Ein internationaler Schiedsgerichtshof für alle Abkommen
In Riga tagen derzeit die EU-Handelsminister. Dort geht es auch um das Investitionsschutzabkommen im Rahmen der TTIP-Verhandlungen. Eine Einrichtung von Schiedsstellen zwischen Europa und den USA sei nicht notwendig, sagt der EU-Politiker Bernd Lange (SPD).
Der Vorsitzende des Ausschusses für internationalen Handel des Europäischen Parlaments, Bernd Lange (SPD), sieht im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zwischen Europa und den USA keine Notwendigkeit für die Einrichtung von Schiedsstellen. Zwischen Europa und den Vereinigten Staaten brauche man so etwas gar nicht, sagte Lange im Deutschlandradio Kultur:
"Weil es in beiden Teilen ausgewiesene juristische Systeme gibt, wo es eben keine Benachteiligung von ausländischen Investoren gibt. Und das ist ja das Entscheidende. Wir müssen sicherstellen, dass es eine Gleichbehandlung – weder eine Besserstellung noch eine Schlechterstellung – von ausländischen zu den inländischen Investoren gibt."
Der Konflikt um die Einrichtung von Schiedsstellen sei offenbar eine Frage des Prinzips, meinte Lange. Deutschland habe 131 Investitionsabkommen, davon sei allerdings keines mit den USA geschlossen worden: "Weil es eben nicht nötig ist." Von den 28 EU-Staaten hätten nur neun Staaten Investitionsschutzabkommen mit den Vereinigten Staaten:
"Da ist die Notwendigkeit in den letzten 60 Jahren nicht gesehen worden."
Entscheidender und dringlicher sei die Frage von Schiedsstellen in dem derzeit ebenfalls verhandelten Abkommen mit Kanada, betonte Lange:
"Da gibt es einen Rohtext. Und da muss man in der Tat jetzt sehen, ob es einen tragfähigen Kompromiss gibt, der beide Seiten irgendwie zusammenführt", erklärte Lange vor dem Hintergrund des Treffens der EU-Handelsminister in Riga. In Bezug auf zukünftige Abkommen sollte allerdings über die Einrichtung eines Internationalen Schiedsgerichtshofes mit unabhängigen Richterinnen und Richtern nachgedacht werden, äußerte Lange:
"Transparent, mit Revisionsmöglichkeiten und einer klaren Alternative: entweder nationales Recht oder dieses Schiedsgerichtshofrecht (...) wo dann eben diese ganzen Kritikpunkte, die geäußert werden, nicht mehr treffen würden."
Das Interview im Wortlaut
Nana Brink: Wenn die EU-Handelsminister heute in Riga zusammensitzen, wird ein Thema ganz oben auf ihrer Agenda stehen, nämlich TTIP, das Transatlantische Freihandelsabkommen, das ja gerade zwischen der Europäischen Union und den USA verhandelt wird. Und nachdem wir uns ja schon ordentlich an den amerikanischen Chlorhühnchen abgearbeitet haben, die – und das sei an dieser Stelle noch mal gesagt – es nicht geben wird, weil die EU, wie Handelskommissarin Malmström unermüdlich wiederholt, ihre Standards nicht verändern wird an dieser Stelle. Im Fokus der Debatte ist aber nun ein mögliches Investitionsschutzabkommen. Jörg Münchenberg erklärt uns, was hinter diesen Investitionsschutzabkommen steht, das gerade verhandelt wird bei TTIP, dem Transatlantischen Freihandelsabkommen.
Und genau darüber wollten wir jetzt sprechen mit Bernd Lange, er sitzt für die SPD im Europaparlament als Vorsitzender im Ausschuss für Internationalen Handel. Und wir haben ihn bislang noch nicht erreichen können.
Und wir haben ihn jetzt erreicht, Bernd Lange, der für die SPD im Europaparlament sitzt als Vorsitzender im Ausschuss für Internationalen Handel. Und wir wollen hier sprechen über TTIP, das Transatlantische Freihandelsabkommen und die umstrittenen Investitionsschutzabkommen. Herr Lange, ich grüße Sie!
Bernd Lange: Guten Morgen!
Brink: Guten Morgen! In der Debatte, wir haben es auch gehört in unserem kleinen Stück vorher, sind jetzt die sogenannten ISDS-Klauseln, was ist das noch mal, zur Erinnerung? Übersetzt steht es für Investor State Dispute Settlements, das sind also sogenannte Schiedsgerichtsverfahren, wo ein Staat gegen nationale Gesetzgebung klagen könnte. Wenn wir das mal runterbrechen, es könnte dann so aussehen wie jetzt zum Beispiel bei E.ON oder NWB, die ja gegen die Energiewende auf Schadenersatz klagen. Wie weit sind denn die Verhandlungen da fortgeschritten? Wird es so was geben?
Keine unabhängigen Richterinnen und Richter
Lange: Also, zunächst einmal sind es ja keine Gerichte, und das ist ja ein Hauptkritikpunkt. Es sind Schiedsstellen, und keine unabhängigen Richterinnen und Richter. Und keine Revisionsinstanz befindet über die Rechtmäßigkeit dieser Schadensersatzklagen. Insofern müssen wir eine grundsätzlichere Form anpacken, um überhaupt dieses Instrument zukunftsfähig zu machen. Und da sind wir genau dabei, weil es eben eine ganze Reihe von Kritik an dem bisherigen Verfahren gibt.
Und ich persönlich bin der festen Überzeugung, zwischen Europa und den Vereinigten Staaten brauchen wir so etwas gar nicht, weil es in beiden Teilen ausgewiesene juristische Systeme gibt, wo es eben keine Benachteiligung von ausländischen Investoren gibt. Und das ist ja das Entscheidende. Wir müssen sicherstellen, dass es eine Gleichbehandlung, weder eine Besserstellung noch eine Schlechterstellung von ausländischen zu inländischen Investoren gibt.
Brink: Nun verstehe ich aber nicht, wenn Sie sagen, unsere Rechtssysteme, also das Rechtssystem hier in Europa und in den USA ist ja so ähnlich, deshalb brauchen wir das nicht, das hört sich aber bei den Befürwortern ganz anders an. Warum gibt es diesen doch sehr starken Konflikt?
Lange: Ich glaube, es ist eine Frage des Prinzips. Wissen Sie, Deutschland hat 131 Investitionsabkommen, ganz unterschiedlich ausgestattet. Aber es hat zum Beispiel keines mit den Vereinigten Staaten, weil es eben nicht nötig ist. Oder, von den 28 EU-Staaten haben nur neun, die osteuropäischen, die kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das beschlossen haben, Investitionsabkommen mit den Vereinigten Staaten, alle anderen nicht. Also da ist die Notwendigkeit in den letzten 60 Jahren nicht gesehen worden.
Es ist eine Frage des Prinzips. Einige meinen, wenn wir so ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten abschließen ohne diese Schiedsstellen, dann würde das auch ein Präjudiz für andere Abkommen sein. Ich sehe das nicht so, weil wir ganz unterschiedliche Abkommen schon jetzt haben. Man muss immer Fall für Fall entscheiden, was sinnvoll ist.
Brink: Wie sieht denn die Position der Europäischen Union jetzt aus? Denn es wird ja eine Art von Kompromiss geben?
Internationaler Schiedsgerichtshof für zukünftige Abkommen?
Lange: Also unsere, die sozialdemokratische Position, ist eindeutig, die entspricht auch meiner. Wir brauchen das zwischen diesen beiden Blöcken USA und Europa nicht. Aber man muss in der Tat mal nachdenken darüber, ob wir für zukünftige Abkommen so etwas wie einen internationalen Schiedsgerichtshof mit unabhängigen Richterinnen und Richtern, transparent, mit Revisionsmöglichkeiten und einer klaren Alternative – entweder nationales Recht oder dieses Schiedsgerichtshofsrecht – bauen können. Wo dann eben diese ganzen Kritikpunkte, die geäußert werden, nicht mehr treffen würden.
Da muss man mal ganz offen drüber nachdenken. Es gab in den 90er-Jahren schon so eine Diskussion, so etwas im Rahmen der Welthandelsorganisation, der WTO, aufzubauen, und damit könnte ich mich auch anfreunden. Aber wie gesagt, das sehe ich im Moment nicht als Notwendigkeit. Vielleicht kann man ja zwischen USA und Europa vereinbaren, dass man gemeinsam so einen internationalen Schiedsgerichtshof, der nun wirklich ein Gericht ist, aufbaut.
Brink: Das ist aber noch Zukunftsmusik. Noch mal zurück zu meiner Frage: Es wird einen Kompromiss geben müssen, das heißt, man wird die beiden unversöhnlichen Positionen, Befürworter, Gegner, versöhnen müssen. Parteichef Gabriel hat ja schon klar gemacht, er möchte das zwar auch nicht, er hat sich auch für ein öffentlich-rechtliches Schiedsgericht ausgesprochen. Aber er hat auch gesagt, wenn wir einen Kompromiss schließen müssen, dann können wir das tun dergestalt, dass in diesen Schiedsgerichten oder in diesen Abkommen eben berufene Richter sitzen. Wäre das ein Kompromissweg?
Lange: Wir diskutieren ja im Moment zwei Züge. Das eine ist dieses Abkommen mit den Vereinigten Staaten, und das andere das mit Kanada. Für die Vereinigten Staaten noch mal, die Vereinigten Staaten haben vor einiger Zeit auch ein Abkommen mit Australien abgeschlossen ohne diese Schiedsstellen. Also, da muss mal man gucken, was am Ende des Tages herauskommt, und da läuft auch noch viel Wasser die Leine herunter.
Viel entscheidender und dringlicher ist die Frage dieser Schiedsstellen in dem Abkommen mit Kanada. Da gibt es einen Rohtext, und da muss man in der Tat jetzt sehen, ob es einen tragfähigen Kompromiss gibt, der beide Seiten irgendwie zusammenführt.
Brink: Aber es ist ja auch klar, dass das Abkommen mit Kanada, also CETA, dass das natürlich auch die Blaupause für das Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA ist.
Kanada-Abkommen keine Blaupause für die USA
Lange: Ich glaube, nicht so sehr. Meine Erfahrung sagt mir, dass die Abkommen alle sehr, sehr unterschiedlich sind. Wir haben als Europäische Union Abkommen ausgehandelt ohne diese Schiedsstellen. Außerdem gibt es im Kanada-Abkommen viele Dinge, die sehr einfach abzuschließen waren, weil manche Dinge kulturell in Kanada sehr nahe der Regelung in der Europäischen Union sind. Das haben wir bei den Vereinigten Staaten nicht. Also ich glaube, das ist keine Blaupause.
Brink: Also, es gibt noch viel Erklärungsbedarf. Herzlichen Dank, Bernd Lange, sitzt für die SPD im Europaparlament und zwar als Vorsitzender im Ausschuss für Internationalen Handel. Danke für das Gespräch und die Zeit!
Lange: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.