Ukrainische Turmspringer im Schwarzwald
Dass das Schwimmtraining nach ihrer Flucht auch in Deutschland stattfinden kann, gibt den Jugendlichen eine Perspektive – sogar an Wettkämpfen teilzunehmen ist geplant. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
In Sicherheit und endlich wieder im Training
04:59 Minuten
Olympia war eigentlich ihr Ziel. Doch dann kam der Krieg. Seit Anfang März leben elf talentierte ukrainische Kinder aus dem Kiewer Leistungszentrum für Wasserspringer und ihre Mütter im südbadischen Kirchzarten.
Fast täglich bringt Oksana Bezrebra ihren elfjährigen Sohn Illia und seine sechsjährige Schwester Polina zum Training in das frisch renovierte Sportbad im Westen Freiburgs. Die resolute 39-Jährige aus Kiew hat früher in Dresden und Zürich Betriebswirtschaft studiert und spricht seitdem fließend Deutsch. Als russische Bomben auf Kiew fielen, zögerte sie nicht lange.
„Und da habe ich mir schon gedacht, dass ich die Kinder schützen muss und nicht mehr in Kiew bleiben soll.“
Mit drei Rucksäcken von Kiew nach Freiburg
Mit drei Rucksäcken machen sie sich auf den Weg. Über die Slowakei, Wien, München und Karlsruhe erreichen sie nach Tagen ihr Ziel: Freiburg. Auch dank des Engagements von Christian Hansler, der hier an der Dreisam die Wasserspringer trainiert.
„Ich bin über den deutschen Schwimmsportverband gegangen und hab einfach nachgefragt, ob es irgendwelche Kooperationen mit Sportlern aus Kiew, der Ukraine gibt. Und das wurde mit ja betitelt. Und dann sind die halt bei mir gelandet, die Gruppe.“
Dank der Vermittlung von Oksana Bezrebra betreut Christian Hansler mittlerweile zusammen mit zwei Trainerinnen aus dem Kiewer Leistungszentrum elf ukrainische Mädchen und Jungen zwischen sechs und elf Jahren. Vieles geht nur über Zeichensprache. Sechsmal pro Woche wird im Wasser trainiert und einmal in der Turnhalle.
Mittlerweile leben zehn Mütter aus der Ukraine gemeinsam mit ihren Kindern in Kirchzarten im Südschwarzwald, vor den Toren Freiburgs.
Die Kinder haben Schutz und können trainieren
„Ja, also ich bin auch jetzt glücklich, dass die Kinder so einen Schutz haben erst mal und zweitens, dass sie wirklich jetzt auch glücklich sein können hier mit Trainings – und sie gehen hier zur Schule. Das ist alles sehr gut gelaufen.“
Zurück in der Schwimmhalle. Vor dem siebeneinhalb Meter hohen Sprungturm steht der elfjährige Illia, Oksanas Sohn. Markanter Kurzhaarschnitt, wacher, konzentrierter Blick und für sein Alter breite Schwimmer-Schultern.
„Ich heiße Illia, ich bin elf Jahre alt und komme aus der Ukraine. Mein Hobby ist Wasserspringen.“
Bevor Illia auf das drei Meter hohe Sprungbrett darf, machen die Mädchen und Jungen unter Anleitung von Christian Hansler zum Aufwärmen intensive Dehnübungen und Strecksprünge.
In der Ukraine steht Leistungssport höher im Kurs
Dann darf Illia hoch auf das Dreimeterbrett. Konzentriert setzt er sich ganz an die Spitze des Brettes, selbst von unten sieht man die Körperspannung – dann lässt er sich kopfüber in die Tiefe fallen.
„Momentan sind wir ja nur in reinen Tauchübungen. Und da geht’s halt darum, spritzerlos einzutauchen. Und in dem Fall war bei ihm die Technik einwandfrei. Ja, dann kommen Absprünge dazu und die ganzen Salto-Drehungen, vorwärts, rückwärts, da sind einige Sprünge mehr gefragt.“
Im Becken nebenan findet parallel ein Schwimmkurs mit deutschen Kindern statt. Fasziniert beobachten sie die mutigen Altersgenossen, die im Sekundentakt kerzengerade ins Wasser springen. Christian Hansler, früher selbst erfolgreicher Wasserspringer, macht sich am Beckenrand seine Gedanken.
„Unsere tun sich ja mittlerweile schwer mit Leistungssport. Bei denen ist das ja noch relativ hoch geschrieben.“
Traum von der Olympiade
Illia jedenfalls hat ehrgeizige Pläne. Sein großer Traum sind die Olympischen Spiele. Doch jetzt trainiert der Elfjährige erst mal für die deutschen Meisterschaften, wo er außer Konkurrenz antreten darf.
„Er sagt, er fühlt sich hier ganz gut. Er bereitet sich auf die Wettkämpfe in Aachen vor, da will er im Juli eine Medaille holen“.
Auf der Flucht war Illia sehr verängstigt und unsicher. Und er weinte viel, erzählt seine Mutter. Doch jetzt, da er wieder trainieren kann und mit Gleichaltrigen zusammen ist, blüht er wieder richtig auf. Das freut seine Mutter und auch seinen Trainer Christian Hansler.
Eine Win-Win-Situation
„Im Großen und Ganzen ist das eine Win-Win-Situation. Man versteht sich sehr gut mittlerweile. Mit den zwei Trainerinnen arbeite ich ja auch zusammen. Wir haben alle dadurch etwas gewonnen. Also nicht nur verloren, auch gewonnen.“
„Das war einfach so - der liebe Gott hat uns geholfen“.
Nachdem er mehrere Sprünge gemacht hat, kommt der Elfjährige nochmal vorbei. Er will noch etwas sagen.
„Also er meint, dass es einfach so schön ist, dass es ein professioneller Sport ist und dass es ihm gefällt, aus der Höhe ins Wasser zu springen. Und dass es wahrscheinlich eine – nicht Schicksal – aber eine zukünftige Orientierung im Leben sein wird“.
Ob Illia weiterhin in Freiburg trainiert oder irgendwann mit seiner Schwester und seiner Mutter in seine Heimat zurückkehren kann, ist ungewiss.
„Ja, es ist schwierig zu sagen, weil eben niemand weiß, wie lange das so dauern wird und wie der Zustand dann in der Ukraine sein wird, vor allem in Kiew. Ich möchte einfach, dass die Kinder glücklich bleiben. Ich gebe mir schon Mühe und mache mein bestes, damit alles gut läuft. Und ja, wir schauen mal, ob unsere Zukunft hier wäre. Wenn nicht, kehren wir schon zurück.“