Türkischer Journalist Can Dündar

"Ich weiß, wer die echten Verräter sind"

Der türkische Journalist Can Dündar bei der Eröffnung des Online-Magazins Özgürüz
Der türkische Journalist Can Dündar: Seit mehr als einem Jahr im deutschen Exil © dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini
Can Dündar im Gespräch mit Ute Welty  · 05.10.2017
In seinem Buch "Verräter" beschäftigt sich der Exil-Journalist Can Dündar mit den Vorwürfen der türkischen Machthaber gegen ihn und seine Kollegen. Er wolle erklären, was Verrat eigentlich sei und eine neue Bewertung des Begriffes.
Der türkische Journalist Can Dündar hat seine Aufzeichnungen aus dem deutschen Exil zu einem Buch verarbeitet. In "Verräter" erzählt er von den Ereignissen, die sich in dem letzten halben Jahr nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft überschlagen haben: Prozess, Attentat, Urteil, der Putschversuch in seiner Heimat, seine Flucht nach Deutschland, sein Exil in Berlin. Dort führt der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet" ein Leben zwischen Preisen und Anerkennungen, Bedrohungen und Anfeindungen und kämpft weiter gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Provozierender Titel

"Ich weiß, der Titel klingt provokativ, aber das wollte ich auch", sagte Can Dündur im Deutschlandfunk Kultur über sein gerade erschienenes Buch "Verräter". Dieses Wort werde von den türkischen Machthabern ständig gegenüber Journalisten verwendet. "So stellt der Titel eine Art Einladung an sie dar, mich zu lesen. Ich weiß, dass sie es sehr lieben werden."
Dündar sagte, er versuche in dem Buch zu erklären, was Verrat eigentlich sei und wer die eigentlichen Verräter in der Türkei seien. "Es ist also genau andersherum zu verstehen, als man meinen könnte." Er habe mit dem provokativen Titel beweisen wollen, dass die Machthaber die eigentlichen Verräter seien. "Unsere Gegner versuchen den Begriff auf Schritt und Tritt gegen uns zu wenden." Er habe eine Neubewertung erreichen wollen. "Ich bin kein Verräter, ich weiß, wer die echten Verräter sind und ich wollte das genau in meinem Buch erklären."

Wiedergutmachung für falsche Entscheidungen

Dündar sagte, er sei in Deutschland nach seiner Ankunft gut aufgenommen worden und habe Sympathiebekundungen aus ganz Europa erlebt. Der Journalist kritisierte, dass die EU und vor allem Deutschland die Erdogan-Regierung in ihren Anfängen unterstützt habe. Man habe Erdogan fälschlicherweise für einen "gemäßigten Islamisten" gehalten. Später habe man ihn für den Flüchtlingsdeal benötigt. "Ich glaube, sie wollten mit dieser Haltung, die sie mir gegenüber zeigten, eine Art Wiedergutmachung für falsche Entscheidungen der Vergangenheit zeigen und aus diesem Grunde unterstützen sie uns."

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Als Can Dündar seine Ausbildung beginnt, stehen alle Weichen auf Erfolg. Er studiert in Ankara und London, promoviert in Politikwissenschaften und wird Chefredakteur der renommierten türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet". Im vergangenen Jahr dann der Riss, der durch Dündars Biografie und durch seine Familie geht: Can Dündar wird wegen angeblicher Spionage und Verrats von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, und weil das Urteil nicht rechtskräftig ist, flieht Dündar nach Deutschland. Seiner Frau wird bis heute die Ausreise verweigert. Über das erste Jahr in Deutschland hat Can Dündar ein Buch geschrieben, das heute erscheint. Es heißt "Verräter: Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil". Dündars Ankunft in Deutschland gestaltete sich eigentlich ziemlich positiv. Er fand sehr schnell eine Wohnung, bekam ein Stipendium, wurde ausgezeichnet, seine Stimme war gefragt. Im Gespräch mit Can Dündar wollte ich deswegen vor allem wissen, ob sich jetzt so etwas wie Ernüchterung breit macht.
Can Dündar: Ich hatte irgendwie großes Glück. Ich bin durch die Deutschen sehr gut aufgenommen worden, denn sie wissen, was wir in der Türkei erleben. Ich glaube, die Sympathie, die mir entgegenschlug, galt auch nicht nur mir, sondern sie war eine Reaktion auf die türkische Aggression, und aus diesem Grunde schlug mir die Sympathie entgegen, nicht nur von deutscher Seite, sondern aus ganz Europa. Alle wissen ja, wofür wir kämpfen und mit was für einer Regierung wir es zu tun haben. Ich glaube, das war in Anerkennung dieses Wissens, dass es so geschah.
Welty: Hatten Sie den Eindruck, Deutschland und Europa hätten etwas gut zu machen?
Dündar: Das Problem war leider am Anfang, dass Europa und insbesondere Deutschland gegenüber der AKP-Regierung und Erdogan eine wohlwollend unterstützende Haltung zeigten, und zwar aus mehreren Gründen. Sie hielten Erdogan für einen gemäßigten Islamisten. Als man dann erkannte, dass er nicht dieser gemäßigte Islamist ist, war es schon etwas spät, und man brauchte ihn unbedingt, um das Flüchtlingsabkommen unter Dach und Fach zu bringen. Sie wissen also, trotz der Tatsache, dass es in der Türkei, was die demokratischen Freiheiten angeht, Tag um Tag schlimmer wird, dass sie ihn brauchen. Ich glaube, sie wollten mit dieser Haltung uns gegenüber falsche Entscheidungen, die sie getroffen hatten, wieder wettmachen, und aus diesem Grunde unterstützen sie uns.
Welty: In dieser Anfangszeit in Deutschland, was hat Sie irritiert, worüber haben Sie sich gewundert?
Dündar: Überrascht war ich tatsächlich davon, ein wie großes Thema die Türkei hier ist. Vom ersten Tag an begegnete mir die Türkei als Aufmacher in den Nachrichten-Sendungen, als Schlagzeile in den Zeitungen. Das hat mich überrascht, und ich fühlte mich sozusagen hier wie zu Hause. Erdogan jeden Tag in jeder Zeitung, in jedem Fernsehsender zu sehen. Das ist irgendwie gut für einen Journalisten, der aus der Türkei nach Europa kommt. Es ist aber auch irgendwie befremdlich, weil Berlin für mich dadurch zu einer anderen türkischen Stadt geworden ist.
Welty: Was mich irritiert, das ist der Titel Ihres Buches, "Verräter", denn man kann den Eindruck bekommen, als ob Sie sich den Vorwurf des Verrats von der gegnerischen Seite, der Erdogan-Befürworter, zu eigen machen, ihn aufwerten. Warum haben Sie ausgerechnet diesen Titel gewählt?
Dündar: Ich weiß, der Titel klingt provokativ, aber das wollte ich auch, denn dieses Wort verwenden sie ja ständig gegenüber uns, und so stellt der Titel eine Art Einladung an sie dar, mich zu lesen. Es ist also genau anders herum zu verstehen als man meinen könnte. Die Verräter sind diejenigen, die die Macht in der Türkei haben. Ich wollte diesen provokativen Titel, um das zu beweisen, dass nicht die Journalisten, die über ein internationales Verbrechen berichten, die Verräter sind, sondern dass diejenigen Politiker, die dieses Verbrechen begangen haben, die echten Verbrecher und Verräter sind.
Welty: Was versprechen Sie sich von dieser Provokation?
Dündar: Ich wollte damit erreichen, dass der Begriff Verrat noch einmal auf den Prüfstand gestellt wird, denn unsere Gegner versuchen den auf Schritt und Tritt gegen uns zu wenden. Ich wollte eine Neubewertung dieses Begriffes und dass er in die richtige Richtung hineingedeutet wird. Also, ich bin kein Verräter. Ich weiß, wer die echten Verräter sind, und ich wollte das genau in meinem Buch erklären, wer sind die Verräter.
Welty: Nicht nur Sie sind unter Druck gesetzt, Sie schreiben auch von den Schwierigkeiten, zum Beispiel, Mitarbeiter zu finden, weil viele Menschen offenbar Angst haben, mit Ihnen und für Sie zu arbeiten. Muss der deutsche Staat mehr tun, um Sie und andere Erdogan-Kritiker zu schützen?
Dündar: Tja, ehrlich gesagt, ich erwarte eigentlich gar nichts von einer ausländischen Regierung. Wenn sie vielleicht etwas weniger unterstützend gegenüber der Erdogan-Regierung auftreten könnte, wäre das gut. Leider nahm Deutschland zu Beginn eine sehr wohlwollende Haltung gegenüber der Erdogan-Regierung ein, aber die deutsche Gesellschaft insgesamt, die Öffentlichkeit, die flößt mir doch sehr viel mehr Zuversicht ein. Sie wissen, mit welcher Regierung wir es zu tun haben. Sie wissen, dass sie uns unterstützen können. Sie treten auch als Kritiker der Regierung auf. Die Leute wollen, dass wir unseren Kampf fortsetzen. Sie wissen, mit wem wir es zu tun haben. Und das ist wirklich etwas, was mich zuversichtlich stimmt: Die Universitäten, die Medien, die Parteien, sie alle wollen, dass wir für eine bessere Zukunft in der Türkei kämpfen. Davon abgesehen glaube ich, dass man die gesamten türkisch-deutschen Beziehungen neu bewerten sollte, dass man in die Zukunft der beiden Gesellschaften investieren sollte, denn wir leben ja und sollen auch weiterhin zusammenleben, allein schon wegen der großen türkischen Bevölkerung in Deutschland. Wir müssen Wege finden, die Polarisierung, die Erdogan uns auferlegt hat, zu überwinden und einen echten Dialog zu beginnen, vor allem aber müssen wir diesen Hass, der aufgekommen ist, beenden.
Welty: Ihr Buch, Herr Dündar, ist ohne Zweifel politisch, es ist aber auch persönlich. So darf Ihre Frau die Türkei nicht mehr verlassen. Ihr wurde am Flughafen der Pass abgenommen, weil der angeblich als gestohlen gemeldet war. Denken Sie mit Blick auf Ihre Familie manchmal, dass es klüger wäre, Präsident Erdogan etwas weniger zu reizen, sich diplomatischer zu verhalten?
Dündar: Ich habe ganz stark das Gefühl, dass meine Familie als Geisel genommen worden ist, und deswegen wollte Erdogan auch nicht, dass sie die Türkei verlassen sollte. Er glaubt eben, dass er mit dieser Geisel in der Hand eine Möglichkeit hätte, die eigenen Gegner zum Schweigen zu bringen, denn alles, was ich hier schreibe und sage, setzt meine Frau in Gefahr. Ich weiß, er vertraute darauf, dass die Macht dieser Drohung ihre Wirkung tun würde, aber meine Frau und ich, wir haben uns vorher schon dazu abgesprochen. Wir sind uns einig, wir können jetzt nicht einfach den Mund verschließen, deshalb setzen wir den Kampf weiter fort. Wir wussten von Anfang an, Schweigen ist keine gute Art zu kämpfen. Im Gegenteil, wir müssen weitermachen, auch wenn das derzeit in der Türkei ein riskantes Unternehmen ist.
Welty: Can Dündar im "Studio 9"-Gespräch, das Johannes Hampel dankenswerterweise übersetzt hat. Heute erscheint bei Hoffmann und Campe Dündars Buch "Verräter: Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Can Dündar: "Verräter. Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil"
Verlag Hoffmann und Campe 2017
192 Seiten, 20 Euro

Can Dündar, geboren 1961, studierte Journalismus in Ankara und London und promovierte 1996 in Politikwissenschaften. Dündar war in der Türkei zuletzt Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet. Wegen angeblicher Spionage und Verrats von Statsgeheimnissen wurde der Journalist 2016 zu einer Haftstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt. Er legte Revision ein. Nachdem das Gericht sein Ausreiseverbot aufgehoben hatte, reiste Dündar Juli 2016 nach Deutschland aus. Seither lebt und arbeitet Dündar in Berlin, seiner Frau wurde die Ausreise verweigert.

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