Über den Tellerrand

10.11.2009
Der Roman "Hotel Imperial" spielt in der Küche eines fiktiven Londoner Hotels mit seiner Crew aus aller Herren Länder. Das gibt Monica Ali die Möglichkeit, Immigrantenschicksale vorzustellen: von illegalen Einwanderern, vor Bürgerkrieg geflohenen und geschundenen Menschen.
Kochshows erfreuen sich nicht nur hierzulande großer Beliebtheit. Auch in Großbritannien, von vielen noch als "Fish and Chips"-Wüste angesehen, hat es in den letzten Jahren einen wahren Boom telegener Küchenchefs gegeben und Kochbücher finden reißenden Ansatz. Für die britische Schriftstellerin Monica Ali Anlass genug, einmal hinter die Kulissen zu schauen und in Londoner Küchen und Hotels zu recherchieren. Ihr Roman "Hotel Imperial" basiert auf diesen Erfahrungen. Er spielt weitgehend in der Küche eines fiktiven Londoner Hotels mit seiner Crew aus aller Herren Länder. Das gibt Monica Ali die Möglichkeit, typische Immigrantenschicksale vorzustellen: illegale Einwanderer, vor Bürgerkrieg geflohene Flüchtlinge, geschundene Menschen, die hier Zuflucht gefunden haben.

Doch Küchenchef Gabriel, von allen nur Gabe genannt, will es gar nicht so genau wissen. Hauptsache, sie erledigen ihre Arbeit. Monica Ali schaut Gabe sozusagen über die Schulter, sieht alles aus seinem Blickwinkel. Er ist ein typischer Großstadtmensch, der sich niemandem verpflichtet fühlt, keine engen Bindungen eingeht, am Leben anderer wenig interessiert ist. Wichtig ist ihm, in seinem Job perfekt zu sein. Und das ist er tatsächlich, denn er ist ehrgeizig, neugierig, in seine Arbeit verliebt. Gabe glaubt, er hätte alles im Griff.

Doch dann fangen die Dinge an, ihm zu entgleiten. Im Vorratskeller unter seiner Hotelküche wird eine Leiche gefunden. Er muss sich mit der Polizei herumschlagen. Bei seinem Vater diagnostiziert man Krebs in fortgeschrittenem Stadium. Er fühlt sich verpflichtet, sich um ihn zu kümmern. Und dann macht er noch den Fehler, eine junge Küchenhilfe bei sich zuhause aufzunehmen. Die erweist sich als illegale Immigrantin aus Weißrussland. Gabriel beginnt eine Beziehung mit ihr, die allerdings sehr einseitig aussieht. Doch nicht nur hier macht er sich etwas vor. Als er widerstrebend zu seinem sterbenden Vater zurückkehrt, erfährt er, dass er sich auch ein völlig falsches Bild von seiner Mutter gemacht hat.

Für Monica Ali bietet das genug Gelegenheiten für ironische Bemerkungen. Überhaupt ist ihr ganzer Roman von Humor durchzogen, denn Gabriels Egozentrik hat ihre lächerlichen Seiten.

Die Schriftstellerin wechselt immer wieder die Handlungsorte, um ihren Protagonisten in unterschiedlichen psychischen Verfassungen zu zeigen. In der Küche der souveräne Chef, der im größten Chaos den Überblick behält, bei seinem Vater der Sohn, der wieder zum Kind wird und sich seines Ursprungs erinnert, in der Londoner Wohnung der hilflose Liebhaber, der sein eigenes Verhalten nicht mehr versteht. Doch die Welten lassen sich immer weniger auseinander halten. Geradezu erschrocken verfolgt man, wie Gabriel sich in Wahnvorstellungen steigert, völlig ausrastet. Doch in geradezu auswegloser Situation gewinnt er die Kontrolle über sich zurück.

Im Hintergrund der Geschichte steht aber noch etwas anderes und da spiegeln sich die Erfahrungen einer Schriftstellerin mit Migrationshintergrund wieder: die Frage der Identität. Wer ist man, welcher Gemeinschaft gehört man an, welche Kultur prägt einen, wovon wird man ausgeschlossen? In einer globalisierten Welt, in der die Menschen durcheinander gewirbelt werden, um den halben Globus fliehen, bestimmen Zugehörigkeit oder Fremdheit durchaus das Lebensglück. Ohne Freunde, so könnte man Monica Alis Roman im weitesten Sinne deuten, ist man verloren.

Besprochen von Johannes Kaiser

Monica Ali: Hotel Imperial
Aus dem Englischen von Anette Grube
Droemer Verlag, München 2009
553 Seiten, 19,95 Euro