Türkischer Rechtsextremismus

Die unterschätzte Gefahr

08:46 Minuten
Türkische Fahnen werden geschwenkt, die Männner zeigen den sogenannten Wolfsgruß. Dabei werden Zeigefinger und kleiner Finger abgespreizt, die anderen drei Finger zusammen gepresst. Der Gruß soll einen Wolf darstellen, ein mystisches Symbol des Landes sowie der türkischen Rechten, die auch «Graue Wölfe» genannt werden.
Anhängerinnen und Sympathisanten der Grauen Wölfe träumen von einem großtürkischen Reich. © dpa / picture alliance / Shabtai Gold
Kemal Bozay im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 27.04.2021
Audio herunterladen
Lange Zeit wurden die Grauen Wölfe in Deutschland kaum als Problem wahrgenommen. Auch deswegen sei die Mitgliederzahl der rechtsextremen Bewegung auf mehr als 18.500 angestiegen, heißt es nun in einer neuen Studie.
Wissenschaftlerinnen und Aktivisten warnen schon lange davor, den türkischen Rechtsextremismus in Deutschland zu unterschätzen. Nun hat sich eine Studie im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) in Berlin mit der faschistischen Organisation genauer befasst. Autor ist Professor Kemal Bozay, der an der Internationalen Hochschule Köln forscht und lehrt.

Jugendliche im Fokus der Nationalisten

Bozay und das AJC haben in der Untersuchung einen wachsenden Einfluss der Grauen Wölfe in Deutschland festgestellt. Vor allem türkische Jugendliche seien im Fokus der Nationalisten. "Wir merken, dass extrem rechte und rassistische Einstellungen stärker werden", sagt Bozay. Zudem würden polarisierende Standpunkte zum Umgang mit Kurden, Armeniern, Aleviten und Juden durch die Medien, politischen Instanzen und Organisationen aus der Türkei nach Deutschland transportiert.
Die Grauen Wölfe seien bundesweit in drei Dachverbänden und über 300 lokalen Vereinen organisiert. Sie seien bereits seit den 1970er-Jahren in Deutschland aktiv und besäßen heute insgesamt mehr als 18.500 Mitglieder, heißt es in der Studie. Politisch organisiert seien die Grauen Wölfe in der Türkei in drei Parteien, darunter die MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung), BBP (Partei der Großen Einheit) und Iyi Parti (Gute Partei).

Fantasien von Großreichen

Auch in Deutschland verbreiteten die Ableger dieser Parteien eine demokratiefeindliche Gesinnung, die außerdem menschenverachtend sei. Besonders Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus seien fest in der Ideologie verankert.
Der türkische Rechtsextremismus habe einige Ähnlichkeiten mit dem deutschen. Die Grauen Wölfe würden von einem großtürkischen Reich träumen, das von der Chinesischen Mauer bis nach Griechenland reiche. Ähnliche sei es bei deutschen Rechtsextremistinnen und Nazis, die von einem Großdeutschland fantasierten. "Das sind bestimmte Machtutopien, die extreme rechte Bewegungen prägen", sagt Bozay.
Lange Zeit hätten Wissenschaftlerinnen und Forscher in der Rechtsextremismusforschung das Thema Rassismus in Minoritäten ausgeblendet, kritisiert Bozay. Seit einiger Zeit jedoch werde nun mehr über Rechtsextremismus in migrantischen Communities gesprochen.
Um die Probleme zu lösen, müssen laut Bozay drei Punkte angepackt werden. So müsse erstens jegliche Form von Rechtsextremismus in der Gesellschaft abgelehnt werden. Zweitens müssten Propagandamöglichkeiten unterbunden werden. Das heiße auch, Symbole und Codes zu verbieten. Und drittens müsse mehr bildungspolitische Arbeit geleistet werden, "um junge Menschen mit Migrationsgeschichte abzuholen und ihnen in dieser Gesellschaft auch Chancen zu eröffnen".
(sbd)
Mehr zum Thema