Türkische Kultur nach Deutschland bringen

    Von Bettina Ritter · 14.03.2013
    Sie sind geboren in Pforzheim, fühlen sich der türkischen Kultur aber so sehr verbunden, dass sie sie nach Deutschland bringen möchten: Inci Bürhaniye und Selma Wels haben vor anderthalb Jahren einen Verlag gegründet. Sie verlegen türkische Literatur - auf deutsch. Mit großem Erfolg.
    Selma Wels reißt erwartungsfroh das braune Packpapier um einen Karton auf. Eine neue Bücherlieferung. Die großen braunen Augen der jungen Frau strahlen.

    "Das ist Behzat Ç., 'Verschütt gegangen'. Der zweite Teil der Krimireihe Behzat Ç. von Emrah Serbes."

    Behzat Ç. ist einer der Bestseller von Binooki, sagt Selma Wels. In der Türkei ist der Kommissar Kult. Wie bei uns Schimanski. Die 34-Jährige stellt die einfarbig blauen Bücher in die Regal-Wand ihres hellen, modernen Büros. Eigentlich eine Mietwohnung in Berlin-Kreuzberg. Altbau, hohe Decken, vier Schreibtische, eine Sitzecke. Über der Couch: Ein großes Gemälde in Weiß und Türkis. Die Idee, einen Verlag zu gründen, hatten Selma Wels und ihre Schwester Inci Bürhaniye 2010 auf der Istanbuler Buchmesse.

    Selma Wels: "Grundsätzlich lesen wir beide sehr gern, Inci lieber auf Türkisch, ich lieber auf Deutsch, und da sind wir zusammen da hin und haben uns überlegt, dass es eigentlich ganz schön wäre, wenn wir die türkische Literatur so ein bisschen nach Deutschland transportieren könnten. Im Laufe der Unterhaltung haben wir gedacht, warum machen wir das eigentlich nicht selber."

    Zurück in Berlin schreiben die Schwestern schnell einen Businessplan. Sie nehmen einen Kredit auf, stellen Kontakte zu Verlagen, Übersetzern, Grafikern und Buchdruckern her. Bald schon sitzt Selma Wels fast rund um die Uhr im Verlag. Ihren eigentlichen Job, Location-Scout und Produktionsassistentin für Film und Theater, gibt sie auf. Und auch für Inci Bürhaniye ist die Zeit knapp geworden. Sie ist Anwältin mit Schwerpunkt Steuerrecht und Eigentümerin einer eigenen Kanzlei.

    Inci Bürhaniye: "Meine Tage sind länger geworden, weil ich viel zwischen Verlag und Kanzlei viel hin- und herpendele, bzw. ich versuche, es ein bisschen aufzuteilen."

    Geboren wurden Selma Wels und Inci Bürhaniye in Pforzheim. Ihre Eltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Die jüngere Selma studierte BWL und arbeitete in einer Versicherungsgesellschaft. Inci Bürhaniye studierte Jura. Die 46-Jährige, die mit ihren langen, dunklen Locken gut zehn Jahre jünger aussieht, hat aus der Ehe mit einem Deutschen zwei Kinder.

    Inci Bürhaniye: "Sie sprechen natürlich viel besser Deutsch als Türkisch, zu meinem Bedauern ein bisschen, aber ich habe es nicht rechtzeitig geschafft, mit ihnen viel Türkisch zu sprechen. Aber sie verstehen es zumindest, und so vereinzelt kommen auch mal ein paar Sätze auf Türkisch."

    Alle zwei Jahre fährt Inci Bürhaniye in die Türkei, um Urlaub zu machen. Beruflich sind sie und ihre Schwester dagegen inzwischen oft in der Heimat ihrer Eltern und genießen es.

    Selma Wels: "Klar, Berlin ist die Homebase, aber Istanbul ist so ne wunderbare Stadt, es ist einfach… Es ist immer wieder schön, dort zu sein. Und ich freue mich immer wieder, wenn sich immer wieder schnell Gelegenheiten bieten – am liebsten alle drei Monate – dass man auch mal dort sein kann."

    Zehn Titel wollen Inci Bürhaniye und Selma Wels pro Jahr veröffentlichen. Das ist im vergangenen Jahr mit neun Büchern beinahe gelungen. Ihr bisher größter Erfolg: der Roman "Söhne und siechende Seelen" von Alper Canigüz. Er erschien im Februar in zweiter Auflage. Die Autoren des Verlags sind überwiegend jünger als 50, aber es gibt auch Klassiker wie Ogus Atay mit seinem Erzählband "Warten auf die Angst".

    Inci Bürhaniye: "Unser Gedanke war tatsächlich, Autoren aus der Türkei zu nehmen, die eben über ihr Leben dort und die Gesellschaft dort schreiben und die Kultur dort widerspiegeln in ihren Büchern, weil wir die Kultur, die dort gelebt wird, ganz gern hierher transportieren wollten."

    Türkischstämmige Autoren, die auf Deutsch schreiben, gibt es deshalb nicht im Programm, sagt Inci Bürhaniye.

    "Ein Autor, der hier lebt und schreibt, schreibt natürlich über das Leben hier, das wir alle mehr oder weniger kennen."

    Dass sich bisher kaum deutsche Verlage für die türkische Literatur interessiert haben, das überrascht die Schwestern noch heute. Zumal sie auf den Buchmessen gelernt haben, dass türkische Autoren ins Englische und auch ins Chinesische übersetzt werden.

    "Ich hatte halt gedacht, dass mit dem Nobelpreis für Pamuk und Türkei als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, dass dann das Interesse gesteigert werden würde – leider nicht. Es ist wirklich verwunderlich, dass es in Deutschland noch nicht angekommen ist. Aber jetzt ist es da!"

    Der Name des Verlags, Binooki, ist übrigens eine Abwandlung des türkischen Wortes für Monokel. Dass das kleine Unternehmen im vergangenen Jahr so erfolgreich durchgestartet ist, überrascht Selma Wels und Inci Bürhaniye nicht. Das Sortiment bedient eine Nische. Das sehen die beiden aber als Vorteil.

    Inci Bürhaniye: "Mein Wunsch wäre es tatsächlich irgendwann, Binooki als eine feststehende Größe zu haben für türkische Literatur. Wenn jemand sagt, ich möchte türkische Literatur lesen oder ich beschäftige mich damit, dass dann sofort der Name Binooki fällt und aus unserem großen Pool der Bücher dann auch Bücher gezogen und gelesen werden."
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