Über christliche Symbole im Alltag

Andreaskreuz, Friedenstaube oder Puderzucker auf dem Stollen

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Andreaskreuz auf der eingleisigen Nebenbahn von Münster über Warendorf nach Rheda-Wiedenbrück in Westfalen.
Andreaskreuz auf einer eingleisigen Nebenbahnstrecke von Münster über Warendorf nach Rheda-Wiedenbrück in Westfalen © imago images / Rüdiger Wölk
Michael Jahnke im Gespräch mit Christopher Ricke · 10.05.2020
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Christliche Symbole sind überall. Doch ihre Bedeutung gerate in Vergessenheit, sagt der Religionspädagoge Michael Jahnke. Dabei fänden in Krisenzeiten viele Menschen Halt durch vertraute Riten und Bräuche.
Christopher Ricke: Wir haben uns in dieser Sendung bisher mit dem Kreuz beschäftigt – dem wichtigsten Symbol des Christentums, dem Symbol für Frieden und Erlösung. Aber natürlich gibt es noch viel mehr religiöse Symbole, die zwar jeder kennt, die aber nicht mehr unbedingt in ihrem religiösen Zusammenhang verstanden werden.
Ich sprach mit Michael Jahnke von der Deutschen Bibelgesellschaft. Er ist Co-Autor des Büchleins "Adler, Fisch und verbotene Früchte – christliche Symbole im Alltag entdeckt" Herr Jahnke: Was geht da kulturell verloren?
Michael Jahnke: Ein reicher Gehalt an Bedeutung, die mit der christlichen Tradition zusammenhängt, das geht uns verloren. Und dieser Gehalt, der sich an solchen Symbolen oder Zeichen oder Motiven festmacht, hat ja eine wichtige Funktion in einer Kultur, in einer Gesellschaft, die auch von christlicher Bedeutung geprägt ist.

Wert für Kultur, Gesellschaft und Identität

Ricke: Machen wir es mal ganz schlicht und ganz einfach mit einem Symbol, das jeder kennt, aber bei dem viele vielleicht nicht mehr wissen, wo es herkommt: Am unbeschrankten Bahnübergang steht das Andreaskreuz, das warnt, dass der Zug Vorfahrt hat. Da denken wahrscheinlich die wenigsten Autofahrer an die Kreuzigung des Heiligen Andreas an zwei schrägen Balken. Sollten sie das denn alles kennen?
Jahnke: Man muss ja immer fragen: Welche Bedeutung oder welcher Wert für eine Kultur, für eine Gesellschaft oder auch für die Identität des Einzelnen steckt in einem solchen Zeichen? Hier kann man mit Sicherheit streiten und trefflich diskutieren, ob das Andreaskreuz, das tatsächlich auf einen solchen Ursprung verweist – der Apostel Andreas hat sich, so die Überlieferung, an einem diagonal gestalteten Kreuz kreuzigen lassen –, ob das nun tatsächlich einen Mehrwert für die Identität beinhaltet, mag fraglich sein.
Dennoch: Auch hier trägt oder hängt ein Inhalt dran, den man durchaus wahrnehmen und bemerken kann. Aber sicherlich gibt es andere Symbole und Zeichen, wo der Mehrwert, der Bedeutungsgehalt auch für den Alltag heute etwas höher anzusiedeln sein mag.
Ricke: Was wäre denn da eins?
Jahnke: Na, das Kreuz, das haben Sie ja gerade schon erwähnt, das ist so ein Symbol, aber auch beispielsweise die Taube, andere Symbole und Motive, die im Zusammenhang mit größeren kirchlichen Festen oder Brauchtumsfeiern verwendet werden und die eine Bedeutung tragen, die heute aber kaum noch bewusst ist.

Symbole sind mit Inhalten verküpft

Ricke: Dann schauen wir mal ins Brauchtum, da war ich tatsächlich unwissend, da hat mir Ihr Buch eine Wissenslücke geschlossen beim Christstollen, also ich wusste zum Beispiel nicht, dass der Puderzucker für die Windeln des Christuskindes steht. Sie sind sich aber da sicher?
Jahnke: Na, ob das genau der Puderzucker und die Windeln sind – hier geht es wohl eher um eine Farbgebung, die eine Erinnerung erzeugt oder eine Analogie erzeugt. Bei dem Christstollen haben wir es zu tun mit einem sogenannten Gebildebrot oder Gebildegebäck, das von der Formgebung her eher die Verknüpfung schließt zu diesem Christuskind, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt, und aus der Brauchtumstradition entsteht die Verknüpfung hin zu einem biblischen Gehalt des Christentums, das eben an dieses Christuskind erinnert. Und heute ist der Christstollen in der vorweihnachtlichen Zeit nirgendwo wegzudenken, weder aus den Familien, noch aus den Geschäften, ein weit verbreitetes Zeichen, Symbol, ein Gegenstand, der mit einem Inhalt verknüpft wird.
Der Religionspädagoge Michael Jahnke im Gespräch
Der Religionspädagoge Michael Jahnke von der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart© privat
Ricke: Wenn wir über den Verlust des Wissens über christliche Symbolik sprechen, können wir uns ja vielleicht auch über den Gewinn an Symbolik aus anderen Religionen freuen. Erkennen Sie da so etwas wie ein Nachrutschen?
Jahnke: Auf jeden Fall ist das zu erkennen. Wir leben in einer multireligiösen, multikulturellen Kultur in einer Gesellschaft, und das ist ja zunächst mal zu begrüßen ohne jegliche Einschränkungen. Darin entsteht ein Reichtum, darin entsteht eine Vielfalt, und neben einer christlich geprägten Tradition, die wir in diesem Kulturkreis wahrnehmen können, entstehen dann andere Traditionen, die wahrzunehmen sind und auch wahrgenommen werden müssen. Das hat seine Berechtigung und ist gut und richtig so.

Symbolhandlungen in der Coronakrise

Ricke: Schauen wir noch auf Symbole, die in der Corona-Krise ein bisschen unter Druck geraten. Das ist ja nicht nur das weltliche Händeschütteln, sondern da gibt es durchaus auch spirituelle Handlungen. Also keine Katholikin bekreuzigt sich zurzeit beim Betreten der Kirche mit Weihwasser, weil Weihwasserbecken leer sind, und was man vielleicht früher eher achtlos gemacht hat, das vermisst man auf einmal, dem gibt man auf einmal eine neue Bedeutung. Wie sehen Sie denn die Bedeutung von Symbolen, auch von rituellen, religiösen Symbolen, einmal in Corona und dann in der säkularen Gesellschaft?
Jahnke: In der Tat sind die zwei Seiten, die Sie beschreiben – oder die zwei unterschiedlichen Settings, einmal die Corona-Krise und einmal die säkulare Gesellschaft , im Blick auf das Vergewisserungshandeln, das in solchen Symbolhandlungen oder Zeichenhandlungen liegt, die fast in rituelles oder zeremonielles Handeln sich ausweiten, die zwei unterschiedlichen Reaktionen darauf, auf den Wegfall, die sind schon sehr bedeutsam. Also hier innerhalb der kirchlichen Handlungsfelder fehlt etwas.

Segen spenden, Sterbende begleiten

Ich bin neulich im Gespräch gewesen mit einer befreundeten Pfarrerin aus der evangelischen kirchlichen Tradition, die davon berichtete, dass zum Beispiel die Besuche bei älteren, betagten Menschen, die anstehen bei runden Geburtstagen, die dann auch Zeichen- und Symbolhandlungen beinhalten wie das Bekreuzigen oder das Segenspenden und -stiften, das mit einem Ritus und einem Zeichen versehen ist, dass dieser Wegfall schmerzt und vermisst wird, bis dahin, dass Sterbebegleitungsaktivitäten im Leben eines Menschen, sehr wichtige Begleitungsmomente, die von Zeichen- und Symbolhandlungen begleitet sind, dass die eben aufgrund der Corona-Situation nicht mehr möglich sind.
Das muss man noch mal gar nicht in diesen Extremsituationen menschlichen Lebens denken, auch der Gottesdienstbesuch fehlt. Ich habe mit einem anderen befreundeten Pfarrer vor einigen Tagen gesprochen, der sagte: Warum dürfen denn Gottesdienste erst so spät stattfinden? Die Tatsache, ein solches Ritual ausleben zu dürfen, wird von vielen Menschen vermisst, und unter gegebenen Hygienevorschriften, die man durchaus beachten kann, sind das doch wichtige, wichtige Vergewisserungs- und Sicherungsmomente in einer veränderten Lebenssituation, die durch eine solche Corona-Pandemie beeinflusst ist.

Religiöse Symbole in der säkularen Gesellschaft

Ricke: Zumindest hier gibt es ja ab heute eine gewisse Erleichterung. Aber wie ist es im säkularen Bereich?
Jahnke: Hier muss man natürlich fragen: Inwieweit durchdringt hier kirchliches Zeichen- und Symbolhandeln säkulare Gesellschaft? Hier wäre ich mir nicht ganz so sicher, inwieweit hier eine Beeinflussung, ein Wegfall tatsächlich wahrgenommen wird und von Bedeutung ist. Ich glaube, dass hier alltägliche Zeichen- und Symbolhandlungen, die für ein kulturelles Miteinander, für ein gesellschaftliches Miteinander wichtig sind, dass dieser Wegfall natürlich wahrnehmbar ist. Die Isolierung, die Vereinzelung, das Wegbrechen von sozialrelevanten, gesellschaftsrelevanten Handlungen, Handlungsmustern, das wird auch in einer säkularen Gesellschaft wahrgenommen und bemerkt und wird zu Recht beklagt. Wenn so etwas fehlt, leidet eine Gesellschaft, leidet ein Kulturraum. Das lässt sich nicht verneinen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Michael Jahnke, Franziska Schikora: "Adler, Fisch und verbotene Früchte. Christliche Symbole im Alltag entdeckt"
Verlag Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2020
124 Seiten, ca. 15 Euro

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