Überlebens-Skulpturen, "Heldinnen"-Fotos

Von Jochen Stöckmann |
Der US-Künstler Eric Fischl hat sich intensiv um den menschlichen Körper gekümmert, stets verwoben in vielfältige Beziehungen. Seit einiger Zeit konzentriert sich verstärkt auf die Skulptur. Die Französin Bettina Rheims transferiert in ihrer Serie der "Héroïnes" klassische Heldenbilder in unsere Zeit. Werke von beiden Künstlern sind jetzt in Hannover zu sehen.
Mit grotesk verrenkten Beinen taumelt eine Frau hilflos durch den weiten, hohen Saal der hannoverschen Kestner Gesellschaft, fast liegt sie am Boden. Eric Fischl, bekannt für seine figurativen Gemälde, hat diesen Moment in Bronze gegossen, hat die Skulptur als Medium für seine künstlerische Rückschau auf den 11. September des fast schon fernen Jahres 2001 gewählt:

"Die Presse hat Fotos der toten Körper unterdrückt. Nicht die menschliche Tragödie, sondern der Verlust der Gebäude war seither das Thema. Für mich aber sind menschliche Maßstäbe wichtig."

Dieses Thema beleuchtet auch Don DeLillo in seinem jüngsten Roman. "Falling Man" heißt das Buch - und der Schriftsteller machte es dem bis dato unbekannten Künstler zum Geschenk, als Fischl im New Yorker Atelier seiner Skulptur "Tumbling Woman" den letzten Schliff verpaßte. Offenbarte sich da per Zufall eine Wahlverwandtschaft zwischen dem "stürzenden Mann" und der "stolpernden, taumelnden Frau"?

"Im Unterschied zum Fallen ist das Taumeln eine horizontale Bewegung. Diese Frau ist also nicht aus dem Fenster gestürzt, aber sie ist in einer Bewegung, die nicht stabil ist, ohne Gleichgewicht. So verkörpert sie das Gefühl der USA nach dem 11. September, sie repräsentiert uns alle."

Zwar ist die Skulptur ganz allein im leeren Saal, aber gerade darum scheinen anonyme Kräfte auf den Körper einzuwirken, muss die menschliche Gestalt sich im weiten Raum behaupten. Doch dann entdeckt man ganz oben unter dem Deckengewölbe des ehemaligen Jugendstil-Bades einen Engel, sehr barock, der vom Himmel hoch herabfällt. Auch für Veit Görner, den Direktor der Kestner Gesellschaft, eine Bescherung der eigenen Art:

"Ich bin glücklich überrascht worden. Am Anfang dachte ich, wir haben nur 'tumbling woman' im großen Saal als einzige Skulptur. Aber natürlich in Ergänzung mit dem historischen Thema des Engelsturz wird da noch einmal eine zusätzliche Interpretationsebene eingeführt und es reduziert sich nicht alles auf den 11. September."

Dazu trägt auch eine Parallelausstellung bei, "Héroines", also "Heldinnen" von Bettina Rheims. Auf deren großformatigen Farbfotos winden sich magere, durchweg sehnig-muskulöse Frauen schlangengleich um eine Art Opferstein.

Mit ihren spärlich, aber opulent in Rüschen und einem Hauch von Haute-Couture gekleideten Modellen folgte die prominente Fotografin nach eigenem Bekunden Rodin, dem Stammvater der modernen Skulptur. Fraglich nur, ob Bettina Rheims damit an Fischls Beitrag zum Schicksal des Körpers im 21. Jahrhundert anknüpfen kann:

Eric Fischl: "Eine Skulptur bringt für mich als Künstler eine ganz andere Erfahrung mit sich: Beim Malen folgt die Hand dem Auge, aber beim dreidimensionalen Formen einer Skulptur gerät die Hand schon mal aus dem Blick. Die Hand erschließt Erinnerungen, von denen das Auge nicht weiß."

Nebenan hat Eric Fischl eine ganze Skulpturengruppe aufgebaut. Eng gedrängt bevölkern Tänzerinnen mit wehendem Rock, auch einige zusammengesunkene Figuren die kleine Halle. Der Besucher muss sich seinen Weg zwischen gesichtslosen Gestalten suchen, zählt insgesamt dreizehn Statuen, die unter dem Titel "Ten breaths" versammelt sind, also: zehn Atmende.

"Das heißt, drei Menschen atmen nicht mehr. Der Tod ist auch hier präsent. Mit der 'zehn' beginnt der Countdown, wie beim Raketenstart: Also von zehn, neun, acht Atmern bis hin zu null. So beginnen Tragödien und Katastrophen."

Diese existenziellen Erfahrungen, davon ist der Malerbildhauer Fischl überzeugt, kann kein Foto ersetzen:

"Leute sehen ein Bild - und meinen, sie haben die Sache selbst gesehen. Für die Malerei und die Skulptur ist das der Tod. Denn die leben nur in der Konfrontation mit dem Kunstwerk, in der Erfahrung von Oberfläche, Maßstab, Licht und Farbe."

Da ist es am Direktor, zwischen den Artisten seiner Doppelausstellung, zwischen Fotografin und Bildhauer zu vermitteln:

"Das würde ich nicht gegeneinander ausspielen, das ist mittlerweile enthierarchisiert, sodass alle problemlos nebeneinander bestehen können. Die figurative Skulptur ist ein bißchen außerhalb des Fokus, denn es gibt in den anderen Kunstrichtungen einfach viel mehr Material. Aber jetzt im Zusammenhang mit Eric Fischl ist da ungeheuer viel Potential, was man einfach anschauen muss."

Und nicht nur anschauen. In der Kestner Gesellschaft entsteht im Wortsinne "en passant", im Vorbeigehen und Umschreiten von Skulpturen ein bemerkenswertes "Denkmal" - etwas, das selbst tausendfach fotografierte, im Nu und millionenfach verbreitete Bilder nicht annähernd erreichen können:

Eric Fischl: "Was Fotografie nicht kann: monumentalisieren! Fotos können ein Ereignis einfangen, aber kaum das Gedenken daran, also die Erfahrung bewahren. Dafür ist die Skulptur besser geeignet."


Service:
Die Ausstellungen "eric fischl: ten breaths" und "bettina rheims: héroïnes" sind bis zum 3. Februar 2008 in der Kestnergesellschaft in Hannover zu sehen.