"Türkei, die Genozid an Armeniern leugnet, hat keinen Platz in der EU"
Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet hat die Türkei zu einer offenen Auseinandersetzung mit den Massakern und der Vertreibung am armenischen Volk vor 90 Jahren aufgefordert. Er wünsche sich eine klare Benennung begangenen Unrechts sowie ein Schuldeingeständnis durch die türkische Regierung, sagte der CDU-Politiker.
Scholl: Fast die gesamte Wissenschaft ist sich darüber einig: Die intentionale, das heißt absichtsvolle und systematische Vernichtung einer ethnischen Minderheit nennt man Völkermord und demgemäß waren die Massaker am armenischen Volk vor 90 Jahren, denen über eine Million Menschen zum Opfer fiel, ganz klar ein Völkermord.
"Nein, das war es nicht", hat in der vergangenen Woche hier im Radiofeuilleton Professor Faruk Sen, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, gesagt. Die Wissenschaftler Wolfgang Benz und Medardus Brehl haben diese Aussage in unserem Programm kritisiert, auch die Politikerin Monika Düker von den Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich dieser Kritik angeschlossen. Jetzt bin ich verbunden mit Armin Laschet, er ist Minister für Generationen, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen, guten Tag.
Laschet: Guten Tag.
Scholl: Herr Laschet, Ihr Ministerium ist auch für das Zentrum für Türkeistudien zuständig, es wird zum Teil aus Landesmitteln finanziert, sie sind der Kuratoriumsvorsitzende des Zentrums. Was sagen Sie zu dieser Äußerung, zu dieser Haltung von Faruk Sen?
Laschet: Zum einen ist es natürlich ein unabhängiges Institut und der Kuratoriumsvorsitzende kommentiert ja in der Regel nicht jede Äußerung des Leiters dieses Zentrums, denn da gäbe es ja fast täglich irgend etwas zu diskutieren. Ich finde, ein solches Zentrum sollte frei arbeiten und auch seine Positionen äußern können. In dieser Frage halte ich es nun allerdings nicht für sehr hilfreich, dass gerade das Zentrum für Türkeistudien sich in dieser Weise hier eingelassen hat. Wir haben in wenigen Tagen, am 18. März, diesen martialischen so genannten Marsch auf Berlin, wo nationalistisch gesinnte Türken demonstrieren, mit Sprüchen wie "endlich Schluss machen mit der Genozidlüge" oder Ähnlichem. Und ich finde, in einer solchen Phase wäre es einem solchen Zentrum für Türkeistudien sehr anzuraten, auch mit öffentlichen Äußerungen sich zurückzuhalten.
Scholl: Dieser Marsch ist ja jetzt auch verboten worden. Muss aber eine solche Aussage nicht auch politische Konsequenzen haben? Dass man also sich damit auseinander setzt?
Laschet: Diese Frage, ist es Völkermord oder nicht, ist unter Wissenschaftlern nicht mehr umstritten, aber wird natürlich politisch auch von Organen der Europäischen Union, von Mitgliedsstaaten, auch von der deutschen Regierung und auch vom Deutschen Bundestag nicht in dieser Eindeutigkeit beantwortet, wie man sich das manchmal wünschen würde. Das ist die Haltung der türkischen Regierung, die Faruk Sen hier vorträgt. Ich finde, die Türkei muss, wenn sie sich auf den Weg nach Europa macht, auch zu ihrer eigenen Geschichte stehen, auch hier eine Menge Aufarbeitung und auch Schuld eingestehen und diesen Schritt ist sie bisher nicht gegangen. Insofern kann man das nicht Faruk Sen allein vorwerfen, sondern das ist Ausdruck der türkischen Politik, die wir auch gegenüber der Europäischen Union und gegenüber Deutschland immer noch erleben.
Scholl: Nun könnte man sagen, aber Sie als Minister für Integration könnten doch mal ein Wort mit ihm sprechen darüber.
Laschet: Ich werde bestimmt ein Wort mit ihm sprechen, aber dennoch ist es schon eine nicht so absurde Äußerung, die er da gemacht hat, dass sie nun im totalen Gegensatz zur türkischen Politik steht. Das ist türkische Politik und mit der müssen wir uns auseinandersetzen. Und ich finde, wir sollten da auch nicht zu sehr nun über die Worte streiten. Entscheidend ist doch, dass eine Million Armenier ums Leben gekommen ist, systematisch vertrieben worden ist, umgebracht worden ist. Und wo nun Völkermord beginnt und wo er nicht beginnt und ob er vergleichbar ist mit anderen Völkermorden und all diese für Wissenschaftler wichtige Fragen, sollte uns nicht davon abhalten, dieses Unrecht zu benennen und würde ich mir auch von Faruk Sen und auch von der türkischen Regierung ein etwas klareres Eingeständnis wünschen, als solche Aussagen.
Scholl: Faruk Sen hat in der Beziehung ganz klare Worte gefunden, er hat sogar den Mord eine Schande für das osmanische Reich bezeichnet. Es ging sozusagen nur darum, dass er also vollkommen allergisch auf diesen Begriff Völkermord reagiert hat. Sie sagen selbst, es ist die offizielle Haltung der türkischen Regierung, aber ich erinnere an einen Beschluss des europäischen Parlaments, lange ist es her, 1988, dort wurde formuliert, in einer Resolution, dass sozusagen die Anerkennung des Völkermords als Völkermord, wirklich als Völkermord mit dem Begriff, die Voraussetzung für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union sei. Das vergisst man immer ein wenig vielleicht und das heißt, diese Diskussion muss doch auch geführt werden.
Laschet: Ja, da bin ich ja auch einverstanden. Nur die, die das beschlossen haben, haben das vergessen, denn die Regierung Schröder, auch der grüne Außenminister Fischer, die ja im Parlament mit zu den Fraktionen gehört haben, die 1988 diesen Beschluss gefasst haben, haben dennoch, ohne überhaupt auf diese Resolution und ihre eigenen Bekenntnisse zu achten, in einer Weise den Türkeibeitritt vorangetrieben, dass man eben über diese Frage nicht mehr gesprochen hat. Ich finde, man muss darüber sprechen, das Europäische Parlament hat Recht gehabt, dass ein Land, dass ein solch kapitales Verbrechen bis heute leugnet offiziell, und dass die Menschen, die im eigenen Land überhaupt darüber nachdenken, auch noch strafrechtlich verfolgt, dass dieses Land allein deshalb keinen Platz in der Europäischen Union haben kann, wenn sich hier nicht etwas ändert.
Scholl: Das ist ja die merkwürdige Situation: In Deutschland steht die Leugnung des Holocausts unter Strafe, in der Türkei wird man angezeigt, wenn man den Völkermord an den Armeniern als solchen bezeichnet.
Laschet: Das ist in der Tat wahr und ich finde, zu dem Bestand an Werten in Europa muss es gehören, dass man das anerkennt. Ansonsten, wenn man mit der eigenen Geschichte nicht im Reinen ist, wenn man mit dem Nachbarn nebenbei nicht im Reinen ist, wenn man bis heute keine Grenze offen hat zu Armenien, dann ist das keine ideale Voraussetzung, in eine Europäischen Union gemeinsamer Werte und ohne Grenzen zu kommen.
Scholl: Sie hören DeutschlandRadio Kultur, das Radiofeuilleton und wir sprechen mit Armin Laschet, Minister für Generationen, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen. Im Radiofeuilleton, hier in unserem Programm, hat der Bochumer Historiker Medardus Brehl vom Institut für Genozidforschung die Meinung von Faruk Sen und damit auch die Meinung der türkischen Regierung klar zurückgewiesen und Professor Brehl rechnet sie einem, wie er sagte, komplexen Leugnungsdiskurs zu, wie er es nannte, in dem sich dieses politische Problem mittlerweile verstrickt hätte. Die Türkei hat einen Kongress von Fachleuten angekündigt, türkischen wie ausländischen Historikern, die über Armenien sprechen sollten. Davon hört man bislang keinen Mucks. Müsste nicht hier auch die Politik, also auch die deutsche Politik, mal fragen: Was passiert denn jetzt eigentlich?
Laschet: Ich denke schon. Der deutsche Bundestag hat das ja vor einem Jahr mit sehr eindeutigen Worten gemacht. Das ist ja damals auch schon ziemlich kritisiert worden, und das Gute daran ist, in Deutschland gibt es darüber keinen Parteienstreit und zwar getragen von SPD, CDU/CSU, Bündnis90/Die Grünen und der FDP, und ich würde mir wünschen, dass gerade in den Debatten, die wir im Moment erleben, im Umfeld auch des Jahrestages, den wir gehabt haben und im Umfeld auch der angekündigten Demonstration, die jetzt verboten ist, dass man da eine offenere Diskussion drüber führt. Das ist keine Frage von nationalem Stolz, sondern das muss eine Frage gemeinsamer europäischer Geschichte sein. Und nebenbei sind wir Deutschen da um so mehr gefordert, als natürlich wir in dieser Zeit Verbündeter der Türkei waren im Ersten Weltkrieg. Es hat ja damals auch schon in der Weimarer Republik deutsche Politiker gegeben, die kritisiert haben, dass die damalige Führung der Reichsarmee und auch der Kaiser eben nicht Druck auf die Türkei ausgeübt haben. Wenn ich nur erinnere an Philipp Scheidemann oder Matthias Erzberger, die damals schon in der Weimarer Republik angemahnt haben, dass man dem nicht tatenlos zusehen darf.
Scholl: In Deutschland leben viele Türken, der Anteil in Nordrhein-Westfalen ist auch sehr hoch, in diesem Zusammenhang ist das Zentrum für Türkeistudien natürlich in Ihrem Land ein wichtiger Faktor der Integration und hat sich auch viele Verdienste erworben. Wie gehen Sie, Herr Laschet, in Ihrem Ministerium eigentlich mit dieser Problematik um? Sie treffen ja auch viele türkische Mitbürger und da ist dieses Thema Armenien ja wahrscheinlich oft dann auch - steht zur Diskussion. Wie spricht man darüber?
Laschet: Es ist allerdings eher selten ein Thema, denn das, was wir machen, ist sehr konkrete Integrationspolitik. Wir sprechen darüber, wie Integration hier im Lande gelingen kann, wie man Sprachkompetenz verbessern kann, wie man Religionsunterricht in der Schule einführen kann, wie man Migrationssozialarbeit organisieren kann. Alles das sind die Themen, die wir hier im Lande mit den türkischen Mitbürgern erörtern, um sie in unserem Land zu integrieren und ich finde, auch da sollte man nun nicht jedes dieser Gespräche und jeder dieser Initiativen verbinden mit historischen Debatten. Sie müssen geführt werden, sie müssen politisch geführt werden, sie müssen im außenpolitischen Kontext geführt werden, aber ich denke nicht, dass sie die Priorität bei der Integrationspolitik sein sollten.
Scholl: Ihre Parlamentskollegin Monika Düker von den Grünen im Landtag von NRW hat vorgestern hier gesagt, eine derartige Aussage wie die Faruk Sens verbiete sich, weil damit eine Diskussion geführt würde, die nicht hier, sondern in der Türkei stattzufinden habe. Aber jetzt haben Sie auch schon gesagt, na ja, man muss immer aufpassen, wann man wo mit wem redet. Aber drückt man sich da nicht ein bisschen davor?
Laschet: Nein, weil ich glaube nicht, dass wir aus Deutschland heraus die innertürkische Diskussion über das Zusammenleben auch in Zukunft mit den Armeniern und dem Schuldeingeständnis zu diesen Vorgängen des Jahren 1915 zu diesen Verbrechen, die da passiert sind, dass wir die von hier aus führen können. Ich finde, da hat Frau Düker recht: Diese Debatte muss in der Türkei geführt werden und insofern ist es nicht hilfreich, wenn Herr Sen die dann aus Essen führt.
Scholl: Armin Laschet im Gespräch mit DeutschlandRadio Kultur, er ist Minister für Generationen, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen, haben Sie herzlichen Dank.
"Nein, das war es nicht", hat in der vergangenen Woche hier im Radiofeuilleton Professor Faruk Sen, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, gesagt. Die Wissenschaftler Wolfgang Benz und Medardus Brehl haben diese Aussage in unserem Programm kritisiert, auch die Politikerin Monika Düker von den Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich dieser Kritik angeschlossen. Jetzt bin ich verbunden mit Armin Laschet, er ist Minister für Generationen, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen, guten Tag.
Laschet: Guten Tag.
Scholl: Herr Laschet, Ihr Ministerium ist auch für das Zentrum für Türkeistudien zuständig, es wird zum Teil aus Landesmitteln finanziert, sie sind der Kuratoriumsvorsitzende des Zentrums. Was sagen Sie zu dieser Äußerung, zu dieser Haltung von Faruk Sen?
Laschet: Zum einen ist es natürlich ein unabhängiges Institut und der Kuratoriumsvorsitzende kommentiert ja in der Regel nicht jede Äußerung des Leiters dieses Zentrums, denn da gäbe es ja fast täglich irgend etwas zu diskutieren. Ich finde, ein solches Zentrum sollte frei arbeiten und auch seine Positionen äußern können. In dieser Frage halte ich es nun allerdings nicht für sehr hilfreich, dass gerade das Zentrum für Türkeistudien sich in dieser Weise hier eingelassen hat. Wir haben in wenigen Tagen, am 18. März, diesen martialischen so genannten Marsch auf Berlin, wo nationalistisch gesinnte Türken demonstrieren, mit Sprüchen wie "endlich Schluss machen mit der Genozidlüge" oder Ähnlichem. Und ich finde, in einer solchen Phase wäre es einem solchen Zentrum für Türkeistudien sehr anzuraten, auch mit öffentlichen Äußerungen sich zurückzuhalten.
Scholl: Dieser Marsch ist ja jetzt auch verboten worden. Muss aber eine solche Aussage nicht auch politische Konsequenzen haben? Dass man also sich damit auseinander setzt?
Laschet: Diese Frage, ist es Völkermord oder nicht, ist unter Wissenschaftlern nicht mehr umstritten, aber wird natürlich politisch auch von Organen der Europäischen Union, von Mitgliedsstaaten, auch von der deutschen Regierung und auch vom Deutschen Bundestag nicht in dieser Eindeutigkeit beantwortet, wie man sich das manchmal wünschen würde. Das ist die Haltung der türkischen Regierung, die Faruk Sen hier vorträgt. Ich finde, die Türkei muss, wenn sie sich auf den Weg nach Europa macht, auch zu ihrer eigenen Geschichte stehen, auch hier eine Menge Aufarbeitung und auch Schuld eingestehen und diesen Schritt ist sie bisher nicht gegangen. Insofern kann man das nicht Faruk Sen allein vorwerfen, sondern das ist Ausdruck der türkischen Politik, die wir auch gegenüber der Europäischen Union und gegenüber Deutschland immer noch erleben.
Scholl: Nun könnte man sagen, aber Sie als Minister für Integration könnten doch mal ein Wort mit ihm sprechen darüber.
Laschet: Ich werde bestimmt ein Wort mit ihm sprechen, aber dennoch ist es schon eine nicht so absurde Äußerung, die er da gemacht hat, dass sie nun im totalen Gegensatz zur türkischen Politik steht. Das ist türkische Politik und mit der müssen wir uns auseinandersetzen. Und ich finde, wir sollten da auch nicht zu sehr nun über die Worte streiten. Entscheidend ist doch, dass eine Million Armenier ums Leben gekommen ist, systematisch vertrieben worden ist, umgebracht worden ist. Und wo nun Völkermord beginnt und wo er nicht beginnt und ob er vergleichbar ist mit anderen Völkermorden und all diese für Wissenschaftler wichtige Fragen, sollte uns nicht davon abhalten, dieses Unrecht zu benennen und würde ich mir auch von Faruk Sen und auch von der türkischen Regierung ein etwas klareres Eingeständnis wünschen, als solche Aussagen.
Scholl: Faruk Sen hat in der Beziehung ganz klare Worte gefunden, er hat sogar den Mord eine Schande für das osmanische Reich bezeichnet. Es ging sozusagen nur darum, dass er also vollkommen allergisch auf diesen Begriff Völkermord reagiert hat. Sie sagen selbst, es ist die offizielle Haltung der türkischen Regierung, aber ich erinnere an einen Beschluss des europäischen Parlaments, lange ist es her, 1988, dort wurde formuliert, in einer Resolution, dass sozusagen die Anerkennung des Völkermords als Völkermord, wirklich als Völkermord mit dem Begriff, die Voraussetzung für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union sei. Das vergisst man immer ein wenig vielleicht und das heißt, diese Diskussion muss doch auch geführt werden.
Laschet: Ja, da bin ich ja auch einverstanden. Nur die, die das beschlossen haben, haben das vergessen, denn die Regierung Schröder, auch der grüne Außenminister Fischer, die ja im Parlament mit zu den Fraktionen gehört haben, die 1988 diesen Beschluss gefasst haben, haben dennoch, ohne überhaupt auf diese Resolution und ihre eigenen Bekenntnisse zu achten, in einer Weise den Türkeibeitritt vorangetrieben, dass man eben über diese Frage nicht mehr gesprochen hat. Ich finde, man muss darüber sprechen, das Europäische Parlament hat Recht gehabt, dass ein Land, dass ein solch kapitales Verbrechen bis heute leugnet offiziell, und dass die Menschen, die im eigenen Land überhaupt darüber nachdenken, auch noch strafrechtlich verfolgt, dass dieses Land allein deshalb keinen Platz in der Europäischen Union haben kann, wenn sich hier nicht etwas ändert.
Scholl: Das ist ja die merkwürdige Situation: In Deutschland steht die Leugnung des Holocausts unter Strafe, in der Türkei wird man angezeigt, wenn man den Völkermord an den Armeniern als solchen bezeichnet.
Laschet: Das ist in der Tat wahr und ich finde, zu dem Bestand an Werten in Europa muss es gehören, dass man das anerkennt. Ansonsten, wenn man mit der eigenen Geschichte nicht im Reinen ist, wenn man mit dem Nachbarn nebenbei nicht im Reinen ist, wenn man bis heute keine Grenze offen hat zu Armenien, dann ist das keine ideale Voraussetzung, in eine Europäischen Union gemeinsamer Werte und ohne Grenzen zu kommen.
Scholl: Sie hören DeutschlandRadio Kultur, das Radiofeuilleton und wir sprechen mit Armin Laschet, Minister für Generationen, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen. Im Radiofeuilleton, hier in unserem Programm, hat der Bochumer Historiker Medardus Brehl vom Institut für Genozidforschung die Meinung von Faruk Sen und damit auch die Meinung der türkischen Regierung klar zurückgewiesen und Professor Brehl rechnet sie einem, wie er sagte, komplexen Leugnungsdiskurs zu, wie er es nannte, in dem sich dieses politische Problem mittlerweile verstrickt hätte. Die Türkei hat einen Kongress von Fachleuten angekündigt, türkischen wie ausländischen Historikern, die über Armenien sprechen sollten. Davon hört man bislang keinen Mucks. Müsste nicht hier auch die Politik, also auch die deutsche Politik, mal fragen: Was passiert denn jetzt eigentlich?
Laschet: Ich denke schon. Der deutsche Bundestag hat das ja vor einem Jahr mit sehr eindeutigen Worten gemacht. Das ist ja damals auch schon ziemlich kritisiert worden, und das Gute daran ist, in Deutschland gibt es darüber keinen Parteienstreit und zwar getragen von SPD, CDU/CSU, Bündnis90/Die Grünen und der FDP, und ich würde mir wünschen, dass gerade in den Debatten, die wir im Moment erleben, im Umfeld auch des Jahrestages, den wir gehabt haben und im Umfeld auch der angekündigten Demonstration, die jetzt verboten ist, dass man da eine offenere Diskussion drüber führt. Das ist keine Frage von nationalem Stolz, sondern das muss eine Frage gemeinsamer europäischer Geschichte sein. Und nebenbei sind wir Deutschen da um so mehr gefordert, als natürlich wir in dieser Zeit Verbündeter der Türkei waren im Ersten Weltkrieg. Es hat ja damals auch schon in der Weimarer Republik deutsche Politiker gegeben, die kritisiert haben, dass die damalige Führung der Reichsarmee und auch der Kaiser eben nicht Druck auf die Türkei ausgeübt haben. Wenn ich nur erinnere an Philipp Scheidemann oder Matthias Erzberger, die damals schon in der Weimarer Republik angemahnt haben, dass man dem nicht tatenlos zusehen darf.
Scholl: In Deutschland leben viele Türken, der Anteil in Nordrhein-Westfalen ist auch sehr hoch, in diesem Zusammenhang ist das Zentrum für Türkeistudien natürlich in Ihrem Land ein wichtiger Faktor der Integration und hat sich auch viele Verdienste erworben. Wie gehen Sie, Herr Laschet, in Ihrem Ministerium eigentlich mit dieser Problematik um? Sie treffen ja auch viele türkische Mitbürger und da ist dieses Thema Armenien ja wahrscheinlich oft dann auch - steht zur Diskussion. Wie spricht man darüber?
Laschet: Es ist allerdings eher selten ein Thema, denn das, was wir machen, ist sehr konkrete Integrationspolitik. Wir sprechen darüber, wie Integration hier im Lande gelingen kann, wie man Sprachkompetenz verbessern kann, wie man Religionsunterricht in der Schule einführen kann, wie man Migrationssozialarbeit organisieren kann. Alles das sind die Themen, die wir hier im Lande mit den türkischen Mitbürgern erörtern, um sie in unserem Land zu integrieren und ich finde, auch da sollte man nun nicht jedes dieser Gespräche und jeder dieser Initiativen verbinden mit historischen Debatten. Sie müssen geführt werden, sie müssen politisch geführt werden, sie müssen im außenpolitischen Kontext geführt werden, aber ich denke nicht, dass sie die Priorität bei der Integrationspolitik sein sollten.
Scholl: Ihre Parlamentskollegin Monika Düker von den Grünen im Landtag von NRW hat vorgestern hier gesagt, eine derartige Aussage wie die Faruk Sens verbiete sich, weil damit eine Diskussion geführt würde, die nicht hier, sondern in der Türkei stattzufinden habe. Aber jetzt haben Sie auch schon gesagt, na ja, man muss immer aufpassen, wann man wo mit wem redet. Aber drückt man sich da nicht ein bisschen davor?
Laschet: Nein, weil ich glaube nicht, dass wir aus Deutschland heraus die innertürkische Diskussion über das Zusammenleben auch in Zukunft mit den Armeniern und dem Schuldeingeständnis zu diesen Vorgängen des Jahren 1915 zu diesen Verbrechen, die da passiert sind, dass wir die von hier aus führen können. Ich finde, da hat Frau Düker recht: Diese Debatte muss in der Türkei geführt werden und insofern ist es nicht hilfreich, wenn Herr Sen die dann aus Essen führt.
Scholl: Armin Laschet im Gespräch mit DeutschlandRadio Kultur, er ist Minister für Generationen, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen, haben Sie herzlichen Dank.