Über Mythos und Wahrheit Babylons

Von Carsten Probst · 25.06.2008
Babylon steht im Abendland seit Jahrtausenden für menschliche Verfehlungen. Mit diesem Mythos will nun die Schau "Babylon. Mythos und Wahrheit" auf der Berliner Museumsinsel aufräumen.
Babylon-Lutscher, Babylon-Armreifen, Babylon-Schwimmflügel und vieles, vieles mehr, vorzugsweise in Rosa, der Erkennungsfarbe der berühmten MoMA-Ausstellung, die auch der Babylon-Ausstellung wieder Besuchermassen zuführen soll. Babylon ist zunächst erst einmal keine Ausstellung, sondern ein Paket. Ein Paket an Werbemaßnahmen und Marketingoffensiven, geschnürt für den klassischen Nicht-Museumsgänger, für Reiseveranstalter und Werbepartner. Sogar heiraten kann man in der Babylon-Lounge. Es ist die letzte große Sause der Ära von Generaldirektor Peter-Klaus Schuster, die noch einmal deutlich die Handschrift seines Apparates trägt.

Schuster: "Diese Ausstellung geht mit allem medialen Ornament auf die Bühne, und sie will das Sommerereignis der Staatlichen Museen und sozusagen der Kunststadt Berlin sein, und um es gleich zu sagen: Es ist eine Ausstellung, eine wissenschaftliche Ausstellung, die Event sein will und wird."

Im Gegensatz zu der eher nüchtern-historisch gehaltenen Vorgängerausstellung im Pariser Louvre hat man sich in Berlin begierig auf den Mythos gestürzt, von Sündenpfuhl, bis Turmbau, von Sprachverwirrung bis Untergang und Apokalypse – es ist ein wenig wie bei vergleichbaren Themen: Titanic oder 11. September, diese Ausstellung verspricht, ein großer Film zu sein, Breitwandformat, ein kultureller Psychotrip für die Besucher, der mit Kunst aller Zeiten und Länder illustriert wird, ein Blick in den Spiegel des kollektiven Angstbewusstseins aller Zivilisationen schlechthin, so Moritz Wullen, der Kurator der Mythos-Sektion.

Wullen: "Es geht immer um die Angst der Menschheitszivilisation vor dem selbstverschuldeten Untergang. Es geht um die Angst vor der technologischen Selbstüberhebung – Turm. Es geht um die Angst vor dem moralischen Orientierungsverlust – Sünde. Es geht um die angst, dass die gesellschaftliche Komplexität soweit zunimmt, dass sie gar nicht mehr zu händeln ist – Sprachverwirrung. Es geht um die Angst vor einer Bestrafung aus einer anderen Dimension – Apokalypse."

Soweit das Berliner Werbetamtam, das eine Aufdringlichkeit erreicht hat, die einen ohne weiteres an der Seriosität dieser Ausstellung zweifeln ließe, wüsste man nicht, dass sich eigentlich eine archäologiegeschichtliche Präsentation dahinter verbirgt, die sich normalerweise nicht an ein Massenpublikum verkaufen ließe. Die Ausstellungsmacher, zumindest was den historischen und archäologischen Teil angeht, der rund um das berühmte Ischtar-Tor und die babylonische Prozessionsstraße in das Pergamonmuseum eingebettet ist, sind sich der Komplexität des Themas bewusst und daher um eine durchweg positivistische Ordnung der Dinge bemüht. Methodenkritik sucht man hier vergeblich.

Rund 800 Ausgrabungsstücke werden gezeigt, die überwiegend vom deutschen Grabungsteam um Robert Koldewey zwischen 1899 und dem Ersten Weltkrieg gesichert wurden. Herrschaftssymbolik vor allem aus der Zeit des späten Herrschers Nebukadnezar II. im 6. und 7. vorchristlichen Jahrhundert, religiöse und wissenschaftliche Funde. Eine Kopie der berühmten Stele des alten babylonischen Herrschers Hammurabi, ist der älteste bekannte Gesetzestext, deren Original im Louvre steht, und deutet auf das höchst differenzierte gesellschaftliche Leben im Babylon des zweiten Jahrtausends vor Christus, wie zahlreiche andere Funde, von denen Kurator Joachim Marzahn berichtet:

Joachim Marzahn: "Wir haben zwei Abteilungen, die es so woanders nicht gab und auch nicht geben wird: Einmal die Arbeitswelt, was mir besonders am Herzen lag, einfach deswegen, um zu zeigen, dass all die wunderbaren Dinge, die wir heute aus Babylon heute noch haben und bewundern dürfen ja einer wirtschaftlichen Grundlage bedurften, und hier gibt es auch Besonderheiten darzustellen, die man wissen sollte, warum denn überhaupt Babylonien so erfolgreich war."

Denn in allererster Linie war das alte Babylon eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, ein antiker Wirtschaftsmoloch, in dem richtig gearbeitet wurde, wenn seiner Blüte auch keine sonderlich lange Dauer beschieden war. Auch darin besteht der Gegensatz zur ungleichen Schwester Jerusalem als Hauptstadt der religiösen Spekulation. Babylons Verfall und schließlich historische Bedeutungslosigkeit sollte man sich aber nicht wie einen großen apokalyptischen Showdown himmlischer und teuflischer Mächte vorstellen, wie es die alttestamentlichen Verwünschungen und Bibellegenden wollen, sondern als schleichenden Prozess aus Eroberungen und Misswirtschaft, der auch viele andere Städte erreicht hat.

Marzahn: "Es gibt eine weitere Abteilung, die mir besonders am Herzen liegt, nämlich die, in der wir versuchen zu zeigen, welche Wege letztlich das babylonische Erbe, hier allerdings vornehmlich in seiner geistig kulturellen Form, nach Europa genommen hat."

Dieser mit "Transformation" betitelte Raum ist einerseits das eigentliche inhaltliche Herzstück der Ausstellung, andererseits wird er den Busladungen von Touristen, die die Staatlichen Museen locken wollen, vermutlich kaum einen längeren Blick wert sein. Hier sind unter Vitrinen wunderbare Handschriften zu sehen, die die Ausformulierung des Topos Babylon in den maßgeblichen historischen Überlieferungen des Juden- und Christentums, der heidnischen Spätantike und des Islams andeuten. Dieser Raum enthält zugleich die Idee einer Ausstellung, wie man sie sich hätte wünschen können – das alte Babylon als Katalysator verschiedenster mythischer Ströme, die lange vor ihm, im alten Sumer begannen und mit der biblischen Überlieferung fortgeschrieben wurden. Babylon war geistes- und kulturgeschichtlich eigentlich nur eine, wenngleich prominente Zwischenstation. Die Ausstellung freilich wirbt für sich, indem sie das Gegenteil behauptet.