Über den Vergleich von Religionen

Von Daniela Siebert |
Kann man Glauben messen? Kann man Religionen miteinander vergleichen? Welche Rolle spielt Gott in unserer Gesellschaft? Das sind Fragen, die die Bertelsmann Stiftung kürzlich in ihrem "Religionsmonitor" aufgeworfen hat. Sie hat Menschen in 21 Ländern rund um Glauben und Religion befragt.
Ich habe den Selbstversuch gemacht: In 25 Minuten habe ich zur Erstellung meines "Religionsprofils" den Fragebogen beantwortet, den die Bertelsmann Stiftung ins Internet gestellt hat. Ich habe also per Mausklick und Multiple-Choice-Tabelle Fragen abgehakt wie zum Beispiel: Wie oft betete Ihre Mutter mit Ihnen zusammen? Wie stark glauben Sie an Astrologie? Wie häufig meditieren Sie? Oder wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, mit allem eins zu sein? Am Ende bekam ich ein buntes Balkendiagramm, war aber nicht wirklich schlauer über mich als zuvor. Ich wusste nicht mal, in welche der drei offiziellen Kategorien "nicht religiös", "religiös" oder "hochreligiös" ich denn nun falle.

Ohnehin kann die Studie leicht irre führen, denn das dreistufige Schema ist keineswegs so eindeutig, wie es zunächst anmutet. Sogar wer an Gott glaubt, kann in der Kategorie "nicht religiös" landen. Warum das so ist, erklärt der Leiter der Studie, Martin Rieger, so:

"Also es geht darum, dass diese Dimension der Ideologie oder des Glaubens nur eine Kerndimension von Religiosität ist. Es könnte also theoretisch so sein, dass zum Beispiel manche sagen, ich glaube nur wenig oder mittelstark daran, dass es Gott gibt und bekäme dann bestenfalls drei Punkte für diese Dimension, und wenn sich das in den anderen Dimensionen nun gar nicht finden lässt, man muss auf mindestens zehn Punkte kommen, um als religiös zu gelten, so erklärt sich das."

Martin Rieger ist katholischer Theologe. Den Fragebogen, der der Studie zugrunde liegt, hat er mit einem harten Kern von 25 Wissenschaftlern erarbeitet, darunter Psychologen, Soziologen, Theologen und Religionswissenschaftler. Dieser Fragebogen wurde von jeweils 1000 Personen in 21 Ländern beantwortet. Dazu gehörten Brasilien, Indien, Indonesien, Israel, Russland, die USA und die Türkei.

Rieger: "Es gab nur noch kleine sozusagen Zusatzfragen, zum Beispiel haben wir die Muslime gefragt nach dem Pflichtgebet und dem Gemeinschaftsgebet. Oder die Hinduisten und Buddhisten haben wir nach der Existenz eines Hausaltars gefragt, aber im Großen und Ganzen wurden alle 100 Fragemodule einheitlich überall angewandt, und das ist die Voraussetzung einer Vergleichbarkeit."

In Deutschland wurden zudem auch noch vertiefende Interviews geführt. Auch wenn der Fragebogen so unterschiedliche Aspekte wie Interesse an religiösen Themen, Glaubenserfahrung und -praxis oder Alltagsrelevanz des Glaubens abarbeitet: der Schlüsselbegriff ist "religiös". Was aber ist religiös?

Rieger: "Wir haben "religiös" auf jeden Fall, wie man so sagt, sehr von einem substantiellen Gottesbild her betrachtet. Also: Der Transzendenzbezug ist immer mit gewährt, ansonsten ist Schalke oder Hertha BSC auch eine Religion für manche Menschen, und dann ist fast alles religiös oder sogar alles, wo man sonst überlegt, wo man sich her definiert oder wo man sich anbindet."

Und "hochreligiös" sei dann, wenn die Religiosität eine zentrale Bedeutung für das eigene Leben habe. Es ist ein riesiger Datenberg, den die Bertelsmannstiftung da zusammengetragen hat. Zu den Schlussfolgerungen, die die Experten daraus nun für Deutschland gezogen haben gehört, dass 70 Prozent der Deutschen religiös sind.

Für Kirchenvertreter ist das ein erfreuliches Ergebnis. Auch für den Hamburger Erzbischof Werner Thissen:

"Ich hätte nicht damit gerechnet, dass 70 Prozent der Deutschen sich als religiös oder hochreligiös bezeichnen. Ich bin froh, dass das so ist, wobei man auch da wieder schauen muß: religiös heißt noch nicht christlich, religiös heißt noch nicht kirchlich, aber immerhin: Ich freu’ mich über jeden, der religiös ist!"

Auch der evangelische Landesbischof von Sachsen, Jochen Bohl, ist mit der Studie zufrieden:

"Was mich besonders angesprochen hat, war diese Verbindung von Modernität und Glauben. Da gibt es in unserem Land bei vielen Menschen den Eindruck, wer glaubt, der ist nicht so auf der Höhe der Zeit, bei dem ist irgendwas, was nicht so ganz zu den Ansprüchen unserer modernen Umwelt passt und das ist durch diese Untersuchung eigentlich vollkommen zertrümmert worden."

Gleichwohl zeigt die Studie aber auch Fakten auf, die die Kirchenfunktionäre nicht erfreuen können. So ist laut Bertelsmannstiftung jedes sechste Kirchenmitglied als "nichtreligiös" einzustufen. Erzbischof Thissen wundert das nicht:

"Das ist, glaub ich, schon erklärbar, dass es auch in den Kirchen Menschen gibt, die aus familiärer oder dörflicher Tradition in der Kirche geblieben sind, genauso wie es ja, das finde ich noch erstaunlicher, außerhalb der Kirchen so viele gibt, die religiös sind! Also es ist in Deutschland nicht mehr unbedingt sozial notwendig einer Kirche anzugehören."

Auch die Glaubensschere zwischen Ost- und Westdeutschland wird durch die Studie bestätigt. Demnach gehören in Westdeutschland nur 15 Prozent keiner Religionsgemeinschaft an, in Ostdeutschland aber 68 Prozent!

Die Studie beansprucht für sich mit einigen Klischees aufzuräumen: So seien die Jugendlichen nicht so religionsfern wie gemeinhin angenommen. 52 Prozent der jungen Erwachsenen sind laut Studie religiöse Menschen, 14 Prozent sogar hochreligiös. Und die Menschen über 60 sind weniger fromm, als gedacht. Jeder Dritte von ihnen glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod und für jeden fünften von ihnen macht das Leben wenig Sinn.
Regelrecht überraschend ist die Beobachtung der Statistiker, dass "hoch religiöse" Menschen toleranter gegenüber der Lebensweise von Ausländern seien als andere. Auch den liberalen Braunschweiger Rabbiner Jonah Siefers hat das erstaunt: Anders als die Christen haben die Juden hierzulande bei der Befragung keine große Rolle gespielt.

Jonah Siefers: "Na ja für Deutschland sagen die Zahlen sind wir 0,2 Prozent der Bevölkerung, wir kommen also statistisch da kaum drin vor. Für Deutschland hat es sicher für die jüdische Gemeinschaft keine große Aussagekraft."

Kleine Glaubensgemeinschaften oder Sekten rutschen der Studie praktisch ganz durch - das räumt auch Martin Rieger ein:

"Das ist natürlich das Problem einer Stichprobengröße von 1000. Wir können keine wissenschaftlich begründeten Aussagen zu den Muslimen in Deutschland treffen, weil wir einfach bei drei bis vier Prozent geschätzten Anteil an der Gesamtbevölkerung von Muslimen keine genügend große Respondentenzahl gefunden haben. Wir haben ja auch erst ab 18 aufwärts gefragt, das kommt noch mal hinzu."

Von den 1000 in Deutschland befragten Personen waren nur 21 Muslime. Die Muslima Hamideh Mohagheghi, Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland, findet ihre Religion in der Studie trotzdem gut abgebildet.
Der Mitbegründerin des islamischen Frauennetzwerkes Huda macht aber Sorgen, was jetzt auf die neuen Erkenntnisse folgen könnte.

Mohagheghi: "Sorge in dem Sinne, dass dann jetzt Anhänger der unterschiedlichen Religionen jetzt übereifrig werden und sagen: wenn die Menschen so religiös sind und so bereit sind, dass sie sich dann dafür einsetzen wollen, diese Menschen für sich zu gewinnen - das macht mir Sorge!"

Hamideh Mohagheghi wünscht sich eine Vertiefung der Studie über das individuelle Gottesverständnis der Menschen, das nicht den vorgegebenen Mustern ihrer jeweiligen Religion folgt.

Tatsächlich geplant ist eine regelmäßige Wiederholung des Religionsmonitors. 2008 soll auch eine spezielle Erhebung unter Muslimen in Deutschland dazu kommen.