Überbordende Spiellust und ein falscher Ort

Von Elske Brault · 05.06.2008
Wer zur Aufführung von Shakespeares "Was ihr wollt" ins Hamburger Schauspielhaus geht, hat die Gelegenheit, herzhalt und anhaltend zu lachen. Außerdem bieten die Schauspieler hervorragende Leistungen. Weniger Genuss bringt die Inszenierung von "Paradise Now": Der Zuschauer sitzt auf Arme-Sünder-Bänkchen und der Aufführungsort ist schlecht gewählt.
Das "Junge Schauspielhaus" ist die Erfolgssparte von Intendant Friedrich Schirmer, von der Kritik bejubelt, vom Publikum akzeptiert, die meisten Vorstellungen sind ausverkauft. Und das Junge Schauspielhaus wagt Neues: Theater auch an ungewöhnlichen Orten wie der Hamburger Kunsthalle.

Das hat Regisseur Konradin Kunze, Ensemblemitglied des Jungen Schauspielhauses, jetzt fortzusetzen versucht, indem er einen Theaterabend in ein Szenelokal verlegt hat. Und Klaus Schumacher, der Leiter des Jungen Schauspielhauses, hat erstmals den Sprung von der kleinen auf die große Bühne, ins "erwachsene" Schauspielhaus gewagt: Mit Shakespeares Verwechslungskomödie "Was ihr wollt".

Zwei Brunnen links und rechts der Bühne spucken pitschnasse Schauspieler aus: Die junge Viola (Julia Nachtmann) ist nach einem Schiffsunglück gestrandet in Illyrien. Dort flanieren der Herrscher Orsino (Marco Albrecht) und die Gräfin Olivia (Ute Hannig) als schwarz gekleidete Gothic-Jünger umher und pflegen ihre Todessehnsucht: Orsino, weil Olivia sein Liebeswerben nicht erhört, Olivia, weil seit dem Tod ihres Bruders alles sie anödet.

Zwischen die dekadenten Phrasendrescher platzt Viola mit jugendlicher Frische: Als Mann verkleidet will sie sich durchschlagen. Damit gibt sie zumindest Olivia die Lebensfreude zurück, denn die verliebt sich auf den ersten Blick in den vermeintlichen Mann. Doch Viola vergeht schnell die Freude am Spiel mit den Geschlechterrollen: Sie ist ihrerseits in Orsino verliebt, und mitten in der Pubertät steckend, hat sie Probleme mit der eigenen Identitätsfindung.

Klaus Schumacher holt alles heraus, was an Komik in dem Shakespeare-Text steckt, weil er jede Figur zutiefst ernst nimmt. Julia Nachtmann ist die ideale Schauspielerin für solch ein Konzept: Wenn sie verzweifelt, steigen jedem Zuschauer die Tränen in die Augen. Doch der Rest des Ensembles steht ihr in nichts nach. Olivias sauflustigen Onkel Sir Toby Rülps gibt Tim Grobe mit einem Laken um die Lenden als kraftstrotzenden Vitalprotz. Seinen Kater kuriert er in der Sauna aus. Er trinkt maßlos, schwitzt maßlos und kennt auch keine Grenzen, wenn es darum geht, dem eingebildeten Haushofmeister Malvoglio einen Streich zu spielen.

Dieser Malvoglio ist das Meisterstück von Samuel Weiss. Solange er sich spreizt, weil er durch Tobys Intrige glaubt, seine Herrin Olivia sei in ihn verliebt, ruft er bissigste Schadenfreude hervor. Doch als Malvoglio am Ende seinen Irrtum erkennt und in der Haltung eines Engels mit gebrochenen Flügeln vom Bühnenhimmel herabgelassen wird, kann niemand etwas anderes als Mitleid haben mit diesem Häufchen Elend.

Die Spiellust aller Beteiligten ist so überbordend, dass Toby und seine Spießgesellen sogar die Logen des Schauspielhauses entern und aus den Publikumsrängen Malvoglios Bühnenauftritt kommentieren. Selten wurde im Theater so herzhaft und anhaltend gelacht. Doch genau so häufig sind die leisen und poetischen Momente, wenn der halb transparente Paravent vor der Drehbühne (Bühnenbild: Katrin Plötzky) sich spaltweise öffnet und den Blick freigibt auf das Zauberland Illyrien: Dort wachsen feuerrote Blumen wie psychedelische Pilze empor.

Violas Ausflug erscheint als ein LSD-Trip an die Ränder des Bewusstseins: Am Ende versinkt Illyrien wieder hinter seiner Wand, zurückbleiben Viola und ihr wieder gefundener Zwillingsbruder Sebastian. Die männliche und die weibliche Hälfte haben sich gefunden, wenn auch anders als bei Shakespeare. Dazu singt der Narr sein trauriges Lied, das von der Vergeblichkeit alles menschlichen Strebens erzählt.

Der Sprung auf die große Bühne ist Klaus Schumacher also mit Bravour geglückt. Konradin Kunze hingegen hat nicht einlösen können, was das Programmheft versprach: dass der theaterferne, ungewöhnliche Ort dem Stück das I-Tüpfelchen aufsetzt. In Kunzes erster Inszenierung dieser Art hatte das noch großartig funktioniert. Der Kunst-Monolog "Nipple Jesus" des englischen Autors Nick Hornby bezog die umgebenden Werke als Teile der Aufführung ein: sei es Jackson Pollock in der Kunsthalle oder Jonathan Meese in einer Ausstellung in den Deichtorhallen.

In ""Paradise Now"" geht es um zwei junge Selbstmordattentäter im Nahen Osten, und die Verlegung in ein Hamburger Szenelokal soll klarmachen, dass deren Bomben jederzeit auch bei uns explodieren könnten. Und so ist in der soliden, gut gespielten Inszenierung auch nie von Palästinensern und Israelis die Rede, sondern von "Flüchtlingen" und "Besatzern".

Doch was im Stück in einem Kriegsgebiet spielt, ereignet sich nun in der friedlichen Hamburger Innenstadt zwischen Kneipentheke und parkenden Autos. Wenn die Attentäter für ihre Mission auf die Straße laufen, sehen wir sie durch die Glasfenster des Lokals, hören sie dank drahtloser Headset-Mikrofone. Aber das Kalkül, dadurch würde besondere Spannung entstehen, geht nicht auf, denn schlimmstenfalls könnten da draußen unwissende Passanten die Schauspieler um eine Zigarette anhauen.

Nichts ginge verloren, wenn die zwei stattdessen durch die Kulissen hinter einer normalen Bühne rennen würden. Und dann hätte der Zuschauer einen richtigen Stuhl zur Verfügung und müsste die anderthalb Stunden der Aufführung nicht auf einem den Rücken folternden Arme-Sünder-Bänkchen ausharren.

Was ihr wollt
Von William Shakespeare
Inszenierung: Klaus Schumacher
Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Paradise Now
Nach dem gleichnamigen Film von Hany Abu-Assad
Inszenierung: Konradin Kunze
Hamburger Botschaft (Produktion des Deutschen Schauspielhauses)