Udo Pollmers Mahlzeit

Nahrung wächst nicht in Supermärkten

Eine Weltkugel als Spardose. Hände werfen von oben Geldmünzen in den Sparschlitz. Symbolbild.
Geldspenden für die Hungernden in der Welt – damit gibt es keinen Bissen mehr zu essen, meint Udo Pollmer. © imago / stock&people
Von Udo Pollmer · 28.12.2018
Wer um Spenden für gemeinnützige Organisationen bittet, ist nach Udo Pollmers Meinung ein Schnorrer. Es helfe auch nicht, den Hungernden Essen zu kaufen – das Problem sei, dass die Bio-Landwirtschaft "absichtlich viel weniger erntet".
Jetzt ist die hohe Zeit des Spendens. Mit dem gesammelten Geld werden in Afrika Arme mit einer Schale Reis beglückt, Tiere angeblich davor bewahrt, im Kochtopf oder Arzneischrank zu landen und die Rettung der Wälder in Asien betrieben. Man wundert sich, was es alles an Spendenkampagnen gibt. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich das Abschöpfen zur erfolgreichsten Wachstumsbranche unserer Wirtschaft mausert.

Knowhow fürs erfolgreiche Sammelhandwerk

"Jetzt Spendenaufruf starten!", schallt es aus dem Internet: "Für deinen privaten Zweck oder eine gemeinnützige Organisation Spenden sammeln." So wirbt eine Spendenplattform, die nach eigenem Bekunden die größte in Deutschland ist. Die nächste Website sekundiert: "Sie starten in wenigen Klicks einen Spendenaufruf und (…) laden Personen direkt ein. Die Teilnehmer zahlen online". Auch die Dritte lockt mit "nur wenigen Klicks". Auf Google folgen zum Suchwort "Spendenaufruf" fast 900.000 Treffer. Jeder für "gut" erklärte Zweck heiligt offenbar die Mittel, die es zu ergattern gilt.
Agenturen verkaufen das Knowhow für ein erfolgreiches Sammelhandwerk an interessierte Bürger, die vom Ertrag der Arbeit anderer profitieren wollen. Bei Bedarf liefern sie die passenden Fotos gleich mit: Die traurigen Hundeaugen in der Gosse, die frierenden oder spielenden Kinder vor einer Ruine oder das verlassene Tierbaby vor einer Brandrodungskulisse. Für den ganzen Bettel muss heute niemand mehr unter Gefahr für Leib und Leben ins Kriegsgebiet reisen oder sich durch den Urwald schlagen. Im Studio lassen sich wirkungsvollere Bilder inszenieren.

Wie steigern wir die Ernten?

Wer mit Spenden Hungernden Essen kauft, mag sich toll vorkommen, aber damit gibt es auf dieser Welt nicht einen Bissen mehr. Zwar müssen heute trotz Bevölkerungswachstums weniger Menschen hungern als noch vor 40 Jahren – dem technischen Fortschritt sei Dank. Aber Nahrung ist nach wie vor knapp. Sie wächst nicht in Supermärkten oder auf Spendenkonten, sondern muss auf den Feldern und Weiden sowie in den Ställen dieser Welt von Landwirten produziert werden.
Es mag befremden, dass in bettelarmen Ländern junge Menschen sich eine Familie mit zehn Kindern wünschen, übrigens einer der Gründe, warum dort die Bevölkerung Jahr für Jahr um zig Millionen wächst. Es mag sein, dass es nicht unsere Aufgabe ist, diese mit Nahrung zu versorgen. Denn für eine Steigerung der Ernten bräuchten wir eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft, auch müssten wir unsere Naturschutzgebiete wieder unter den Pflug nehmen – und wären doch bald am Ende unserer Möglichkeiten.

Dieselmotor beendete das Leid der Pferde

Aber die Frage sei erlaubt, ob wir deshalb leichtfertig mit Nahrung umgehen dürfen? Wer absichtlich viel weniger erntet, als bei ordnungsgemäßer Landwirtschaft geerntet werden könnte, darf als Vergeuder gelten. Genau das trifft für den extensiven Anbau und für die Biolandwirtschaft zu, die noch dazu nur mit Subventionen, sprich Steuerspenden funktionieren. Oder für die Forderung nach Ausgleichsflächen, bei der fruchtbare Böden dem Naturschutz geopfert werden. Und hat nicht der geschmähte Dieselmotor die Leidenszeit der Pferde beendet? Sie leisteten Schwerstarbeit und wurden oft zu Tode geschunden. In den Armenhäusern der Welt ist das noch heute gang und gäbe.
Unsere Agrar- und Umweltpolitik ist ein Motor des Abholzens der Wälder. Wer will, dass die Menschen satt werden, dass sie sauberes Wasser trinken und dass der Naturschutz nicht von der Armut aufgefressen wird, wird jene Staaten zum Vorbild nehmen, die bewiesen haben, dass sie eine wachsende Bevölkerung zuverlässig ernähren können. Wir brauchen mehr Studenten in Technik und Wissenschaft, damit dieses Wissen auf der ganzen Welt Früchte trägt. Denn in Afrika, Asien und Lateinamerika ist das Potential noch lange nicht ausgeschöpft.
Aktivisten, die ernsthaft dem Elend die Stirn bieten wollen, würden sich schämen, als Schnorrer durch die Lande zu ziehen – sie studieren, um als Agraringenieur zu arbeiten. Dies erfordert weit mehr Hirnschmalz als die Einrichtung eines Spendenkontos "mit wenigen Klicks". Mahlzeit!
Literatur:
Neumann P: "Ganz Afrika könnte sich selbst ernähren". Welt-Online 14. Juli 2011
Szibor R: Spenden kann tödlich sein. Forum Grüne Vernunft e.V., Gatersleben 2016
Herlitzius T: Gegenwart und Zukunft der weltweiten Landwirtschaft. Technische Universität Dresden, Agrarsystemtechnik Ringvorlesung: Essen – Macht – Politik, 2010
FAO: Statistical Pocketbook World Food and Agriculture 2015. Rom 2015
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