Über die Epoche der Auswanderungen

Im Juli öffnete in Hamburg die "Ballinstadt", ein Erlebnismuseum, das die Zeit der Emigration zwischen 1850 und 1934 näherbringen will. Aus diesem Anlass ist das Buch "Über Hamburg in die Welt" erschienen. Albert Ballin, Reeder und Freund des Kaisers, ließ einst eine als vorbildlich gepriesene Auswandererstadt bauen.
Vor 150 Jahren, am 15. August 1857, wurde Albert Ballin in Hamburg geboren. Er war Generaldirektor der weltweit größten Reederei, der Hapag, galt als Freund des Kaisers und eine Zeit lang als bekanntester Deutscher nach Wilhelm II. Trotz der Kontakte zu höchsten Repräsentanten im Deutschen Reich wurde es nach seinem Tod 1918 lange Zeit still um ihn.

Die ersten Biografien wurden Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre veröffentlicht. Die jüngsten stammen aus den Jahren 2000 bis 2004. Im Juli dieses Jahres öffnete in Hamburg die "Ballinstadt", ein Erlebnismuseum, das die Zeit der Auswanderer zwischen 1850 und 1934 näherbringen will.

Aus diesem Anlass ist das Buch "Über Hamburg in die Welt. Von den Auswandererhallen zur Ballinstadt" erschienen. Die beiden Historiker Hans-Hermann Groppe, er ist Projektkoordinator der "Ballinstadt", und Ursula Wöst als wissenschaftliche Leiterin, interessieren sich nicht nur für die 1901 eröffneten Gebäude, sondern, ähnlich wie die Ausstellung, vor allem für die massenhafte Emigration, die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte und mit Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg bis zum Beginn der Nazidiktatur anhielt.

Europaweit verließen 60 Millionen Menschen innerhalb eines Jahrhunderts den alten Kontinent. Berufliche Chancenlosigkeit, drückende soziale Verhältnisse, Pogrome und Hunger hatten die meisten dazu veranlasst. Fünf Millionen Menschen aus dem damaligen Deutschen Reich, der Österreich-Ungarischen Monarchie und Russland erreichten Hamburg als Tor zur Welt. Für 81 Prozent von ihnen wurden die Vereinigten Staaten ihre Neue Welt, die neue Heimat. Doch die Bedingungen auf dem Weg dahin waren oft bedrückend.

Albert Ballin, 13. Kind eines aus Dänemark immigrierten kleinen Auswandereragenten, schaffte es innerhalb weniger Jahre bis in die Chefetage der "Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft" (Hapag). Die Gesellschaft errichtete eine in aller Welt als vorbildlich gepriesene Auswandererstadt, in deren mehr als 30 Gebäuden bis zu 5000 Menschen gleichzeitig unterkamen. Ballin ließ zwei Hotels, eine Kirche und eine Synagoge für sie bauen. Aber der Glanz und die Vorherrschaft der Hapag auf den Meeren währten nicht lange. Der Erste Weltkrieg warf allen Fortschritt zurück. Ein Jahrzehnt später eigneten sich die Nationalsozialisten die Auswandererstadt für ihre Zwecke an.

In dem großzügig gestalteten Band stellen die beiden Autoren mit großformatigen Bildern und vielen Skizzen die Epoche einfühlsam vor. Sie widmen sich der Emigration von ihrem Beginn bis zum Ende des "Port of Dreams" in knappen Texten, die den Leser mit trockenem Wissen nicht ermüden. Die grafische Gestaltung, bei der der Text fast hinter die Abbildungen tritt, macht das Lesen zur abwechslungsreichen Zeitreise.

Lediglich im Abschnitt über Albert Ballin wäre etwas mehr Information wünschenswert gewesen, zumal die beschriebene "Stadt" ja nun seinen Namen trägt. Ballin war eine auffallende Persönlichkeit: Manager und Patriarch in einem, einer, der Trends witterte und geschickt umsetzte. Er konnte sein Unternehmen an die Spitze der Branche führen, ohne sich den Hass der Konkurrenz zuzuziehen.

Beim größten Mitbewerber, England, war er ob seiner diplomatischen Fähigkeiten hoch angesehen und nutzte diese Kontakte, was kaum bekannt ist, auch politisch. Als Mittler zwischen dem Kaiser und England war er oft in London, versuchte verzweifelt mitzuhelfen, den dräuenden Krieg abzuwenden und während der Auseinandersetzungen einen Frieden herbeizuführen. Vergeblich: Zum einen galt "der Rat eines Juden" im Endeffekt denn doch nichts, zum anderen war die Stimmung an der Staatsspitze nicht auf Diplomatie eingestellt.

Hinzu kam, dass Ballin zwar ein gewiefter Geschäftsmann, aber kein Politiker war. Am 9. November 1918, zur selben Stunde, als der sozialdemokratische Staatssekretär Philipp Scheidemann in Berlin ausrief: "Es lebe die deutsche Republik", schied Ballin 61-jährig in Hamburg durch Freitod aus dem Leben. Das Gift hatte er bereits am Abend zuvor eingenommen. Mit ihm ging ein Symbol des alten Systems: Loyal zum Kaiser, treu zu seiner Heimat, erfolgreich als Unternehmer, aber seiner jüdischen Herkunft wegen letztlich nicht voll akzeptiert.

Rezensent: Stefan May

Hans-Hermann Groppe und Ursula Wöst,
Über Hamburg in die Welt. Von den Auswandererhallen zur Ballinstadt,

Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2007, 88 Seiten mit 88 Abbildungen, 9,95 EUR