmal in der Seele weh?
Pauen: Auch wieder zwei Antworten: Auf der einen Seite habe wir es erst einmal mit einer Rationalisierung und einer Verwissenschaftlichung von Vorstellungen zu tun, die man vorher nur so mythologisch oder metaphorisch erfassen konnte. Also, zum Beispiel die Belebtheit auf die Seele zurückzuführen, das erklärt ja natürlich nicht sehr viel. Und eine biologische Erklärung erklärt wesentlich mehr. Und Sie haben natürlich recht, auf der anderen Seite bleibt natürlich etwas zurück, Vorstellung über eine menschliche Identität, die sich nicht einfach so in Zahlen erfassen lässt. Und das ist etwas, was der heutige Seelenbegriff, das, was wir heute meinen, wenn wir etwas als seelenlos oder seelenvoll bezeichnen, das darin noch erfasst wird. Das wird aber von den Neurowissenschaften nicht widerlegt.
Heise: Sagt im Deutschlandradio Kultur der Philosophieprofessor Michael Pauen. Besten Dank für ihre Erläuterungen!
Pauen: Danke auch!
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