Typische Erscheinungen der Gegenwart
Georg Klein ist als Autor unverwechselbar: Wer auch nur eines seiner Bücher gelesen hat, wird von da an jeden seiner Prosatexte erkennen, ohne dass der Name eigens genannt werden muss.
Niemand sonst schreibt heutzutage Sätze wie: "Im Bauch des Flugzeugs war mir das Glück des Tüchtigen hold." Die Betonung liegt auf "heutzutage". Denn wenn man weit genug zurückgeht in der Literaturgeschichte, ein bis zwei Jahrhunderte zurück, findet man solche und ähnliche Sätze zuhauf - nur dass darin keine Flugzeuge vorkommen.
Genau das ist Kleins Methode: Typische Erscheinungen der Gegenwart – vorzugsweise technische Geräte oder mediale Gewohnheiten - beleuchtet er mit sprachlichen Mitteln aus den seligen Zeiten der Petroleumlampe, bestenfalls der Gasfunzel. Was dabei herauskommt, ist natürlich nicht der strahlende Positivismus eines Flugzeugs, eines Räumfahrzeugs oder einer Fernsehkamera, sondern ein effektvolles Geflimmer in Halbschatten, Halbdunkel und totaler Finsternis. Noch die simpelste oder auch funktionalste Form scheint in diesem Zwielicht geheimnisvolle Dimensionen zu besitzen. In allen seinen Büchern, wenn auch unterschiedlichem Ausmaß, stellt Georg Klein magische Halbwelten nach diesem Rezept her.
"Die Logik der Süße" ist der Titel seines neuesten Erzählbandes: ein Titel, der poetisch klingt, auch pompös, und geradezu transzendentale Erwartungen weckt. In der Titelgeschichte geht es jedoch lediglich um eine Lebensmittelallergie: Der Ich-Erzähler, der ein nicht näher ausgeführtes "wirkmächtiges" Objekt gegen 500 Lebensjahre Küchendienst in Nowosibirsk eingetauscht hat, verträgt keine Schokolade - nur in Trance kann er sie in rauen Mengen verschlingen. Oder im Traum? Jedenfalls ist er, so berichtet er aus einer utopischen oder dystopischen (im Halbdunkel der Geschichte ist das nicht auszumachen) Zukunft, von geheimnisvollen Kräften in seinem Inneren nach Sibirien geleitet worden. Dort stieß er auf ein kleines Mädchen im Tütü, kostümiert wie für "Schwanensee", das in einem riesigen dunklen Raum mit drei Schäferhunden auf Tierfellen saß, umgeben von lauter altem Plunder und mit zwei schussbereiten Maschinenpistolen in den kindlichen Armen. Er sang ihr sowjetische Kampflieder vor, wodurch er ihr Misstrauen überwand.
Man kann Erzählungen von Georg Klein eigentlich nicht nacherzählen. Ohne seine spezielle Diktion des Laternenzeitalters, im nackten Licht der sachlichen Sprache unserer Gegenwart, erkennt man, gleich seinem Ich-Erzähler in Nowosibirsk, nur zusammengetragenes Gerümpel. Die Kleinsche Sprache mit ihren Manierismen, in der ein Chirurg "Meister der Skalpelle" und Blut "Lebenssaft" ist, in der 2000 Watt nicht einfach 2000 Watt, sondern "stolze" 2000 Watt sein müssen, hat ihre eigene Logik: Es ist die Logik der Taschenspielerei, die mit einfachsten Effekten große Illusionen zaubern kann. Das funktioniert allerdings nur solange, bis jemand das Licht anmacht.
Besprochen von Katharina Döbler
Georg Klein: "Die Logik der Süße"
Erzählungen,
Rowohlt Verlag,
Reinbek bei Hamburg 2010,
240 Seiten, 18,95 Euro
Genau das ist Kleins Methode: Typische Erscheinungen der Gegenwart – vorzugsweise technische Geräte oder mediale Gewohnheiten - beleuchtet er mit sprachlichen Mitteln aus den seligen Zeiten der Petroleumlampe, bestenfalls der Gasfunzel. Was dabei herauskommt, ist natürlich nicht der strahlende Positivismus eines Flugzeugs, eines Räumfahrzeugs oder einer Fernsehkamera, sondern ein effektvolles Geflimmer in Halbschatten, Halbdunkel und totaler Finsternis. Noch die simpelste oder auch funktionalste Form scheint in diesem Zwielicht geheimnisvolle Dimensionen zu besitzen. In allen seinen Büchern, wenn auch unterschiedlichem Ausmaß, stellt Georg Klein magische Halbwelten nach diesem Rezept her.
"Die Logik der Süße" ist der Titel seines neuesten Erzählbandes: ein Titel, der poetisch klingt, auch pompös, und geradezu transzendentale Erwartungen weckt. In der Titelgeschichte geht es jedoch lediglich um eine Lebensmittelallergie: Der Ich-Erzähler, der ein nicht näher ausgeführtes "wirkmächtiges" Objekt gegen 500 Lebensjahre Küchendienst in Nowosibirsk eingetauscht hat, verträgt keine Schokolade - nur in Trance kann er sie in rauen Mengen verschlingen. Oder im Traum? Jedenfalls ist er, so berichtet er aus einer utopischen oder dystopischen (im Halbdunkel der Geschichte ist das nicht auszumachen) Zukunft, von geheimnisvollen Kräften in seinem Inneren nach Sibirien geleitet worden. Dort stieß er auf ein kleines Mädchen im Tütü, kostümiert wie für "Schwanensee", das in einem riesigen dunklen Raum mit drei Schäferhunden auf Tierfellen saß, umgeben von lauter altem Plunder und mit zwei schussbereiten Maschinenpistolen in den kindlichen Armen. Er sang ihr sowjetische Kampflieder vor, wodurch er ihr Misstrauen überwand.
Man kann Erzählungen von Georg Klein eigentlich nicht nacherzählen. Ohne seine spezielle Diktion des Laternenzeitalters, im nackten Licht der sachlichen Sprache unserer Gegenwart, erkennt man, gleich seinem Ich-Erzähler in Nowosibirsk, nur zusammengetragenes Gerümpel. Die Kleinsche Sprache mit ihren Manierismen, in der ein Chirurg "Meister der Skalpelle" und Blut "Lebenssaft" ist, in der 2000 Watt nicht einfach 2000 Watt, sondern "stolze" 2000 Watt sein müssen, hat ihre eigene Logik: Es ist die Logik der Taschenspielerei, die mit einfachsten Effekten große Illusionen zaubern kann. Das funktioniert allerdings nur solange, bis jemand das Licht anmacht.
Besprochen von Katharina Döbler
Georg Klein: "Die Logik der Süße"
Erzählungen,
Rowohlt Verlag,
Reinbek bei Hamburg 2010,
240 Seiten, 18,95 Euro