Über männliche Herrschaft
Den französischen Soziologen und Philosophen Pierre Bourdieu hat das Thema Macht stets fasziniert. In diesem Zusammenhang hat er sich auch mit der Geschlechterdifferenz beschäftigt. Dass „Die männliche Herrschaft“, so der Titel seines Buches, auf Kosten der Frauen gehe, analysiert er sehr deutlich.
Pierre Bourdieus Untersuchung über „Die Männliche Herrschaft“ fängt mit einer scheinbar ganz alltäglichen Beobachtung an, die wie ein unterdrückter Protestschrei klingt. Er habe sich, so meint der 2002 verstorbene französische Soziologe und Philosoph, schon immer über die Tatsache gewundert,
" … dass die Weltordnung, so wie sie ist, mit ihren Einbahnstraßen und Durchfahrverboten, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn, ihren Verpflichtungen und Sanktionen grosso modo respektiert wird, und daß es nicht zu mehr Zuwiderhandlungen oder Subversionen, Delikten und „Verrücktheiten“ kommt. "
Dieses System von Einbahnstraßen und Durchfahrverboten, das uns umgibt, heißt nicht postmoderne Industriegesellschaft oder Spätkapitalismus, sondern schlicht und einfach: Die Männliche Herrschaft, die sich grundsätzlich und rund um den Globus seit Jahrtausenden brutal Vorfahrt verschafft. Bourdieu, der engagierte Intellektuelle, der in der Attac-Bewegung und mit Immigrantengruppen zusammenarbeitete, hat sich sehr spät erst zur Fragen der Geschlechterdifferenzen durchgerungen. Ein längerer Artikel aus dem Jahre 1990 war der Auslöser für das vorliegende Buch, das bei seinem Erscheinen in Frankreich eine kontroverse Mediendebatte entfachte und hohe Auflagen erzielte.
Es liest sich wie ein Nachtrag, als habe da einer noch eine Schuld abzutragen; als ob er in seinen viel zitierten Arbeiten über den „Sozialen Sinn“, über „Geschmacksvorlieben“ und geistige Eliten, über „die Intellektuellen und die Macht“, einen zentralen Aspekt nicht genügend berücksichtigt hätte. Dabei haben ihn „die Macht und ihre verborgenen Mechanismen“ als Forschungsgegenstand Zeit seines Lebens fasziniert. Die Macht, so hat es Bourdieu gelehrt, wird über materiellen und geistigen Besitz, vor allem aber über die Bildungssysteme wie Schule und Universitäten weitergeleitet und gesteuert. Dass das alles auf Kosten der Frauen geht, das sagt Bourdieu hier erstmals in aller Deutlichkeit. Und er holt weit aus. An den Berbern der Kabylei zeigt er exemplarisch, wie die männliche Herrschaft alle Lebensbereiche formt.
Bourdieu: " Die Bergbauern der Kabylei haben, über alle Eroberungen und Bekehrungen hinweg (...) bis auf den heutigen Tag Strukturen bewahrt, die (...) eine paradigmatische Form der „phallo-narzisstischen“ Sicht darstellen, wie sie allen mediterranen Gesellschaften gemeinsam sind. Die Einteilung in Geschlechter scheint in der „Natur der Dinge“, wie man so sagt, zu liegen.“
In diesem patriarchalischen System ist die Frau dem Mann untergeordnet. Das lässt sich bis hin zu der gebeugten Körperhaltung belegen. Hier muss sich der Mann nicht erst groß legitimieren.
Bourdieu: " Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, daß sie der Rechtfertigung nicht bedarf.“
Das Herrschaftsmodell der Berbervölker hat Bourdieu auf die moderne westliche Gesellschaft übertragen. Die alten Muster seien hier nur verdeckter und verfeinerter. Es handle sich lediglich um graduelle Unterschiede. Die Gleichberechtigung etwa, wie sie im Grundgesetz verankert ist, täusche:
Bourdieu: " So verschleiert die formelle Gleichheit von Männern und Frauen tendenziell auf jeder Ebene, daß die Frauen bei gleichen Voraussetzungen stets die weniger günstigen Positionen bekleiden.“
Dabei räumt er durchaus positive Veränderungen ein:
" Eine der wichtigsten Veränderungen in der Situation der Frauen und einer der maßgeblichen Faktoren für ihre Umgestaltung ist ohne jeden Zweifel der vermehrte Zugang der Mädchen zum Gymnasial- und Hochschulunterricht. "
„Wir haben unerhört viel erreicht!“ hat Deutschlands populärste Feministin Alice Schwarzer im Rückblick auf 30 Jahre Frauenbewegung einmal geschrieben. Doch da ist Bourdieu sehr skeptisch. Er glaubt nicht an tief greifende Veränderungen. Nach wie vor werden Frauen von Führungspositionen von politisch-wirtschaftlicher Relevanz ausgeschlossen.
Bourdieu: " … weil sie maßgeschneidert sind für die Männer. Um eine Position wirklich erfolgreich bekleiden zu können, müßte eine Frau nicht nur über das verfügen, was in deren Beschreibung explizit verlangt wird. Sie müßte überdies eine ganze Reihe von Eigenschaften besitzen, die ihre männlichen Inhaber gemeinhin mitbringen, eine bestimmte körperliche Statur, Stimme oder Dispositionen wie Aggressivität, Sicherheit im Auftreten, „Rollendistanz“, so genannte natürliche Autorität usw., auf deren Ausbildung die Männer als Männer stillschweigend präpariert und trainiert worden sind.“
Bourdieus Dilemma ist, er möchte dieses Ungeheuer „Die männliche Herrschaft“ mit seinen scharfsinnigen wissenschaftlichen Analysen bannen. Doch je tiefer er seinen Gegenstand betrachtet, umso stärker unterliegt er selbst seiner Magie. So ist ein Buch voller Zweifel und Einwände entstanden, in dem Gleichberechtigung nur als kunstvolle Arabesque, als Fiktion vorkommt.
Bourdieu hat diese Fatalität wohl selbst gespürt. Dem „fragwürdigen Vergnügen der Desillusionierung“, dem die große englische Schriftstellerin Virginia Woolf sich hingab, sei er nicht erlegen, meint er beschwichtigend. Als Beweis hat er seine Untersuchung ein romantisches „Postskriptum über die Liebe“ angefügt, in dem er seine Utopie, das Wunder der Gewaltlosigkeit beschwört:
" … das durch die Herstellung von Beziehungen ermöglicht wird, die auf völliger Reziprozität beruhen und Hingabe und Selbstüberantwortung erlauben (...), die auf dem Glück beruhen, Glück zu schenken.“
Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft
Aus dem Französischen von Jürgen Bolder
Suhrkamp Verlag 2005
212 Seiten 19,90 Euro
Hintergrundinformation:
Pierre Bourdieu (1930-2002) ist einer der wichtigsten Soziologen der Gegenwart und zählte zu den führenden Intellektuellen Frankreichs. Als junger Wissenschaftler hatte er in Algerien über die Kabylen geforscht, er hat das französische Bildungssystem untersucht, er hat über die symbolischen Formen und „Die verborgenen Mechanismen der Macht“ geschrieben, über Marx und Heidegger, aber auch über Virginia Woolf und die Fotografie. 1989 gründete er die Kulturzeitschrift „Liber“, 1993 führte er mit Jacques Derrida in Straßburg das Schriftstellerparlament an, das sich als das politische Repräsentationsorgan einer „Republik der Künstler und Wissenschaftler“ begreift. Auch dem europäischen Kulturkanal ARTE stand er als Berater zur Seite. Er lehrte am College de France in Paris.
" … dass die Weltordnung, so wie sie ist, mit ihren Einbahnstraßen und Durchfahrverboten, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn, ihren Verpflichtungen und Sanktionen grosso modo respektiert wird, und daß es nicht zu mehr Zuwiderhandlungen oder Subversionen, Delikten und „Verrücktheiten“ kommt. "
Dieses System von Einbahnstraßen und Durchfahrverboten, das uns umgibt, heißt nicht postmoderne Industriegesellschaft oder Spätkapitalismus, sondern schlicht und einfach: Die Männliche Herrschaft, die sich grundsätzlich und rund um den Globus seit Jahrtausenden brutal Vorfahrt verschafft. Bourdieu, der engagierte Intellektuelle, der in der Attac-Bewegung und mit Immigrantengruppen zusammenarbeitete, hat sich sehr spät erst zur Fragen der Geschlechterdifferenzen durchgerungen. Ein längerer Artikel aus dem Jahre 1990 war der Auslöser für das vorliegende Buch, das bei seinem Erscheinen in Frankreich eine kontroverse Mediendebatte entfachte und hohe Auflagen erzielte.
Es liest sich wie ein Nachtrag, als habe da einer noch eine Schuld abzutragen; als ob er in seinen viel zitierten Arbeiten über den „Sozialen Sinn“, über „Geschmacksvorlieben“ und geistige Eliten, über „die Intellektuellen und die Macht“, einen zentralen Aspekt nicht genügend berücksichtigt hätte. Dabei haben ihn „die Macht und ihre verborgenen Mechanismen“ als Forschungsgegenstand Zeit seines Lebens fasziniert. Die Macht, so hat es Bourdieu gelehrt, wird über materiellen und geistigen Besitz, vor allem aber über die Bildungssysteme wie Schule und Universitäten weitergeleitet und gesteuert. Dass das alles auf Kosten der Frauen geht, das sagt Bourdieu hier erstmals in aller Deutlichkeit. Und er holt weit aus. An den Berbern der Kabylei zeigt er exemplarisch, wie die männliche Herrschaft alle Lebensbereiche formt.
Bourdieu: " Die Bergbauern der Kabylei haben, über alle Eroberungen und Bekehrungen hinweg (...) bis auf den heutigen Tag Strukturen bewahrt, die (...) eine paradigmatische Form der „phallo-narzisstischen“ Sicht darstellen, wie sie allen mediterranen Gesellschaften gemeinsam sind. Die Einteilung in Geschlechter scheint in der „Natur der Dinge“, wie man so sagt, zu liegen.“
In diesem patriarchalischen System ist die Frau dem Mann untergeordnet. Das lässt sich bis hin zu der gebeugten Körperhaltung belegen. Hier muss sich der Mann nicht erst groß legitimieren.
Bourdieu: " Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, daß sie der Rechtfertigung nicht bedarf.“
Das Herrschaftsmodell der Berbervölker hat Bourdieu auf die moderne westliche Gesellschaft übertragen. Die alten Muster seien hier nur verdeckter und verfeinerter. Es handle sich lediglich um graduelle Unterschiede. Die Gleichberechtigung etwa, wie sie im Grundgesetz verankert ist, täusche:
Bourdieu: " So verschleiert die formelle Gleichheit von Männern und Frauen tendenziell auf jeder Ebene, daß die Frauen bei gleichen Voraussetzungen stets die weniger günstigen Positionen bekleiden.“
Dabei räumt er durchaus positive Veränderungen ein:
" Eine der wichtigsten Veränderungen in der Situation der Frauen und einer der maßgeblichen Faktoren für ihre Umgestaltung ist ohne jeden Zweifel der vermehrte Zugang der Mädchen zum Gymnasial- und Hochschulunterricht. "
„Wir haben unerhört viel erreicht!“ hat Deutschlands populärste Feministin Alice Schwarzer im Rückblick auf 30 Jahre Frauenbewegung einmal geschrieben. Doch da ist Bourdieu sehr skeptisch. Er glaubt nicht an tief greifende Veränderungen. Nach wie vor werden Frauen von Führungspositionen von politisch-wirtschaftlicher Relevanz ausgeschlossen.
Bourdieu: " … weil sie maßgeschneidert sind für die Männer. Um eine Position wirklich erfolgreich bekleiden zu können, müßte eine Frau nicht nur über das verfügen, was in deren Beschreibung explizit verlangt wird. Sie müßte überdies eine ganze Reihe von Eigenschaften besitzen, die ihre männlichen Inhaber gemeinhin mitbringen, eine bestimmte körperliche Statur, Stimme oder Dispositionen wie Aggressivität, Sicherheit im Auftreten, „Rollendistanz“, so genannte natürliche Autorität usw., auf deren Ausbildung die Männer als Männer stillschweigend präpariert und trainiert worden sind.“
Bourdieus Dilemma ist, er möchte dieses Ungeheuer „Die männliche Herrschaft“ mit seinen scharfsinnigen wissenschaftlichen Analysen bannen. Doch je tiefer er seinen Gegenstand betrachtet, umso stärker unterliegt er selbst seiner Magie. So ist ein Buch voller Zweifel und Einwände entstanden, in dem Gleichberechtigung nur als kunstvolle Arabesque, als Fiktion vorkommt.
Bourdieu hat diese Fatalität wohl selbst gespürt. Dem „fragwürdigen Vergnügen der Desillusionierung“, dem die große englische Schriftstellerin Virginia Woolf sich hingab, sei er nicht erlegen, meint er beschwichtigend. Als Beweis hat er seine Untersuchung ein romantisches „Postskriptum über die Liebe“ angefügt, in dem er seine Utopie, das Wunder der Gewaltlosigkeit beschwört:
" … das durch die Herstellung von Beziehungen ermöglicht wird, die auf völliger Reziprozität beruhen und Hingabe und Selbstüberantwortung erlauben (...), die auf dem Glück beruhen, Glück zu schenken.“
Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft
Aus dem Französischen von Jürgen Bolder
Suhrkamp Verlag 2005
212 Seiten 19,90 Euro
Hintergrundinformation:
Pierre Bourdieu (1930-2002) ist einer der wichtigsten Soziologen der Gegenwart und zählte zu den führenden Intellektuellen Frankreichs. Als junger Wissenschaftler hatte er in Algerien über die Kabylen geforscht, er hat das französische Bildungssystem untersucht, er hat über die symbolischen Formen und „Die verborgenen Mechanismen der Macht“ geschrieben, über Marx und Heidegger, aber auch über Virginia Woolf und die Fotografie. 1989 gründete er die Kulturzeitschrift „Liber“, 1993 führte er mit Jacques Derrida in Straßburg das Schriftstellerparlament an, das sich als das politische Repräsentationsorgan einer „Republik der Künstler und Wissenschaftler“ begreift. Auch dem europäischen Kulturkanal ARTE stand er als Berater zur Seite. Er lehrte am College de France in Paris.