Udo Pollmers Mahlzeit

Wo wird die Kakerlakenmilch gemolken?

Eine Amerikanische Großschabe in einer chinesischen Kakerlaken-Farm.
Milch von Kakerlaken: Ein neuer Stern am Horizont der Kurzsichtigen, meint Udo Pollmer. © imago / Manngold
Von Udo Pollmer · 10.08.2018
Salzarm, fettarm, kalorienarm: Die Liste angeblich besonders gesunder Lebensmittel war bisher schon lang. Jetzt streben neue Produkte in die Supermarkt-Regale und Online-Shops. Udo Pollmer über Insektenmilch und 5-Kalorien-Nudel.
Unsere Supermärkte führen immer weniger bewährte Produkte, sie setzen lieber auf "Superfood". Statt Lebensmittel, die der Kunde zum Leben braucht, gibt’s nun Kaufähiges, welches das aktuelle Glaubenssystem der Kundschaft bedient.
Nachdem viele traditionelle Erzeugnisse bis an den Rand der Ungenießbarkeit verbessert wurden, salzarm, fettarm, kalorienarm, dafür mit geschmeidigen Pflanzenfasern, sucht der Handel nun händeringend nach Alternativen. Doch das neue Sortiment an Superfood aus rohen Kakaobohnen, bitteren Wiesenkräutern und komischen Beeren, die laut Werbung "super sauer schmecken", ergibt noch kein Menü.
Zum Glück gibt es noch halbwegs echte Produkte - zum Beispiel Vollmilch. Doch die Milch fördere Krebs, verschleime Kinder und sorge, wie ein populäres Gesundheitsportal verbreitet, für einen "frühen Tod". Das Grundnahrungsmittel aller Säugetiere ist für die zarten Pflänzchen, die zum Licht der Erkenntnis emporstreben, eine leicht durchschaubare Bedrohung von Leib und Leben.

Zweifel an der Existenz von Zitzen bei Käfern

Nachdem inzwischen schon Kinderärzte vor Sojamilch warnen, gibt es nun neue Hoffnung. Am Horizont der Kurzsichtigen erscheint ein neuer Stern: Die Kakerlakenmilch. Sie haben richtig gehört. In Indien, heißt es auf einer Website, die sich der gesunden Ernährung verschrieben hat, in Indien sähe man "in der Kakerlakenmilch bereits eine günstige und zudem umweltfreundliche Alternative zu Milch". In Südafrika, schreibt der Experte weiter, "hat sich zudem eine Firma … bereits auf die Herstellung von Milch aus Insekten spezialisiert." Laut Internetauftritt offeriert diese Speiseeis mit Insektenmilch. Obwohl gewisse Zweifel an der Existenz von Zitzen bei Käfern und Eutern bei Schmetterlingen herrschen, erfährt niemand, was die Firma tatsächlich hineinmixt. Ist vielleicht auch besser so. Sie beschränkt sich auf die Nachricht, dass sie frisches Geld gut gebrauchen könnte.
Schließlich dämmert dem Autor obiger Zitate, laut Selbstdarstellung ein Weltverbesser, eine ganz neue Einsicht: "Kakerlakenmilch ist noch nicht marktreif". Potz Blitz! Er hat herausgefunden, "dass es wohl gar nicht so einfach sein wird, die Kakerlaken in großem Umfang zu melken". Vor die Weltverbesserung hatten die Götter früher lediglich den Schweiß gesetzt. Jetzt kommt vor dem Schweiß noch der gesunde Menschenverstand. In der von ihm zitierten Quelle ging es übrigens darum, per Gentechnik das Kakerlakeneiweiß von Hefen produzieren zu lassen. Vermutlich für Forschungszwecke. In Indien leben genug Rinder, um die Menschen mit Milch zu versorgen. Dort ist niemand so trunken, zu glauben, er müsse davon sterben. Was die Inder von Kakerlaken und ihren Exkreten halten, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Nudeln mit Spurenelementdünger

Täglich wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, wird neues Bohnenstroh durchs Oberstübchen geblasen. Aktuelles Beispiel: die 5-Kalorien-Nudel, erhältlich bei Ihrem Discounter. Sie enthält außer Aroma und einem Festigkeitsregulator, damit das Wasser nicht ausläuft, nichts von dem, was eine Nudel zur Nudel macht. Laut Etikett "vegan, glutenfrei, fettfrei" und auch sonst ohne jeden Verstand. 100 Gramm liefern höchstens 5 Kalorien. Warum isst man sie dann überhaupt?
Vielleicht wegen einer ganz besonderen Beigabe, einer Mineralstoffmischung: Phosphat, Kalium, Eisen, Zink, Kupfer und Mangan. Das kennt der Landwirt als Spurenelementdünger. Im Pflanzenbau trägt diese Mixtur allerdings einen Warnhinweis: "Bei zu hoher Verabreichung von Spurenelementen wird die Pflanze schnell mit diesen Metallen bzw. Halbmetallen vergiftet."
Was für junges Gemüse gut ist, kann für ältere Semester nicht schlecht sein. Die zarten Pflänzchen, die im Supermarkt nach Superfood stöbern, brauchen natürlich keine Kalorien, sondern reichlich Dünger. In Verbindung mit regelmäßiger Bewässerung - immer schön Wasser trinken - hoffen wir auf eine günstige Prognose.
Zur Erinnerung: Spaghetti Bolognese sind wirklich super. Sie schmecken, sie machen satt, Kinder essen artig ihre Teller leer, und niemand muss befürchten, sich damit zu vergiften. Mahlzeit!

Literatur:
Beuschel D: Neues Superfood: Milch von Kakerlaken. Wir-essen-gesund.de vom 4. Juni 2018
Bowler J: Scientists think cockroach milk could be the next superfood. Sciencealert.com vom 7. April 2018
Anon: ‚Pure One‘ bei Lidl: So wird der ‚Superfood‘-Trend für jeden zum Genuss. Lidl Pressestelle vom 6. Juli 2018
Anon: Chia Samen, Goji Beeren, Heidelbeeren und Co. – das sind die besten Superfoods. Edeka.de, abgerufen am 25. Juli 2018
Ingram MJ et al: Composition of milk from the viviparous cockroach, Diploptera punctata. Insect Biochemistry 1977; 7: 257-267
Williford A et al: Evolution of a novel function: nutritive milk in the viviparous cockroach, Diploptera punctata. Evolution & Development 2004; 6: 67-77
Banerjee S et al: Structure of a heterogeneous, glycosylated, lipid-bound, in vivo-grown protein crystal at atomic resolution from the viviparous cockroach Diploptera punctata. IUCrJ 2016: 3; 282–293
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