"Typisch deutsch?": Ärzte

"Nicht sehr herzlich, aber sehr effektiv"

Ein Hausarzt sitzt in seinem Beratungszimmer vor einem Computer
in Hausarzt in seinem Beratungszimmer. © dpa / picture alliance / Klaus Rose
Von Matthias Baxmann · 22.06.2017
Gründlichkeit verbindet Korrespondent Derek Scally aus Irland mit deutschen Ärzten. Fatíma Lacerda aus Brasilien wundert sich hingegen über die Stille in den Wartezimmern hierzulande.
Derek Scally, Irland:
"Deutsche Ärzte sind meines Erachtens sehr gründlich. In meiner Heimat hat der Arzt lediglich ein Stethoskop und eine kleine Metallkasse für die 60 Euro, die man zahlen muss. In Deutschland dagegen bekommt man als Erstes eine Nadel in den Arm. Und dann kann es einem passieren, dass man gleich in eine MRT-Röhre geschoben wird. Das ganze Hightech muss ja schließlich ausgelastet werden. Im Behandlungszimmer sind deutsche Ärzte oft mehr mit dem Eintippen der jeweiligen Einheiten und Leistungsparameter beschäftigt als mit dem Patienten. Allerdings muss ich sagen, wenn ich ernsthaft krank werden sollte, dann lieber in Deutschland als in Irland."
Fatíma Lacerda, Brasilien:
"Da gibt es gewaltige Kulturunterschiede. In Brasilien plaudern die Patienten im Wartezimmer untereinander und mit den Schwestern. In Deutschland sitzt man ganz brav, spricht mit niemandem und wartet, bis man aufgerufen wird. Wenn in Brasilien ein Termin überzogen wird, steht man auf und fragt, was los ist. Das trauen sich die Deutschen nicht. Die Ärzte in Deutschland scheinen unglaublich unter Druck zu stehen. Alles muss immer ganz schnell gehen, als sei der Patient eine Art Störfaktor. In Brasilien nimmt sich der Arzt Zeit."
Tatjana Firsova, Russland:
"Was mich immer wieder irritiert, ist die Offenheit der Ärzte in Deutschland. Ich bin zum ersten Mal 2003 zum Studium nach Deutschland gekommen. Eine Kommilitonin von mir, die auch Russin war, ist krank geworden. Die Ärzte im Krankenhaus haben festgestellt, dass sie schwer krank ist, und haben ihr das sofort und völlig ungeschminkt gesagt. Das hat meine Kommilitonin damals sehr schockiert, und mich auch. In Russland würde man sich in einem solchen Fall erst einmal mit den Verwandten oder Bekannten der Patientin besprechen, bevor man sie mit so etwas Dramatischem konfrontiert."
Benedict Neff, Schweiz:
"Als Schweizer ist man arrogant und denkt, dass in der Schweiz sowieso alles besser funktioniert als im Ausland. Zum Glück bin ich, seit ich hier in Deutschland lebe, kerngesund. Denn wenn ich etwas Ernsteres hätte, würde ich sicher in die Schweiz fahren. Immerhin eine Zahnärztin habe ich in Deutschland. Die habe ich nach dem Namen ausgewählt: Frau Dr. Sommer. Das klang so freundlich, verheißungsvoll. Aber da war nichts Dramatisches zu machen, lediglich die Zahnreinigung. Das hat sie ganz hervorragend gemacht. Überrascht war ich dann über die Rechnung. Ich musste nur etwa ein Drittel von dem zahlen, was das in der Schweiz gekostet hätte. Weil die Zahnärzte in der Schweiz so teuer sind, gehen viele Schweizer für Behandlungen nach Deutschland."
Hany Ghanem, Ägypten:
"Die Deutschen gehen sehr verantwortlich mit ihrer Gesundheit um. Während man in Ägypten nur den Arzt konsultiert, wenn es einem schlecht geht, lassen sich die Deutschen regelmäßig untersuchen. Das mache ich jetzt auch. In Ägypten gibt es kein so gutes Versicherungssystem, deswegen können sich die Leute Vorsorgeuntersuchungen in der Regel nicht leisten. Aber da gibt es noch einen anderen Punkt. Die Deutschen sind da etwas mutiger.
Der Arzt könnte ja auch feststellen, dass etwas nicht stimmt. Dem stellen sich die Deutschen eher. Die Ägypter verdrängen das wohl lieber. Ich war anfangs irritiert, dass in Deutschland im Wartezimmer überhaupt nicht gesprochen wird. Jeder beschäftigt sich mit sich selbst. Die Ärzte sind meist freundlich. Allerdings habe ich immer ein wenig das Gefühl, dass es wie in einer Fabrik zugeht. Der Patient wird untersucht, in eine Schublade gesteckt und dann soll er rasch wieder verschwinden. Das ist nicht sehr herzlich, aber sehr effektiv. Also: typisch deutsch."

Unsere Serie "Typisch deutsch" wird an jedem Donnerstag um 17.50 Uhr in der Sendung "Studio 9" ausgestrahlt. Die Autoren Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt haben Korrespondenten aus rund 30 Ländern zu ihren Erfahrungen befragt. Dazu ist auch das Buch "Typisch deutsch" im Holiday Verlag erschienen.



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