Über die Innenarchitektur von Parlamenten

Familiäre Atmosphäre im britischen House of Commons

Theresa May spricht im House of Commons.
Man wollte, dass das Haus relativ voll aussieht, auch wenn nicht alle Abgeordneten da sind, erklärt Michael Minkenberg. © PA via AP
Michael Minkenberg im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Parlamentsgebäude können protzig oder futuristisch wirken. Spannender ist ihre Innengestaltung - etwa die Enge im britischen Parlament. Die sei gewollt und schaffe Vertrautheit zwischen den Abgeordneten, sagt Politikwissenschaftler Michael Minkenberg.
Das britische Parlament gilt als die Mutter aller Parlamente. Die Bilder vom Unterhaus, dem House of Commons, waren dieser Tage anlässlich des Misstrauensvotums gegen Premierministerin Theresa May in allen Nachrichten: Lange Sitzreihen mit grünem Lederbezug, Holzvertäfelungen, in der Mitte das Rednerpult. Hier scheint der Abstand zu den Abgeordneten so gering, dass man als Redner jede Äußerung, ja fast jede Regung und jede Schweißperle des politischen Gegners wahrnehmen kann.
Warum ist das Parlament so und nicht anders konzipiert worden? Der Politikwissenschaftler Michael Minkenberg, Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, beschäftigt sich in seinen Lehrveranstaltungen mit dem Thema "Parlamente in demokratischen Systemen: Funktionen, Macht, Architektur". Im kommenden Jahr will er ein Buch über das Thema veröffentlichen.

Das Parlament sollte voll aussehen

Über das zwischen 1844 und 1864 nach einem Brand neu aufgebaute Parlamentsgebäude in London sagt Minkenberg: "Man hat damals in dieser Enge gebaut – aus dem einfachen Grund, weil man wollte, dass das Haus relativ voll aussieht, auch wenn nicht alle Abgeordneten da sind." Heute sind es außerdem 200 Plätze mehr als ursprünglich vorgesehen.
Deshalb entsteht der Eindruck, als würden die Parlamentarier einander quasi auf dem Schoß sitzen. Das wirkt fast familiär. Und auch das sei durchaus bezweckt, sagt Minkenberg: "Man redet ja im Abgeordnetenhaus vom Platz aus. Also, man geht nicht nach vorne wie im Bundestag, zu einem Rednerpult in die Mitte. Und das ist dann eine viel familiärere Atmosphäre als in einem großen Saal mit einem Anmarsch zum Rednerpult. Es sollte zwischen den Parlamentariern eine Atmosphäre der Vertrautheit geschaffen werden, die dazu führt, dass man sich sehr schnell auch an die Regeln gewöhnt, die dort herrschen." Physische Distanz wie im Deutschen Bundestag sollte es nie geben.

Deutsche Abgeordnete haben mehr Licht und Platz

Weiterer Unterschied zum Deutschen Bundestag: Alle Abgeordneten haben ein eigenes Pult für ihre Unterlagen, während die britischen Kollegen ihre Zettelwirtschaft auf dem Schoß deponieren müssen. Das Reichstagsgebäude, von Stararchitekten Sir Norman Foster umgebaut, sei ohnehin einzigartig: "Das Markanteste ist das Tageslicht. Sie haben in kaum einem anderen Plenarsaal der westlichen Welt so viel Tageslicht wie im Bundestag."
Zudem – auch dies sei einzigartig – verzichteten die deutschen Parlamentarier auf überbordende Ornamentik und, außer dem Bundesadler, auf deutliche nationale Symbole.
(mkn)
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