Überall Brüssel, fast überall
Geht die Sache dumm aus, dann wird der Zeigefinger schnell gen Brüssel gerichtet. Und klappt's mal, dann wird sich kräftig auf die eigenen Schultern geklopft. Die EU-Gesetze als Buhmann - ein bewährtes Mittel landauf, landab. Beispiele aus Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Beispiel Bayern
Von Barbara Roth
Bayern. Der Freistaat liegt in Europa, aber nicht selten erweckt er den Eindruck, ohne Europa wäre noch mehr Bayern. Das hat historische Gründe, die gerne bemüht werden, wenn es um die Gegenwart geht, an der Bayern kräftig mitgestrickt hat. Und von der Bayern, wie Barbara Roth zu berichten weiß, auch kräftig profitiert. Schaun ma mal.
Friedlich plätschert die Loisach durch Eschenlohe. Doch so harmlos ist der Gebirgsbach nicht immer. Pfingsten 1999. Es schaudert die Dorfbewohner noch heute, denken sie an das Jahrhunderthochwasser vor zehn Jahren zurück. Schnell kommen die Erinnerungen an damals wieder hoch, als der Ort meterhoch unter Wasser stand, Kühe und Autos davon schwammen, und die oberbayerische Gemeinde tagelang von der Außenwelt abgeschnitten war.
Frau: "Das haben wir nie gedacht, dass es so was Fürchterliches gibt. Dann ist noch der Damm gebrochen."
Mann: "Man muss sich vorstellen, man ist bis zum Bauch rauf im Wasser teilweise und wartet da und die Stromkästen haben gedampft."
Frau: "Dann sind wir eigentlich abgesoffen, das war schon dramatisch."
Frau: "Ich bin jetzt 73. Ich sage, wenn das noch mal käme, ich wüsste nicht, was ich täte. Ich kann es nicht mehr mitmachen."
Es waren dramatische Bilder an Pfingsten 1999. Im August 2005 wiederholte sich die Hochwasserkatastrophe. Heute steht in Eschenlohe entlang der Loisach ein riesiger Schutzwall aus Beton. Außerdem führt eine neue Brücke über den Gebirgsbach, unter der im Ernstfall mehr Wasser durchpasst. Millionen Euro sind verbaut worden, damit sich die Dorfbewohner wieder sicher fühlen.
Ferber: "Das Thema Nummer eins sind natürlich Förderprogramm, wo wir auf der europäischen Ebene Programme gemacht haben, die wirklich maßgeschneidert für unsere Kommunen sind wie Hochwasserschutzmaßnahmen. Viele Projekte in Bayern würden gar nicht funktionieren, wenn nicht die EU bis zu 50 Prozent kofinanzieren würde."
Wird der Europaabgeordnete Markus Ferber von der CSU nicht müde zu betonen. Allein in Oberbayern wurden in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 500 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investiert.
Ferber: "Ich würde mich manchmal nur freuen, wenn dann auch dran stehen würde: Gefördert mit Mitteln der EU. Meistens steht dann nur dran: Gefördert durch den Freistaat Bayern. Dass der aber auch nur Durchreichstadion für europäische Fördermittel ist, wird meistens verschwiegen. Das bedauere ich sehr, denn dann würden viele Menschen sagen: Hoppla, nicht nur im Italienurlaub sehe ich, hier hat die EU geholfen, sondern auch vor Ort hilft sie."
Die Kritik ist berechtigt. Selbst in Eschenlohe glauben die Dorfbewohner daran, dass ihnen der Freistaat und damit die von der CSU-geführte Staatsregierung Gutes tat. Das ärgert den Europaabgeordneten maßlos. Doch dran ändern konnte auch Markus Ferber nichts, obwohl er seit 15 Jahren für seine Partei im Europäischen Parlament sitzt.
Ferber: "Es ist sicherlich so, dass auf den Bautafeln irgendwo versteckt eine kleine Europafahne mit dran steht. Aber das bayerische Staatswappen hat natürlich schon wesentlich mehr Schönheit als die Europafahne."
Deutlicher zu werden, traut er sich nicht. Doch Fakt ist: Politiker im Freistaat schmücken sich gerne mit fremden Federn. Und wundern sich dann über die Gleichgültigkeit ihrer Bürger Europa gegenüber. Der Bayer gilt als besonders Europa-kritisch. Kein Wunder, wenn man ihm verschweigt, wie sehr er eigentlich von Europa profitiert. Siegried Decker, Bürgermeister aus dem oberfränkischen Neuenmarkt, beispielsweise schwärmt geradezu von einem positiven Beispiel.
Decker: "Ich nenne die Energieagentur Oberfranken, die als Pilotprojekt über die Förderung mit der Europäischen Union vor etwa zehn Jahren in Kulmbach eingerichtet werden konnte. Diese Energieagentur hat zu dem Thema Energieeinsparung, Energiesicherheit eine Vorreiterrolle übernommen."
Doch weiß sein Bürger zuhause auch, dass er das der Europäischen Union zu verdanken hat? Der Kommunalpolitiker zögert mit seiner Antwort nicht.
Decker: "Eher nicht. Den Bürger draußen interessiert die Einrichtung, den interessiert das Ergebnis und den interessiert der Mehrwert, den er entsprechend von der Investition hat. Wie wir das finanzieren, interessiert den Bürger weniger. Es sei denn er wird unmittelbar zur Kasse in Form von Beiträgen gebeten. Aber das ist ja bei solchen Einrichtungen nicht der Fall."
Natürlich fehlt in keiner Wahlkampfrede der Hinweis, wie sehr doch die europäische Integration den Menschen in Bayern nutzt. Ministerpräsident Horst Seehofer etwa vergisst nie zu betonen, dass die Exporte bayerischer Unternehmen in die östlichen EU-Mitgliedsstaaten seit 2004 um 65 Prozent gestiegen sind. Bürgermeister Decker ist da viel ehrlicher.
Decker: "Wenn Sie die Kommunalpolitiker draußen fragen, geht es hier in erster Linie um das Anzapfen von Förderprogrammen und um das Hereinholen von Geld. Und das ist in der Regel das Thema, das interessiert."
Und doch haben gerade Kommunalpolitiker auch Grund zu klagen. Denn rund 80 Prozent aller Vorschriften für Bayerns Gemeinden und Landkreise stammen mittlerweile aus Europa. Und nicht alle sind sinnvoll, weiß Josef Federhofer, Bürgermeister in der niederbayerischen Gemeinde Hauzenberg, zu berichten. Aktuelle Beispiel: die sogenannte Deponieverordnung. Die EU schreibt darin vor, dass Bauschutt wie schadstoffhaltiger Müll entsorgt werden muss.
Federhofer: "Das heißt, ich muss jetzt die Deponie schließen. Und muss dann meinem Bürger sagen: Jetzt musst Du Deinen Aushub 20 Kilometer weiter transportieren – das kostet natürlich Geld. Das sind so Kleinigkeiten, wo ich sage: Ich muss es vor Ort dann auch händeln."
Der Bürgermeister würde sich mehr Mitspracherecht für die Städte und Kommunen auf Europäischer Ebene wünschen. Aus gutem Grund: Er muss vollziehen, was Brüssel beschließt. Doch er bezieht zuhause dafür vom Bürger die verbalen Prügel.
Federhofer: "Weil es wird letztendlich nur ein Schwarzes-Peter-Geschiebe gemacht. Was anderes ist es ja letztendlich nicht. Und ich unten habe es dann immer auszubaden."
Beispiel Mecklenburg-Vorpommern!
Von Almuth Knigge
"Ich schimpfe nie mehr über den ländlichen Raum in Mecklenburg-Vorpommern" – kabelte Almuth Knigge nach dem Überspiel ihres Beitrages, denn der in Nordrhein-Westfalen sei noch schlimmer. Technisch gesehen. Wir hatten Sie um ein Beispiel aus dem Küstenstrichland zum Thema EU und MV gebeten. Und da, so hatten wir vorher gehört, könnten die Bauern ganz gut auf EU-Fördermittel verzichten, weil sie dann die Landwirtschaften in anderen Bundesländern weit hinter sich lassen würden. Bayern zum Beispiel. Auf anderen Gebieten wiederum …
Eigentlich müssten alle Mecklenburger und Vorpommern die Europa-Hymne schmettern – und das jeden Tag. Kaum ein anderes Bundesland profitiert so sehr von Fördermitteln aus der EU wie der Nordosten – nur – der Bürger, der will nicht so recht singen.
Frau: "Eigentlich sind wir dadurch, finde ich, ziemlich eingeengt."
Mann: "Da haben wir beruflich nicht so viel mit zu tun."
Frau: "Das ist eher ziemlich weit weg."
Frau: "Handelsfreiheit, man kann überall hinreisen, braucht nicht umtauschen."
Frau: "Will ich nicht jeden Tag was von hören, da ärger ich mich nur."
Vielleicht liegt das auch am Wahlzettel - über einen Meter ist er lang. Auch Werner Kuhn steht drauf – für die CDU. Er mag schon eher in den Jubel mit einstimmen.
Kuhn: "Also wir haben natürlich in sehr vielen Infrastrukturprojekten europäische Mittel drin. Zum Beispiel die Bahnlinie Berlin-Rostock-Kopenhagen, mit Efre-Mitteln gefördert, wir haben grenzüberschreitende in Richtung Polen, Eisenbahnlinie zum Beispiel bis nach Swinemünde hinein mit europäischen Mitteln gefördert. Wir bekommen auch für Bildung und Schulen aus dem europäischen Sozialfonds große Unterstützung, auf die wir nicht verzichten möchten."
Und können. Kaum eine Straße, kaum eine Feriendestination, kein Radweg, in dem nicht ein EU-Euro steckt. Existenzgründer-Mikrodarlehen, Weiterbildung, Integration – alles auch EU.
Kuhn: "Wir haben in Rostock den Liegeplatz 8 mit europäischer Förderung, grenzüberschreitende Verkehre gefördert worden. Aber auch touristische Highlights, Yachthafenresidenz, Weiße Wiek, auch in kleineren Gemeinden, Wasserwanderrastplätze sind mit europäischen Mitteln unterstützt worden."
Für Politiker wie Werner Kuhn bedeutet Europa vor allem eins - GELD. In ein paar Jahren versiegen die Mittel für den Nordosten, viele Beitrittsländer ziehen den Schnitt nach unten. Noch ist Mecklenburg-Vorpommern sogenanntes Ziel-1.-Fördergebiet - bekommt also die höchste Förderung der EU, noch.
Kuhn: "Das sind 350 Millionen Euro im Jahr über sieben Jahre hinweg 2,6 Milliarden, und im Jahr 2013 läuft die Förderperiode aus. Und da muss ein Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern mit aufpassen dass die strukturschwachen Regionen, und da gehören wir nun mal dazu im Nordosten Deutschlands, in der neuen Phase mit dabei sein werden."
Auch nach Lüblow, im Landkreis Ludwigslust kommt man über frisch sanierte EU-Straßen – ein Stückchen kann man auch über die Ostseeautobahn fahren.
Ringstorff: "Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für Mecklenburg-Vorpommern."
Staatstragende Worte zur Eröffnung 2005 vom damaligen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff.
Ringstorff: "Die Ostseeautobahn ist fertig. Ich glaube, im ganzen Land ist heute ein Freudentag."
Zwar ist die A 20 ein Verkehrsprojekt deutsche Einheit, aber ohne EU-Mittel wäre auch sie nicht möglich gewesen – zumindest nicht so schnell
Abfahrt Ludwigslust. Ein neues Gewerbegebiet entsteht. Rechts und links der Landstraße ein wenig Dorferneuerungsprogramm, ein bisschen ländlicher Raum. 880 Millionen Euro ist im Topf für den ländlichen Raum. Der Bürgermeister, Lothar Seliger, ist trotzdem kein rechter Freund der EU.
Seliger: "Also ein Freund der EU tja …"
Dabei, das muss man mal ganz deutlich sagen, könnte es sonst ziemlich stinken.
Ohne EU. Am Eingang des Dorfes steht ein Schild: Hier entsteht mit Hilfe der Europäischen Union ein neues Abwassernetz. Lange ergossen sich die Abwässer ungeklärt in die Natur, bis die EU 1991 die Richtlinie 91/271 über die Behandlung kommunaler Abwässer erließ. Diese schreibt fest, dass Fäkalien ins Klärbecken gehören und das Abwasser vor der Einleitung gereinigt werden muss. Milliarden sind seit dem Beschluss EU-weit investiert worden.
In Deutschland hat Brüssel den Ausbau der Kanalisation allein seit dem Jahr 2000 mit über 700 Millionen Euro gefördert. Umweltexperten sehen in der Abwasser-Richtlinie das teuerste europäische Gesetzeswerk überhaupt.
Seliger: "Da sind die Deutschen ja immer ganz scharf drauf: Alles was von Brüssel kommt müssen wir als erstes tun. Dieses Wassergesetz da, was von Brüssel gekommen ist, Renaturierung von Bächen und Flüssen und Abwasser und so weiter. Ich hab mir aber sagen lassen, wie es in Brüssel selbst aussieht, da sieht das schlimm aus, da läuft das Abwasser noch wie in Venedig in die Grachten."
Mittlerweile sind 86 Prozent der mecklenburgischen und vorpommerschen Bürger an das zentrale Kanalnetz angeschlossen, die restlichen dezentralen Anlagen werden mit EU-Mitteln modernisiert. Mecklenburg-Vorpommern hat die Wasserrahmenrichtlinie gut getan. Die Badewasserqualität ist hervorragend. Und sind die Seen und Flüsse sauber, freut sich der Tourist, und die Politiker und die EU und überhaupt eigentlich alle.
Beispiel Sachsen
Von Alexandra Gerlach
Hört man sich auf der Straße in Sachsen um, dann hat der Frager schnell den Eindruck, die Europa-Wahlen sind weniger ein Thema, die Kommunalwahlen interessieren mehr den gemeinen Sachsen. Das erstaunt den Beobachter, denn Sachsen hat so manches erkleckliches Sümmchen aus Brüssel abgegriffen und profitiert von nicht wenigen EU-Verordnungen. Auf dem Land weiß man das schon eher, denn dort wird mehr auf Brüssel und Verordnungen und Gelder geschaut. Für zahlreiche Agrar-Großbetriebe, die in Sachsen nach der Wende entstanden sind, sind Brüsseler Entscheidungen direkt spürbar und essentiell. Alexandra Gerlach hat sich davon überzeugt.
Iris Kübler: "Mein Name ist Iris Kübler, ich bin Landwirtin in Sachsen, am Rande der Lommatzscher Pflege, und bewirtschafte hier gemeinsam mit meinem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Größenordnung von circa 800 Hektar hier vor Ort. Weiterhin bewirtschaften wir auf der anderen Elbseite circa 30 Kilometer entfernt von hier, in der Nähe von Gröditz einen landwirtschaftlichen Betrieb von circa 600 Hektar."
Iris und Hartwig Kübler sind beide promovierte Landwirte und stammen ursprünglich aus Westdeutschland. Seit 1991 leben sie in der Nähe von Oschatz in Sachsen. Dort haben sie zunächst Milchviehhaltung und zeitweilig eine Ferkelaufzucht betrieben, inzwischen setzen sie auf reine Ackerwirtschaft, kultivieren Getreide und Spargel sowie Erdbeeren. Erst im vorletzten Jahr haben sie noch einmal investiert und eine Biogas-Anlage auf dem Hofgelände errichtet.
Landwirtschaftliche Betriebe in dieser Größenordnung, die nach der Wende auf den Flächen Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und ehemals sogenannter volkseigener Güter entstanden sind, haben in der aktuellen Krise die besseren Karten. Sie sind den kleinen Familienbetrieben im Westen überlegen. Doch ohne den europäischen Binnenmarkt, darin ist sich Landwirt Hartwig Kübler sicher, wäre die Situation wesentlich schlechter:
Kübler: "Aus landwirtschaftlicher Sicht ist Europa auf jeden Fall ein Vorteil. Nicht umsonst versuchen ja alle Länder, die Anlieger sind, sehr schnell in die EU zu kommen. Die EU vergrößert das Marktpotential für den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb. Zum Beispiel kann ich nur anführen, dass wir einen nicht unerheblichen Teil unseres Getreides nach Italien, nach Frankreich verkaufen können, ohne Probleme. Wir müssen keine Zollpapiere, gar nichts ausfüllen, sondern die Ware wird verladen und wird dann direkt zu der Mühle nach Italien oder nach Frankreich oder nach Dänemark oder Holland. Und damit können wir unseren Standortvorteil, den wir haben, in dem wir große einheitliche Partien mit sehr guten Qualitäten produzieren, richtig ausnutzen."
Aus der Sicht eines Milchviehhalters in Zeiten des akuten Milchpreisverfalls sieht die Lage anders aus. Jahrelang galt die EU mit ihrer starken Subventionierung des Landwirtschaftlichen Sektors als starker Verbündeter der Bauern. Eine Quotenregelung regelte verlässlich das Einkommen der Milchbauern. Überdies schufen gezielte finanzielle Anreize eine gewisse Planbarkeit der europaweiten Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte. Bis heute, so sagt Landwirt Hartwig Kübler, sei die Landwirtschaft der am besten durchorganisierte Bereich der Europäischen Union:
Kübler: "Und dadurch werden Regelungen, die ansonsten national gemacht würden, auf europäische Ebene gehoben."
Und es wird viel geregelt auf europäischer Ebene. Zahllose Durchführungsbestimmungen füllen jedes Jahr die Pflichtbroschüren für die Landwirte. Hinzu kommen umfangreiche Sanktionsankündigungen für den Fall, dass man sich nicht buchstabengetreu an die Regeln hält. Eine dieser dicken DN-A-5 Broschüren hält Iris Kübler in der Hand. Fast die Hälfte des Inhalts listet Sanktionen auf:
Kübler: "Das ist die diesjährige Broschüre zu dem Thema Cross Compliants, das sind diese Verpflichtungen, denen wir uns unterwerfen, wenn wir Mittel aus dem EU-Topf bekommen, zum Ausgleich unseres Preisverfalls, den wir ja haben."
55 Milliarden Euro Direktsubventionen schüttet die Europäische Union alljährlich an die Landwirte im Binnenmarkt aus. Davon erhalten deutsche Bauern, Landbesitzer und teilweise auch Großindustrie rund ein Zehntel, also 5,5 Milliarden Euro. Gefördert wird außerdem die ländliche Entwicklung mit weiteren 1,2 Milliarden Euro. Fördern und steuern heißt die Devise:
Kübler: "Sie will höhere Standards, bei der Bewirtschaftung eingeschränkten Pflanzenschutzmittelgebrauch, entsprechende Abstände zu Randflächen und all diese Dinge. Eine sehr exakte Nachverfolgung der Produkte, so dass man eben sagt, wenn an irgendeiner Stelle ein Produkt das belastet ist, auftaucht, muss das nachvollziehbar sein, bis an den Ursprungsort. Das sind alles Dinge, die sind in Ordnung, wenn sie alle Marktteilnehmer, die an unserem Markt teilnehmen auch erfüllen müssen. Und da hängt ein bisschen die Krux, dass das eben so nicht gehandhabt wird."
Man habe zwar einen gemeinsamen Markt, in den alle Marktteilnehmer ungehindert liefern könnten, aber nicht für alle Teilnehmer gelten die gleichen Marktbedingungen. Beispiel Agrardiesel:
Kübler: "In Deutschland müssen Betriebe ab einem gewissen Satz, der liegt bei 10.000 Litern, der volle Steuersatz bezahlt werden, während in Frankreich zum Beispiel fast überhaupt keine Mineralölsteuer bezahlt wird. Das macht pro Hektar bis zu 40, 50 Euro aus, die wir benachteiligt sind. Und das führt dann zu Verwerfungen innerhalb des Marktes. Das ist das Problem, das ist aber kein Problem von Europa an sich, sondern der Länder."
Derlei strukturelle Probleme werden es den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland nicht leichter machen, in der Krise zu überleben. Der seit langem anhaltende Umstrukturierungsprozess und das Sterben alter Bauernhöfe werde sich fortsetzen, meint Landwirt Kübler. Nur hochtechnisierte und durchrationalisierte Betriebe hätten eine Zukunft. Viele von ihnen auch nur, wenn sie sich zusätzliche Einnahmequellen, wie etwa Energiegewinnung erschließen könnten. Der europäische Binnenmarkt diene den Agrariern als Schutzschirm.
Kübler: "Europa ist einfach ein größerer Markt. Wenn in einem Land unter Umständen eine Unterproduktion ist, kann das durch die Überproduktion des anderen Landes ausgeglichen werden, das sind Dinge, die unter Umständen Vorteile bringen können. Wäre damals, nach der Wende Europa nicht gewesen, wäre die Situation noch weitaus katastrophaler gewesen, denn der landwirtschaftliche Markt – wir hatten ja eine Überproduktion in der ehemaligen DDR – das hätte dazu geführt, dass die Preise noch mehr zusammengebrochen wären, und Europa hat eigentlich da auffangend gewirkt."
Von Barbara Roth
Bayern. Der Freistaat liegt in Europa, aber nicht selten erweckt er den Eindruck, ohne Europa wäre noch mehr Bayern. Das hat historische Gründe, die gerne bemüht werden, wenn es um die Gegenwart geht, an der Bayern kräftig mitgestrickt hat. Und von der Bayern, wie Barbara Roth zu berichten weiß, auch kräftig profitiert. Schaun ma mal.
Friedlich plätschert die Loisach durch Eschenlohe. Doch so harmlos ist der Gebirgsbach nicht immer. Pfingsten 1999. Es schaudert die Dorfbewohner noch heute, denken sie an das Jahrhunderthochwasser vor zehn Jahren zurück. Schnell kommen die Erinnerungen an damals wieder hoch, als der Ort meterhoch unter Wasser stand, Kühe und Autos davon schwammen, und die oberbayerische Gemeinde tagelang von der Außenwelt abgeschnitten war.
Frau: "Das haben wir nie gedacht, dass es so was Fürchterliches gibt. Dann ist noch der Damm gebrochen."
Mann: "Man muss sich vorstellen, man ist bis zum Bauch rauf im Wasser teilweise und wartet da und die Stromkästen haben gedampft."
Frau: "Dann sind wir eigentlich abgesoffen, das war schon dramatisch."
Frau: "Ich bin jetzt 73. Ich sage, wenn das noch mal käme, ich wüsste nicht, was ich täte. Ich kann es nicht mehr mitmachen."
Es waren dramatische Bilder an Pfingsten 1999. Im August 2005 wiederholte sich die Hochwasserkatastrophe. Heute steht in Eschenlohe entlang der Loisach ein riesiger Schutzwall aus Beton. Außerdem führt eine neue Brücke über den Gebirgsbach, unter der im Ernstfall mehr Wasser durchpasst. Millionen Euro sind verbaut worden, damit sich die Dorfbewohner wieder sicher fühlen.
Ferber: "Das Thema Nummer eins sind natürlich Förderprogramm, wo wir auf der europäischen Ebene Programme gemacht haben, die wirklich maßgeschneidert für unsere Kommunen sind wie Hochwasserschutzmaßnahmen. Viele Projekte in Bayern würden gar nicht funktionieren, wenn nicht die EU bis zu 50 Prozent kofinanzieren würde."
Wird der Europaabgeordnete Markus Ferber von der CSU nicht müde zu betonen. Allein in Oberbayern wurden in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 500 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investiert.
Ferber: "Ich würde mich manchmal nur freuen, wenn dann auch dran stehen würde: Gefördert mit Mitteln der EU. Meistens steht dann nur dran: Gefördert durch den Freistaat Bayern. Dass der aber auch nur Durchreichstadion für europäische Fördermittel ist, wird meistens verschwiegen. Das bedauere ich sehr, denn dann würden viele Menschen sagen: Hoppla, nicht nur im Italienurlaub sehe ich, hier hat die EU geholfen, sondern auch vor Ort hilft sie."
Die Kritik ist berechtigt. Selbst in Eschenlohe glauben die Dorfbewohner daran, dass ihnen der Freistaat und damit die von der CSU-geführte Staatsregierung Gutes tat. Das ärgert den Europaabgeordneten maßlos. Doch dran ändern konnte auch Markus Ferber nichts, obwohl er seit 15 Jahren für seine Partei im Europäischen Parlament sitzt.
Ferber: "Es ist sicherlich so, dass auf den Bautafeln irgendwo versteckt eine kleine Europafahne mit dran steht. Aber das bayerische Staatswappen hat natürlich schon wesentlich mehr Schönheit als die Europafahne."
Deutlicher zu werden, traut er sich nicht. Doch Fakt ist: Politiker im Freistaat schmücken sich gerne mit fremden Federn. Und wundern sich dann über die Gleichgültigkeit ihrer Bürger Europa gegenüber. Der Bayer gilt als besonders Europa-kritisch. Kein Wunder, wenn man ihm verschweigt, wie sehr er eigentlich von Europa profitiert. Siegried Decker, Bürgermeister aus dem oberfränkischen Neuenmarkt, beispielsweise schwärmt geradezu von einem positiven Beispiel.
Decker: "Ich nenne die Energieagentur Oberfranken, die als Pilotprojekt über die Förderung mit der Europäischen Union vor etwa zehn Jahren in Kulmbach eingerichtet werden konnte. Diese Energieagentur hat zu dem Thema Energieeinsparung, Energiesicherheit eine Vorreiterrolle übernommen."
Doch weiß sein Bürger zuhause auch, dass er das der Europäischen Union zu verdanken hat? Der Kommunalpolitiker zögert mit seiner Antwort nicht.
Decker: "Eher nicht. Den Bürger draußen interessiert die Einrichtung, den interessiert das Ergebnis und den interessiert der Mehrwert, den er entsprechend von der Investition hat. Wie wir das finanzieren, interessiert den Bürger weniger. Es sei denn er wird unmittelbar zur Kasse in Form von Beiträgen gebeten. Aber das ist ja bei solchen Einrichtungen nicht der Fall."
Natürlich fehlt in keiner Wahlkampfrede der Hinweis, wie sehr doch die europäische Integration den Menschen in Bayern nutzt. Ministerpräsident Horst Seehofer etwa vergisst nie zu betonen, dass die Exporte bayerischer Unternehmen in die östlichen EU-Mitgliedsstaaten seit 2004 um 65 Prozent gestiegen sind. Bürgermeister Decker ist da viel ehrlicher.
Decker: "Wenn Sie die Kommunalpolitiker draußen fragen, geht es hier in erster Linie um das Anzapfen von Förderprogrammen und um das Hereinholen von Geld. Und das ist in der Regel das Thema, das interessiert."
Und doch haben gerade Kommunalpolitiker auch Grund zu klagen. Denn rund 80 Prozent aller Vorschriften für Bayerns Gemeinden und Landkreise stammen mittlerweile aus Europa. Und nicht alle sind sinnvoll, weiß Josef Federhofer, Bürgermeister in der niederbayerischen Gemeinde Hauzenberg, zu berichten. Aktuelle Beispiel: die sogenannte Deponieverordnung. Die EU schreibt darin vor, dass Bauschutt wie schadstoffhaltiger Müll entsorgt werden muss.
Federhofer: "Das heißt, ich muss jetzt die Deponie schließen. Und muss dann meinem Bürger sagen: Jetzt musst Du Deinen Aushub 20 Kilometer weiter transportieren – das kostet natürlich Geld. Das sind so Kleinigkeiten, wo ich sage: Ich muss es vor Ort dann auch händeln."
Der Bürgermeister würde sich mehr Mitspracherecht für die Städte und Kommunen auf Europäischer Ebene wünschen. Aus gutem Grund: Er muss vollziehen, was Brüssel beschließt. Doch er bezieht zuhause dafür vom Bürger die verbalen Prügel.
Federhofer: "Weil es wird letztendlich nur ein Schwarzes-Peter-Geschiebe gemacht. Was anderes ist es ja letztendlich nicht. Und ich unten habe es dann immer auszubaden."
Beispiel Mecklenburg-Vorpommern!
Von Almuth Knigge
"Ich schimpfe nie mehr über den ländlichen Raum in Mecklenburg-Vorpommern" – kabelte Almuth Knigge nach dem Überspiel ihres Beitrages, denn der in Nordrhein-Westfalen sei noch schlimmer. Technisch gesehen. Wir hatten Sie um ein Beispiel aus dem Küstenstrichland zum Thema EU und MV gebeten. Und da, so hatten wir vorher gehört, könnten die Bauern ganz gut auf EU-Fördermittel verzichten, weil sie dann die Landwirtschaften in anderen Bundesländern weit hinter sich lassen würden. Bayern zum Beispiel. Auf anderen Gebieten wiederum …
Eigentlich müssten alle Mecklenburger und Vorpommern die Europa-Hymne schmettern – und das jeden Tag. Kaum ein anderes Bundesland profitiert so sehr von Fördermitteln aus der EU wie der Nordosten – nur – der Bürger, der will nicht so recht singen.
Frau: "Eigentlich sind wir dadurch, finde ich, ziemlich eingeengt."
Mann: "Da haben wir beruflich nicht so viel mit zu tun."
Frau: "Das ist eher ziemlich weit weg."
Frau: "Handelsfreiheit, man kann überall hinreisen, braucht nicht umtauschen."
Frau: "Will ich nicht jeden Tag was von hören, da ärger ich mich nur."
Vielleicht liegt das auch am Wahlzettel - über einen Meter ist er lang. Auch Werner Kuhn steht drauf – für die CDU. Er mag schon eher in den Jubel mit einstimmen.
Kuhn: "Also wir haben natürlich in sehr vielen Infrastrukturprojekten europäische Mittel drin. Zum Beispiel die Bahnlinie Berlin-Rostock-Kopenhagen, mit Efre-Mitteln gefördert, wir haben grenzüberschreitende in Richtung Polen, Eisenbahnlinie zum Beispiel bis nach Swinemünde hinein mit europäischen Mitteln gefördert. Wir bekommen auch für Bildung und Schulen aus dem europäischen Sozialfonds große Unterstützung, auf die wir nicht verzichten möchten."
Und können. Kaum eine Straße, kaum eine Feriendestination, kein Radweg, in dem nicht ein EU-Euro steckt. Existenzgründer-Mikrodarlehen, Weiterbildung, Integration – alles auch EU.
Kuhn: "Wir haben in Rostock den Liegeplatz 8 mit europäischer Förderung, grenzüberschreitende Verkehre gefördert worden. Aber auch touristische Highlights, Yachthafenresidenz, Weiße Wiek, auch in kleineren Gemeinden, Wasserwanderrastplätze sind mit europäischen Mitteln unterstützt worden."
Für Politiker wie Werner Kuhn bedeutet Europa vor allem eins - GELD. In ein paar Jahren versiegen die Mittel für den Nordosten, viele Beitrittsländer ziehen den Schnitt nach unten. Noch ist Mecklenburg-Vorpommern sogenanntes Ziel-1.-Fördergebiet - bekommt also die höchste Förderung der EU, noch.
Kuhn: "Das sind 350 Millionen Euro im Jahr über sieben Jahre hinweg 2,6 Milliarden, und im Jahr 2013 läuft die Förderperiode aus. Und da muss ein Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern mit aufpassen dass die strukturschwachen Regionen, und da gehören wir nun mal dazu im Nordosten Deutschlands, in der neuen Phase mit dabei sein werden."
Auch nach Lüblow, im Landkreis Ludwigslust kommt man über frisch sanierte EU-Straßen – ein Stückchen kann man auch über die Ostseeautobahn fahren.
Ringstorff: "Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für Mecklenburg-Vorpommern."
Staatstragende Worte zur Eröffnung 2005 vom damaligen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff.
Ringstorff: "Die Ostseeautobahn ist fertig. Ich glaube, im ganzen Land ist heute ein Freudentag."
Zwar ist die A 20 ein Verkehrsprojekt deutsche Einheit, aber ohne EU-Mittel wäre auch sie nicht möglich gewesen – zumindest nicht so schnell
Abfahrt Ludwigslust. Ein neues Gewerbegebiet entsteht. Rechts und links der Landstraße ein wenig Dorferneuerungsprogramm, ein bisschen ländlicher Raum. 880 Millionen Euro ist im Topf für den ländlichen Raum. Der Bürgermeister, Lothar Seliger, ist trotzdem kein rechter Freund der EU.
Seliger: "Also ein Freund der EU tja …"
Dabei, das muss man mal ganz deutlich sagen, könnte es sonst ziemlich stinken.
Ohne EU. Am Eingang des Dorfes steht ein Schild: Hier entsteht mit Hilfe der Europäischen Union ein neues Abwassernetz. Lange ergossen sich die Abwässer ungeklärt in die Natur, bis die EU 1991 die Richtlinie 91/271 über die Behandlung kommunaler Abwässer erließ. Diese schreibt fest, dass Fäkalien ins Klärbecken gehören und das Abwasser vor der Einleitung gereinigt werden muss. Milliarden sind seit dem Beschluss EU-weit investiert worden.
In Deutschland hat Brüssel den Ausbau der Kanalisation allein seit dem Jahr 2000 mit über 700 Millionen Euro gefördert. Umweltexperten sehen in der Abwasser-Richtlinie das teuerste europäische Gesetzeswerk überhaupt.
Seliger: "Da sind die Deutschen ja immer ganz scharf drauf: Alles was von Brüssel kommt müssen wir als erstes tun. Dieses Wassergesetz da, was von Brüssel gekommen ist, Renaturierung von Bächen und Flüssen und Abwasser und so weiter. Ich hab mir aber sagen lassen, wie es in Brüssel selbst aussieht, da sieht das schlimm aus, da läuft das Abwasser noch wie in Venedig in die Grachten."
Mittlerweile sind 86 Prozent der mecklenburgischen und vorpommerschen Bürger an das zentrale Kanalnetz angeschlossen, die restlichen dezentralen Anlagen werden mit EU-Mitteln modernisiert. Mecklenburg-Vorpommern hat die Wasserrahmenrichtlinie gut getan. Die Badewasserqualität ist hervorragend. Und sind die Seen und Flüsse sauber, freut sich der Tourist, und die Politiker und die EU und überhaupt eigentlich alle.
Beispiel Sachsen
Von Alexandra Gerlach
Hört man sich auf der Straße in Sachsen um, dann hat der Frager schnell den Eindruck, die Europa-Wahlen sind weniger ein Thema, die Kommunalwahlen interessieren mehr den gemeinen Sachsen. Das erstaunt den Beobachter, denn Sachsen hat so manches erkleckliches Sümmchen aus Brüssel abgegriffen und profitiert von nicht wenigen EU-Verordnungen. Auf dem Land weiß man das schon eher, denn dort wird mehr auf Brüssel und Verordnungen und Gelder geschaut. Für zahlreiche Agrar-Großbetriebe, die in Sachsen nach der Wende entstanden sind, sind Brüsseler Entscheidungen direkt spürbar und essentiell. Alexandra Gerlach hat sich davon überzeugt.
Iris Kübler: "Mein Name ist Iris Kübler, ich bin Landwirtin in Sachsen, am Rande der Lommatzscher Pflege, und bewirtschafte hier gemeinsam mit meinem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Größenordnung von circa 800 Hektar hier vor Ort. Weiterhin bewirtschaften wir auf der anderen Elbseite circa 30 Kilometer entfernt von hier, in der Nähe von Gröditz einen landwirtschaftlichen Betrieb von circa 600 Hektar."
Iris und Hartwig Kübler sind beide promovierte Landwirte und stammen ursprünglich aus Westdeutschland. Seit 1991 leben sie in der Nähe von Oschatz in Sachsen. Dort haben sie zunächst Milchviehhaltung und zeitweilig eine Ferkelaufzucht betrieben, inzwischen setzen sie auf reine Ackerwirtschaft, kultivieren Getreide und Spargel sowie Erdbeeren. Erst im vorletzten Jahr haben sie noch einmal investiert und eine Biogas-Anlage auf dem Hofgelände errichtet.
Landwirtschaftliche Betriebe in dieser Größenordnung, die nach der Wende auf den Flächen Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und ehemals sogenannter volkseigener Güter entstanden sind, haben in der aktuellen Krise die besseren Karten. Sie sind den kleinen Familienbetrieben im Westen überlegen. Doch ohne den europäischen Binnenmarkt, darin ist sich Landwirt Hartwig Kübler sicher, wäre die Situation wesentlich schlechter:
Kübler: "Aus landwirtschaftlicher Sicht ist Europa auf jeden Fall ein Vorteil. Nicht umsonst versuchen ja alle Länder, die Anlieger sind, sehr schnell in die EU zu kommen. Die EU vergrößert das Marktpotential für den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb. Zum Beispiel kann ich nur anführen, dass wir einen nicht unerheblichen Teil unseres Getreides nach Italien, nach Frankreich verkaufen können, ohne Probleme. Wir müssen keine Zollpapiere, gar nichts ausfüllen, sondern die Ware wird verladen und wird dann direkt zu der Mühle nach Italien oder nach Frankreich oder nach Dänemark oder Holland. Und damit können wir unseren Standortvorteil, den wir haben, in dem wir große einheitliche Partien mit sehr guten Qualitäten produzieren, richtig ausnutzen."
Aus der Sicht eines Milchviehhalters in Zeiten des akuten Milchpreisverfalls sieht die Lage anders aus. Jahrelang galt die EU mit ihrer starken Subventionierung des Landwirtschaftlichen Sektors als starker Verbündeter der Bauern. Eine Quotenregelung regelte verlässlich das Einkommen der Milchbauern. Überdies schufen gezielte finanzielle Anreize eine gewisse Planbarkeit der europaweiten Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte. Bis heute, so sagt Landwirt Hartwig Kübler, sei die Landwirtschaft der am besten durchorganisierte Bereich der Europäischen Union:
Kübler: "Und dadurch werden Regelungen, die ansonsten national gemacht würden, auf europäische Ebene gehoben."
Und es wird viel geregelt auf europäischer Ebene. Zahllose Durchführungsbestimmungen füllen jedes Jahr die Pflichtbroschüren für die Landwirte. Hinzu kommen umfangreiche Sanktionsankündigungen für den Fall, dass man sich nicht buchstabengetreu an die Regeln hält. Eine dieser dicken DN-A-5 Broschüren hält Iris Kübler in der Hand. Fast die Hälfte des Inhalts listet Sanktionen auf:
Kübler: "Das ist die diesjährige Broschüre zu dem Thema Cross Compliants, das sind diese Verpflichtungen, denen wir uns unterwerfen, wenn wir Mittel aus dem EU-Topf bekommen, zum Ausgleich unseres Preisverfalls, den wir ja haben."
55 Milliarden Euro Direktsubventionen schüttet die Europäische Union alljährlich an die Landwirte im Binnenmarkt aus. Davon erhalten deutsche Bauern, Landbesitzer und teilweise auch Großindustrie rund ein Zehntel, also 5,5 Milliarden Euro. Gefördert wird außerdem die ländliche Entwicklung mit weiteren 1,2 Milliarden Euro. Fördern und steuern heißt die Devise:
Kübler: "Sie will höhere Standards, bei der Bewirtschaftung eingeschränkten Pflanzenschutzmittelgebrauch, entsprechende Abstände zu Randflächen und all diese Dinge. Eine sehr exakte Nachverfolgung der Produkte, so dass man eben sagt, wenn an irgendeiner Stelle ein Produkt das belastet ist, auftaucht, muss das nachvollziehbar sein, bis an den Ursprungsort. Das sind alles Dinge, die sind in Ordnung, wenn sie alle Marktteilnehmer, die an unserem Markt teilnehmen auch erfüllen müssen. Und da hängt ein bisschen die Krux, dass das eben so nicht gehandhabt wird."
Man habe zwar einen gemeinsamen Markt, in den alle Marktteilnehmer ungehindert liefern könnten, aber nicht für alle Teilnehmer gelten die gleichen Marktbedingungen. Beispiel Agrardiesel:
Kübler: "In Deutschland müssen Betriebe ab einem gewissen Satz, der liegt bei 10.000 Litern, der volle Steuersatz bezahlt werden, während in Frankreich zum Beispiel fast überhaupt keine Mineralölsteuer bezahlt wird. Das macht pro Hektar bis zu 40, 50 Euro aus, die wir benachteiligt sind. Und das führt dann zu Verwerfungen innerhalb des Marktes. Das ist das Problem, das ist aber kein Problem von Europa an sich, sondern der Länder."
Derlei strukturelle Probleme werden es den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland nicht leichter machen, in der Krise zu überleben. Der seit langem anhaltende Umstrukturierungsprozess und das Sterben alter Bauernhöfe werde sich fortsetzen, meint Landwirt Kübler. Nur hochtechnisierte und durchrationalisierte Betriebe hätten eine Zukunft. Viele von ihnen auch nur, wenn sie sich zusätzliche Einnahmequellen, wie etwa Energiegewinnung erschließen könnten. Der europäische Binnenmarkt diene den Agrariern als Schutzschirm.
Kübler: "Europa ist einfach ein größerer Markt. Wenn in einem Land unter Umständen eine Unterproduktion ist, kann das durch die Überproduktion des anderen Landes ausgeglichen werden, das sind Dinge, die unter Umständen Vorteile bringen können. Wäre damals, nach der Wende Europa nicht gewesen, wäre die Situation noch weitaus katastrophaler gewesen, denn der landwirtschaftliche Markt – wir hatten ja eine Überproduktion in der ehemaligen DDR – das hätte dazu geführt, dass die Preise noch mehr zusammengebrochen wären, und Europa hat eigentlich da auffangend gewirkt."