Über allen Gipfeln ist Unruh
Klimaforscher schlagen dieser Tage Alarm. Neue Berechnungen sagen eine dramatische Erderwärmung voraus. Mit spürbaren Folgen. Auch in Deutschland. Die jetzt schon sichtbar sind. Beispiel alte Postkarten. Sie zeigen dem Betrachter: Die Gletscher in den Alpen haben sich dramatisch verkleinert, die Zugspitze macht da keine Ausnahme. Auch die bayerischen Alpen sind vom rapiden Rückgang der Alpengletscher betroffen. In den Bergen ist der Klimawandel thematisch kein "Schnee von gestern".
München. Die bayerische Landeshauptstadt lichtet sich gerne mit dem Alpenpanorama im Hintergrund ab. Hiesige brechen oft zu Touren in die heimische Bergwelt auf. Bei einem Föhn stehen die Alpen greifbar nah über der Stadt.
Hier, im Münchner Norden, lagert das Gletscherarchiv der Gesellschaft für ökologische Forschung. Über 2000 alte Postkarten und 1000 alte Bilder mit schönen Gletscheransichten. Sie wurden europaweit aufgestöbert, von Flohmärkten bis zu Museen wurde so ziemlich alles abgegrast.
Zur alten Karte nun das neue Bild. Fotos neueren Datums dokumentieren einen Alptraum.
Damals und heute - der gleiche Aufnahmeort, die gleiche Jahreszeit, das gleiche Motiv - Alpengletscher. Geändert hat sich das Bild, die Ansicht, dramatisch verändert.
"Also es ist wirklich erschreckend und ich, ich ... "
Sylvia Hamberger, Projektleiterin Gletscherarchiv.
"Das ist schon gespenstisch. Und das ist auch gespenstisch, wenn ich vor den Gletschern stehe … wie sie heute erscheinen. "
Vergleich alter Postkarten und neuer Fotos. Gletscherschmelze.
"Ist auch so, dass man selber gar kein Gefühl mehr hat für die Größenordnung, die das ganze hat. Und wenn ich nicht die Postkarte dabei hätte und würde nicht raufschauen, könnte ich mir die Größenordnung, was da passiert ist in diesen 100 Jahren, gar nicht vorstellen. "
"Also sie sehen hier den Schneeferner von oben."
Bayerische Alpen, Zugspitze.
"Und man sieht hier, das meiste ist hier noch vergletschert. "
Damals, so um 1920.
"Und der hintere Teil ist fast völlig zurück geschmolzen. Und der vordere Teil ist zum Teil noch da, aber überall ist auch der Fels sichtbar und die ganzen Ränder ziehen sich stark zurück. "
Heute, 80 Jahre später. Abschied der Eisgiganten.
"Ja, die Schärfe des Problems sichtbar machen. Und zwar sowohl bei den individuellen Gletschern, als auch bei den Folgen. Also von daher diplomatisch: es ist schon was passiert, aber undiplomatisch: seid ihr des Wahnsinns, dass ihr nicht mehr tut. "
Der Schneeferner, wenn kein Winterschnee liegt und der Berg sein wahres Gletschergesicht zeigt.
"Und sie sehen halt hier, dass der Gletscher auch stark verschmutzt zusätzlich durch diese Bewirtschaftung quasi. Da bleiben Ölreste, da bleibt Schmutz. Und das wirkt sich natürlich auch aus. "
Dicke Bolzen verankern die Skiliftanlage im sichtbaren Gestein. Auf der alten Postkarte um 1925 tummeln sich an dieser Stelle drei Skiwanderer auf einem dicken Eispanzer.
Deutschlands einzige Gletscher, fünf an der Zahl, liegen in Bayern. Drei davon auf der Zugspitze: der nördliche und der südliche Schneeferner sowie der Höllentalferner.
Der Klimawandel hat die Alpen eiskalt erwischt. Seit der letzten "Kleinen Eiszeit" um 1850 und dem Beginn der Industrialisierung verloren die weißen Riesen bis etwa 1975 rund ein Drittel der Gletscherfläche und rund die Hälfte ihres Volumens.
In den letzten 20 Jahren hat der Verlust an Eismasse nochmals rapide zugenommen. Die Gletscher schrumpfen immer schneller, haben weitere 20 bis 30 Prozent des Eisvolumens verloren. Teilweise kann die Gletscherschmelze mit bloßem Auge verfolgt werden.
Die alten Gletscherkarten stimmen nicht mehr, weiße Flecken werden zu grauen Massen. Der "Klimaatlas von Bayern" verändert sich laufend.
"Auch die bayerischen Gletscher, die sind hier ganz schön dargestellt, als erstes Thema kommen die da vor. Können sie sich anschauen. "
Dr. Ludwig Braun, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Gletscherforscher.
"Ja, ja, also sie waren vor allem viel größer. Das Zugspitzplatt war einmal als zusammenhängende Eismasse da und jetzt haben wir drei Teilgletscher da oben. "
Südlicher und nördlicher Schneeferner sowie Höllentalferner.
"Und jetzt müssten sie mit dieser Brille anschauen, müssten sie aufsetzen. "
3-D-Darstellung der bayerischen Gletscher im Computer.
"Das sind wirklich nur noch kleine Reste. Da wird noch Ski gefahren. Das sieht man schon. "
Gletscher im Treibhaus.
"Auf dem Zugspitzplatt hatten wir eine maximale Ausdehnung in der letzten so genannten kleinen Eiszeit von 300 Hektar. Und das ist dann runter gefallen auf knapp 50 Hektar, also diese Fläche ist sehr, sehr stark ... auf ein Sechstel zurück. "
Der östliche Schneeferner braucht nicht mehr vermessen werden. Der Gletscher ist bereits aus der Zugspitzregion ganz verschwunden.
"Ja, ja, das ist schon ein sehr eindrückliches Beispiel, das Zugspitzplatt. Weil das ist auch eine sehr sensible Höhenzone 2500 bis 3000 Meter. "
Die bayerischen Gletscher haben eine Fläche von zirka einem Quadratkilometer, noch.
"Also die letzten 20 Jahre waren die massivsten eigentlich, wo man die Massenverluste hat. "
Nächste Grafik: Eisvolumen
"Wenn wir ganz genau hinschauen, haben wir in den 80er Jahren beim nördlichen Schneeferner ein Minus 40 Zentimeter Schnee pro Jahr ist es zurückgegangen. In zehn Jahren sind das vier Meter. Im Mittel. "
Nächste Grafik. Südlicher Schneeferner.
"88 Zentimeter im Jahr ... im Schnitt! "
Hochgerechnet über 60 Jahre.
"Das sind 54 Meter im Schnitt, da ist das runter. "
Magersucht der Gletscher. Immer mehr Gesteinsgrau statt Eisweiß.
"Und wenn das eben mal eingesetzt hat, dieser starke Schmelzprozess, dann beschleunigt er sich selber noch, in dem diese grauen Flächen eben sehr große Ausmaße annimmt. "
Weiß absorbiert die Sonnenstrahlung, Grau nimmt sie auf. Und damit die Wärme.
"Wenn das dann gegen Ende des Sommers alles weg geschmolzen ist, dann ist das schon eine öde Landschaft. Das muss ich schon sagen, dass ist einfach so, die Gletscher lassen eine öde Landschaft zurück. "
Garmisch-Partenkirchen, zur Füßen der Zugspitze. Antiquar Benkert bezeichnet sich zwar als "Altpapierhändler", aber wer alte Postkarten von Deutschlands höchstem Berg sucht, der wird bei ihm fündig. "Ganz tolle alte Aufnahmen" von den "ganzen alten Gletschern".
Ein Japaner schleppte kürzlich einen halben Meter Literatur aus seinem Laden. Den Wissenschaftler von der Universität Tokio interessierte vor allem altes Fotomaterial der hiesigen Bergwelt.
Jetzt, sagt der Antiquar, hat er wieder etwas für den Gletscherforscher aus Fernost. "Die Wunder der Alpen" heißt der Prachtband mit vielen alten Aufnahmen der Alpengletscher. Die Aufnahmen sind 60 Jahre alt.
"Da geht diese Gipfelbahn runter. Und ganz Verrückte versuchen, direkt unter uns abzufahren. Vor wenigen Tagen erst hat einer eine Lawine ausgelöst und tot war er. "
"Unter uns" heißt in 2.964 Meter Höhe nur wenige Meter von der höchsten Stelle der Zugspitze entfernt.
"Aber so richtig als Gletscher? Da haben wir vielleicht noch eisdicke Stellen, vielleicht 20 Meter. Das ist ja für einen Gletscher gar nichts. "
Pfanzelt´s rechter Handschuh wandert vom südlichen zum nördlichen Schneeferner rüber. Aber da ist fast auch nichts mehr zu sehen ... von Damals, so um 1900.
"Diese Schneefernerteile, die waren alle noch geschlossen, also zusammenhängend und kleinere Eisreste. Einer ist auf der Meilerhütte, die ich jetzt seit 30 Jahren fotografiere. Das hat in der Zeit mindestens 90 Prozent seines Volumens verloren. "
Pfanzelts rechter Handschuh sinkt nach unten.
"Und das ist ein eindeutiges Zeichen. Innerhalb von 30 Jahren! "
Das eigentliche Problem ist jetzt der Rückgang des Permafrostes. Er hält nämlich die Berge zusammen.
"Wie gesagt, von der Mailerhütte, da haben wir wirklich einen Schutthang, der so 15, 20 Höhenmeter mit einem Volumen von 4,5,6,7000 Kubikmeter abgesackt ist auf einer Höhe von ungefähr 2400 Meter. Weil im Kern drin, wenn der Permafrost zurückgeht, dann gibt es natürlich auf der Oberfläche außen Veränderungen. "
Und Bergführer Pfanzelt erzählt dann noch die Geschichte von dem Spaziergänger, der einmal fragte, wo es denn zur Zugspitze geht. Da lang geht es zur Zugspitze, wurde ihm geantwortet. Und der Spaziergänger machte sich auf den Weg.
In etwas gebrochenem Deutsch verheißt ein Unternehmen "Snow and Fun auf Deutschlands höchstem Berg." Ein anderes Unternehmen hat den Panoramasaal auf der Zugspitze gemietet. Die angeheuerten Werdenfelser Alphornbläser kommen nicht so recht an gegen Essen und Gespräche.
Die bayerischen Gletscher sind eher ein Kuriosum in der Alpenlandschaft. 5 von 5000 Gletschern, ein Quadratkilometer von 2500 Quadratkilometern. Und was die Höhe anbetrifft, ebenfalls weit abgeschlagen.
Klimawandel und Gletscherschmelze treffen andere Alpenländer ungleich härter. Bayern wird nur einen Bruchteil der Probleme bekommen, wie sie die Schweiz teilweise schon hat. Oder Österreich.
In knapp acht Minuten befördert die Seilschwebebahn den Umworbenen vom Eibsee auf den Zugspitzgipfel. Abwärts geht es immer schneller.
"Die Extremwerte werden zunehmen. Das ist eine ganz einfache Milchmädchenrechnung, da braucht man kein Klimaexperte zu sein. "
Professor Wolfgang Seiler, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung mit Sitz in Garmisch-Partenkirchen.
"Man kann das von Jahr zu Jahr verfolgen. Ich bin 86 hierher gekommen. Und damals hat man schon geklagt, wie stark der Gletscher zurückgegangen ist. Und wenn sie das vergleichen mit der heutigen Situation, dann ist das erschreckend. "
Das Institut liegt zu Füßen der Zugspitze.
"Aber in 40, 50 Jahren - bin ich überzeugt davon - wird dieser Gletscher dann auch nicht mehr existieren. "
Die Bayerischen Alpen und der Klimawandel:
"Diese Gletscher werden zurückgehen, ganz einfach nicht nur weil es wärmer wird, sondern weil die Niederschläge im Sommer in den Gebirgen - weil es wärmer wird - nicht mehr in Form von Schnee, sondern in Form von Regen fallen wird und dann diese schützend weiße Schicht, die auf den Gletschern liegt, verschwindet. "
Die Alpen im Winter:
"Im Winter werden wir damit rechnen müssen, dass sich die Föhnsituation, so wie wir jetzt den letzten Föhnsturm erlebt haben, zunehmen werden. Das heißt, wir werden noch viel stärkere Wechsel zwischen warmen Situationen und kalten Situationen haben, mit stärkeren Niederschlägen, dementsprechend auch mit stärkeren Lawinenabgängen, mit höheren Überschwemmungen …"
Und im Sommer:
"… während im Sommer wir mit Trockenperioden rechnen müssen, mit Waldbrandgefahr und dementsprechend auch mit einem intensiven Eingriff in unsere Ökosysteme. "
Die bayerischen Alpen und die Folgen:
"Das Ganze wird insgesamt sich sehr stark auswirken auf die Permafrostgebiete. Das heißt, der Permafrost wird sich in die größeren Höhen zurückziehen, dadurch werden Murenabgänge ausgelöst, Schlammlawinen größeren Ausmaßes werden immer häufiger. "
Unterm Strich: Die Extremsituationen nehmen zu.
Neuartig ist das Tempo der Klimaänderung, wobei der Menschen gemachte Anteil durch den industriell erzeugten Treibhauseffekt immer größer wird.
Experten bezeichnen die Gletscher als "globales Fieberthermometer". Wir sind Zeugen des schnellsten und umfänglichsten Gletscherschwundes seit Jahrtausenden.
Die Alpen sind das größte Trinkwasserreservoir in Zentraleuropa. Das Abschmelzen der Gletscher hat nicht nur verheerende Folgen für die Bergwelt.
Die Aufwendungen gegen unmittelbare Schadensfolgen sind größer als die Ausgaben für die Ursachenbeseitigung.
Fichte, Buche, Tanne, Bergahorn - typischer Mischwald zu Füßen der Zugspitze
"Das ist ein Märchenwald, ja. Ist traumhaft schön um diese Jahreszeit, wenn die Bäume überzuckert sind. Aber das Märchen hört jetzt gleich auf. "
Axel Doering, von berufswegen Förster, momentan allerdings als Mitglied der Internationalen Alpenschutzkommission in seinem Revier unterwegs. Vor ein paar Tagen hat ein Föhnsturm mit 120 bis 150 Stundenkilometern eine ganze Bergseite kahl geblasen.
"Jetzt sieht man, dass die Straße ein ganz anderes Bild bietet, weil von links und rechts die Bäume reingestürzt sind. Und das Bild eines Schadens wird jetzt immer größer und immer massiver. "
... und zieht sich hin. Freie Sicht im Wald oder was mal ein Wald war - großflächig.
"Man sieht überall gebrochene, hängende, liegende Bäume mit hochgerissenen Wurzeln, abgebrochene. Ist schon ein eher apokalyptisches Bild. "
10.000 bis 12.000 Festmeter auf einen Schlag, also mehr als das Doppelte des normalen Jahreseinschlags.
Hektarweise ist kein einziger Baum mehr stehen geblieben. Der Baumbestand wird sich gravierend ändern, die Borkenkäfer werden zum Problem, die finanziellen Folgen zu Buche schlagen.
"Bäume haben Funktion. Etwa 60 Prozent der Niederschläge kommen normalerweise überhaupt nicht auf den Boden, bleiben in den Nadeln hängen, werden verdunstet, werden sofort wieder in die Atmosphäre geschickt. Und wenn der Wald fehlt, dann kommt das ganze Wasser auf den Boden. Und wenn's dann steiler ist, dann kann es auch zu Erosionen führen. "
Die Föhnstürme in den bayerischen Alpen nehmen zu und werden immer unberechenbarer. Die Extremsituationen formen sich eine neue Landschaft und Vegetation.
"Jetzt sind wir wieder im Märchenwald. Diese Wechselbäder werden wir dann jetzt noch öfter haben. "
Über allen Gipfeln ist Unruh. Die Postkarten stimmen nicht mehr, sie sind Schnee von gestern. Die Alpengletscher schmelzen dramatisch. Die Extremsituationen nehmen zu.
Seit 1850 verloren die weißen Riesen bis 1975 rund ein Drittel der Gletscherfläche und rund die Hälfte des Volumens. Seit 20 Jahren schrumpfen die Gletscher immer schneller. Weitere 20 bis 30 Prozent des Eisvolumens sind verschwunden.
In den letzten 25 Jahren schmolzen die Gletscher um rund 500 Quadratkilometer. Experten - wir sagten es bereits - bezeichnen die Gletscher als "globales Fieberthermometer". Berechnungen besagen, dass im Jahr 2050 etwa drei Viertel der noch vorhanden Alpengletscher nicht mehr existieren werden.
"Und das kann man sich nicht vorstellen, wie viel mehr das mal war und wie schnell das geht. Und das haut mir immer wieder die Beine weg. Ich muss es ihnen ehrlich sagen, ich stehe da und glaube es nicht, ja."
Bayerns Bergwelt hat sich verändert. Alte Postkarten und neue Aufnahmen dokumentieren dies. Sie lagern im Gletscherarchiv in München.
Vor allem in Lagen unterhalb 3500 Meter ist der rapide Rückgang der Gletscher zu beobachten. Deutschlands höchster Berg ist 2964 Meter hoch.
Für die Bayerischen Alpen bezeichnen Wissenschaftler die Massenverluste der Gletscher als "echte Existenzbedrohung". Die Gletscher auf dem Zugspitzplatt haben seit 1850 rund 80 Prozent an Fläche verloren. Tendenz rapide steigend.
In 40, 50 Jahren - so wird befürchtet - ist die Zugspitze frei von letzten Resten des ewigen Eises. Eine gletscherfreie Zone.
Hier, im Münchner Norden, lagert das Gletscherarchiv der Gesellschaft für ökologische Forschung. Über 2000 alte Postkarten und 1000 alte Bilder mit schönen Gletscheransichten. Sie wurden europaweit aufgestöbert, von Flohmärkten bis zu Museen wurde so ziemlich alles abgegrast.
Zur alten Karte nun das neue Bild. Fotos neueren Datums dokumentieren einen Alptraum.
Damals und heute - der gleiche Aufnahmeort, die gleiche Jahreszeit, das gleiche Motiv - Alpengletscher. Geändert hat sich das Bild, die Ansicht, dramatisch verändert.
"Also es ist wirklich erschreckend und ich, ich ... "
Sylvia Hamberger, Projektleiterin Gletscherarchiv.
"Das ist schon gespenstisch. Und das ist auch gespenstisch, wenn ich vor den Gletschern stehe … wie sie heute erscheinen. "
Vergleich alter Postkarten und neuer Fotos. Gletscherschmelze.
"Ist auch so, dass man selber gar kein Gefühl mehr hat für die Größenordnung, die das ganze hat. Und wenn ich nicht die Postkarte dabei hätte und würde nicht raufschauen, könnte ich mir die Größenordnung, was da passiert ist in diesen 100 Jahren, gar nicht vorstellen. "
"Also sie sehen hier den Schneeferner von oben."
Bayerische Alpen, Zugspitze.
"Und man sieht hier, das meiste ist hier noch vergletschert. "
Damals, so um 1920.
"Und der hintere Teil ist fast völlig zurück geschmolzen. Und der vordere Teil ist zum Teil noch da, aber überall ist auch der Fels sichtbar und die ganzen Ränder ziehen sich stark zurück. "
Heute, 80 Jahre später. Abschied der Eisgiganten.
"Ja, die Schärfe des Problems sichtbar machen. Und zwar sowohl bei den individuellen Gletschern, als auch bei den Folgen. Also von daher diplomatisch: es ist schon was passiert, aber undiplomatisch: seid ihr des Wahnsinns, dass ihr nicht mehr tut. "
Der Schneeferner, wenn kein Winterschnee liegt und der Berg sein wahres Gletschergesicht zeigt.
"Und sie sehen halt hier, dass der Gletscher auch stark verschmutzt zusätzlich durch diese Bewirtschaftung quasi. Da bleiben Ölreste, da bleibt Schmutz. Und das wirkt sich natürlich auch aus. "
Dicke Bolzen verankern die Skiliftanlage im sichtbaren Gestein. Auf der alten Postkarte um 1925 tummeln sich an dieser Stelle drei Skiwanderer auf einem dicken Eispanzer.
Deutschlands einzige Gletscher, fünf an der Zahl, liegen in Bayern. Drei davon auf der Zugspitze: der nördliche und der südliche Schneeferner sowie der Höllentalferner.
Der Klimawandel hat die Alpen eiskalt erwischt. Seit der letzten "Kleinen Eiszeit" um 1850 und dem Beginn der Industrialisierung verloren die weißen Riesen bis etwa 1975 rund ein Drittel der Gletscherfläche und rund die Hälfte ihres Volumens.
In den letzten 20 Jahren hat der Verlust an Eismasse nochmals rapide zugenommen. Die Gletscher schrumpfen immer schneller, haben weitere 20 bis 30 Prozent des Eisvolumens verloren. Teilweise kann die Gletscherschmelze mit bloßem Auge verfolgt werden.
Die alten Gletscherkarten stimmen nicht mehr, weiße Flecken werden zu grauen Massen. Der "Klimaatlas von Bayern" verändert sich laufend.
"Auch die bayerischen Gletscher, die sind hier ganz schön dargestellt, als erstes Thema kommen die da vor. Können sie sich anschauen. "
Dr. Ludwig Braun, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Gletscherforscher.
"Ja, ja, also sie waren vor allem viel größer. Das Zugspitzplatt war einmal als zusammenhängende Eismasse da und jetzt haben wir drei Teilgletscher da oben. "
Südlicher und nördlicher Schneeferner sowie Höllentalferner.
"Und jetzt müssten sie mit dieser Brille anschauen, müssten sie aufsetzen. "
3-D-Darstellung der bayerischen Gletscher im Computer.
"Das sind wirklich nur noch kleine Reste. Da wird noch Ski gefahren. Das sieht man schon. "
Gletscher im Treibhaus.
"Auf dem Zugspitzplatt hatten wir eine maximale Ausdehnung in der letzten so genannten kleinen Eiszeit von 300 Hektar. Und das ist dann runter gefallen auf knapp 50 Hektar, also diese Fläche ist sehr, sehr stark ... auf ein Sechstel zurück. "
Der östliche Schneeferner braucht nicht mehr vermessen werden. Der Gletscher ist bereits aus der Zugspitzregion ganz verschwunden.
"Ja, ja, das ist schon ein sehr eindrückliches Beispiel, das Zugspitzplatt. Weil das ist auch eine sehr sensible Höhenzone 2500 bis 3000 Meter. "
Die bayerischen Gletscher haben eine Fläche von zirka einem Quadratkilometer, noch.
"Also die letzten 20 Jahre waren die massivsten eigentlich, wo man die Massenverluste hat. "
Nächste Grafik: Eisvolumen
"Wenn wir ganz genau hinschauen, haben wir in den 80er Jahren beim nördlichen Schneeferner ein Minus 40 Zentimeter Schnee pro Jahr ist es zurückgegangen. In zehn Jahren sind das vier Meter. Im Mittel. "
Nächste Grafik. Südlicher Schneeferner.
"88 Zentimeter im Jahr ... im Schnitt! "
Hochgerechnet über 60 Jahre.
"Das sind 54 Meter im Schnitt, da ist das runter. "
Magersucht der Gletscher. Immer mehr Gesteinsgrau statt Eisweiß.
"Und wenn das eben mal eingesetzt hat, dieser starke Schmelzprozess, dann beschleunigt er sich selber noch, in dem diese grauen Flächen eben sehr große Ausmaße annimmt. "
Weiß absorbiert die Sonnenstrahlung, Grau nimmt sie auf. Und damit die Wärme.
"Wenn das dann gegen Ende des Sommers alles weg geschmolzen ist, dann ist das schon eine öde Landschaft. Das muss ich schon sagen, dass ist einfach so, die Gletscher lassen eine öde Landschaft zurück. "
Garmisch-Partenkirchen, zur Füßen der Zugspitze. Antiquar Benkert bezeichnet sich zwar als "Altpapierhändler", aber wer alte Postkarten von Deutschlands höchstem Berg sucht, der wird bei ihm fündig. "Ganz tolle alte Aufnahmen" von den "ganzen alten Gletschern".
Ein Japaner schleppte kürzlich einen halben Meter Literatur aus seinem Laden. Den Wissenschaftler von der Universität Tokio interessierte vor allem altes Fotomaterial der hiesigen Bergwelt.
Jetzt, sagt der Antiquar, hat er wieder etwas für den Gletscherforscher aus Fernost. "Die Wunder der Alpen" heißt der Prachtband mit vielen alten Aufnahmen der Alpengletscher. Die Aufnahmen sind 60 Jahre alt.
"Da geht diese Gipfelbahn runter. Und ganz Verrückte versuchen, direkt unter uns abzufahren. Vor wenigen Tagen erst hat einer eine Lawine ausgelöst und tot war er. "
"Unter uns" heißt in 2.964 Meter Höhe nur wenige Meter von der höchsten Stelle der Zugspitze entfernt.
"Aber so richtig als Gletscher? Da haben wir vielleicht noch eisdicke Stellen, vielleicht 20 Meter. Das ist ja für einen Gletscher gar nichts. "
Pfanzelt´s rechter Handschuh wandert vom südlichen zum nördlichen Schneeferner rüber. Aber da ist fast auch nichts mehr zu sehen ... von Damals, so um 1900.
"Diese Schneefernerteile, die waren alle noch geschlossen, also zusammenhängend und kleinere Eisreste. Einer ist auf der Meilerhütte, die ich jetzt seit 30 Jahren fotografiere. Das hat in der Zeit mindestens 90 Prozent seines Volumens verloren. "
Pfanzelts rechter Handschuh sinkt nach unten.
"Und das ist ein eindeutiges Zeichen. Innerhalb von 30 Jahren! "
Das eigentliche Problem ist jetzt der Rückgang des Permafrostes. Er hält nämlich die Berge zusammen.
"Wie gesagt, von der Mailerhütte, da haben wir wirklich einen Schutthang, der so 15, 20 Höhenmeter mit einem Volumen von 4,5,6,7000 Kubikmeter abgesackt ist auf einer Höhe von ungefähr 2400 Meter. Weil im Kern drin, wenn der Permafrost zurückgeht, dann gibt es natürlich auf der Oberfläche außen Veränderungen. "
Und Bergführer Pfanzelt erzählt dann noch die Geschichte von dem Spaziergänger, der einmal fragte, wo es denn zur Zugspitze geht. Da lang geht es zur Zugspitze, wurde ihm geantwortet. Und der Spaziergänger machte sich auf den Weg.
In etwas gebrochenem Deutsch verheißt ein Unternehmen "Snow and Fun auf Deutschlands höchstem Berg." Ein anderes Unternehmen hat den Panoramasaal auf der Zugspitze gemietet. Die angeheuerten Werdenfelser Alphornbläser kommen nicht so recht an gegen Essen und Gespräche.
Die bayerischen Gletscher sind eher ein Kuriosum in der Alpenlandschaft. 5 von 5000 Gletschern, ein Quadratkilometer von 2500 Quadratkilometern. Und was die Höhe anbetrifft, ebenfalls weit abgeschlagen.
Klimawandel und Gletscherschmelze treffen andere Alpenländer ungleich härter. Bayern wird nur einen Bruchteil der Probleme bekommen, wie sie die Schweiz teilweise schon hat. Oder Österreich.
In knapp acht Minuten befördert die Seilschwebebahn den Umworbenen vom Eibsee auf den Zugspitzgipfel. Abwärts geht es immer schneller.
"Die Extremwerte werden zunehmen. Das ist eine ganz einfache Milchmädchenrechnung, da braucht man kein Klimaexperte zu sein. "
Professor Wolfgang Seiler, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung mit Sitz in Garmisch-Partenkirchen.
"Man kann das von Jahr zu Jahr verfolgen. Ich bin 86 hierher gekommen. Und damals hat man schon geklagt, wie stark der Gletscher zurückgegangen ist. Und wenn sie das vergleichen mit der heutigen Situation, dann ist das erschreckend. "
Das Institut liegt zu Füßen der Zugspitze.
"Aber in 40, 50 Jahren - bin ich überzeugt davon - wird dieser Gletscher dann auch nicht mehr existieren. "
Die Bayerischen Alpen und der Klimawandel:
"Diese Gletscher werden zurückgehen, ganz einfach nicht nur weil es wärmer wird, sondern weil die Niederschläge im Sommer in den Gebirgen - weil es wärmer wird - nicht mehr in Form von Schnee, sondern in Form von Regen fallen wird und dann diese schützend weiße Schicht, die auf den Gletschern liegt, verschwindet. "
Die Alpen im Winter:
"Im Winter werden wir damit rechnen müssen, dass sich die Föhnsituation, so wie wir jetzt den letzten Föhnsturm erlebt haben, zunehmen werden. Das heißt, wir werden noch viel stärkere Wechsel zwischen warmen Situationen und kalten Situationen haben, mit stärkeren Niederschlägen, dementsprechend auch mit stärkeren Lawinenabgängen, mit höheren Überschwemmungen …"
Und im Sommer:
"… während im Sommer wir mit Trockenperioden rechnen müssen, mit Waldbrandgefahr und dementsprechend auch mit einem intensiven Eingriff in unsere Ökosysteme. "
Die bayerischen Alpen und die Folgen:
"Das Ganze wird insgesamt sich sehr stark auswirken auf die Permafrostgebiete. Das heißt, der Permafrost wird sich in die größeren Höhen zurückziehen, dadurch werden Murenabgänge ausgelöst, Schlammlawinen größeren Ausmaßes werden immer häufiger. "
Unterm Strich: Die Extremsituationen nehmen zu.
Neuartig ist das Tempo der Klimaänderung, wobei der Menschen gemachte Anteil durch den industriell erzeugten Treibhauseffekt immer größer wird.
Experten bezeichnen die Gletscher als "globales Fieberthermometer". Wir sind Zeugen des schnellsten und umfänglichsten Gletscherschwundes seit Jahrtausenden.
Die Alpen sind das größte Trinkwasserreservoir in Zentraleuropa. Das Abschmelzen der Gletscher hat nicht nur verheerende Folgen für die Bergwelt.
Die Aufwendungen gegen unmittelbare Schadensfolgen sind größer als die Ausgaben für die Ursachenbeseitigung.
Fichte, Buche, Tanne, Bergahorn - typischer Mischwald zu Füßen der Zugspitze
"Das ist ein Märchenwald, ja. Ist traumhaft schön um diese Jahreszeit, wenn die Bäume überzuckert sind. Aber das Märchen hört jetzt gleich auf. "
Axel Doering, von berufswegen Förster, momentan allerdings als Mitglied der Internationalen Alpenschutzkommission in seinem Revier unterwegs. Vor ein paar Tagen hat ein Föhnsturm mit 120 bis 150 Stundenkilometern eine ganze Bergseite kahl geblasen.
"Jetzt sieht man, dass die Straße ein ganz anderes Bild bietet, weil von links und rechts die Bäume reingestürzt sind. Und das Bild eines Schadens wird jetzt immer größer und immer massiver. "
... und zieht sich hin. Freie Sicht im Wald oder was mal ein Wald war - großflächig.
"Man sieht überall gebrochene, hängende, liegende Bäume mit hochgerissenen Wurzeln, abgebrochene. Ist schon ein eher apokalyptisches Bild. "
10.000 bis 12.000 Festmeter auf einen Schlag, also mehr als das Doppelte des normalen Jahreseinschlags.
Hektarweise ist kein einziger Baum mehr stehen geblieben. Der Baumbestand wird sich gravierend ändern, die Borkenkäfer werden zum Problem, die finanziellen Folgen zu Buche schlagen.
"Bäume haben Funktion. Etwa 60 Prozent der Niederschläge kommen normalerweise überhaupt nicht auf den Boden, bleiben in den Nadeln hängen, werden verdunstet, werden sofort wieder in die Atmosphäre geschickt. Und wenn der Wald fehlt, dann kommt das ganze Wasser auf den Boden. Und wenn's dann steiler ist, dann kann es auch zu Erosionen führen. "
Die Föhnstürme in den bayerischen Alpen nehmen zu und werden immer unberechenbarer. Die Extremsituationen formen sich eine neue Landschaft und Vegetation.
"Jetzt sind wir wieder im Märchenwald. Diese Wechselbäder werden wir dann jetzt noch öfter haben. "
Über allen Gipfeln ist Unruh. Die Postkarten stimmen nicht mehr, sie sind Schnee von gestern. Die Alpengletscher schmelzen dramatisch. Die Extremsituationen nehmen zu.
Seit 1850 verloren die weißen Riesen bis 1975 rund ein Drittel der Gletscherfläche und rund die Hälfte des Volumens. Seit 20 Jahren schrumpfen die Gletscher immer schneller. Weitere 20 bis 30 Prozent des Eisvolumens sind verschwunden.
In den letzten 25 Jahren schmolzen die Gletscher um rund 500 Quadratkilometer. Experten - wir sagten es bereits - bezeichnen die Gletscher als "globales Fieberthermometer". Berechnungen besagen, dass im Jahr 2050 etwa drei Viertel der noch vorhanden Alpengletscher nicht mehr existieren werden.
"Und das kann man sich nicht vorstellen, wie viel mehr das mal war und wie schnell das geht. Und das haut mir immer wieder die Beine weg. Ich muss es ihnen ehrlich sagen, ich stehe da und glaube es nicht, ja."
Bayerns Bergwelt hat sich verändert. Alte Postkarten und neue Aufnahmen dokumentieren dies. Sie lagern im Gletscherarchiv in München.
Vor allem in Lagen unterhalb 3500 Meter ist der rapide Rückgang der Gletscher zu beobachten. Deutschlands höchster Berg ist 2964 Meter hoch.
Für die Bayerischen Alpen bezeichnen Wissenschaftler die Massenverluste der Gletscher als "echte Existenzbedrohung". Die Gletscher auf dem Zugspitzplatt haben seit 1850 rund 80 Prozent an Fläche verloren. Tendenz rapide steigend.
In 40, 50 Jahren - so wird befürchtet - ist die Zugspitze frei von letzten Resten des ewigen Eises. Eine gletscherfreie Zone.