Überlebenskampf im Großstadtdschungel
Wo gibt es kostenloses Essen? Wo kann man übernachten? Wo duschen oder seine wenigen Habseligkeiten deponieren? Wie Menschen ohne festen Wohnsitz in Berlin leben und überleben, will das Projekt "Querstadtein" zeigen.
"Matthäuskirche, ganz wichtig. Hier können sich Obdachlose Essen und Trinken einmal die Woche abholen, da gibt es immer feste Termine. Habe ich jetzt alles gesagt? Nein."
Karsten Voss holt den Hefter mit seinen Spickzetteln aus der Tasche, schielt kurz nach unten. Er steht im Berliner Stadtteil Schöneberg, Kinder spielen auf dem sauberen Platz vor der Kirche. Die 20 Leute um ihn herum sind fast alle deutlich jünger als er. Dass Karsten Voss über 50 ist, zeigt sich nur an ein paar grauen Bartstopeln. Das hellblaue Hemd passt perfekt zur grünen Hose, die Hornbrille zum Kurzhaarschnitt. Gut gekleidet war er auch während seiner anderthalb Jahre als Obdachloser - nur ein Widerspruch zu den gängigen Klischees.
"Es kann alle treffen. Manager, Bauarbeiter, Lehrer. Ich war vorher Manager und Mitgeschäftsführer bei der Modemesse ‚Bread and Butter‘, gerade deswegen ist es wichtig, die andere Seite zu erleben. Ich hatte Burnout und Depressionen und ich konnte nicht mehr arbeiten, ich war durch."
Jetzt ist Karsten Voss der erste Stadtführer des Berliner Projektes "Querstadtein". Obdachlose und ehemals Obdachlose wie er präsentieren ihr Berlin, ihr Leben, ihren Alltag. Und Voss erzählt ohne Pausen: Wie er seine Wohnung verliert und erst bei Freunden in einer Laube schläft. Wie er aus Scham seine Kontakte abbricht und anfängt in Notunterkünften zu schlafen. Was er dort in Vier-Bett-Zimmern bei anderen Obdachlosen beobachtet.
"Obdachlos sein ist eine Überlebensstrategie. Freundschaften, so habe ich es erlebt, sind sehr schwer, man ist Kumpan und vielleicht Kollege auf Zeit. Die meisten sind Einzelgänger und Einzelkämpfer. Das trifft beides zu."
Während Voss spricht, macht Sally Ollech Notizen und Fotos. Denn die Tour heute ist ein Probelauf. Das Publikum sind die ehrenamtlichen Macher von "Querstadtein". Sie wollen durch das Projekt zwei Parallelwelten zusammenbringen.
"Mir geht es so, dass man seine Obdachlosen kennt. Irgendwann redet man ein paar Worte. Da ist uns aufgefallen, dass es wenig Schnittstellen gibt, wo man sich austauschen kann, wie es dazu kommt und wie das in unserer Gesellschaft passieren kann."
Die Gruppe erreicht den Victoria-Luise-Platz. Hier hat Karsten Voss früher gewohnt. Hier hat er auch als Obdachloser seine Zeit totgeschlagen, vor allem durch lesen. Auf den Bänken sonnen sich Rentner, Kinder spielen am Springbrunnen und auf dem ordentlich gemähten Rasen. Karsten Voss zeigt auf die Bänke im Schatten. Dort sitzen oft Obdachlose. Der Platz ist ein wichtiger Anlaufpunkt.
"Sehr viele junge Leute kaufen Getränke in Plasteflaschen und viele junge Leute lassen die Plasteflaschen dann liegen. Das bringt viel Pfand für die Obdachlosen. Außerdem ist es ein sehr sicherer Platz. Die Obdachlosen können hier schlafen auf den Bänken da drüben und werden toleriert. Es funktioniert auf diesem Platz wirklich."
Die Gruppe macht eine Verschnaufspause. Karsten Voss erzählt weiter. Über Erdlöcher, in denen viele Obdachlose Kleidung oder Fotos verstecken. Von ihren Ranglisten, wo es wann gutes Essen oder neue Kleidung gibt. Wie er es schafft, sich mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin wieder aufzurappeln, eine neue Wohnung hat, auf gar keinen Fall aber zurück will in seinen alten Job. Sozialromantisch wird es trotzdem nicht. Krankheiten, Einsamkeit, Alkohol - Voss spart nichts aus.
Karsten Voss holt den Hefter mit seinen Spickzetteln aus der Tasche, schielt kurz nach unten. Er steht im Berliner Stadtteil Schöneberg, Kinder spielen auf dem sauberen Platz vor der Kirche. Die 20 Leute um ihn herum sind fast alle deutlich jünger als er. Dass Karsten Voss über 50 ist, zeigt sich nur an ein paar grauen Bartstopeln. Das hellblaue Hemd passt perfekt zur grünen Hose, die Hornbrille zum Kurzhaarschnitt. Gut gekleidet war er auch während seiner anderthalb Jahre als Obdachloser - nur ein Widerspruch zu den gängigen Klischees.
"Es kann alle treffen. Manager, Bauarbeiter, Lehrer. Ich war vorher Manager und Mitgeschäftsführer bei der Modemesse ‚Bread and Butter‘, gerade deswegen ist es wichtig, die andere Seite zu erleben. Ich hatte Burnout und Depressionen und ich konnte nicht mehr arbeiten, ich war durch."
Jetzt ist Karsten Voss der erste Stadtführer des Berliner Projektes "Querstadtein". Obdachlose und ehemals Obdachlose wie er präsentieren ihr Berlin, ihr Leben, ihren Alltag. Und Voss erzählt ohne Pausen: Wie er seine Wohnung verliert und erst bei Freunden in einer Laube schläft. Wie er aus Scham seine Kontakte abbricht und anfängt in Notunterkünften zu schlafen. Was er dort in Vier-Bett-Zimmern bei anderen Obdachlosen beobachtet.
"Obdachlos sein ist eine Überlebensstrategie. Freundschaften, so habe ich es erlebt, sind sehr schwer, man ist Kumpan und vielleicht Kollege auf Zeit. Die meisten sind Einzelgänger und Einzelkämpfer. Das trifft beides zu."
Während Voss spricht, macht Sally Ollech Notizen und Fotos. Denn die Tour heute ist ein Probelauf. Das Publikum sind die ehrenamtlichen Macher von "Querstadtein". Sie wollen durch das Projekt zwei Parallelwelten zusammenbringen.
"Mir geht es so, dass man seine Obdachlosen kennt. Irgendwann redet man ein paar Worte. Da ist uns aufgefallen, dass es wenig Schnittstellen gibt, wo man sich austauschen kann, wie es dazu kommt und wie das in unserer Gesellschaft passieren kann."
Die Gruppe erreicht den Victoria-Luise-Platz. Hier hat Karsten Voss früher gewohnt. Hier hat er auch als Obdachloser seine Zeit totgeschlagen, vor allem durch lesen. Auf den Bänken sonnen sich Rentner, Kinder spielen am Springbrunnen und auf dem ordentlich gemähten Rasen. Karsten Voss zeigt auf die Bänke im Schatten. Dort sitzen oft Obdachlose. Der Platz ist ein wichtiger Anlaufpunkt.
"Sehr viele junge Leute kaufen Getränke in Plasteflaschen und viele junge Leute lassen die Plasteflaschen dann liegen. Das bringt viel Pfand für die Obdachlosen. Außerdem ist es ein sehr sicherer Platz. Die Obdachlosen können hier schlafen auf den Bänken da drüben und werden toleriert. Es funktioniert auf diesem Platz wirklich."
Die Gruppe macht eine Verschnaufspause. Karsten Voss erzählt weiter. Über Erdlöcher, in denen viele Obdachlose Kleidung oder Fotos verstecken. Von ihren Ranglisten, wo es wann gutes Essen oder neue Kleidung gibt. Wie er es schafft, sich mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin wieder aufzurappeln, eine neue Wohnung hat, auf gar keinen Fall aber zurück will in seinen alten Job. Sozialromantisch wird es trotzdem nicht. Krankheiten, Einsamkeit, Alkohol - Voss spart nichts aus.
"Menschen, die nichts mehr haben"
"Der Punkt ist, dass sie Hilfe brauchen. Was sind das für Menschen? Es sind Menschen, die nichts mehr haben. Was mir aufgefallen ist an mir selber, weil ich selber drin war, dass man eine gewisse Achtsamkeit entwickelt. Wichtig ist hingucken, nicht weggucken."
Auf dem Weg zur U-Bahn gibt Voss einen Exkurs in die Geschichte des Stadtteils Schöneberg. Er erzählt von der Schwulenszene, die tolerant ist, weil sie Vorurteile kennt. Und erwähnt fast beiläufig, dass David Bowie und Marlene Dietrich hier gewohnt haben.
Auf späteren Touren soll es auch um andere Stadtteile gehen. Dafür sucht das Team um Mitgründerin Katharina Kühn noch nach Stadtführern. Nicht viele können sich so gekonnt ausdrücken wie Karsten Voss. Das Team weiß, dass der ehemalige Mode-Manager ein eher außergewöhnlicher Glücksfall für das Projekt ist.
"Natürlich ist das für viele eine Herausforderung vor einer Gruppe zu sprechen. Grundsätzlich sind es viele ja auch nicht mehr gewohnt, dass man ihnen zuhört. Die Idee ist, dass es langsam wächst."
Vier bis sechs Stadtführer sollen später durch die Touren ein bisschen Geld dazuverdienen. Bis dahin werden die ersten angemeldeten Schulklassen und Studentengruppen das Leben von Karsten Voss nachverfolgen können. Der ist mittlerweile am Ende seiner Führung angekommen, nahe am Bahnhof Zoo.
"Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Das ist ein auch wichtiger Punkt für Obdachlose. Hier gibt es jeden Mittwoch ein Frühstück und einen Gottesdienst für sie. Und was noch wichtiger ist: Danach gibt es kostenloses Haareschneiden."
Zwei Stunden sind rum und gut fünf Kilometer gelaufen. Zeit für abschließende Fragen.
"Ich habe mich immer gewundert, da steht immer derselbe. Wie funktioniert das?"
"Es gibt so eine Grundsolidarität. Das wird auch ein Stück weit respektiert. Es ist wie in der normalen Gesellschaft, es gibt Nette und Arschlöscher, solche und solche. Es ist wie in der normalen Gesellschaft, es ist nichts anders."
Weitere Informationen über die Stadtführungen von Obdachlosen in Berlin finden sie im Internet unter www.querstadtein.org
Auf dem Weg zur U-Bahn gibt Voss einen Exkurs in die Geschichte des Stadtteils Schöneberg. Er erzählt von der Schwulenszene, die tolerant ist, weil sie Vorurteile kennt. Und erwähnt fast beiläufig, dass David Bowie und Marlene Dietrich hier gewohnt haben.
Auf späteren Touren soll es auch um andere Stadtteile gehen. Dafür sucht das Team um Mitgründerin Katharina Kühn noch nach Stadtführern. Nicht viele können sich so gekonnt ausdrücken wie Karsten Voss. Das Team weiß, dass der ehemalige Mode-Manager ein eher außergewöhnlicher Glücksfall für das Projekt ist.
"Natürlich ist das für viele eine Herausforderung vor einer Gruppe zu sprechen. Grundsätzlich sind es viele ja auch nicht mehr gewohnt, dass man ihnen zuhört. Die Idee ist, dass es langsam wächst."
Vier bis sechs Stadtführer sollen später durch die Touren ein bisschen Geld dazuverdienen. Bis dahin werden die ersten angemeldeten Schulklassen und Studentengruppen das Leben von Karsten Voss nachverfolgen können. Der ist mittlerweile am Ende seiner Führung angekommen, nahe am Bahnhof Zoo.
"Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Das ist ein auch wichtiger Punkt für Obdachlose. Hier gibt es jeden Mittwoch ein Frühstück und einen Gottesdienst für sie. Und was noch wichtiger ist: Danach gibt es kostenloses Haareschneiden."
Zwei Stunden sind rum und gut fünf Kilometer gelaufen. Zeit für abschließende Fragen.
"Ich habe mich immer gewundert, da steht immer derselbe. Wie funktioniert das?"
"Es gibt so eine Grundsolidarität. Das wird auch ein Stück weit respektiert. Es ist wie in der normalen Gesellschaft, es gibt Nette und Arschlöscher, solche und solche. Es ist wie in der normalen Gesellschaft, es ist nichts anders."
Weitere Informationen über die Stadtführungen von Obdachlosen in Berlin finden sie im Internet unter www.querstadtein.org