Über den Tellerrand geschaut

Spanische Apfelsinen, britischer Stil

Grundlage für die britische Marmelade: Apfelsinen aus Andalusien
Grundlage für die britische Marmelade: Apfelsinen aus Andalusien © picture-alliance / dpa
Von Gaby Biesinger · 21.01.2014
Sehr bitter und extrem britisch: Die Orangenmarmelade von "Wilkin & Sons" ist eine der teuersten. Die Firma beliefert sogar die Königsfamilie. Dabei kommt fast nichts, woraus der Aufstrich besteht, aus Großbritannien.
Die Orangen für Tiptrees Marmelade kommen aus Sevilla. Geerntet werden sie in Spanien im Januar und Februar, von dort ins englische Tiptree geliefert. Dort wird der größte Teil schnell verarbeitet, der Rest in Kühlhäusern gelagert, damit Wilkin and Sons im Laufe des Jahres nachproduzieren können, wenn die Vorräte knapp werden.
1885 hatte Firmengründer Arthur Charles Wilkin in Tiptree zunächst angefangen, heimische Früchte wie Erdbeeren zu verarbeiten. Wilkin hatte schon damals die Nase voll von der englischen Bahn, die es nie schaffte, sein Obst auf die Londoner Märkte zu bringen, bevor es vergammelt war. Also fing er in der Küche seiner Frau an, die Früchte von seiner Farm selbst einzukochen:
"Er fragte seine Frau nach ihren Marmeladenrezepten und experimentierte in der Küche, bis seine Frau die Unordnung dort leid war. Also zog er in die Scheune um und beheizte mit der Hilfe von zwei Dampfmotoren große Kochkessel. So produzierte Arthur Charles Wilkin seinen ersten fruchtigen Brotaufstrich."
Um präzise zu sein, produzierte Wilkin zunächst "Jam" – Konfitüre aus roten Früchten, denn der Begriff "Marmelade" ist im Englischen reserviert für Zitrusfrüchte. Allein 17 verschiedene Sorten "Marmelade" hat Tiptree heute im Angebot, erklärt Walter Scott:
"Es fängt mit den drei offensichtlichen Sorten an: Thick cut, die mit großen Schalenstücken, dann mittlere Stückgröße und feine Schalenstücke. Und von da geht es weiter: Es gibt zwei Sorten von Marmeladen, die Gelees, bei denen das Innere der Orange aufgelöst wird und die Marmeladen, bei denen nur die Kerne rausgesiebt werden. Das verdoppelt gleich die Zahl der Produkte. Dazu kommen andere Zitrusfrüchte, wie Pampelmuse, Zitrone, Limette. Und dann sagt noch jemand: Ich will aber keine Schale. Und das ist dann noch eine."
Neben der tawny, der tief orange-goldfarbenen Marmelade mit den dicken Stücken, verkauft sich die leichtere Sorte "Orange-Tangerine" gerade besonders gut. Feinschmecker auf der Suche nach einem besonderen Kick greifen zur Orangenmarmelade verfeinert mit Malt Whiskey. Dabei lassen sich deutliche Vorlieben erkennen, welche Länder, welche Marmelade mögen, berichtet Ian Thurgood über seine Kunden:
"Die Deutschen mögen lieber die Marmelade mit grober Schale, die Amerikaner eher die feine."
Durch die Fabrikhallen wabert ein angenehm karamell-süßlicher Duft. Es ist warm, in tiefen Kesseln brodelt die orangegelbe Marmeladenmasse. An allen Ecken und Enden zischt und dampft es. Zuerst sieht man ganze Orangen in einem Wasserbad schwimmen, sie werden gekocht, drei bis vier Stunden und liegen dann über Nacht in ihrem Saft, schildert Walter Scott:
"Dann erst wird die Schale von den weichen Früchten gelöst, und geschnitten. Aus dem Inneren der Orange werden die Kerne entfernt. Dann kommen alle Bestandteile mit dem Zuckersirup wieder in einen Kessel, Portionen von etwa 70 Kilo. Das Ganze wird zwölf Minuten lang bei 105 Grad gekocht, dann wird die Marmelade in Gläser gefüllt, ganz einfach oder?“
Die Gläser laufen dann durch die Etikettierstraße, je nachdem, wohin ihr Weg sie führt, bekommen sie Aufkleber in einer anderen Sprache. In einer Glasvitrine im Marmeladen-Museum, das man neben der Teestube und dem kleinen Laden besichtigen kann, sind Marmeladengläser ausgestellt, die den Tiptree-Gläsern sehr ähnlich sehen. Die Kunden kommen zu Tiptree ins Café, um dort Cream-Tea mit Rosinenbrötchen, den selbst gebackenen Scones und der Original-Marmelade zu essen. Und um sich mit ihrer Sorte einzudecken. James schwört auf die feine Schale zum Toast morgens bei der ersten Tasse Tee:
"Die älteren Damen sind eher die Typen für bissfeste Schalen, dieses dünnflussige Zeug ist nichts für sie. Elsie musste die Marmelade aber leider aufgeben, weil ihr der Arzt den Toast dazu verboten hat."
Walter Scott verrät dann noch, dass es mit Orangenmarmelade ein bisschen ist wie mit einem guten Whiskey – je älter, desto besser.
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