Türkische Politiker in Deutschland

"Nicht hinter Brandschutzregeln verstecken"

Der türkische Vizeministerpräsident Bekir Bozdag steht am 12.03.2013 in Backnang (Baden-Württemberg) bei der Trauerfeier für sieben Kinder und eine Frau, die am 10.03.2013 bei einem Brand ums Leben gekommen waren zwischen Trauergästen.
Er darf vorerst nicht in Gaggenau reden: der türkische Justizminister Bekir Bozdag. © dpa / picture-alliance / Marijan Murat
Ralf Poscher im Gespräch mit Nana Brink · 03.03.2017
Die Stadt Gaggenau hat einen Auftritt des türkischen Justizministers untersagt. Offiziell geht es dabei um Sicherheitsbestimmungen. Eigentlich stecke dahinter die Sorge davor, innenpolitische Konflikte der Türkei nach Deutschland zu transportieren, sagt der Staatsrechtler Ralf Poscher.
Der türkische Justizminister Bekir Bozdag darf vorerst nicht in Gaggenau auftreten. Er wollte in der dortigen Festhalle unter anderem für ein Präsidialsystem in der Türkei werben. Die Stadt untersagte die Veranstaltung mit der offiziellen Begründung: Die Halle, die Parkplätze und die Zufahrten reichten für den erwarteten Besucherandrang nicht aus, Brandschutzregeln könnten nicht eingehalten werden.
Für den Juristen Ralf Poscher, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg, verbirgt sich hinter dieser Absage jedoch ein politischer Konflikt, der im deutschen Grundgesetz begründet ist: Die Versammlungsfreiheit gelte nur für Deutsche, nicht für Ausländer in Deutschland – und das würde auch den türkischen Justizminister betreffen.

Keine Fremdenfeindlichkeit des Grundgesetzes

"Der Grund dafür liegt nicht in einer finsteren Fremdenfeindlichkeit des Grundgesetzes, sondern darin begründet, dass das Grundgesetz Konflikte, wie wir sie in Deutschland in Bezug auf die Türkei haben, gleichsam vorausgesehen hat und Vorkehrungen treffen wollte, dass eben nicht, innenpolitische Konflikte anderer Länder durch diese anderen Länder und (…) die Staatsangehörigen dieser Länder, die bei uns wohnen, hineingetragen werden."
Er würde sich wünsche, sagte Poscher weiter, dass "die Politik nicht versucht, sich hinter Brandschutzregeln zu verstecken".

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Viel Aufmerksamkeit hatte das Städtchen Gaggenau gestern erreicht, weil es eine Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister abgesagt hat. Das strengt natürlich die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sehr an. Und auch der Wirtschaftsminister, der türkische, sollte ja eigentlich am Sonntag in Köln sprechen und das wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht stattfinden. Die Begründung ist immer: zu großer Besucherandrang und Sicherheitsbedenken! Ralf Poscher ist Professor an der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg und Direktor des Instituts für Staatswissenschaften und Rechtsphilosophie. Einen schönen guten Morgen, Herr Poscher!
Ralf Poscher: Ja, guten Morgen!
Brink: Sind denn die Entscheidungen in Gaggenau und jetzt in Köln auch richtig?
Poscher: Zu den einzelnen Entscheidungen vor Ort kann ich eigentlich nichts sagen, weil ich die konkrete Situation nicht kenne. Soweit ich das sehe, handelt es sich gar nicht um ordnungsrechtliche Maßnahmen im engeren Sinn, vielmehr geht es darum, dass wohl Nutzungserlaubnisse widerrufen worden sind, die zum Teil auch auf unvollständigen Angaben der Veranstalter drohten. Dazu kann ich im Einzelnen nichts sagen.
Brink: Aber sind sie denn richtig begründet?
Poscher: Wenn die Nutzungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind und die Angaben da nicht vollständig waren, dann können die durchaus richtig begründet sein. Ich denke nur, hinter diesen Begründungen verbirgt sich natürlich ein tiefer liegender Konflikt, der sich interessanterweise eben auch schon in den Bestimmungen des Grundgesetzes für Versammlungsfreiheit andeutet.
Brink: Das müssen Sie näher erklären, warum?
Poscher: Die Versammlungsfreiheit ist im Grundgesetz anders als die meisten anderen Grundrechte ausdrücklich nur als Deutschengrundrecht ausgestaltet. Und der Grund dafür liegt jetzt nicht in einer finsteren Fremdenfeindlichkeit des Grundgesetzes, sondern darin, dass das Grundgesetz eben entsprechende Konflikte, wie wir sie jetzt auch in Deutschland in Bezug auf die Türkei haben, gleichsam vorausgesehen hat und Vorkehrungen treffen wollte, dass eben nicht innenpolitische Konflikte anderer Länder durch diese anderen Länder und die Ausländer oder Staatsangehörigen der anderen Länder, die bei uns wohnen, hier nach Deutschland hineingetragen werden. Das Grundgesetz wollte gleichsam auch eine Möglichkeit jedenfalls dafür schaffen, dass die Versammlungsfreiheit von Ausländern begrenzt werden kann, wenn dadurch innenpolitische Konflikte anderer Länder nach Deutschland hineingetragen werden sollen. Und …

"Man muss das Gesamtbild der Veranstaltung betrachten"

Brink: Aber wenn ich jetzt mal ganz naiv bin und mal einhaken darf: Man könnte das ja ganz leicht umgehen, indem man sozusagen … Es gibt ja viele türkischstämmige Menschen, die hier leben, die einen deutschen Pass haben, und wenn die dann diese Veranstaltung irgendwie sozusagen ins Leben rufen würden, dann wäre das ja hinfällig. Oder geht das nicht so einfach?
Poscher: Ich würde sagen, das geht nicht so einfach; weil, bei Versammlungen kommt es immer darauf an, nicht welche Motive jetzt einzelne Versammlungsteilnehmer haben, sondern man muss dabei natürlich immer sozusagen das Gesamtbild der Versammlung betrachten. Und wenn das Gesamtbild der Versammlung eines ist, dass sie eigentlich sozusagen eine Veranstaltung von in Deutschland lebenden Ausländern zu Konflikten ist, die sich eigentlich aber nur auf das Heimatland beziehen und dadurch eben auch zwischen den hier lebenden Ausländern die Gefahr besteht, dass da das friedliche Zusammenleben beeinträchtigt werden kann, dann – so, denke ich, ist die Grundvorstellung dafür, dass das Versammlungsgrundrecht als Deutschengrundrecht ausgestaltet worden ist –, dann soll die Möglichkeit bestehen, dass da Einschränkungen getroffen werden.
Brink: Wenn das so einfach ist, wie Sie sagen, warum ist das dann nicht als Begründung angebracht worden? Das wäre doch dann ganz einfach?
Poscher: Das ist sozusagen der Punkt, auf den ich auch gerne hinauswollte, dass jetzt … Unabhängig davon, ob es noch andere Gründe gibt, warum solche Veranstaltungen abgesagt werden, gibt es sowohl im Ausländerrecht als eben auch angefangen bei der Verfassung eigentlich einen Begründungsstrang, der es erlauben würde, entsprechenden Veranstaltungen, wenn sie das friedliche Zusammenleben der Ausländer hier beeinträchtigen können, weil eben innenpolitische Konflikte anderer Länder durch Ausländer nach Deutschland hineingetragen werden, da gibt es eigentlich Möglichkeiten, die zu begrenzen. Sodass das im Grunde eine politische Entscheidung ist und nach dem Grundgesetz auch sein soll, ob man solche Versammlungen in Deutschland … und in welchem Umfang man die tolerieren will.

"Das ist letztlich auch eine politische Entscheidung"

Brink: Das heißt, Klartext eigentlich: Man sollte sich nicht hinter sicherheitspolitischen … Sicherheitsbedenken verstecken, sondern ganz klar sagen, das ist nicht erwünscht? Es gibt ja auf europäischer Ebene auch eine Regelung, wo es eigentlich Usus ist, dass man sagt: Als Mitglied einer ausländischen Regierung greift man nicht in die Souveränität eines anderen Landes ein und begibt sich dorthin, wenn man nicht eingeladen ist. Da müsste man das doch eigentlich klar sagen vonseiten der Bundesregierung zum Beispiel?
Poscher: Ja, also, ich denke, die Entscheidung darüber liegt natürlich letztlich auch wieder bei den Ausländerbehörden, sind also auch lokale Entscheidungen. Aber natürlich gibt es Weisungszusammenhänge von der Regierung zu den lokalen Behörden. Das ist letztlich auch eine politische Entscheidung. Es kann natürlich sein, dass außerdem noch Brandschutzbedenken oder sonstige Dinge bei Veranstaltungen auftreten können. Aber ganz unabhängig davon ist es eigentlich eine politische Entscheidung, inwieweit man das hinnehmen will.
Brink: Also erwarten Sie eigentlich von der Bundesregierung dann ein klares Wort?
Poscher: Dass die … Was ich jedenfalls erwarten würde, ist, dass die Politik sich dort politisch verhält und die Politik jetzt nicht versucht, sich hinter Brandschutzregelungen zu verstecken.
Brink: Vielen Dank für diese Einschätzung, Ralf Poscher, Professor an der Juristischen Fakultät der Universität in Freiburg. Vielen Dank für das Gespräch!
Poscher: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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