Über Datingplattformen und Koaltionsverhandlungen

Lass es Liebe sein!

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit Martin Schulz, SPD Bundesvorsitzender, am 21.11.2017 im Bundestag in Berlin. In seiner 2. Sitzung der 19. Legislaturperiode berät der Deutsche Bundestag unter anderem über Bundeswehreinsätze und die Einsetzung verschiedener Ausschüsse. Foto: Michael Kappeler/dpa | Verwendung weltweit
Wird die GroKo am Ende doch noch eine Vernunftehe oder eine Zwangsheirat? © dpa/Michael Kappeler
Von Heike-Melba Fendel · 07.12.2017
Wie findet man den richtigen Partner? Auf Onlineplattformen füllt man dazu umfangreiche Fragebögen aus. Und: Am Ende soll so etwas wie Liebe rauskommen. So ähnlich läuft das auch bei Koalitionsverhandlungen. Und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit, sagt Heike-Melba Fendel.
Lassen Sie uns heute mal ganz privat werden und über Beziehungen reden – genauer, über die schwierige Frage, wie man es anstellen soll, den Richtigen zu finden. Wie volatil das Aufrechterhalten und Anbahnen diverser Beziehungsvarianten ist, lässt sich nicht zuletzt an der Verbissenheit ablesen, mit der deren konventionellste Formalisierung, die Eheschließung, abgefeiert wird.
Längst schlappt man nicht mehr mal eben zum nächstbesten Standesamt und zieht sich anschließend, mitsamt der buckligen Verwandtschaft, im benachbarten Gasthof ein gutbürgerliches Mahl mit ein paar Verdauungsschnäpschen rein. Stattdessen wird mit professioneller Unterstützung vorbereitet, was das Zeug und das Bankkonto hält. Die kollektive Anstrengung aller Beteiligten liegt hierbei nicht in der Feier einer lebenslangen Liebe, sondern deren Beschwörung mittels Umkehrschlusses: Wenn wir schon so viel Kohle verballern, dann muss die Beziehung ja was wert sein.

"Liebesparadoxiker" wollen Ausnahme erzwingen

Denn, so die Logik der Liebesparadoxiker: Je schlechter die objektiven Chancen stehen, in der S-Bahn, beim Speed-Dating oder bei ElitePartner.de Mr. oder Mrs. Right zu treffen, desto bereitwilliger reklamiert man für sich, die unwahrscheinliche Ausnahme erleben oder erzwingen zu können. Und auch die scheinbar praktischste Variante, das Online-Dating, hat aufwändige Tücken: Mag frau bei Tinder noch so eifrig das Akronym "no ons" – keine one night stands - posten, so steht doch zu befürchten, dass die ersten drei Dutzend Datepartner das wacker ignorieren werden. Bei den "seriösen" Partnerbörsen hingegen muss man sich durch mehrere 100 Fragen quälen, um überhaupt ordentlich gematched werden zu können, denn, so der Parship-Slogan: "Klar kann ich auf den Zufall warten. Mach ich aber nicht."

Eine bindungsneurotische Gesellschaft erwartet von Politkern Bindungsfähigkeit

Womit wir endlich beim zentralen Beziehungsdilemma der letzten Tage und Wochen angekommen wären: den Koalitionsverhandlungen. Gegen die Fragebögen der teureren Paarbörsen waren die 125 sondierungsrelevanten Punkte der Möchtegern-Jamaikanern ein müder Witz. Auf Zufall hat hier Keiner gewartet, auf Zerfall gesetzt sehr wohl. Was nicht zuletzt am hierzulande tiefsitzenden Polyamorie-Tabu liegen mag- drei sind dem Missionar Stellung- affinen Deutschen dann doch einer zu viel. Jetzt also Groko, oder "Groköchen", wie es zuletzt im Presseclub hieß.
Einmal mehr wird allerorten von der "Vernunftehe" anstelle einer "Liebeshochzeit" schwadroniert. Wann ist eigentlich der Satz, nachdem das Private politisch sei, derart entgleist? Vor allem aber: Wie kann eine galoppierend bindungsneurotische Gesellschaft ausgerechnet von jenen Politkern, die sie höchstpersönlich gewählt hat, Bindungsfähigkeit erwarten?

Wenn alle Leidenschaftslosigkeit abgearbeitet ist, soll es Liebe sein

Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Koalitionäre zur Paarungszeit folgt dem double-bind der Wähler: Ich wähle meinen Partner nach klar definierten, eigens entworfenen oder von Partnerbörsen abgestimmten Vorgaben. Und wenn alle Leidenschaftslosigkeit abgearbeitet ist, dann, bitte, bitte: Lass es Liebe sein! Das Happy End also soll über die Unmöglichkeit seiner Prämisse triumphieren. Je weniger man sich mag, desto glücklicher soll es ausgehen. Ein Irrglauben, dem auch Promi-Paare wie Liz Taylor und Richard Burton unterlagen, deren jeweils zweite Eheschließungen miteinander noch krachender vor die Wand fuhren, als die erste.
Anders als in Hollywood sind die Beziehungsoptionen im politischen Berlin eher mau. Weswegen das Groköchen begrifflich bereits von der Vernunftehe zur Zwangsheirat mutiert ist. Auch wenn nichts so alt ist, wie die Gefühle von gestern, müssen wir an die Kinder, also in diesem Fall das Land denken. Wo es zwischen zwei Partnern nie so richtig sexy war und das Vertrauen zum Neuanfang bereits verspielt ist, ist es am Land, also an den Wählern, aktiv am Coalition-Planning teilzunehmen:
Decken wir den Forderungstisch, tischen wir Themen auf, um die es uns wirklich geht und führen wir das mürbe – oder vielleicht ja auch spontan ein ganz neues Paar - zu einem Ja, das uns alle meint.
Klar können wir auf Neuwahlen warten. Machen wir aber nicht!
Heike-Melba Fendel ist Inhaberin der Künstler und Veranstaltungs-Agentur Barbarella Entertainment. Sie arbeitet außerdem als Journalistin und Buchautorin. Fendel gehört zum Autorinnenkollektiv der Kolumne 10 nach 8 – politisch, poetisch, polemisch auf zeit.de. Darüber hinaus veröffentlicht sie Beiträge in der Frankfurter Allgemeine, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, im Berliner "Tagesspiegel" sowie bei epd film. 2009 erschien ihr aus 99 Geschichten bestehender Roman nur die bei Hoffmann und Campe. Ihr zweiter Roman Zehn Tage im Februar (2017) spielt vor dem Hintergrund der Berlinale.
Die Autorin Heike Melba-Fendel
Die Autorin Heike Melba-Fendel© Markus Nass
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