Türkei und Deutschland

Gabriel instrumentalisiert die Krise

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) spricht am 20.07.2017 in Berlin im Auswärtigen Amt zu den Medienvertretern anlässlich der diplomatischen Krise zwischen Türkei und Deutschland.
Diplomatische Krise zwischen Türkei und Deutschland © picture-alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Stephan Detjen · 22.07.2017
Außenminister Sigmar Gabriel kündigte eine "Neuausrichtung" der Politik der Bundesregierung gegenüber Ankara an. Nur: Gabriel trat nicht nur als deutscher Außenminister auf, er führt auch Wahlkampf. Und das schade der Sache, meint Stefan Detjen.
Sigmar Gabriel hat neue Töne gegenüber der Türkei angeschlagen. Aus Deutschland hat er dafür viel Lob erhalten. Aus der Türkei ist er viel gescholten worden. Das ist nicht verwunderlich. Es war vorhersehbar und wohl auch so vorherberechnet. Zugleich ist das aber auch nicht unproblematisch. Denn Gabriel hat versucht, die Krise der deutsch-türkischen Beziehungen auch für den SPD Wahlkampf zu instrumentalisieren. Damit hat er die Wirksamkeit seiner Erklärung im Kern selbst beschädigt.
Nur vordergründig hatte sich der Außenminister am Donnerstag allein an die Türkei und die in Deutschland lebenden Türken gewandt. Tatsächlich hatte seine Botschaft zwei Empfangsadressen: die eine war der Palast des türkischen Staatspräsidenten in Ankara, die andere sind die Wohnzimmer der deutschen Wählerinnen und Wähler.

Der Außenminister als Wahlkämpfer

Seiner Erklärung über eine Neuausrichtung der deutschen Türkeipolitik fügte der Bundesaußenminister in bemerkenswerter Offenheit hinzu, dass er bei dieser Gelegenheit auch als Wahlkämpfer gesprochen habe. Es sei selbstverständlich, dass sich Politiker in solchen Zeiten besonders prononciert äußerten. Als ersten Ansprechpartner für die inhaltliche Abstimmung seiner neuen Türkeipolitik nannte Sigmar Gabriel den Kanzlerkandidaten seiner Partei, Martin Schulz - erst danach die Kanzlerin. Als Botschaft an die Wähler soll nicht nur der Eindruck entstehen, dass die SPD in der Außenpolitik die Zügel in die Hand nimmt und anzieht. Ohne ihn selbst auszusprechen spielte Gabriel zugleich mit Verdacht, dass Angela Merkel zu einer ähnlichen Härte gegenüber der Türkei nicht in der Lage sei, weil sie sich in der Flüchtlingspolitik nach Auffassung ihrer Kritiker in die Hände Erdogans begeben hat.

Gabriel distanziert sich quasi von sich selbst

Gabriel sucht auf diese Weise Distanz zu einer Politik, die er als Vizekanzler selbst stets mitgetragen hat. Ähnlich hatte er sich schon am Rande des G20 Gipfels von seiner Regierungschefin abgesetzt: in den Hamburger Messehallen saß er als Außenminister mit in den Verhandlungsrunden, draußen schürte Gabriel als Wahlkämpfer die Stimmung unter den Demonstranten indem er behauptete, auf dem Gipfeltreffen werde zu viel über Rüstung gesprochen, obwohl gerade dieses Thema dort gar nicht auf der Tagesordnung stand.
In ihrer Türkeipolitik konnte die Bundesregierung es nun, nach der Verhaftung des deutschen Dokumentarfilmers und Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner, nicht mehr bei rein verbalen Protestnoten belassen. Mit der Ankündigung einer Neuausrichtung der deutschen Türkeipolitik stellte der Außenminister unmissverständlich klar, dass die Geduld Deutschlands am Ende ist. Gabriel eröffnet damit ein weites Feld möglicher Maßnahmen, dass von Einschränkungen in den ohnehin lädierten Handelsbeziehungen bis zu Sanktionen auf europäischer Ebene reicht.

Gabriels tatsächliche Politik ist diplomatischer

In der Wortwahl scharf griff der Außenminister im Arsenal seiner diplomatischen Instrumente aber keineswegs zum härtesten Mittel: Konsequenter wäre es gewesen, wenn Gabriel – zumindest für besonders gefährdete Gruppen – nicht nur einen Reisehinweis, sondern eine förmliche Reisewarnung wie sie für andere Krisengebiete gilt formuliert hätte. In seiner tatsächlichen Politik zeigte sich Gabriel diplomatischer als in der zugespitzten Wortwahl.
Die Reaktion aus der Türkei fiel entsprechend aus. Die Vorlage hatte der wahlkämpfende Außenminister selbst geliefert: ein Sprecher von Präsident Erdogan erklärte in Ankara, die Äußerungen Gabriels seien unglücklich und innenpolitisch motiviert. Man kann dem nicht vollkommen widersprechen.
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