Überfüllte Tierheime

Der Corona-Hund kann wieder weg

06:57 Minuten
Ein Hund schaut durch das Gitter seines Zwingers im Tierheim.
Der Hund als Gefährte im Lockdown - und danach? (Symbolbild). © imago images / Oliver Schaper
Von Sibylle Kölmel · 24.08.2021
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In der Coronakrise wollten viele einen Hund. Jetzt füllen sich die Tierheime wieder: weil der Urlaub naht, weil die Besitzer mit den Tieren nicht zurechtgekommen sind - oder weil sie bei unseriösen Welpenhändlern kranke Tiere gekauft haben.
In diesem Frühling in Göttingen. Christine Schneidt sitzt an einem Tisch in ihrem Garten in der Sonne – während Pepe neugierig und fröhlich über den Rasen läuft. Pepe ist ein Jack-Russel-Rüde, zweieinhalb Jahre alt und seit Welpentagen der Hund von Christine Schneidt – und ihrem Freund. Erinnerungen an die ersten Wochen und Monate:
"Wir haben gedacht, wir haben alles gesichert und der hat Stellen zum Drumrumkauen gefunden. Der hat den Kleiderschrank angekaut und die Teppiche aufgelöst. Er ist auf Ideen gekommen, was man zerlegen kann, da wäre ich im Leben nicht draufgekommen."

Hundeerziehung ist harte Arbeit

Man müsse sich vor dem Anschaffen eines Welpen darüber im Klaren sein, so Christine Schneidt, "dass Hundeerziehung wirklich harte Arbeit ist. Wie bei einem Kind. Man muss ihnen irgendwie auch Grenzen zeigen, man muss aber auch sehen, dass sie zur Ruhe kommen und ihre Ruhemomente kriegen."
Seit dem Beginn der Coronakrise sind Hunde sehr begehrt. Viele Menschen sind einsam, suchen einen Gefährten – und schaffen sich einen Hund an.
Das Tierheim in Garmisch-Partenkirchen. Gut 30 Hunde finden hier Platz. Tessy Lödermann, die Leiterin, kennt alle mit Namen: "Das ist der Merlin, ein alter Schäferhund, ein ganz netter, die Pipa, die sitzt da unten an der Tür, die Cinderella auch, die Alaska, das ist eine ganz Liebe, aber das ist eben in Bayern ein Listenhund, und ich suche für die ganz dringend einen Platz außerhalb von Bayern, weil das ein ganz lieber, verschmuster Hund ist."
Auch Tessy Lödermann, schon lange im Tierschutz aktiv, bemerkt seit Beginn der Coronazeit eine große Hundesehnsucht – und sieht da auch Gefahren:
"Dadurch, dass sich jetzt viele Leute Hunde anschaffen und meinen, sie bekommen einen fertigen Lebenskameraden, der stubenrein ist, der gassiführig ist, der folgt aufs Wort und vielleicht wie der Kommissar Rex das Telefon bringt, wenn es klingelt. Viele Leute gehen von vollkommen falschen Vorrausetzungen aus, nehmen auch keine professionelle Hilfe in Anspruch und wundern sich dann am Ende des Tages, dass der Lebensabschnitt mit dem Hund ganz anders verlaufen ist, als sie sich das vorgestellt hat."

Einige Tierheime haben Aufnahmestopp

Die Folge: Viele Tiere werden dann wieder abgegeben, an ein Tierheim. Das in Garmisch-Partenkirchen ist derzeit nicht überlaufen – andernorts ist die Situation angespannter. Ich fahre nach Salzgitter – das dortige Tierheim hat, wie momentan einige dieser Einrichtungen in Deutschland, einen Aufnahmestopp verhängt.
Die Kapazitäten sind erschöpft, und täglich kommen neue Aufnahmeanfragen, sagt Benjamin Kozlowski vom Tierschutzverein Salzgitter.
"Wir gehen davon aus, dass gerade jetzt auch zur Sommerferienzeit, dass da halt noch weitere Tiere abgegeben werden. Wir vermuten, dass das jetzt die Spitze des Eisbergs ist, was die Abgabewelle betrifft. Und das wird sich im Laufe des Herbstes dann noch verstärken."
So prophezeit es auch der Deutsche Tierschutzbund:
"Man muss sagen, es ist wirklich von Tierheim zu Tierheim unterschiedlich, in einigen kommt noch gar nichts an, aber wir haben auch wirklich schon vermehrt Tierheime, in denen wir bemerken, da kommen jetzt wirklich Abgaben. Da wollen Leute ihre Hunde wieder loswerden. Da kommen auch Fundtiere an, Tiere die ausgesetzt wurden", sagt Hester Pommerening, Tierschutzbund-Sprecherin.

Der illegale Welpenhandel floriert

Die Tierheime füllen sich aber auch noch aus einem anderen Grund:
"Weil viele beschlagnahmte Tiere aus dem illegalen Welpenhandel aufgenommen werden. Wir kriegen das aus den Tierheimen mit, dass die da auch psychisch extrem mit zu kämpfen haben, weil sie irgendwie versuchen, diese kranken Tiere durchzukriegen, am Leben zu erhalten."
Mit jungen Hunden kann derzeit noch viel mehr Geld verdient werden als sonst. Das machen sich unseriöse und oft kriminelle Welpenhändler zunutze. Viele von ihnen sitzen im Ausland, vermitteln Hunde über das Internet. Fast immer viel zu junge und kranke Welpen – mit denen die Käufer dann völlig überfordert sind.
In einer mit roter Decke ausgeschlagenen Kiste liegen mehrere Hundewelpen.
Kein Einzelfall: Bei einer Kontrolle am deutsch-tschechischen Grenzübergang Breitenau fand die Polizei am 14.2.2021 mehrere Hundewelpen, die nach Deutschland geschmuggelt werden sollten.© imago images / LausitzNews / Erik-Holm Langhof
In Berlin steht eines der größten Tierheime Europas. Auch hier werden in der Pandemie vermehrt Hunde zurückgegeben, sagt Sprecherin Annette Rost:
"Die seriösen Quellen waren zu Beginn des ersten Lockdowns quasi ausverkauft, man hat bei keinem seriösen Züchter mehr ein Tier bekommen. Wir hatten zum Teil an den Wochenenden über 300 Anfragen, das war eine Verdreifachung der üblichen Zahlen. Aber natürlich hat man dann nicht immer für den Interessenten das passende Tier und viele haben dann gedacht: ‚Mensch, dann schau ich mal und guck nach anderen Kanälen und sind dann im Netz auf Annoncen mit vielen niedlichen Hundewelpen gestoßen und sind dann aber auch häufig in den Fängen der illegalen Welpenhändler gelandet."

Vor der Übergabe mit Adrenalin fit gespritzt

Annette Rost nennt ein Beispiel: "Wir hatten jetzt kürzlich ein kleines Spitz-Mädchen, die ist von einem polnischen Züchter verkauft worden – angeblich mit Papieren, wie sich später raustellte, waren die alle gefälscht – für eine auch durchaus stattliche Summe von 1500 Euro. Und das Tier war fünf Stunden später matt und apathisch. Das heißt, die Tiere werden ganz häufig vor der Übergabe mit Adrenalin fit gespritzt, damit sie einen ganz munteren Eindruck machen, und sobald die Wirkung nachlässt, setzt sich dann die Erkrankung wieder durch. Die Besitzer sind dann in die Tierklinik gefahren, dort ist sie behandelt worden, und als dann 1000 Euro Tierarztkosten zusammen gekommen sind, haben die Besitzer sich entschieden, dass ihnen das jetzt zu teuer wird und haben den Hund bei uns im Tierheim abgegeben."
Damit es soweit nicht kommt, sollte man sich vor dem Kauf genau erkundigen, wie seriös der Händler ist und was das für eine Hunderasse ist, die da angeboten wird, sagt die Tierärztin Andrea Runge aus Göttingen.
"Und zwar nicht nur mit der Optik, sondern mit der Frage, wofür ist dieser Hund ursprünglich gezüchtet worden. Natürlich ist jeder Hund ein Individuum, aber von den Tendenzen ist es schon so, dass, wenn sie einen Jagdhund haben, der sehr viel aktiver ist und sehr viel fordert von Ihnen, was Erziehung angeht, was spazieren gehen angeht, was Kopfarbeit angeht und so weiter, als wenn man einen Hund hat, der seit vielen Jahren auf Schoß- und als Haushund gezüchtet ist."
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