Reben im Reich der Mitte

China ist ein riesiger Markt für Wein, doch die eigenen Produkte haben einen schlechten Ruf - bislang zumindest. Ausgerechnet Ningxia, eine der ärmsten Provinzen, macht als neue Anbauregion von sich reden.
Ein kleiner Hof am Rande von Yinchuan, der Provinzhauptstadt von Ningxia. Arbeiterinnen mit bunten Kopftüchern entladen Kisten mit dunklen Weintrauben aus einem Kleinlaster. Seit den frühen Morgenstunden haben sie in den Weinbergen Trauben geschnitten. Auf dem Hof warten sie jetzt auf das Anlaufen der Sortierbänder.
Willkommen auf Silver Heights. Das Weingut, ein winziges Familienunternehmen, hat diese abgelegene Region 1200 Kilometer westlich von Peking zu einem Geheimtipp unter Wein-Liebhabern werden lassen. Hier auf Silver Heights werden Rotweine produziert, die international Aufmerksamkeit erzielen und alle jene ins Grübeln bringen, die bislang meinten China und Wein passten nicht zusammen.
"Früher haben wir in China gute und schlechte Trauben einfach gemischt. Wir haben pro Region nur eine Art Wein hergestellt. Aber jetzt bei uns geht es um Lagen, um die Qualität der Trauben von verschiedenen Hängen – und um die Jahrgänge. Wir müssen unsere Produktion perfektionieren."
Silver Heights ist winzig. Auf wenigen Hektar produziert die Familie Gao jedes Jahr gerade mal 50.000 Flaschen. Das meiste geht nicht in den Einzelhandel zum Verkauf, sondern direkt an große Hotels. Dass Silver Heights so klein ist, ist Programm. Emma Gao, die in Russland Betriebswirtschaft und in Bordeaux Önologie studiert hat, will nicht schnell wachsen.
"Bei kleiner Produktion ist es einfach, die Qualität zu kontrollieren. Das geht nicht mehr wenn man dutzende Tonnen produziert. Bei uns kann ich immer noch selbst die Trauben auswählen – das ist wichtig. Vor allem musst Du mit ganzem Herzen dabei sein. Mein Vater kümmert sich um das Management – aus vollem Herzen. Wir gehören alle zu einer Familie. Das ist wichtig. Nur so kann man Qualität garantieren. Außerdem ist das Herstellen von Wein ein langsamer und langwieriger Prozess."
Ungewohnte Worte für China, wo sonst immer alles schnell gehen muss, wo alles im rasanten Tempo wachsen und profitabler werden soll. Silver Heights hält gegen. Vom Hof kann man die neuen Hochhaussiedlungen sehen, die sich vom Rand von Yinchuan ins Umland ausbreiten. Baukräne ragen in den Himmel. Emma Gao sitzt auf einer Bank im Schatten eines alten Baums als wäre sie in Südfrankreich. An diesem Vormittag herrscht kreatives Chaos.
Die Sortiermaschine wird noch zusammengebaut, die Arbeiterinnen müssen warten. Emma Gao lacht – die junge Frau ist es gewohnt zu improvisieren. Sie und ihr Vater haben schließlich lange experimentieren müssen, als sie vor rund 15 Jahren anfingen, im Keller ihres Hauses die ersten Trauben zu keltern. Merlot, Cabernet, Pinot Noir. Heute gelten Emma Gao und ihr Weingut als Vorbild und Hoffnungsträger für eine ganze Region.
"Mit Regionen wie Bordeaux können wir noch nicht konkurrieren. Aber das wird irgendwann kommen. Wir werden mehr und mehr gute Weine herstellen. Früher waren wir abgeschottet, jetzt haben wir immer mehr internationale Kontakte, Technologie aus dem Ausland, Eichenfässer, Experten. Jeden Tagen lernen wir etwas Neues."
Weinanbau am Rande der Wüste
In China dachten bislang nur wenige Menschen an Wein, wenn sie den Namen Ningxia hörten. Die Provinz am Rande der Wüste Gobi stand bislang für Kohlevorkommen – und für bittere Armut. Als eine der kleinsten Provinzen des Riesenlandes machte sie selten Schlagzeilen. Die Provinzhauptstadt Yinchuan ist auch 30 Jahre nach Beginn der Reform- und Öffnungspolitik im Vergleich mit anderen chinesischen Großstädten immer noch ein verschlafenes Nest – trotz der neuen Hochhäuser und breiten Straßen. Viele Chinesen wissen nicht einmal, wo genau Yinchuan liegt.
Und doch ist hier seit einigen Jahren eine kleine Revolution im Gange. Denn Emma Gao ist nicht die einzige Winzerin, die auf hochwertige Weine setzt. Andere ziehen nach.
Am Fuße der kargen Helan-Berge liegt auch das Weingut Helan Qing Xue. Auch hier werden an diesem sonnigen Herbsttag Trauben sortiert. Auch Helan Qing Xue ist ein junges Weingut. Die Flächen für den Weinanbau wurden dem karstigen Boden abgerungen. Das Weingut produziert wie Silver Heights fast ausschließlich Rotweine – ebenfalls in kleinen Mengen. Und ebenfalls mit hoher Qualität. Und auch hier ist es eine junge Frau, die mit Herzblut dabei ist.
"Wenn man hochwertigen Wein produzieren will, muss alles langsam gehen, langsam und noch mal langsam. Das Sortieren, die Auswahl der Trauben. Bei großen Produktionen geht das nicht."
Zhang Jing ist wie Emma Gao Mitte 30. Sie hat in Australien gelernt, wie man Qualitätsweine herstellt. Sie ist durch Kalifornien gereist, um sich Anregungen zu holen und zu lernen. Auch ihre Rotweine sind preisgekrönt. 2011 gewann das Weingut eine Silbermedaille bei den Decanter Awards in London. Für die ganze Region war das ein Durchbruch.
Die Weine aus Ningxia haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Nicht nur der von ein oder zwei Weingütern , sondern der der gesamten Region. Wenn einige anfangen, besser zu werden und sich das herumspricht, ziehen die anderen nach.
Seit über 20 Jahren wird in Ningxia Wein angebaut – aber bislang vor allem billige Massenware für den heimischen Markt. Notiz davon nahm niemand. Dabei ist die Wüstenregion für den Weinanbau gut geeignet. Ningxia liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Bordeaux. Die Böden am Fuße der Helan-Berge sind sandig und steinig. Der nahe gelegene Gelbe Fluss liefert Wasser. Dazu kommt ein extrem sonniges und trockenes Klima. Und es lockt der gigantische chinesische Markt. Denn seitdem junge Chinesen und die neue Mittelschicht mehr auf Lifestyle setzen, hoffen Leute wie Rong Jian, Chef des Weinverbandes von Ningxia, dass aus einem Volk von Tee- und Schnapstrinkern ein Volk von Weintrinkern wird.
"China ist ein riesiger Markt für Wein. Der Markt wächst jedes Jahr im zweistelligen Bereich – was die Produktion, den Verkauf und die Umsätze angeht. Und die Gewinne. Alles zweistellige Zuwächse. Der Markt ist gigantisch, er ist so groß, dass er sich alleine trägt und wir unsere Produkte nicht einmal exportieren brauchen."
Rong Jian ist ein viel beschäftigter Mann. Nach einem langen Arbeitstag sitzt er in seinem Büro, lehnt sich in seinem schwarzen Ledersessel zurück, schwenkt ein Glas Rotwein und begutachtet fachmännisch die Farbe. Wein sei die Zukunft für Ningixa sagt er.
"Heute ist uns klar, dass die Wein-Industrie vielleicht wichtiger ist als die Energiewirtschaft. Rohstoffquellen wie Öl, Gas oder Kohle sind endlich. Aber Trauben kann man ewig anbauen. Die Kohlevorkommen der Region sind irgendwann erschöpft. Andere Ressourcen sind langfristig wichtiger."
Auch die Provinz hat längst erkannt, dass im Wein viel Potential steckt. Wein gilt als die neue, nachhaltige Industrie. Traubensaft statt Kohle. Weintourismus statt Bergbau. Wie so oft in der Volksrepublik hat auch die Provinz Ningxia Entwicklungspläne aufgestellt, die Außenstehende ein bisschen schwindlig machen. Ehrgeizige Zielvorgaben, die die Region am Rande der Wüste Gobi in ein Wein-Paradies verwandeln sollen. Der Mann hinter diesen Plänen ist Cao Kailong, Generaldirektor des Büros für die Entwicklung des Weinanbaus bei der Provinzregierung.
"Die Provinzregierung hat 117.000 Hektar für den Anbau hochwertiger Trauben ausgewiesen. Auf der Hälfte dieser Fläche wird bereits Wein angebaut. Wir wollen das in den nächsten sechs oder sieben Jahren verdoppeln. Wir wollen über 100 Weingüter ansiedeln und 10 Weindörfer schaffen, die auch den Tourismus fördern sollen."
Ningxia ist uraltes Kulturland – die Idee des Tourismus ist daher nicht ganz abwegig. Es gibt – außer Wein – pyramidenartige Gräber der westlichen Xia-Dynastie, die das Land im 11. Jahrhundert beherrschte. Die Region ist geprägt vom Handel entlang der alten Seidenstraße, von der muslimischen Minderheit der Hui – Nachfahren persischer und chinesischer Händler. Doch die Turbo-Entwicklungspläne von Funktionär Cao Kailong haben mit den Ideen von Emma Gao oder Zhang Jing von einer langsamen, organischen Entwicklung wenig zu tun. Der Beamte lobt zwar die experimentierfreudige Herangehensweise der Self-Made-Frauen. Aber die Regierung hat andere Pläne: Die Art der Trauben, der Anbau – alles soll von den Behörden kontrolliert werden, sagt Cao. Man will nicht kleckern, sondern klotzen.
"Jede Woche melden sich bei uns Interessenten und Investoren. Die wichtigsten ausländischen sind Moet Hennessy, der französische Schampus-Hersteller. Aber auch Pernot Ricard und der spanische Produzent Torres. Bislang haben wir sechs oder sieben ausländisch finanzierte Projekte."
Moet Hennessy, Teil des französischen Luxusartikel-Konzern, dem auch Louis Vuitton gehört, hat in Ningxia im letzten Sommer sein eigenes Chateau eingeweiht. Auf 66 Hektar soll auf der Domaine Chandon der erste hochwertige Sekt in China produziert werden. Auch der französische Spirituosen-Hersteller Pernot Ricard ist schon vor Ort:
Vor zwei Jahren hat Pernot Ricard das Weingut Helanshan übernommen – ebenfalls am Fuß der Helan-Berge gelegen – und bislang einer der großen Massenproduzenten der Region. Der Australier Brat Richardson, seit 20 Jahren in der Weinindustrie, ist einer der neuen Manager:
Vor zwei Jahren hat Pernot Ricard das Weingut Helanshan übernommen – ebenfalls am Fuß der Helan-Berge gelegen – und bislang einer der großen Massenproduzenten der Region. Der Australier Brat Richardson, seit 20 Jahren in der Weinindustrie, ist einer der neuen Manager:
"Die größte Ernte war 2006, da wurden hier 14.000 Tonnen produziert. Wir konzentrieren unsere Bemühungen jetzt auf rund 1000 oder 1200 Tonnen Trauben, dafür aber im Qualitätssegment."
Der Abbau von Kapazitäten ist nicht einfach. Leute werden entlassen. Weinbauern verlieren ihre lukrativen Jahresverträge. Mehr noch: Kulturelle Unterschiede prallen aufeinander. Die Umstellung fällt nicht allen leicht. Warum beispielsweise der Wein in Eichenfässern reifen soll, wenn die großen Metalltanks jahrelang gut genug waren, leuchtete lange vielen Angestellten nicht ein, sagt Craig Grafton, Weinexperte und ebenfalls aus Australien.
Kleinere Trauben irritieren die Arbeiter
"Als ich hier die Fermentierung im Fass eingeführt, haben mir alle mir alle gesagt, dass das nicht funktionieren würde, weil man keine Kontrolle über die Temperatur habe. Dabei geht es ja nicht um eine neue Technik. So etwas wird seit hunderten von Jahren gemacht. Aber es war halt eine Veränderung, eine andere Methode. Da mussten wir viel Aufklärungsarbeit leisten wie man mit Eichenfässern umgeht."
Bis heute machen gerade die Älteren aus ihrer Unzufriedenheiten mit dem neumodischen Kram keinen Hehl. In den Weinbergen hocken die Arbeiter und ernten die Reben. Dass die Trauben jetzt viel kleiner sind als früher, hält dieser Arbeiter für völlig falsch.
"Dieses Jahr wachsen die Trauben nicht gut; die Methoden sind falsch. Die Rebstöcke brauchen Dünger. Aber sie benutzen jetzt keinen chemischen Dünger mehr, nur organischen, das reicht nicht. Es ist doch wie bei den Menschen. Wer Hunger hat kann nicht richtig laufen, du brauchst was zu Essen. Mit den Trauben ist es das gleiche."
Brat Richardson und seine Kollegen widersprechen. Dass die Trauben jetzt kleiner und weniger saftig sind als früher, ist genau das, was sie erreichen wollten.
"Früher haben sie nur auf Masse gesetzt, viele Trauben, große Trauben, viel Saft – das machte aus ihrer Sicht guten Wein aus. Wir wollen kleine Beeren, eine dicke Schale, wir wollen Intensiven Geschmack und Farbe für Rotwein. Das ist eine andere Herangehensweise."
Die Umstellung - und die Investitionen in Millionenhöhe - zahlen sich aus. Auch Helan Mountain gewinnt jetzt internationale Preise – zuletzt im August in Deutschland eine Silbermedaille von Mundis Vini für einen Pinot Noir.
Auf Silver Heights wird Traubensaft zur Lüftung umgefüllt. Später wird der Wein in schwere französische Eichenfässer umgefüllt, die in einem tiefen Keller lagern – gut geschützt vor den eisigen Wintertemperaturen in Ningxia, wenn sogar die Rebstöcke in den Weinbergen umgelegt und mit Erde abgedeckt werden müssen. Als Kleinunternehmen steht Silver Heights vor großen Herausforderungen.
"Wir sind noch in der Aufbauphase; wir produzieren zwar 20 Mal mehr als ganz zu Anfang. Wir sind profitabel, doch wir müssen weiter investieren."
Emma Gao will vorsichtig expandieren. Doch gerade in China haben kleine und mittlere Betriebe oft Schwierigkeiten, wenn sie sich vergrößern wollen. Kredite aufzunehmen, Land zu bekommen – all das ist ohne große Investoren im Hintergrund und ohne Guangxi – also gute Beziehungen in der Partei und der Bürokratie – nicht einfach.
Und trotzdem will sie nicht aufgeben. Sie plant ein kleines Restaurant und Besucherzentrum, um ihre Ideen von nachhaltigem Weinbau und Qualitätswein unter die Leute zu bringen. Ihr Wein, sagt sie stolz, habe schließlich dazu beigetragen, dass sich das Image von chinesischem Wein ein kleines bisschen geändert hat.