Überlebenskampf der Schausteller

Wenn der Spaß allmählich aufhört

Eine bunt beleuchtete Kirmes mit einem Riesenrad in den Abendstunden.
Eine bunt beleuchtete Kirmes mit einem Riesenrad in den Abendstunden. © picture-alliance / dpa / Roland Scheidemann
Von Christian Blees · 26.01.2016
Die Anzahl mittlerer und kleiner Volksfeste in Deutschland ist schon seit Längerem rückläufig. In der Folge hat etwa ein Viertel der rund 5000 Schausteller-Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren mindestens eines seiner Geschäfte aufgeben müssen.
Rekommandeur: "Hier sehen Sie die Dame ohne Unterleib! Kommen die Damen, kommen die Herren! Immer einsteigen zur neuen Tour. Alles freut sich, alles lacht, alles quietscht."
Albers: "Alles amüsiert sich auf der Riesenschaukel. Hier muss man auf das Pfandhaus laufen…(Gelächter) hier muss man seine Hosen verkaufen. Für eine Tour auf der Riesenschaukel."
Immer Mitte Oktober geht es rund auf dem engen Marktplatz im hessischen Bad Hersfeld – und das schon seit fast 1200 Jahren. Anlass ist das Lullusfest, das älteste Volksfest Deutschlands. Benannt ist Veranstaltung nach dem Begründer der Stadt, dem früheren Mainzer Erzbischof Lullus. Rund um dessen Todestag, den 16. Oktober, befindet sich Bad Hersfeld eine Woche lang im Ausnahmezustand. Wichtiger Programmpunkt ist dabei das Entzünden des sogenannten Lullus-Feuers. Mit diesem feierlichen Akt gilt der Festtrubel auf dem Marktplatz als offiziell eröffnet. Thomas Fehling, Bürgermeister der Stadt Bad Hersfeld.
"Das Feuer hatte früher die Funktion, dass die Händler, die nach Hersfeld reinkamen zu dem Volksfest, Handel betrieben haben, sich an dem Feuer wärmen konnten und etwas zu essen grillen konnten – also irgendwie Kartoffeln, Würste da drin sich zurechtgemacht haben. Und das Feuer war insofern das Symbol: Solange das Feuer brannte, gab’s eine Steuerfreiheit für jeden Handel, der betrieben wurde. Das hat es natürlich für viele Händler attraktiv gemacht, nach Hersfeld zu kommen, das Geschäft zu machen, weil man keine Steuern zahlen musste."
Zum Lullusfest kommen jedes Mal rund 450.000 Besucher. Das bunte Treiben ist damit weitaus mehr als nur der jährliche Höhepunkt im Bad Hersfelder Gesellschaftsleben. Die Veranstaltung hat für die Stadt und die örtlichen Unternehmen auch eine enorme wirtschaftliche Bedeutung.
"Es gibt eine Statistik, die von einem Fachmagazin angeführt wurde, dass man davon ausgeht, dass so in etwa 25 Euro die Besucher auf den Märkten lassen. Wobei die Zahl wohl bei einem größeren Volksfest ermittelt wurde. Also, wenn wir das aber malnehmen und stufen es ein bisschen runter, von vielleicht zwanzig Euro ausgehen, kommen wir also quasi auf eine Wertschöpfung von ungefähr acht Millionen Euro, die in der Woche in Bad Hersfeld gedreht werden. Davon profitieren die Schausteller, aber natürlich auch die umliegende Gastronomie ist mit eingebunden, der Handel ist mit eingebunden, auch die Hotels freuen sich, dass gute Auslastung ist. So, dass dieser Betrag auch in die umliegenden Geschäfte dann reinfließt."
Blick von oben auf das Lullusfest in Bad Hersfeld
Blick von oben auf das Lullusfest in Bad Hersfeld© imago/NBL Bildarchiv
Nicht nur das Bad Hersfelder Lullusfest hat einen kirchlichen Ursprung. Auch bei den meisten übrigen der bundesweit insgesamt rund zehntausend Volksfeste handelt es sich, historisch gesehen, um Veranstaltungen mit stark religiösen Bezügen. Dies verdeutlicht bereits der Begriff Kirmes, die Kurzform des Wortes Kirchmesse. Auch spielten Feiertage wie Ostern, Pfingsten oder Fronleichnam beim Festsetzen vieler Jahrmarkt-Termine seit jeher eine wichtige Rolle. In einer historischen Abhandlung heißt es:
Zitator: Diese Vorliebe kam nicht von ungefähr. Die übliche Sitte, den weltlichen Markt an einen Tag aus dem religiösen Feierkanon zu binden, überhöhte den weltlichen Anlass, lud ihn mit zusätzlicher Bedeutung auf und machte ihn zu etwas Besonderem, Außergewöhnlichem. In einer noch stark religiös geprägten Lebenswelt verschaffte erst die Verbindung von Markttag und Kirmes den würdigen und legitimen Anlass, ja geradezu die göttliche Erlaubnis, ausgiebig und über mehrere Tage hinweg ein öffentliches Fest zu feiern, an dem die gesamte Bevölkerung teilnehmen konnte – also auch nicht arbeitete.
Auf einem Jahrmarkt waren nicht nur die umliegenden Bauern und Händler mit ihren Erzeugnissen vertreten. Auch fahrende Kaufleute aus entfernter liegenden Gegenden boten hier ihre Produkte an. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich die Aufgabe des Jahrmarktes allmählich zu verändern. Im Zuge der Industrialisierung brachte jetzt zunehmend die Eisenbahn Waren aus fremden Ländern in die Städte. Kaufhäuser wurden eröffnet. Der Jahrmarkt verlor als Umschlagplatz für Waren an Bedeutung.
Weil die Zahl der in Fabriken beschäftigten Arbeiter rasant anstieg, wurde der Freizeitaspekt auf den Jahrmärkten immer wichtiger. Denn wer hart arbeitete, der wollte sich zur Abwechslung auch anständig vergnügen. Darum machten sich zunehmend Schausteller breit, um die Besucher mit Losbuden, Karussells und anderen Lauf- und Fahrgeschäften in gute Laune zu versetzen. Bis heute dienen Volksfeste dem Publikum vor allem zur eigenen Belustigung. Für die Schausteller dagegen dreht sich nach wie vor alles ums Geschäft. Und das wird zunehmend härter.
"Wenn wir die Volksfeststruktur in Deutschland nehmen und gerade auch hier in Niedersachsen, wo ich ja beheimatet bin, möchte ich sagen, dass wir 30 Prozent der Volksfeste verloren haben – der richtigen Volksfeste. Hier oben, müssen Sie sich vorstellen, gibt es kaum noch Schützenfeste; das Ganze ist weggebrochen."
Michael Hempen aus Oldenburg bei Bremen ist einer von rund fünftausend deutschen Schaustellern, die zwischen März und Dezember landauf, landab mit Lkw und Wohnwagen unterwegs sind. Wie fast alle seiner Kollegen entstammt auch er einer traditionsreichen Schausteller-Familie. Begonnen hat alles vor über einhundert Jahren mit Michael Hempens Urgroßeltern. Diese verkauften damals auf Jahrmärkten Süßwaren. Hempens Vater war nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst als Puppenspieler unterwegs, später als Betreiber eines Kinderkarussells. Mitte der 1970er Jahre schließlich, als Teenager, packte auch Michael Hempen erstmals im Familienbetrieb mit an.
"Ja, ich möchte sagen, dass 1974 schon die Zeit war, wo Fernsehen weitaus beliebter war, sich dort die Attraktionen anzuschauen oder anzusehen, als wie auf einem Kirmesplatz in einer Schaubude oder in einem Marionettentheater. Obwohl ich diese Shows immer noch für einmalig halte, weil es dazu gar keinen Vergleich gibt, so etwas mal live sehen zu können."
Mit Büchsenwurf-Bude selbstständig gemacht
Mit Anfang 20 heiratete Michael Hempen – auch das ist typisch für das Gewerbe – die Tochter eines Schausteller-Kollegen. Ende der 1970er-Jahre machte sich das Paar schließlich mit einer geliehenen Büchsenwurf-Bude selbstständig. Wenig später präsentierte der Schausteller erstmals eine technische Eigenkreation: einen begehbaren Dschungel-Irrgarten aus Glas. Für Michael Hempen seinerzeit ein nur schwer kalkulierbares finanzielles Risiko.
"Diese große kaufmännische Kalkulation gibt es nur, indem Sie sagen: Die und die Summe kann ich einnehmen oder kann ich auch nicht erwirtschaften, um auch meinen Abträgen (sic!) nachzukommen und nebenbei eine Familie zu ernähren. Da haben sie eine gewisse Fantasievorstellung und Sie müssen gleichzeitig daran denken: Das, was Sie dort gerade machen, wenn ich sage, ich habe einen Glasirrgarten, was zur damaligen Zeit ungewöhnlich war, in die entgegengesetzte Form in einen Dschungel gebracht, dann müssen Sie selber schon sehr stark davon überzeugt sein, dass dies Thema vom Publikum auch angenommen wird. Da war ich in damaliger Zeit und war mit dem Thema sehr überzeugt davon."
Sprecher: Das Omen. Die Grusel-Show. Zu Fuß. Sie werden Augen machen…
Wieder einige Zeit später baute Michael Hempen seinen Dschungel-Irrgarten um und verwandelte ihn in ein begehbares Gruselkabinett. Mit dem "Omen" war er anschließend rund zweieinhalb Jahrzehnte lang auf Jahrmärkten in ganz Europa unterwegs – inzwischen unterstützt durch seinen 1984 geborenen Sohn, Rober Hempen. Anfang 2012 nahmen Vater und Sohn die Bauten des "Omen" dann als Grundlage für ihre nächste Attraktion: Aus dem Gruselparcours wurde durch diverse Umbauten und dekorative Veränderungen das "Big Bamboo". Bei diesem Laufgeschäft müssen die Besucher zu Fuß eine Art Hindernis-Parcours im Karibik-Stil durchschreiten.
Sogenannte Belustigungsgeschäfte wie "Das Omen" oder das "Big Bamboo" kosten eine Menge Geld – meistens einen mittleren sechsstelligen Betrag. Größere Anschaffungen, wie ein Riesenrad oder eine Achterbahn, verschlingen auch schon mal locker eine Millionensumme. Der "Verein reisender Schausteller Ostfriesland e.V.", ein Mitgliedsunternehmen des DSB, warnt:
Zitator: Die Attraktionen im Bereich der Fahrgeschäfte werden immer investitions- und kostenintensiver, veralten aber immer schneller. Hierdurch werden die Investitionszyklen kürzer, bei gleichzeitiger Steigerung der Investitions- und Unterhaltungskosten sowie nur leicht steigenden Umsätzen. Dieses kann zu einem Investitionsstau bei den Betrieben führen, der die Attraktivität der Volksfeste langfristig beeinflusst. Die Kosten drücken so stark, dass es in dieser Branche in absehbarer Zeit zu Kooperationen oder gar Fusionen kommen wird. Das heißt, einzelne mittlere und große Schausteller-Familien schließen sich zusammen und verhandeln dann mit den Großherstellern und Banken bezüglich der Finanzierung. Im Klartext: Ein einzelner Schausteller kann diese gewaltigen Investitionssummen nicht mehr allein aufbringen.
Volksfeste suchen sich die Fahrgeschäfte jedes Jahr aufs Neue aus
Bei Familie Hempen aus Oldenburg spielen derartige Überlegungen laut Rober Hempen noch keine Rolle. Der 31-Jährige hat vor etwa zwei Jahren das Geschäft mit dem "Big Bamboo" übernommen. Hempen zufolge zehrt das Unternehmen bis heute von der soliden finanziellen Grundlage, die der Großvater vor 60 Jahren geschaffen hat – "Feedback" nennt er die Vorleistungen seiner Familie.
"Auf jeden Fall kostet das eine ganze Stange Geld. Also, ich sage mal so viel: Wir sind ja auch eine Familie aus Tradition, Familie Hempen. Und dafür, dass das hier alles so steht, dafür mussten schon meine Vorfahren arbeiten. Das geht immer so weiter. Das wird von Betrieb zu Betrieb – wird das immer weitergegeben, vom Vater zum Sohn. Und ich sage mal: Wenn man vom privaten Bereich Schausteller werden will und kommt jetzt und kauft, ohne vorher ein bisschen Feedback von der Familie zu haben, ein neues Fahrgeschäft, wird’s sehr schwer. Ich glaube, das würde man so nicht schaffen. Also da kommt wirklich Feedback von der Familie und – ja, nur so geht’s eigentlich. Wie gesagt: Da hat mein Opa schon für gearbeitet, dass das hier alles so steht. Das wird dann immer alles weitergegeben. Es ist nun mal alles ein Familienzusammenhalt bei uns."
Trotz des soliden finanziellen Fundaments können die Hempens auf ständige technische Veränderungen und Erneuerungen bei ihrem Laufgeschäft nicht verzichten. Damit wollen sie nicht nur das Interesse des Publikums wachhalten. Es geht auch darum, die Veranstalter der verschiedenen Jahrmärkte immer wieder aufs Neue von der Attraktivität des eigenen Angebots zu überzeugen. Noch einmal Michael Hempen.
"Sie müssen sich auf jedem Volksfest, egal wie lange ihre Familie da kommt, in jedem Jahr wieder neu bewerben. Und eine völlig unabhängige Kommission oder ein Marktmeister entscheidet, welche Betriebe er haben möchte im nächsten Jahr und welche nicht. Es kommt immer wieder vor, dass Familien, die erlauben Sie mir die Zahl zu sagen, 100 Jahre schon auf ein Volksfest kommen, damit rechnen müssen, dass sie im nächsten Jahr nicht mehr dabei sind. Das passiert. Also, die Unsicherheit ist da schon groß."
Bei der Suche nach einem Stellplatz kommt kein Schausteller an den beiden wichtigsten Fachpublikationen der Branche vorbei: Sowohl die "Kirmes- und Park Revue" als auch "Der Komet" informieren laufend über anstehende Volksfeste und Bewerbungsfristen – vom Schützenfest in Willich über die Osterkirmes in Iserlohn bis hin zum Zwiebelmarkt in Bünde. Wer letztlich wo stehen darf, entscheidet dann im Einzelfall eine lokale Auswahlkommission. Zu schaffen macht den Schaustellern dabei nicht nur die Konkurrenz untereinander.
"Die kleineren Märkte haben Riesenschwierigkeiten, in diesem Konkurrenzkampf des Freizeitmarktes zu behaupten. Heute kann der Besucher mobil alles erleben, was er möchte: vom Wasserpark bis zum Freizeitpark bis zum Großevent Kino, bis zum Stadtfest, bis zum – ich weiß nicht, was die Kommunen und manche Veranstalter sich noch alles einfallen lassen, bis zum Letzt-Event Weihnachtsmarkt. Es gibt also einen Weihnachtsmarkt-Tourismus, den es früher, vor 15 Jahren, noch gar nicht gegeben hat. Und damit wird der Druck auf die funktionierenden Volksfeste immer größer."
Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Volksfeste in Deutschland um rund ein Viertel zurückgegangen. Das liegt zum einen daran, dass immer mehr Besucher an Stelle der kleinen Kirmes in ihrem Heimatort lieber auswärtige Großveranstaltungen besuchen. Denn auf den Cannstatter Wasen oder dem Münchener Oktoberfest lockt ein deutlich breiteres Angebot – und damit ein höherer Erlebnisfaktor.
Nicht nur der Verlust so manch kleiner Festveranstaltung macht den Schaustellern zu schaffen. Auch die Grundkosten der Volksfeste – etwa für das Bereitstellen der Infrastruktur und die eigentliche Organisation – sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Zurückzuführen ist dies zum einen auf allgemeine Kostensteigerungen, zum anderen auf immer strengere gesetzliche Auflagen.
Nachwuchssorgen bei Schützen wirken sich auch auf Schausteller aus
Die Grundkosten werden in aller Regel auf die jeweiligen Standmieten umgelegt. Darum fallen diese auf kleineren Volksfesten vergleichsweise hoch aus – mit dem Resultat, dass es sich immer weniger Schausteller leisten können, dort vertreten zu sein. Aufgrund des gestiegenen Kostenrisikos haben zudem viele Kommunen ihre Rolle als Veranstalter inzwischen an private Betreiber abgegeben. Dazu zählt auch der erste Vorsitzende des Oldenburger Schausteller-Verbandes, Michael Hempen.
"Selber tun wir hier in der Region mittlerweile acht Volksfeste ausrichten, wo die Kommunen sagen, sie könnten das nicht mehr, auch durch kostenbedingte Situation, wo wir heute also selber in der Verantwortung sind, und bevor die Schausteller hier in der Region gar keinen Arbeitsplatz mehr haben, diese Volksfeste selber ausrichten. Und das ist immer noch besser, wenn man das als Verband tut oder als Gesellschaft, bevor sie in private Hände geraten, wo ja nur Geld mit erwirtschaftet werden soll. Das würde zu Lasten des Volksfestes gehen und das müsste der Besucher dann tragen, denke ich, ist das eine Alternative. Weil: Es gibt ja auch heute kaum jemand mehr, der überhaupt weiß, wie ein Volksfest ausgerichtet werden muss."
Zu Besuch auf dem so genannten Historischen Jahrmarkt in der Jahrhunderthalle Bochum. Hier präsentiert das Schausteller-Gewerbe seit 2004 antike Buden und Fahrgeschäfte, die zum Teil schon über 100 Jahre alt sind. Bei aller Nostalgie dient die Veranstaltung vor allem einen Zweck: Sie soll den beteiligten Schaustellern helfen, die ansonsten jahrmarkt-freien Monate am Anfang eines jeden Kalenderjahres finanziell zu überbrücken.
"Also, selbstverständlich pflegen wir den Gedanken der großen Schausteller-Familie, aber wenn‘s ums Geldverdienen geht, ist man auch schon mal Konkurrent, das ist ganz klar."
Albert Ritter gilt als der mächtigste Mann seiner Branche. Er ist Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, kurz: DSB. Dieser repräsentiert rund 90 Prozent der deutschen Schausteller – und damit insgesamt rund 4600 Betriebe mit etwa 20.000 Beschäftigten. Zusätzlich steht Albert Ritter auch dem europäischen Dachverband vor. Zum Gespräch bittet er standesgemäß in einen historischen Wohnwagen. Dieser dient ihm auf seinen Touren gleichermaßen als Büro wie als Wohnzimmer. Wenn man Ritters Worten glauben soll, dann ist es um die Lage der Schausteller hierzulande nicht gerade rosig bestellt.
"Wir werden nicht weniger, weil wir familienstrukturiert sind, das wird an die Kinder weitergegeben. Kirmesplätze, gerade die kleinen und mittleren Veranstaltungen haben – haben ja einen gewissen Schwund zu verzeichnen und hat mehrere Ursachen. Wenn zum Beispiel dann im Westfälischen das traditionelle Schützenfest, was immer mit Kirmes verbunden ist, nicht mehr so funktioniert, weil das Schützenwesen eben Nachwuchssorgen hat, dann schlägt das natürlich auch auf uns durch."
Die Zahlen, die der DSB vermeldet, klingen eigentlich gar nicht schlecht. Demnach verzeichnen die rund 10.000 in Deutschland stattfindenden Volksfeste und Weihnachtsmärkte jährlich über 230 Millionen Besucher. Laut Schaustellerbund sind sie damit das bedeutendste Angebotssegment der Freizeitwirtschaft überhaupt. Im Vergleich dazu kommen Schwimmbäder auf 160 Millionen, Kinos auf 149 Millionen und Theater auf rund 34 Millionen Besucher. Volksfeste können außerdem auf mehr Gäste verweisen als der gesamte öffentliche Kulturbetrieb zusammengenommen - bestehend aus Theatern, Opern, Orchestern, Festspielen, Museen, Volkshochschulen, Musikschulen und Bibliotheken.
"Ich sage immer: Die Kirmes ist die Philharmonie des kleinen Mannes. Aber leider werden wir nicht wie die große Philharmonie subventioniert, und das ist sehr unterschiedlich in Europa. Der Italiener und der Franzose, der sagt in einer Krise: 'Jetzt erst recht, wir hauen so ein bisschen das Pulver auf den Kopf, was wir noch haben; wir gehen uns amüsieren.' Und der Deutsche spart dann eher. Wir haben ja in Deutschland im Moment einen historischen Höchststand von Spareinlagen. Und das merken wir sehr wohl, wenn wir also eine Rezession haben, wenn wir eine Euro-Krise haben: dass die Menschen dann ihr Geld zusammenhalten. Und das spüren wir auf den Kirmes Plätzen, gerade in Deutschland, dann sehr genau."
Besucher investieren immer weniger in Karussellfahrten
Laut DSB gibt der durchschnittliche Besucher eines Volksfestes etwa 22 Euro aus - den größten Teil davon inzwischen für Bratwurst, Bier, Crêpes und Zuckeräpfel. In Lauf- und Fahrgeschäfte dagegen investieren Kirmesbesucher im Schnitt nur noch drei Euro fünfzig.
"Die Struktur der Kirmessen hat sich gewandelt. Seit den 70er-Jahren ist das Essen und Trinken sehr stark angezogen auf den Volksfesten. Die Aufenthaltsqualität ist wichtig geworden, nicht nur im süddeutschen Bereich mit den Bierzelten, sondern auch im Westen und Norden, dass man sehr viele Biergärten hat, auch die Aufenthaltsqualität in der Gastronomie ist sehr wichtig geworden."
Auch Thilo-Harry Wollenschläger aus Berlin macht die besten Geschäfte inzwischen mit seinen Imbissbuden. Mit diesen ist er vor allem auf Jahrmärkten in der Hauptstadt und im Land Brandenburg vertreten. Parallel dazu – und damit ganz der eigenen Familientradition entsprechend – betreibt Wollenschläger auch noch eine Losbude. Und obwohl deren Umsätze ab und an eher schleppend verlaufen: Einmotten wolle er diese auf keinen Fall, sagt der Schausteller.
"Wenn so ein großer Platz von so einer Losbude, die vielleicht 20 Meter beträgt, also, die 20 Meter lang ist, wenn der Schausteller einstellt, dann bleibt ja in Zukunft dieser Platz nicht unbesetzt. Und wenn wir dann da noch eine Würstchenbude hinstellen und noch einen Getränkestand, dann wird natürlich die Mischung irgendwann nicht mehr funktionieren. Deswegen wollen wir ein Riesenrad haben und tolle Fahrgeschäfte und Achterbahnen, und das macht ein Volksfest natürlich nachher rund."
Thilo-Harry Wollenschläger muss viel tun ehe das erste Los oder das erste Getränk über den Tresen gehen. Erst recht seit sich immer mehr kommunale Betreiber aus dem Volksfest-Geschäft zurückziehen.
"Wenn man so ein Volksfest organisiert, sind natürlich viele Bausteine. Man braucht ein Elektro-Projekt, man braucht ein Abfall-Konzept, also Mülltrennung – Pappe, Plastik und Restmüll. Wir haben mittlerweile ein Büro, was durchgängig besetzt ist, was es bei mir früher auch nicht gab. Da entsteht natürlich immer mehr Bürokratie. Dann, wenn man so eine Veranstaltung aufbaut, braucht man ein Be- und Entwässerungskonzept. Also, da gibt es DVGW- und KDW-geprüfte Wasserleitungen nach irgendwelchen neuen Normen, mikrobiologische Untersuchungen, die man vor zehn, fünfzehn Jahren noch gar nicht machen konnte. Und da entsteht natürlich immer mehr, und immer mehr kommen irgendwelche Dinge auf den Weg, über die sich so Otto Normalverbraucher gar keine Gedanken macht."
Was den Schaustellern besondere Kopfschmerzen bereitet, sind bürokratische Hemmnisse. Als ein Beispiel nennt DSB-Präsident Albert Ritter das Thema Umweltschutz-Zonen: Die Verwendung älterer Zugmaschinen, mit denen die Schausteller ihre Karussells, Geisterbahnen und andere Buden auf die Kirmes bringen wollen, sei in manchen Innenstädten aus Umweltschutzgründen gar nicht erst gestattet – und das, obwohl die entsprechenden Fahrzeuge für die Dauer des Jahrmarktes überhaupt nicht bewegt würden. Derlei formale Hindernisse gibt es laut Ritter aber nicht nur auf lokalpolitischer Ebene.
"Die neueste Stilblüte aus Brüssel, das ist die 13814. Das ist die Normierung einer neuen europäischen Norm für die Sicherheit von Fahrgeschäften. In ganz Resteuropa wurde die Norm in ihrer ursprünglichen Form umgesetzt. Man hat gesagt: alte Norm für alte Karusselle, neue Norm nur für neu zu bauende Karusselle. Und nur Deutschland verlangt, wir können es nicht ergründen warum, dass also auch für die alten Fahrgeschäfte eine neue Norm erfüllt wird. Das heißt in der Spitze, wir sind ja hier auf dem historischen Jahrmarkt: Da draußen steht ein Holzpferde-Karussell von 1886, wo nie etwas passiert ist, was unfallfrei sich gedreht hat, was TÜV hat, das also die Bauabnahme hat, etc., etc. und da soll jetzt eine Norm von 2013 drauf – wird in keinem anderen Bereich verlangt. Und da sagen wir: Das kann nicht funktionieren. Denn ein Karussell, was bis heute sicher war und sicher galt, kann doch nicht auf einmal unsicher sein, nur, weil um Mitternacht in Brüssel eine neue Norm in Kraft tritt."
Sicherheitsnormen machen es den Schaustellern schwer
Schon 2013 hat der Deutsche Schaustellerbund bei der EU-Kommission Beschwerde dagegen eingereicht, dass die neue Sicherheitsnorm für Fahrgeschäfte ausschließlich in Deutschland auch für sogenannte Bestandsanlagen gelten soll. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung soll nun klären helfen, ob der deutsche Sonderweg tatsächlich einen Sicherheitsgewinn bedeutet. Auch geht es darum, festzustellen, ob der Sonderweg für die Schausteller im Zweifelsfall in einem zumutbaren Verhältnis zu den Kosten steht, die die dann erforderliche Umrüstung älterer Fahrgeschäfte mit sich bringen würde.
Hans Albers: "Es steigt das Lied von der Riesenschaukel."
Rekommandeur: Auf dem Rummelplatz ist was los, mein Schatz. Mal schießen, der Kleine? Ein Kalb mit fünf Beine! Das Riesenkind, jedes Los gewinnt. Doch das schönste Vergnügen, wo ist das zu kriegen? Komm‘ auf die Schaukel, Luise, es ist ein großes Plaisir. Du fühlst dich wie im Paradiese – und zahlst nur nen Groschen dafür… Komm‘ auf die Schaukel, Luise, ich schaukle her dich und hin. Und zeig‘ dir hernach auf der Wiese Luise, wie gut ich dir bin."
Verbandsarbeit ist vor allem auch Lobbyarbeit. Um für die Belange der Schausteller zu werben, besucht DSB-Präsident Albert Ritter darum regelmäßig den Deutschen Bundestag. Genauer gesagt: verschiedene Mitglieder des Bundestagsausschusses für Tourismus.
"Also, ich nehme mehrere Probleme wahr."
Daniela Ludwig von der CSU, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Mitglied im dortigen Tourismusausschuss. In ihrer Heimatstadt Rosenheim wird seit über 150 Jahren das sogenannte Herbstfest gefeiert.
"Zum einen die Thematik, dass sich die Kommunen aus der Veranstaltung zurückziehen und die Schauspieler plötzlich mit einem privaten Veranstalter konfrontiert werden, den sie im Zweifelsfall vorher nicht kannten, der im Prinzip die Zügel relativ fest anzieht, der eine oder andere Schausteller nicht mehr auf sein angestammtes Volksfest kommt – weil entweder die Platzgebühren über die Maßen steigen oder ähnliches. Das höre ich zunehmend."
Auf der Agenda des Schaustellerverbandes stehen ganz aktuell auch die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes. Aus einem DSB-Positionspapier:
Zitator: Das Schaustellergewerbe folgt keinen festgelegten Arbeits- und Ruhephasen, sondern ist geprägt von Transporten, Auf- und Abbau sowie Spielzeiten und auch Tagen ohne Engagement und witterungsbedingte Pausen. Die Organisation und Veranstaltung eines Volksfestes ist nicht mit einem geregelten Acht-Stunden-Tag zu bewältigen. Der Aufbau und die Eröffnung einer Kirmes oder eines Weihnachtsmarktes können nicht warten, sondern müssen zum Stichtag fertig sein. Andernfalls droht nicht nur Enttäuschung der Besucher, sondern auch Konventionalstrafe und Umsatzeinbuße.
"Die Kollegen aus dem Arbeits- und Sozialausschuss sind da nicht so begeistert davon, dass wir hier versuchen, vielleicht eine Änderung zu finden. Wir haben auf dem CSU-Parteitag aber einen Antrag beschlossen, der da lautet: Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag muss sich darum kümmern, dass es beim Arbeitszeitgesetz Erleichterungen gibt für bestimmte Branchen. Und das heißt natürlich: Hotel, Gastro, selbstverständlich. Das heißt aber natürlich auch: das Schausteller-Gewerbe, die da im weitesten Sinne auch drunter fallen. Wir sind schon darauf angewiesen, dass wir in bestimmten Branchen die Möglichkeit haben, diese zehn Stunden Höchstarbeitszeit flexibler zu gestalten."
Rosenheimer Wiesn - Eingang zum Herbstfest
Statt nach München fahren inzwischen viele Besucher auf die Rosenheimer Wiesn© imago/STL
Das Rosenheimer Herbstfest war ursprünglich als Landwirtschaftsausstellung konzipiert. 1861 kamen zunächst ein Schützenfest und ein Gesangswettbewerb hinzu. Bis heute hat sich die Veranstaltung zu einem Volksfest gewaltigen Ausmaßes entwickelt – mit zwei Wochen Laufzeit und einer Million Besucher pro Jahr. Für Daniela Ludwig ist das Herbstfest damit nicht nur aus privater, sondern auch beruflicher Sicht jedes Mal ein echtes Highlight.
"Zum einen natürlich: Der Name Rosenheim wird jenseits des Herbstfestes weitergetragen. Wir sind ja Tourismus-Region im Chiemgau, Rosenheim als Zentrum als Shopping-Highlight, als Kultur-Highlight. Das heißt, wer vielleicht erstmals zum Rosenheimer Herbstfest kommt, stellt fest: Die Stadt rundherum ist schön, der Chiemsee ist schön – und kommt wieder. Und wir merken von Jahr zu Jahr mehr, dass immer mehr auswärtige Gäste statt zum Münchener Oktoberfest aufs Rosenheimer Herbstfest fahren, dann nicht gleich nach dem Festzelt-Besuch nach Hause zurückkehren, sondern eine oder zwei Übernachtungen dranhängen, unser kulturelles Leben mitnehmen, bei uns auch sonst Geld lassen. Das heißt: Die Anziehung Rosenheims steigt weiter – einfach dadurch, dass wir ein so gut angesehenes Volksfest haben. Insofern ist es uns ganz wichtig, dass unser Volksfest so bleibt, wie es ist. Also, für uns ist es wirklich ein Wirtschaftsfaktor. Nicht nur innerstädtisch, sondern wirklich über die Grenzen Bayerns hinaus."
Verbandspräsident Albert Ritter gibt sich trotz diverser wirtschaftlicher Widrigkeiten und bürokratischer Hemmnisse zuversichtlich. Selbst in Zeiten des Internets und vielfältiger anderer Unterhaltungsmöglichkeiten, sagt er, würden den Volksfesten in Deutschland die Besucher auf absehbare Zeit bestimmt nicht ausgehen.
"Eine Freundin oder einen Freund kann man natürlich am schönsten kennenlernen auf der Kirmes bei der gemeinsamen Karussellfahrt oder in der Geisterbahn. Und auch hier steht ja eine alte Raupenbahn von 1926. Und wenn man dann sieht, dass dort – wir hatten gestern ein Pärchen, beide an die Achtzig, die dann gesagt haben: Auf so einer Raupenbahn haben wir uns das erste Mal geküsst. Also diese Emotionen und Romantik, die Kirmes und Volksfest vermittelt, das wird, glaube ich, nicht untergehen, und all diese romantischen Dinge gehören mit dazu - und daran arbeiten wir."
Jahrmarktsbesucher singen: "Komm auf die Schaukel, Luise…"
Hans Albers: "Na, Fräulein – hübsches Fräulein. Wollen’se auch mal schaukeln auf der Riesenschaukel? "
Frau: "Kiek mal, kiek mal – der Liliom ist doch ein so schöner Mann!"
Hans Albers: "Sagen sie mal, Fräulein – sind das hier alles ihre Kinder? Na – wenn Sie noch ein paar haben wollen, ich stehe gerne zur Verfügung. Ich komme sofort – Postkarte genügt! … und zeig‘ Dir hernach auf der Wiese Luise, wie gut ich dir bin. Kommen die Damen, kommen die Herren! Immer einsteigen zur neuen Tour auf der Riesenschaukel."
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