Über Kommunismus als Aufklärung und Religion

09.08.2008
Nach Ansicht des russischen Philosophen Michail Ryklin, der derzeit eine Gastprofessur an der Humboldt-Universität Berlin inne hat, hat der Kommunismus eine enge Verbindung zu Religion und Aufklärung. Anlässlich seines vor kurzem erschienenen Buches "Kommunismus als Religion" meint er, die diesseitige Welt sei für die Bolschewiki ein Ort gewesen, wo Erlösung stattfindet.
Anlässlich seines vor kurzem erschienenen Buches "Kommunismus als Religion" sagte Ryklin am Sonnabend im Deutschlandradio Kultur, die Bolschewiki hätten der "diesseitigen Welt transzendente Eigenschaften zugeschrieben". Für sie sei es der Ort gewesen, wo Erlösung stattfindet. Von Anfang an habe der Kommunismus "direkt mit einem innerweltlichen Erlösungsgedanken zu tun" gehabt. In diesem Punkt seien die Kommunisten auch Nachfolger der Aufklärung, erläuterte der Philosoph, der derzeit eine Gastprofessur an der Humboldt-Universität Berlin inne hat. Im Unterschied zur Aufklärung habe aber der Kommunismus andere Positionen nicht gelten lassen. Insofern sei er "die Zuspitzung der Aufklärung, die terroristische Fortsetzung der Aufklärung". Dies sei darauf zurückzuführen, dass für die Bolschewiki Transzendenz "radikal immanent" geworden sei. Das heiße, dass "alle Ziele in der Welt irgendwie realisiert" werden sollten. Ryklin wies daraufhin, dass auch der französische Schriftsteller André Gide in den Ereignissen in der Sowjetunion die "Realisierung des ursprünglichen christlichen Glaubens" gesehen habe. Deshalb sei Gide auch sehr enttäuscht gewesen, als er 1936 die Sowjetunion besuchte.

Im heutigen Russland gibt es laut Ryklin "eine bunte Mischung aus den Resten des kommunistischen Glaubens und der Orthodoxie". Für diese "in Anführungsstrichen neue Religiosität" sei Josef Stalin eine "Schlüsselfigur". In mehreren "pseudowissenschaftlichen Abhandlungen" werde ein positives Verhältnis des sowjetischen Diktators zur orthodoxen Kirche beschrieben. "Das ist total falsch, aber dieser Wunsch, die Figur Stalins in diesem Lichte zu sehen, ist ziemlich groß." Nach Einschätzung des Philosophieprofessors hat dieser nostalgische Blick auf Stalin Züge einer neuen Staatsideologie. Dabei würden sowohl die sowjetische Geschichte als auch die Orthodoxie und die Zarenzeit positiv dargestellt. "Wie man das miteinander versöhnt, bleibt – mindestens für mich – unklar, aber diese Übergangsreligiosität ist vorherrschend, gerade jetzt in Russland."