Türkische Regierung unter Druck

Ein Mafiaboss als Youtube-Star

07:43 Minuten
Sedat Peker bei seiner Entlassung 2014 aus dem Silivri-Gefängnis in Istanbul.
Der Mafiapate Sedat Peker galt lange als Unterstützer der türkischen Regierung. Nun wirft er ihr in Youtube-Videos massive kriminelle Verstrickungen vor. © dpa / Anadolu Agency / Islam Yakut
Karin Senz im Gespräch mit Britta Bürger · 25.05.2021
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Ein türkischer Mafiaboss wirft der Regierung in Ankara Verstrickung in Korruption, Drogenhandel und Mord vor. Seine Videos auf Youtube haben ein politisches Erdbeben ausgelöst und setzten Präsident Erdogan unter Druck.
Schwarzes, aufgeknöpftes Hemd, aus dem eine Goldkette hervorblitzt, breites Grinsen: So präsentiert sich einer der größten Mafiabosse der Türkei in seinem jüngsten Youtube-Video.
Sedat Peker sitzt an einem großen Schreibtisch, vor ihm die Papiere ordentlich sortiert, hinter ihm ein Konferenzraum mit einem Clipboard. Türkische Medien vermuten, er verstecke sich seit mehr als einem Jahr in Dubai, andere wiederum sprechen von Mazedonien. Peker schaut frontal in die Kamera, hält dabei einen mehr als einstündigen Monolog über Korruption, Drogenhandel, Mord und die Verstrickungen der Politik darin.

Soap-Opera mit Reality-Factor

Und die Türkei schaut ihm seit nunmehr sieben Videos gebannt zu. Mehr als 13 Millionen Mal wurde das letzte Video angeklickt, insgesamt 50 Millionen Menschen sollen sich alle Folgen angeschaut haben.
Die Korrespondentin Karin Senz nennt die Inszenierung Pekers eine "Soap-Opera mit Reality-Factor". Peker werfe mit Namen nur so um sich und sei teilweise schwer verständlich, sagt sie. Trotzdem warteten die Menschen gespannt auf die nächste Folge der Serie. So erzähle Peker, wie Politiker Morde von politischen Gegnern in Auftrag gegeben haben sollen, oder wie der Schwiegersohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım angeblich Kokaingeschäfte in Venezuela eingefädelt habe.
Für die Menschen in der Türkei sei der Mafioso Peker ein "Insider" und das nicht nur in der organisierten Kriminalität, sondern auch in der Politik, sagt Senz: "Er greift Politiker an, die bisher als unangreifbar erschienen."

Schwere Vorwürfe gegen den Innenminister

Unter den Namen, die Peker erwähne und anschwärze, sei vor allem der AKP-Politiker und derzeitige türkische Innenminister Süleyman Soylu. Angeblich seien die beiden lange Weggefährten gewesen. Peker habe als Unterstützer des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegolten, bis er in Ungnade gefallen sei und sein Haus durchsucht wurde.
Außerdem sei noch ein anderer Punkt wichtig, weshalb die Videos so oft angeklickt würden, sagt Senz: Es schwinge eine Hoffnung mit, dass die AKP-Regierung endlich verschwinden könnte. Es gebe sogar Menschen in der Türkei, die den Mafiaboss wählen würden, falls er in die Türkei zurückkommen und sich zur Wahl aufstellen lassen würde. Viele Menschen seien verzweifelt wegen der verheerenden wirtschaftlichen Lage des Landes und der politischen Zustände. Die Coronakrise habe das Leben von Millionen verschlechtert.

Vertrauensverlust für Erdogan

Präsident Erdogan habe sich bisher noch nicht zu den Videos geäußert. Nachdem die Staatsmedien erst wochenlang über die Vorwürfe Pekers geschwiegen hätten, seien sie jetzt aber auf die Geschichte angesprungen. "Das heißt also, Präsident Erdogan hat auf jeden Fall die Nachrichtenhoheit in der Türkei verloren. Und das passiert äußert selten", meint Senz. Außerdem habe sich Soylu den überraschend kritischen Fragen von Journalisten stellen müssen.
Laut Senz erwarten Expertinnen und Journalisten im Land nicht, dass es zu Rücktritten in der Regierung kommen könnte, dass zum Beispiel Erdogan seinen Innenminister fallen lasse. Aber das Ansehen der türkischen Regierung sei massiv beschädigt. Außerdem stehe sie nun unter starkem Druck, so Senz: Nach derzeitigen Umfragen würde die Regierungskoalition nicht mal auf knapp 40 Prozent kommen.
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