Übergriffigkeit im Kulturbetrieb

Von Macht und Ohnmacht

54:23 Minuten
Die Hand eines Dirigenten mit dem Taktstock.
Überall, wo Menschen Führung übernehmen, gilt es auch, mit der Macht richtig umgehen zu können. © picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Moderation: Hans Dieter Heimendahl · 13.11.2022
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Künstlerische Autorität ist notwendig für künstlerische Prozesse, geistliche Autorität kann gut für die Gemeinde sein. Doch in Kultur und Kirche gibt es viel Machtmissbrauch. Ein Diskurs darüber, wie er entsteht und wie er verhindert werden kann.
Die Fälle von Machtmissbrauch, die in den letzten Jahren in den Kirchen und in der Kultur ans Licht kamen, haben eine Welle der Empörung ausgelöst.
Doch nach wie vor gibt es am Set, im Theater, im Orchester, beim Tanz und in der Kunstwelt sexuelle Übergriffe und Gewalt. Macht und Ohnmacht liegen nah beieinander. Die Gäste im "Diskurs" erörtern Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen und suchen nach Wegen, um sich gegen ihn zu wehren.

Der Finger des Dirigenten  

Man könne Schutzkonzepte ausarbeiten und Präventionsmaßnahmen an den Häusern etablieren, doch entscheidend für ein gutes oder schlechtes Miteinander bei der künstlerischen Arbeit, sei die Persönlichkeit, die sie leite, sagt Eva Spaeth. Die Chorleiterin hat viele Führungspersönlichkeiten im Kulturbetrieb kennengelernt, etwa Dirigenten und Dirigentinnen. Nicht alle können mit Macht gut umgehen.
“Das ist eine unglaubliche Erfahrung, wenn man oben auf dem Dirigierpult steht und man zuckt mit dem Finger und ein ganzes Orchester fängt an zu spielen. Das sind unglaublich schöne Momente. Aber es kann auch sein, dass sie einen überwältigen und man dann ein übersteigertes Selbstwertgefühl bekommt und denkt, man kann sich jetzt alles erlauben.“

 Das fiese Genie

Seit jeher hätschelt die Kultur ihre 'Genies'. Doch aus Geniekult erwächst nicht selten Machtmissbrauch. Auch heute noch genießt so manch gefeierter Branchen-Fiesling de facto freie Hand im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen. Junge Schauspielerinnen und Schauspieler, die von einem berühmten Regie-Genie zu Dreharbeiten eingeladen würden, schwiegen im Falle eines Übergriffs oft, sagt Justiziarin Maren Lansink. “Weil dieses ‘Geschenk‘, mit solch einem Menschen überhaupt arbeiten zu dürfen, überwiegt den Schmerz, den man dann vielleicht erlitten hat.“  

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Lansink ist davon überzeugt, dass es überall da, wo die Hierarchien sehr steil seien, auch zu Machtmissbrauch und Übergriffen komme. “Das liegt einfach in der Natur der Sache. Ich glaube, in der Kultur ist das nicht anders als im Krankenhaus, in der Kirche oder beim Sport.“

Spezifische Versuchungen und Abgründe    

Johann Hinrich Claussen hat in einem Buch sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht. Seit 1968 verstünde sie sich vor allem als antiautoritäre Institution. Doch genau das verneble den Blick für die hierarchische Struktur der Kirche, sagt Claussen. “Wenn man sich das nicht eingesteht, sondern aus dem Völlegefühl der antiautoritären Emanzipation heraus arbeitet, dann kann es in besonderer Weise zu Übergriffen und problematischen Verhaltensweisen kommen.“
Dazu gehöre auch der sogenannte Missbrauch von Links: “Ein Thema aus der Vorstellung der sexuellen Emanzipation heraus - zugunsten von einigen und auf Kosten anderer. Ich glaube, dass alle Institutionen, die mit Machtmissbrauch zu tun haben, jeweils ganz spezifische Versuchungen und Abgründe haben. Und für die evangelische Kirche ist es dieses Thema.“

Die gängige Entschuldigung

Sehr häufig höre man nach Übergriffen die Ausflucht: "Ich wusste nicht, dass ich da eine Grenze überschritten habe, das war mir nicht klar". Diese Rhetorik funktioniere als Entschuldigung irgendwie immer, sagt die Künstlerin Ivana Rohr.  “Das setzt aber voraus, dass keine Absicht hinter einem Machtmissbrauch steckt. Ich glaube aber, dass es diese Absicht häufig gibt.“
Ganz gleich ob in Kultur oder Kirche, bei Übergriffen fordert Rohr eine konsequente und außerinstitutionelle Bestrafung. "Im Fall von sexuellem Missbrauch erwarte ich, dass diese Person ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Es geht nicht, dass jemand, der Schutzbefohlene hat, weiterhin den Beruf ausübt, wenn er jemanden missbraucht hat. Ich erwarte, dass das juristisch geklärt wird und nicht Aufgabe der Opfer ist, sondern Aufgabe der Institutionen.“

Seit Corona mehr unmoralische Angebote

Viele Kulturschaffende leben dauerhaft prekär. Sie kämpfen um die wenigen vorhandenen Jobs, der Konkurrenzdruck ist groß. Als infolge von Corona alle Theater geschlossen und viele Dreharbeiten abgesagt wurden, standen Tausende mit ihren Familien vor dem Nichts.
In dieser Zeit klingelte in ihrer Beratungsstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt oft das Telefon, sagt Lansink. Vor allem freie Theaterleute berichteten von unglaublichen Vorfällen:  “Da wurden dann so Angebote gemacht wie: Wenn du dich sexuell erkenntlich zeigst, können wir darüber reden, ob ich dir was zahle. Also vermehrt solche Angebote kamen und das hat uns total erschreckt in der Beratungsstelle, weil wir dachten, über diesen Punkt sind wir schon lange hinweg.“
Lansink plädiert für bessere Kontrollmechanismen im Kulturbetrieb: “Man muss da vielleicht auch über Kodizes reden, die sich die Branche gibt und über die man regelmäßig spricht."  
(tif)

Es diskutierten:

  • Maren Lansink, Justiziarin Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V.
  • Eva Spaeth, Chorleiterin beim Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin und Psychologin
  • Ivana Rohr, Künstlerin und Gesellschafterin beim interdisziplinären Studio für Raumfragen und -antworten endboss
  • Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD

Die Aufzeichnung fand am 8. November 2022 in der der St. Matthäus-Kirche in Berlin statt.

Der Kulturpolitische Salon ist ein Diskussionsforum in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bühnenverein, dem Deutschen Kulturrat und Deutschlandfunk Kultur.

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