Übernahme in Helmstedt

Chinesen verbrennen Müll aus Deutschland

Ein Kraftwerker transportiert Müll mit einem Kran zum Verbrennen in einer Müllverbrennungsanlage der EEW Energy from Waste in Hannover.
Ein Kraftwerker transportiert Müll mit einem Kran zum Verbrennen in einer Müllverbrennungsanlage der EEW Energy from Waste in Hannover. © picture alliance / dpa - Julian Stratenschulte
Von Alexander Budde · 24.05.2016
Zu Beginn des Jahres hat eine chinesische Holding den Müllverbrennungsspezialisten Energy from Waste (EEW) aus Helmstedt übernommen. Technologie-Transfer ist im Smog-geplagten China ein staatlich verordnetes Programm. Der EEW-Chef spricht von "interkulturellen Herausforderungen".
Mit Feingefühl lässt Karsten Mielke den Greifer zuschnappen. Von der Kanzel seines Leitstandes aus, schaut der Kraftwerker zu, wie draußen die Lastwagen anrollen. Polternd rutscht die staubige Fracht in den Müllbunker. In der Abfallverwertungsanlage Hannover werden täglich rund 800 Tonnen Siedlungsabfall und Gewerbemüll bei Temperaturen um die 1000 Grad verbrannt. Mielke achtet auf Gewicht und Nässe, denn gut durchmischt zündet der Müll besser.
"Im Moment haben wir gut drei Tonnen in diesem Greifer drin, vom Gewicht her – und da kann man schon mal so einzelne Objekte eventuell noch mal sehen, wie 'ne abgebrochene Stuhllehne oder bunte Tüten und so weiter!"
In zwei Kesseln wird Dampf erzeugt, der eine Turbine mit nachgeschaltetem Generator antreibt. Die Anlage liefert elektrischen Strom, aber auch Prozessdampf für Industriebetriebe und Fernwärme. Manuela Psille steuert das Höllenfeuer mit Hilfe von Klappen und Ventilen.
"Wir haben zwölf Megajoule Heizwert. Momentan ist alles top!"
Bernard Kemper schaut zu. Der EEW-Chef ist zur Inspektion aus Helmstedt angereist. Entspannte Routine. Die rund 1000 Mitarbeiter von Europas größtem Müllverbrenner müssen sich an ihren neuen Eigentümer Beijing Enterprises erst noch gewöhnen. Die Chinesen haben bei einem Auftritt vor der Belegschaft allerdings schon deutlich gemacht, dass sie die Firma an der langen Hand führen wollen. Personalien, Zielvorgaben, Strategie? Kemper lächelt nur. Will sagen: "Alles im Fluss, alle im Gespräch."
"Die Stimmung ist ausgesprochen gut, weil die Erwartungshaltung unserer Mitarbeiter an unseren neuen Gesellschafter eben auch sehr hoch ist! Der Gesellschafter erwartet, dass wir in Deutschland und auch in Europa weiter wachsen und er wartet zum anderen darauf, dass wir ihn unterstützen in seinem eigenen Wachstumskurs in seinem Land – also auch technischen Support leisten an dieser Stelle."

Zusammenarbeit könnte für beide Seiten von Nutzen sein

Das Staatsunternehmen Beijing Enterprises ist im Großraum Peking im Energiesektor und bei der Wasserversorgung tätig, betreibt dort bereits Verbrennungsanlagen. Der Technologie-Transfer ist im Smog-geplagten China ein staatlich verordnetes Programm. EEW-Chef Kemper spricht von "interkulturellen Herausforderungen"– aber gern auch von den Verlockungen der Planwirtschaft:
"Wir hören, dass in China ein Bedarf von etwa 1000 Müllverbrennungsanlagen existiert, über die nächsten Jahre. Im politischen Programm der Partei in China ist es noch einmal sehr klar artikuliert worden: Luftreinhaltung steht ganz oben! Und da erhofft man sich auch durch die Abfallverbrennung einen ganz erheblichen Beitrag. Wenn es darum geht, Genehmigungen zu erhalten oder Bauzeiten zu verkürzen – ich glaube, da geht es ein bisschen einfacher als bei uns!"
Die EEW jedenfalls wirbt für sich als besonders nachhaltig operierendes Unternehmen, das strengste Auflagen und lückenlose Kontrollen bezüglich der Emissionsgrenzwerte erfüllt. Die Zusammenarbeit könnte für beide Seiten von Nutzen sein. Jörg Liebermann sitzt in "Omas Küche", einem rustikalen Lokal nicht weit vom Firmensitz in Helmstedt. Er ist Bezirksleiter der Industriegewerkschaft IGBCE, sitzt bei der EEW im Aufsichtsrat und erzählt von den Anfängen. Die erste Müllverbrennungsanlage in Helmstedt wurde noch in der Regie des Stromkonzerns EON gebaut.
"Nachdem im Prinzip klar war, dass es mit der Braunkohle hier in diesem Gebiet zu Ende geht, haben wir als Gewerkschaft mit der Landespolitik im EON-Konzern darum gerungen, neues Engagement in diesem Revier aufzubauen. Die Müllverbrennung ist ein Geschäftsmodell, das Rendite und auch Wachstum verspricht!"

Erste Berührungspunkte mit China in Helmstedt

Aber offenbar kein Kerngeschäft für einen kriselnden Stromkonzern – weshalb EON die prosperierende EEW-Gruppe vor drei Jahren an den schwedischen Finanzinvestor EQT übergab. Unter ihren neuen Eigentümern wuchsen die Helmstedter weiter – doch von Dauer war das Engagement der Schweden trotz anderslautender Versprechen nicht. Der Einstieg der Chinesen könnte nun zum Glücksfall im Revier werden, hofft der Gewerkschafter Liebermann - eben weil das Unternehmen nicht von einem Finanzinvestor an den nächsten weitergereicht wurde:
"Bei den Chinesen haben wir Zusagen bekommen: Wir garantieren Euch in Deutschland die Standorte und die Arbeitsplätze und die Mitbestimmungsstrukturen - und wir wollen, dass Ihr mit Eurem Knowhow uns in China helft, unsere Luft sauberer zu machen."
Erste Berührungspunkte mit China gibt es in Helmstedt schon: Das örtliche Gymnasium führt chinesische Austauschschüler zum deutschen Abitur. Und Jörg Liebermann fordert die Politiker in Stadt und Land dazu auf, das Momentum zu nutzen. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, um ein internationales Schulungszentrum für das global agierende Unternehmen zu gründen. Natürlich am Firmensitz in Helmstedt.
"In diesem Schulungszentrum werden chinesische Mitarbeiter fortgebildet – und unsere Kolleginnen und Kollegen aus der EEW-Gruppe werden auch fortgebildet, wie man letztlich in China solche Anlagen baut, in Betrieb nimmt. Und dies alles in der interkulturellen Zusammenarbeit!"
Zurück zu Karsten Mielke und Manuela Psille, die die Müllverbrennungsanlage mit immer neuem Abfall füttern. Die beiden versuchen, einen guten Job zu machen. Dass die Chinesen jetzt einsteigen, beunruhigt sie nicht.
"Der Arbeitgeber, sage ich mal, solange der mit mir zufrieden ist, bin ich mit dem auch zufrieden!"
"Wir machen unseren Job trotzdem genauso – egal welche Fahne für uns weht!"
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