Über die ganz besondere Freunderlwirtschaft
In Österreich gibt es ein ganz eigenes Wort für Korruption: Freunderlwirtschaft, so wird die Praxis genannt, bei der sich Leute in besonderen Positionen gegenseitig "mal etwas gönnen". Immer neue Korruptionsvorwürfe plagen die Politik im Nachbarland. Und kaum ein Österreicher glaubt, dass sich daran jemals etwas ändern wird.
Etwas ist faul im Staate Österreich. Man riecht es nicht, aber man hört es, und zwar immer öfter:
"Österreich ist eine Korruptionsoase…."
"Willkommen im Nachtprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens der Bananenrepublik Österreich…. "
"Es ist leider Gottes in Österreich so, dass die Freunderlwirtschaft bis in die höchsten Kreise nicht geleugnet werden kann.…"
"Ich glaube, dass manche Politiker völlig die Realität verloren haben…."
Seit Monaten dominiert das Thema Korruption die österreichische Innenpolitik. Immer abenteuerlicher klingen Details, die von Hausdurchsuchungen, Telefonmitschnitten und Zeugenaussagen nach außen dringen. Selbst Bundeskanzler Werner Faymann geriet wegen fragwürdiger Anzeigenvergaben schon ins Fadenkreuz der Ermittler.
Viel gravierender aber sind die Vorwürfe gegen einige Ex-Minister der früheren national-konservativen Regierung, die das Land in den Jahren 2000 bis 2007 regierte. Die Rede ist von Geldwäsche, Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung in Dimensionen, die selbst für Insider, die das politische Geschäft seit Jahrzehnten verfolgen, neu sind.
Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter": "Es ist tatsächlich so, dass es Skandale dieser oder ähnlicher Art ja immer gab, dass aber die jetzt aufgekommenen Skandale von denen vor 2000 dadurch unterscheiden, dass es jetzt nicht nur Skandale um Korruption und Parteienfinanzierung sind, sondern dass es Korruption zur persönlichen Bereicherung auch ist."
Ein paar Millionen für kleine Gefälligkeiten, lächerliche Gutachten oder ganz ohne Gegenleistung sollen in mehreren Fällen geflossen sein. Mal beim Verkauf von 60.000 Wohnungen einer staatlichen Wohnbaugenossenschaft, ein andermal bei der Auftragsvergabe für ein digitales Polizeifunksystem, oder beim Durchdrücken einer zweifelhaften und extrem gewinnbringenden Verordnung zugunsten der Telekom Austria.
In all diesen Fällen sollen PR-Berater, Lobbyisten und auch Politiker kräftig abkassiert haben, wobei - und diese Formulierung fehlt in keinem Bericht der heimischen Medien - bis auf weiteres stets die Unschuldsvermutung gilt. Denn die Beweisführung ist ganz offensichtlich schwierig, auch wenn einige Verdächtige sich mittlerweile in akutem Erklärungsnotstand sehen:
Der Inhalt abgehörter Telefongespräche als Stoff für kabarettistische Vorlesungen - es hilft ja nichts, sagt sich der Durchschnitts-Österreicher: Lachen wir halt drüber, auch wenn die Zustände eigentlich zum Weinen sind. Mehr als 80 Prozent sind überzeugt, dass das Land immer korrupter wird. An den ernsthaften Willen zur Aufklärung glaubt nicht einmal jeder zweite:
"Wird es immer geben. Es wird einem sehr leicht gemacht. Keiner übernimmt die Verantwortung, jeder bleibt dort, wo er ist. Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich einen anderen Umgang. Was in Deutschland schon längst zum Rücktritt führt, ist in Österreich der Sesselkleber. Der bleibt einfach."
Nicht nur das Unrechtsbewusstsein unterscheidet sich, auch die Rechtslage, beklagt Eva Glawischnig, die Bundessprecherin der österreichischen Grünen:
"Dinge, die in Österreich vollkommen legal und erlaubt sind, sind in Deutschland mit Strafe bis zu drei Jahren Freiheitsentzug geahndet. Und das ist ein großer Unterschied. Das betrifft nicht nur die Parteispenden, das betrifft auch die Nebeneinkünfte der Abgeordneten. Hier gibt es wirklich harte Konsequenzen."
Korruption gelte in Österreich allzu häufig immer noch als Kavaliersdelikt, sagt auch Franz Fiedler, Ex-Rechnungshofpräsident und heute Chef von Transparency International in der Alpenrepublik. In Talkshows und politischen Debatten wettert Fiedler wie kaum ein anderer gegen die Freunderlwirtschaft, die von den meisten seiner Landsleute viel zu selbstverständlich akzeptiert werde.
"Warum Österreich so korruptionsanfällig ist, das hat ganz spezifische österreichische Gründe. Erstens die Kleinheit des Landes, mit einer überproportional großen Hauptstadt, in der sich im Wesentlichen alle verantwortlichen Machtträger - sei es in der Politik oder in der Wirtschaft - immer wieder zusammenfinden. Es kennt praktisch jeder jeden. Es war praktisch jeder in einflussreicher Position schon mit einem anderen irgendwann einmal beim Heurigen.
Der zweite Grund ist, dass – und das ist ein internationales Phänomen – sich Korruption hauptsächlich an der Nahtstelle zwischen öffentlicher Wirtschaft und Politik ausbreitet. Und Österreich hat, ungeachtet der in den letzten Jahrzehnten vorgenommen Privatisierungen, immer noch einen sehr hohen Staatsanteil an Unternehmungen. Und letztlich sollte man auch nicht vergessen, dass der Österreicher eine ganz bestimmte Mentalität hat, die ihn beispielsweise vom Deutschen grundlegend unterscheidet. Österreich liegt nicht nur geografisch zwischen Norddeutschland und den mediterranen Ländern, sondern auch mentalitätsmäßig.
Und ein sehr unverdächtiger Zeuge, nämlich ein prominenter Deutscher – Metternich, der aus dem Rheinland stammte, aber sehr lange in österreichischen Diensten stand – hat das sehr treffend erkannt, indem er schon im 19. Jahrhundert feststellte: der Balkan beginnt am Rennweg. Der Rennweg ist eine bekannte Straße im Osten Wiens, und es ist ganz symptomatisch, dass Metternich dort auch sein Palais hatte."
Heute bringt kein adeliger Staatsmann mehr - dafür aber ein Kabarettist aus Deutschland - die Zustände in Österreich gelegentlich auf den Punkt: Der gebürtige Duisburger Dirk Stermann lebt seit mehr als 20 Jahren in Wien und darf inzwischen ungestraft das öffentlich-rechtliche Fernsehpublikum in der Bananenrepublik Österreich willkommen heißen.
Für Stermann ist es keine Überraschung, dass seit Monaten reihenweise Korruptionsfälle aus der Regierungszeit der so genannten schwarz-blauen Koalition bekannt werden. Mit diesem Bündnis hatte im Jahr 2000 der damalige konservative Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den Rechtspopulisten Jörg Haider politisch salonfähig gemacht:
"Das Land war halt aufgeteilt zwischen zwei Großparteien. Dann kam plötzlich noch diese neue rechte Partei dazu, die ganz offensichtlich ein Nachholbedürfnis hatte, möglichst schnell möglichst viel raffgierig auch noch an sich zu reißen, nach außen hin so taten, als würden sie aufräumen mit dem Dreck in Österreich, aber natürlich mitgespielt haben. Das Problem aber ist, dass eben offensichtlich auch ganz viele andere mitgespielt haben, nämlich auch Medien. Müssen mitgespielt haben, sonst wäre das irgendwie aufgedeckt worden. Wir vermissen hier Aufdecker. Und das Problem ist aber auch, selbst wenn etwas aufgedeckt wird, dass es gar keine Konsequenz hat."
Die viel zitierte Freunderlwirtschaft ist - meint jedenfalls der Kabarettist aus Deutschland - die Folge einer unglücklichen Melange aus mehreren Zutaten:
"'Ich glaube, was die Korruption betrifft, hat Österreich die schlechtesten Teile des katholischen Barocks und des Balkans zusammengefügt zu etwas Neuem, Unangenehmem und auch sehr Schlechtem für das Land."
Dass die Zustände sich – trotz lautstarken Lamentierens – einfach nicht ändern, hat auch und vor allem mit dem mangelnden Willen der politischen Akteure zu tun. Die schalten bei der Korruptionsbekämpfung manchmal sogar den Rückwärtsgang ein, klagt Franz Fiedler von Transparency International:
"Ich darf daran erinnern, dass im Jahre 2008 das so genannte Anfüttern von Amtsträgern – und dazu zählen auch Politiker -, unter Strafe gestellt wurde, und im Jahre 2009 – nach Drängen von Lobbyisten aus allen möglichen Kreisen – wurde diese Bestimmung wieder abgeschafft. Das bedeutet eine Inkonsequenz des Gesetzgebers, und davon ausgehend musste natürlich die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen, es kommt eigentlich dem Gesetzgeber gar nicht so sehr darauf an, die Korruption wirklich scharf zu bekämpfen. Das war ein schlechtes Signal, und es wäre ehestens an der Zeit, dass man von Seiten des Gesetzgebers nun ernsthaft daran geht, die Korruptionsregelungen entscheidend zu verschärfen."
Tatsächlich hat Österreich bis heute kein effektives Antikorruptionsgesetz und keine transparente Parteienfinanzierung. Seit über einem Jahr betonen die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP zwar die Wichtigkeit von strengeren Regelungen. Doch wenn es um die Umsetzung geht, kommt die rot-schwarze Koalition regelmäßig ins Stocken.
Ein so genanntes Transparenzpaket soll geschnürt werden. Aber vorerst streitet man sich noch, zum Beispiel über Grenzwerte für Einladungen und Geschenke an öffentliche Amtsträger. Was ist erlaubt – und was sprengt den Rahmen? Franz Fiedler von Transparency International hat da eine ziemlich klare Position:
"Kugelschreiber, Kalender und Klumpert. Aber nicht, dass man eine Grenze von 100 Euro einführt. Die 100-Euro-Grenze ist viel zu hoch. Das ist bereits Korruption."
In Deutschland liegt die Geringfügigkeitsgrenze bei 25 Euro, in Österreich ist sie derzeit viermal so hoch.
Doch viel gravierender sind die Unterschiede bei den Regeln zur Parteienfinanzierung. Was etwa die Tätigkeit von Lobbyisten oder die Offenlegung von Spenden an Parteien betrifft, hinken Österreichs Gesetze mindestens 15 Jahre hinter denen des großen Nachbarn Deutschland hinterher. Egal, ob aus öffentlichen Quellen oder aus privaten – niemand weiß, wie viel Geld die Parteien wirklich haben. Ein Zustand, an dem nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Hubert Sickinger offenbar keiner der politischen Akteure ernsthaft etwas ändern will:
"Das Regelungssystem, das wir jetzt haben, hat demokratiepolitisch das Schlechteste aus beiden Welten. Sozusagen unkontrolliert, wie hoch ist die öffentliche Parteienfinanzierung, die unter korruptionspräventiven Gesichtspunkten ihre Vorteile hat. Und andererseits können die Parteien trotzdem Gelder aus Quellen weitgehend unbeschränkt in Anspruch nehmen, die durch die staatliche Parteienfinanzierung eigentlich ersetzt werden sollten."
Das Schlechteste aus beiden Welten und Gesetze, die nur verschärft werden können, wenn die Abgeordneten jener Parteien zustimmen, die bisher reichlich vom Fehlen strengerer Bestimmungen profitieren. Kein Wunder, dass Öffentlichkeit und Medien skeptisch sind, ob aus dem angeblich geplanten Transparenz-Paket wirklich etwas wird.
Ähnlich gering ist die Erwartungshaltung der meisten Österreicher gegenüber einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der zur Zeit gleich sieben Korruptionsaffären der letzten Jahre durchleuchtet. Mehrere hundert Aktenmeter liegen dafür bereit. Die Befragung von Politikern, Behördenmitarbeitern und Lobbyisten dürfte sich noch über Monate hinziehen.
Und schließlich ermittelt auch noch die Justiz: Im Herbst hat eine eigene Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft ihre Arbeit aufgenommen. An der Spitze steht der erfahrene Jurist Walter Geyer:
"Wir … sollen uns konzentrieren auf die schwerwiegenden Wirtschaftsdelikte und auf schwere Korruptionsfälle, und dazu stehen uns jetzt mehr Staatsanwältinnen zur Verfügung und Experten mit Fachwissen, das wir bisher nicht hatten in der Behörde."
Von 40 Planstellen sind allerdings bislang gerade mal 15 besetzt. Geeignetes Personal zu finden, ist offenbar nicht so einfach:
"Es ist eine sehr schwierige Arbeit, die auch sehr belastend ist. Und vor die Wahl gestellt, in einer gewöhnlichen Staatsanwaltschaft normale Kriminalfälle zu bearbeiten oder hier bei uns Großverfahren abzuwickeln, verstehe ich, dass der Anreiz nicht immer ausreicht. (…) Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, es bedarf eines Fachwissens, und der dritte Punkt ist: die Akten sind einfach von der Sache her schwierig zu bearbeiten, dauern länger. Die Erfolgserlebnisse sind schwerer zu erreichen als bei anderen Staatsanwaltschaften."
Es ist eine Sysiphus-Arbeit, der sich Walter Geyer verschrieben hat. Doch der Leiter der Wiener Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft bleibt zuversichtlich:
"Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und denke mir, es findet vielleicht gerade jetzt ein Bewusstseinsbildungsprozess statt. Gerade aufgrund der Häufigkeit der Korruptionsfälle fangen doch einige an nachzudenken. Und das wäre auch die Chance für eine etwas bessere Zukunft."
Auch Armin Thurnher, der Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter" setzt darauf, dass die Korruptionsskandale, die in den letzten Monaten bekannt wurden, vielleicht doch endlich zu einem Umdenken in Österreich führen könnten:
"Da gibt es auch Leute wie Transparency International, da gibt es Korruptionsbekämpfer und jetzt sogar eine eigene Akademie zur Korruptionsbekämpfung. Da gibt es Leute, die mit solchen grauen Verhältnissen unzufrieden sind. Aber die grauen Verhältnisse müssen dann erst mal in weiße übergeführt werden. Das ist immer der schwierige Teil der Übung. Aber wen man sich überlegt, wie der Kapitalismus historisch begonnen hat, wo auch immer, da war eine einzige Grau- bis Schwarzzone. Und jetzt sind es alle weiße Businessleute. Also wird es uns auch noch gelingen."
"Österreich ist eine Korruptionsoase…."
"Willkommen im Nachtprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens der Bananenrepublik Österreich…. "
"Es ist leider Gottes in Österreich so, dass die Freunderlwirtschaft bis in die höchsten Kreise nicht geleugnet werden kann.…"
"Ich glaube, dass manche Politiker völlig die Realität verloren haben…."
Seit Monaten dominiert das Thema Korruption die österreichische Innenpolitik. Immer abenteuerlicher klingen Details, die von Hausdurchsuchungen, Telefonmitschnitten und Zeugenaussagen nach außen dringen. Selbst Bundeskanzler Werner Faymann geriet wegen fragwürdiger Anzeigenvergaben schon ins Fadenkreuz der Ermittler.
Viel gravierender aber sind die Vorwürfe gegen einige Ex-Minister der früheren national-konservativen Regierung, die das Land in den Jahren 2000 bis 2007 regierte. Die Rede ist von Geldwäsche, Amtsmissbrauch und Steuerhinterziehung in Dimensionen, die selbst für Insider, die das politische Geschäft seit Jahrzehnten verfolgen, neu sind.
Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter": "Es ist tatsächlich so, dass es Skandale dieser oder ähnlicher Art ja immer gab, dass aber die jetzt aufgekommenen Skandale von denen vor 2000 dadurch unterscheiden, dass es jetzt nicht nur Skandale um Korruption und Parteienfinanzierung sind, sondern dass es Korruption zur persönlichen Bereicherung auch ist."
Ein paar Millionen für kleine Gefälligkeiten, lächerliche Gutachten oder ganz ohne Gegenleistung sollen in mehreren Fällen geflossen sein. Mal beim Verkauf von 60.000 Wohnungen einer staatlichen Wohnbaugenossenschaft, ein andermal bei der Auftragsvergabe für ein digitales Polizeifunksystem, oder beim Durchdrücken einer zweifelhaften und extrem gewinnbringenden Verordnung zugunsten der Telekom Austria.
In all diesen Fällen sollen PR-Berater, Lobbyisten und auch Politiker kräftig abkassiert haben, wobei - und diese Formulierung fehlt in keinem Bericht der heimischen Medien - bis auf weiteres stets die Unschuldsvermutung gilt. Denn die Beweisführung ist ganz offensichtlich schwierig, auch wenn einige Verdächtige sich mittlerweile in akutem Erklärungsnotstand sehen:
Der Inhalt abgehörter Telefongespräche als Stoff für kabarettistische Vorlesungen - es hilft ja nichts, sagt sich der Durchschnitts-Österreicher: Lachen wir halt drüber, auch wenn die Zustände eigentlich zum Weinen sind. Mehr als 80 Prozent sind überzeugt, dass das Land immer korrupter wird. An den ernsthaften Willen zur Aufklärung glaubt nicht einmal jeder zweite:
"Wird es immer geben. Es wird einem sehr leicht gemacht. Keiner übernimmt die Verantwortung, jeder bleibt dort, wo er ist. Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich einen anderen Umgang. Was in Deutschland schon längst zum Rücktritt führt, ist in Österreich der Sesselkleber. Der bleibt einfach."
Nicht nur das Unrechtsbewusstsein unterscheidet sich, auch die Rechtslage, beklagt Eva Glawischnig, die Bundessprecherin der österreichischen Grünen:
"Dinge, die in Österreich vollkommen legal und erlaubt sind, sind in Deutschland mit Strafe bis zu drei Jahren Freiheitsentzug geahndet. Und das ist ein großer Unterschied. Das betrifft nicht nur die Parteispenden, das betrifft auch die Nebeneinkünfte der Abgeordneten. Hier gibt es wirklich harte Konsequenzen."
Korruption gelte in Österreich allzu häufig immer noch als Kavaliersdelikt, sagt auch Franz Fiedler, Ex-Rechnungshofpräsident und heute Chef von Transparency International in der Alpenrepublik. In Talkshows und politischen Debatten wettert Fiedler wie kaum ein anderer gegen die Freunderlwirtschaft, die von den meisten seiner Landsleute viel zu selbstverständlich akzeptiert werde.
"Warum Österreich so korruptionsanfällig ist, das hat ganz spezifische österreichische Gründe. Erstens die Kleinheit des Landes, mit einer überproportional großen Hauptstadt, in der sich im Wesentlichen alle verantwortlichen Machtträger - sei es in der Politik oder in der Wirtschaft - immer wieder zusammenfinden. Es kennt praktisch jeder jeden. Es war praktisch jeder in einflussreicher Position schon mit einem anderen irgendwann einmal beim Heurigen.
Der zweite Grund ist, dass – und das ist ein internationales Phänomen – sich Korruption hauptsächlich an der Nahtstelle zwischen öffentlicher Wirtschaft und Politik ausbreitet. Und Österreich hat, ungeachtet der in den letzten Jahrzehnten vorgenommen Privatisierungen, immer noch einen sehr hohen Staatsanteil an Unternehmungen. Und letztlich sollte man auch nicht vergessen, dass der Österreicher eine ganz bestimmte Mentalität hat, die ihn beispielsweise vom Deutschen grundlegend unterscheidet. Österreich liegt nicht nur geografisch zwischen Norddeutschland und den mediterranen Ländern, sondern auch mentalitätsmäßig.
Und ein sehr unverdächtiger Zeuge, nämlich ein prominenter Deutscher – Metternich, der aus dem Rheinland stammte, aber sehr lange in österreichischen Diensten stand – hat das sehr treffend erkannt, indem er schon im 19. Jahrhundert feststellte: der Balkan beginnt am Rennweg. Der Rennweg ist eine bekannte Straße im Osten Wiens, und es ist ganz symptomatisch, dass Metternich dort auch sein Palais hatte."
Heute bringt kein adeliger Staatsmann mehr - dafür aber ein Kabarettist aus Deutschland - die Zustände in Österreich gelegentlich auf den Punkt: Der gebürtige Duisburger Dirk Stermann lebt seit mehr als 20 Jahren in Wien und darf inzwischen ungestraft das öffentlich-rechtliche Fernsehpublikum in der Bananenrepublik Österreich willkommen heißen.
Für Stermann ist es keine Überraschung, dass seit Monaten reihenweise Korruptionsfälle aus der Regierungszeit der so genannten schwarz-blauen Koalition bekannt werden. Mit diesem Bündnis hatte im Jahr 2000 der damalige konservative Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den Rechtspopulisten Jörg Haider politisch salonfähig gemacht:
"Das Land war halt aufgeteilt zwischen zwei Großparteien. Dann kam plötzlich noch diese neue rechte Partei dazu, die ganz offensichtlich ein Nachholbedürfnis hatte, möglichst schnell möglichst viel raffgierig auch noch an sich zu reißen, nach außen hin so taten, als würden sie aufräumen mit dem Dreck in Österreich, aber natürlich mitgespielt haben. Das Problem aber ist, dass eben offensichtlich auch ganz viele andere mitgespielt haben, nämlich auch Medien. Müssen mitgespielt haben, sonst wäre das irgendwie aufgedeckt worden. Wir vermissen hier Aufdecker. Und das Problem ist aber auch, selbst wenn etwas aufgedeckt wird, dass es gar keine Konsequenz hat."
Die viel zitierte Freunderlwirtschaft ist - meint jedenfalls der Kabarettist aus Deutschland - die Folge einer unglücklichen Melange aus mehreren Zutaten:
"'Ich glaube, was die Korruption betrifft, hat Österreich die schlechtesten Teile des katholischen Barocks und des Balkans zusammengefügt zu etwas Neuem, Unangenehmem und auch sehr Schlechtem für das Land."
Dass die Zustände sich – trotz lautstarken Lamentierens – einfach nicht ändern, hat auch und vor allem mit dem mangelnden Willen der politischen Akteure zu tun. Die schalten bei der Korruptionsbekämpfung manchmal sogar den Rückwärtsgang ein, klagt Franz Fiedler von Transparency International:
"Ich darf daran erinnern, dass im Jahre 2008 das so genannte Anfüttern von Amtsträgern – und dazu zählen auch Politiker -, unter Strafe gestellt wurde, und im Jahre 2009 – nach Drängen von Lobbyisten aus allen möglichen Kreisen – wurde diese Bestimmung wieder abgeschafft. Das bedeutet eine Inkonsequenz des Gesetzgebers, und davon ausgehend musste natürlich die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen, es kommt eigentlich dem Gesetzgeber gar nicht so sehr darauf an, die Korruption wirklich scharf zu bekämpfen. Das war ein schlechtes Signal, und es wäre ehestens an der Zeit, dass man von Seiten des Gesetzgebers nun ernsthaft daran geht, die Korruptionsregelungen entscheidend zu verschärfen."
Tatsächlich hat Österreich bis heute kein effektives Antikorruptionsgesetz und keine transparente Parteienfinanzierung. Seit über einem Jahr betonen die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP zwar die Wichtigkeit von strengeren Regelungen. Doch wenn es um die Umsetzung geht, kommt die rot-schwarze Koalition regelmäßig ins Stocken.
Ein so genanntes Transparenzpaket soll geschnürt werden. Aber vorerst streitet man sich noch, zum Beispiel über Grenzwerte für Einladungen und Geschenke an öffentliche Amtsträger. Was ist erlaubt – und was sprengt den Rahmen? Franz Fiedler von Transparency International hat da eine ziemlich klare Position:
"Kugelschreiber, Kalender und Klumpert. Aber nicht, dass man eine Grenze von 100 Euro einführt. Die 100-Euro-Grenze ist viel zu hoch. Das ist bereits Korruption."
In Deutschland liegt die Geringfügigkeitsgrenze bei 25 Euro, in Österreich ist sie derzeit viermal so hoch.
Doch viel gravierender sind die Unterschiede bei den Regeln zur Parteienfinanzierung. Was etwa die Tätigkeit von Lobbyisten oder die Offenlegung von Spenden an Parteien betrifft, hinken Österreichs Gesetze mindestens 15 Jahre hinter denen des großen Nachbarn Deutschland hinterher. Egal, ob aus öffentlichen Quellen oder aus privaten – niemand weiß, wie viel Geld die Parteien wirklich haben. Ein Zustand, an dem nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Hubert Sickinger offenbar keiner der politischen Akteure ernsthaft etwas ändern will:
"Das Regelungssystem, das wir jetzt haben, hat demokratiepolitisch das Schlechteste aus beiden Welten. Sozusagen unkontrolliert, wie hoch ist die öffentliche Parteienfinanzierung, die unter korruptionspräventiven Gesichtspunkten ihre Vorteile hat. Und andererseits können die Parteien trotzdem Gelder aus Quellen weitgehend unbeschränkt in Anspruch nehmen, die durch die staatliche Parteienfinanzierung eigentlich ersetzt werden sollten."
Das Schlechteste aus beiden Welten und Gesetze, die nur verschärft werden können, wenn die Abgeordneten jener Parteien zustimmen, die bisher reichlich vom Fehlen strengerer Bestimmungen profitieren. Kein Wunder, dass Öffentlichkeit und Medien skeptisch sind, ob aus dem angeblich geplanten Transparenz-Paket wirklich etwas wird.
Ähnlich gering ist die Erwartungshaltung der meisten Österreicher gegenüber einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der zur Zeit gleich sieben Korruptionsaffären der letzten Jahre durchleuchtet. Mehrere hundert Aktenmeter liegen dafür bereit. Die Befragung von Politikern, Behördenmitarbeitern und Lobbyisten dürfte sich noch über Monate hinziehen.
Und schließlich ermittelt auch noch die Justiz: Im Herbst hat eine eigene Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft ihre Arbeit aufgenommen. An der Spitze steht der erfahrene Jurist Walter Geyer:
"Wir … sollen uns konzentrieren auf die schwerwiegenden Wirtschaftsdelikte und auf schwere Korruptionsfälle, und dazu stehen uns jetzt mehr Staatsanwältinnen zur Verfügung und Experten mit Fachwissen, das wir bisher nicht hatten in der Behörde."
Von 40 Planstellen sind allerdings bislang gerade mal 15 besetzt. Geeignetes Personal zu finden, ist offenbar nicht so einfach:
"Es ist eine sehr schwierige Arbeit, die auch sehr belastend ist. Und vor die Wahl gestellt, in einer gewöhnlichen Staatsanwaltschaft normale Kriminalfälle zu bearbeiten oder hier bei uns Großverfahren abzuwickeln, verstehe ich, dass der Anreiz nicht immer ausreicht. (…) Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, es bedarf eines Fachwissens, und der dritte Punkt ist: die Akten sind einfach von der Sache her schwierig zu bearbeiten, dauern länger. Die Erfolgserlebnisse sind schwerer zu erreichen als bei anderen Staatsanwaltschaften."
Es ist eine Sysiphus-Arbeit, der sich Walter Geyer verschrieben hat. Doch der Leiter der Wiener Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft bleibt zuversichtlich:
"Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und denke mir, es findet vielleicht gerade jetzt ein Bewusstseinsbildungsprozess statt. Gerade aufgrund der Häufigkeit der Korruptionsfälle fangen doch einige an nachzudenken. Und das wäre auch die Chance für eine etwas bessere Zukunft."
Auch Armin Thurnher, der Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter" setzt darauf, dass die Korruptionsskandale, die in den letzten Monaten bekannt wurden, vielleicht doch endlich zu einem Umdenken in Österreich führen könnten:
"Da gibt es auch Leute wie Transparency International, da gibt es Korruptionsbekämpfer und jetzt sogar eine eigene Akademie zur Korruptionsbekämpfung. Da gibt es Leute, die mit solchen grauen Verhältnissen unzufrieden sind. Aber die grauen Verhältnisse müssen dann erst mal in weiße übergeführt werden. Das ist immer der schwierige Teil der Übung. Aber wen man sich überlegt, wie der Kapitalismus historisch begonnen hat, wo auch immer, da war eine einzige Grau- bis Schwarzzone. Und jetzt sind es alle weiße Businessleute. Also wird es uns auch noch gelingen."