Tunesien

Erste freie Wahl nach dem Umsturz

Tunesierinnen demonstrieren am internationalen Frauentag 2014 in Tunis für mehr Rechte. (8.3.2014)
Frauen müssen in der tunesischen Politik immer noch um Respekt kämpfen. © dpa/ picture alliance / Mohamed Messara
Von Jens Borchers · 22.10.2014
Islamisten gegen Weltliche - dieser politische Richtungskampf hielt Tunesien drei Jahre lang in Atem. Was wird wohl die kommende Parlamentswahl bringen, eine neue Krise oder das Ende des Reformstaus?
Tunis, Ende Januar dieses Jahres: Fast fröhlich schmetterten die Abgeordneten der Verfassung gebenden Versammlung die Nationalhymne – weil sie sich nach schier endlosem Streit auf ein neues Grundgesetz geeinigt hatten. Endlich. Damit war klar: Jetzt wird es in absehbarer Zeit Wahlen geben. Diese Wahlen stehen jetzt an und Saida Ounissi kandidiert für das neue Parlament.
Die junge Frau ist 27 Jahre alt, sie macht gerade in Paris ihren Doktor. Und in Tunis Wahlkampf für die Islamisten-Partei Ennahda. Saida Ounissi glaubt, dass diese Wahlen in Tunesien ein besonderes Gewicht haben:
"Gelungene Wahlen wären der Beweis, dass ein arabisches Land, ein islamisches Land fähig ist, eine Demokratie zu sein. Fähig ist, Institutionen und die Menschenrechte zu respektieren."
Klingt gut. Es fragt sich nur, ob sich mit dieser Parlamentswahl wirklich etwas in der Struktur der Macht ändert. An der Macht, die Männer der alten Diktatoren-Garde über ihre wirtschaftlichen Netzwerke weiter ausüben. An der Macht, die der Islamismus entwickelt, sei es der Islamismus, den die Partei Ennahda vertritt. Oder der Islamismus, den Radikale im Untergrund schüren.
Ein Gegengewicht zu den Islamisten
Ändert sich etwas an der Macht, die tunesische Männer über tunesische Frauen beanspruchen. Für diese letzte Variante von Machtbewusstsein steht Beja Caid el Sebsi, 87 Jahre alt, der starke Mann bei Nidaa Tounés. Die Partei will modern und weltlich sein. Ein Gegengewicht zu den Islamisten. Und sie hat gute Chancen, viele Mandate bei dieser Wahl zu bekommen. Obwohl Essebsi sich krasse Bemerkungen im Fernsehen erlaubt.
Essebsi wird von einem Fernsehmoderator auf eine Bemerkung einer bekannten tunesischen Politikerin angesprochen. Der alte Mann reagiert lässig:
"Tja, was soll ich Ihnen sagen – sie ist eine Frau!"
Und erzählt dann noch eine krude Geschichte, um zu begründen, warum Frauen nicht wirklich zählen. Es folgt ein Rauschen im tunesischen Medien-Wald. Dann ist wieder Ruhe.
Das gilt auch für einen Bericht der Weltbank über die Machtverhältnisse in der tunesischen Wirtschaft. Dieser Report sagt im Kern: Die Günstlings-Wirtschaft, die die Diktatoren-Familie Ben Ali aufgebaut hatte, ist keineswegs zu Ende. Immer noch profitieren die alten Netzwerke von Monopol-Stellungen in wichtigen Märkten. Sie können sich auf günstige Finanzierungen staatlicher Banken stützen. Und sie kassieren staatliche Subventionen die mit der Gießkanne auch an die besonders Wohlhabenden verteilt werden.
Neues Wachstum?
Die Analysten der Weltbank schreiben: Diese Strukturen müssten dringend aufgebrochen werden. Das wäre eine Aufgabe für die Politik. Dann könnte Tunesiens kriselnde Wirtschaft endlich neues Wachstum, neue Arbeitsplätze und neue Chancen für junge Menschen entwickeln. Dieser Reformstau wird nur selten angesprochen. Auch Salma Mabrouk von der UPT, der Union für Tunesien, drückt das sehr allgemein aus:
"Weil Tunesien nicht noch drei weitere Jahre für schlechte Regierungsführung und die Manipulation der Institutionen bezahlen kann."
Von konkreten Reform-Vorschlägen für die verkrusteten Wirtschaftsstrukturen ist wenig bis nichts zu hören. Dabei reden sowohl die Islamisten der Ennahda-Partei wie die alten Herren von der Nidaa Tounés-Partei gerne von Kompetenz. Kompetenz, um die Wirtschaft anzukurbeln. Nur wie das geschehen soll, welche Netzwerke dafür angetastet oder gar gesprengt werden müssten – davon spricht kaum jemand im Wahlkampf.
Alle versprechen Wirtschaftswachstum. Alle versprechen den vielen jungen Arbeitslosen eine bessere Zukunft. Was da genau in Zukunft besser werden soll, das bleibt sehr vage. Die demokratischen Institutionen sind da. Wer sie künftig nutzen wird, ob mit diesen Institutionen nach der Parlamentswahl wirkliche Strukturreformen durchgesetzt werden – das ist noch vollkommen offen.
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