Türkei als Filmland

Von Kai Adler |
Erstmals ist beim Medienforum NRW auch die Türkei dabei. Auf der Cologne Conference, die Teil des Forums ist, wurde die türkische Fernsehproduktion "Boats Made out of Water Melon Rinds" als bester Beitrag ausgezeichnet. Der Film erzählt von der Liebe zum Kino.
"Boats made out of Water Melon Rinds" so der Titel des Spielfilmes, der in diesem Jahr als bester Beitrag ausgezeichnete wurde. Er erzählt die Geschichte des Melonenverkäufers Recep und seines Freundes, des Friseurlehrlings Mehmet. Beide wachsen in einem kleinen anatolischen Dorf inmitten der 60er Jahre auf. Beide träumen von ihrem eigenen Kino. Ein paar Filmstreifen haben sie auch schon - doch weder Strom noch Projektor. Wie nun die Bilder zum Laufen bringen? In einer alten Scheune versuchen die beiden Freunde einen Projektor zu bauen. Zunächst vergeblich. Und bald bekommt Receps Liebe zum Kino auch noch Konkurrenz und der junge Held damit ein weiteres Problem: Er verliebt sich in die schöne Nihal.

Ahmet Ulucays "Boats made out of Watermelon Rinds" ist nicht nur ein Film über die Leidenschaft fürs Kino und die Liebe zu den Bildern, es ist vor allem auch ein Film über die Kraft der Sehnsucht, des Träumens und der Imagination - und ein fast schon autobiografischer Film.

Ahmet Ulucay: " Als ich ein kleines Kind war, habe ich mich mit dem Zusammenbau von Projektionsgeräten beschäftigt. In meinen Gedanken habe ich immer geträumt, dass ich Projektionsleiter oder ähnliches sein möchte. Dann habe ich einen Film gesehen, der war von Meten Aran, "Die Grube". Nachdem ich diesen Film gesehen habe, habe ich mich entschlossen, Filme zu drehen."

Ulucays eigene Geschichte und die seiner beiden Helden, die sich während der 60er Jahre in dem abgelegenen Bergdorf Anatoliens nach Kino und Film sehnen, ist auch exemplarisch für die Situation des Films in dieser Region - zu der damaligen Zeit versteht sich. Harka Olcay, türkischer Generalkonsul in NRW:

"Während der 60er Jahre gab es dort kein Fernsehen, die einzigen Filme, die es gab, wurden in Kinos unter offenem Himmel gezeigt. Die Zeiten haben aber sich selbstverständlich verändert, und natürlich gibt es mittlerweile überall in der Türkei hochmoderne Filmtheater und Produktionen. Ein Großteil der Filmindustrie hat sich wie vielerorts auch in der Türkei in die USA verlagert, und wegen des Fernsehens verlor das Kino an Zuschauern. Nun aber ändert sich das wieder: Ins Kino zu gehen ist wieder "in", gehört wieder zum Teil des Kulturkonsums."

Ahmet Ulucay ragt mit seinem Werdegang auch aus der türkischen Filmszene heraus. Der 50-jährige Regisseur ist Autodidakt, das erste Studio, das Ahmet Ulucay zu Gesicht bekam, war sein eigenes. Zunächst hatte er Dokumentarfilme gedreht, "Boats made out of Water Melon Rinds" ist nicht nur sein Spielfilmdebüt, sondern auch sein erster Langfilm. Für ihn ist mit dem Film ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen.

"Wenn ich ehrlich sein soll, ich wundere mich auch, wie das entstanden sein soll.
Wenn es im Inneren eines Menschen sich ein Wunsch befindet, es stört, wenn man das nicht verwirklichen würde. Es hat mich immer gestört, weil ich das bisher nicht verwirklichen konnte, diesen langen Film drehen konnte."

Die Liebe zu den Bildern und die Kraft des Wünschens ist sein ganz persönliches Thema, so scheint es. Dass Ulucay es geschafft hat, fast aus dem Nichts heraus ein solches Werk zu schaffen, hat auch die Jury in Köln begeistert. Carsten Lutz, Chefredakteur der Zeitschrift TV Spielfilm, die alljährlich den Gewinner des Cologne Festivals auslobt.

"Dieser Film hat deshalb so wahnsinnig begeistert, weil er wirklich mit Low- Low-Budget, wie wir es uns hier in Deutschland überhaupt nicht vorstellen können, mit Laiendarsteller und Mitteln, da würde hier kein Regisseur für aufstehen, wirklich realisiert wurde. Und sie haben ja selbst gesehen, es war ein traumhafter Film."

Ein Film über den Traum, mit dessen Realisation sich der Regisseur seinen eigenen Traum erfüllte - fast schon ein wenig naiv klingt diese Geschichte. Ahmet Ulucays Bildersprache aber ist alles andere als naiv, sondern stark stilisiert: Wenn sich Szenen wie ein stotternder Film vor den Augen seines jungen Helden abspielen, dieser das Leben der Dorfstraße auf seinem Taschenspiegel einfängt oder es mit seinen Händen künstlich einrahmt, um es wie mit einem Kameraauge zu betrachten, dann geht es dabei immer auch um Wahrnehmung, um Bilder und um die Produktion von Bildern.

Ulucay: "Ich bin ein guter Maler. Ich male, beziehungsweise ich erstelle meine Bilder mithilfe von Kamera, mithilfe von Licht, mithilfe von Umfeld, mithilfe von Objektiven."

Ulucays Bilder sind die der anatolischen Steppenlandschaft, seiner Dörfer und Menschen.

Ulucay: "Ich liebe diese Gegend, weil ich meine Kindheit und Jugendzeit dort verbracht habe, ich lebe immer noch dort. Ich habe das wiedergegeben, was ich als Kinde damals gesehen habe, aber ich kann jetzt das Dorf meiner Kindheit nicht wieder finden."

Die Suche nach der eigenen Geschichte, den eigenen Bildern. Ist es das, was die Filmemacher aus der Türkei ausmacht? Harka Olcay, türkischer Generalkonsul in NRW:

"Sie wollen die westlichen Filmemacher nicht imitieren, sondern etwas Eigenes schaffen. Mit diesem Anspruch ist es ihnen in den vergangenen Jahren gelungen, Filme zu schaffen, die sich unterscheiden. Ihre Filme erzählen von ihrer Kultur, von sozialen Problemen. Das kommt auch außerhalb der Türkei gut an. Es sind Filme mit Substanz."

Eine eigene Sprache finden und dabei ganz universelle Geschichten erzählen, Ahmet Ulucay ist das auf beeindruckende Art und Weise gelungen.

Seine Helden jedoch scheitern: Ihr selbstgebauter Projektor wird zerstört, die Filmrollen gehen verloren, die schöne Nihal zieht in ein anderes Dorf und zu guter Letzt verlieren die beiden jungen Helden auch noch ihren Job. Doch was bleibt, ist die Kraft der Phantasie: Am Ende liegen die beiden in einer Scheune, draußen geht der Sturm, an die Decke aber haben sie sich das Bild eines Palmenstrandes gehängt, sie erzählen sich eine Geschichte - und dann fragt Recep: "Wo gibt es noch mal diese 8mm-Kamera?"