Über die Kraft, die das menschliche Sozialverhalten antreibt

Nützlich für die eigenen Gene - das ist die Formel, auf die hier das gesamte Sozialverhalten des Menschen gebracht wird. Eckart Voland versucht, das in 18 Lektionen des Buches "Die Natur des Menschen" anschaulich zu machen. Er bringt Beispiele aus dem Liebesleben und der sogenannten Partnerwahl sowie anhand der Frage, warum Verwandtschaft ein so starkes Prinzip sozialer Ordnungsbildung ist.
Was ist ein Soziobiologe? Vom Wort her könnte man meinen, es handele sich um eine zentaurenförnige Erscheinung: oben Soziologe, unten Biologe, als lebendigen Beweis dafür, dass der Geist animalische Grundlagen hat. Tatsächlich ist Eckart Voland, der Autor des vorliegenden "Grundkurses" in Soziobiologie weder das eine noch das andere, sondern ein Philosoph. Er hat, mit anderen Worten, im engeren Sinne nicht selbst geforscht, sondern er interpretiert Befunde von Biologen, Psychologen, Medizinern.

Und um im Bild zu bleiben: Den Unterleib der Soziobiologie bilden auch nicht die Triebe, die Gefühle, die Körperlichkeit oder der Lebenswille von Individuen. Die eigentliche Kraft, die, ihr zufolge, alles Sozialverhalten antreibt, ist etwas viel Abstrakteres: Es sind die Gene. Der soziobiologische Leitgedanke ist: Was immer wir tun, wir tun es, um unsere Chancen zu erhöhen, das eigene Erbgut reproduzieren zu können. Darauf hat uns die Evolution programmiert, denn nur solche Wesen, die diesem Programm folgten, konnten sich über Jahrtausende hinweg im Naturreich durchsetzen. "Evolutionärer Erfolg ist reproduktiver Erfolg - nichts anderes". Nützlich für die eigenen Gene - das ist die Formel, auf die hier das gesamte Sozialverhalten des Menschen gebracht wird.

Voland versucht, das in 18 Lektionen anschaulich zu machen. An Beispielen aus dem Liebesleben und der sogenannten Partnerwahl sowie anhand der Frage, warum Verwandtschaft ein so starkes Prinzip sozialer Ordnungsbildung ist. Er fragt, warum es eigentlich Großmütter gibt, warum die Natur es zugelassen hat, dass Frauen den Zeitpunkt ihres Unfruchtbarwerdens weit überleben. Wir erfahren etwas über die optimale Kinderzahl und warum die Vielweiberei sich nur lokal durchgesetzt hat. Und es wird uns erklärt, wie es im Naturreich überhaupt zu altruistischem Verhalten kommen konnte. Sogar für Kunst und Religion hält er eine soziobiologische Begründung ihrer Nützlichkeit im Reproduktionsprozess bereit. Jedes Kapitel ist klar geschrieben und verweist auf weiterführende Literatur.

Man liest das Buch also zügig. Aber liest man es auch mit Gewinn? Ja, auch mit Gewinn: Nur dass es der Gewinn eines Lesers ist, der aus dem Staunen über ein so schlichtes Weltbild nicht mehr herauskommt.

Nehmen wir die These, Gesellschaften seien entstanden, weil Kooperationsgewinne die Individuen für ihren sozialen Zusammenschluss belohnten. Das ist eine hübsche Phantasie, ganz ähnlich denen der Naturrechtsphilosophen seit dem 17. Jahrhundert: Am Anfang waren Individuen, die es dann nützlich fanden, sich zusammenzutun. Frühgeschichtliche Hinweise für eine solche Abfolge gibt es nicht. Der Mensch wird nicht in Individualität, sondern in eine Familie hineingeboren. Er muss sich nicht erst zusammenschließen, er ist von Anfang an mit anderen zusammen.

Oder nehmen wir die These, Männer suchten ihre Partnerinnen danach heraus, welche Signale für Fruchtbarkeit sie an ihnen erkennen können. Das Schöne ist das reproduktive Nützliche? Das müsste, was die Schönheitsideale angeht, mal für Marylin Monroe, mal für Kate Moss gelten. Voland behauptet zwar, die Schönheitsideale seien in einen demographischen Kontext eingebettet - je mehr auf Fruchtbarkeit Wert gelegt werde, desto stärker würden Rundungen präferiert. Aber abgesehen davon, dass damit Fruchtbarkeit von einer soziobiologischen Konstante zu einer sozialhistorischen Variable geworden ist – wie erklärt sich, dass in ein und derselben Zeit Twiggy und Romy Schneider als attraktiv galten? Die Theorie der Fruchtbarkeit ist selber unfruchtbar.

Die eigenen Gene kennen wir zwar, wie unser Gehirn, das ja neuerdings auch so wichtig genommen wird, nur vom Hörensagen. Wie es die Gene machen, daß sie unser Sozialverhalten determinieren, wird nicht erklärt. Wir seien, heißt es, "blinde Anpassungsexekutoren": Was von der Evolution einmal eingeimpft wurde, wird unbewusst vollstreckt. In welchem Sinne kann man dann aber von Partnerwahl sprechen? Und überhaupt: Wer wählt eigentlich in der Partnerwahl? Jeder Flirt verläuft tausendmal komplizierter als es eine Theorie erklären könnte, für die der Mensch ein äußerst primitives und in seinen primitiven Anfängen steckengebliebenes Wesen ist.

Noch ein letzter Punkt: In der Soziobiologie dreht sich alles um Fortpflanzung. Macht, Reichtum, Schönheit, Geist - das alles sind nur Mittel, um an brauchbare Frauen und Männer heranzukommen. Die sexuellen Möglichkeiten nehmen mit dem Prestige zu. Aber nimmt auch die Reproduktion zu? Haben die Reichen und Schönen mehr Kinder? Dazu schweigt die Theorie fast völlig. Es wird eine Studie zitiert, nach der an der Universität Wien die Professoren mehr Kinder haben als die Assistenten, aber das dürfte wohl für eine Beantwortung jener Frage nicht ausreichen. Denn sie betrifft die Grundsatzannahme der Soziobiologie: Wo liegt das reproduktive Interesse von Leuten, die Verhütung praktizieren? Oder formulieren wir es so: Was sollen wir von einer Theorie der Sexualität halten, die durch die Existenz von Kondomen widerlegt wird?

Rezensiert von Jürgen Kaube

Voland, Eckart: Die Natur des Menschen. Grundkurs Soziobiologie,
C. H. Beck Verlag 2007, 175 Seiten, 18,90 Euro