Tschechischer Außenminister für EU-Beitritt von weiteren Ländern
Der neue tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg fordert langfristig die Aufnahme der Balkanstaaten und der Ukraine in die Europäische Union. Der Beitritt aller Balkanstaaten sei "unabdingbar und notwendig, wenn wir nicht Probleme für die Zukunft schaffen wollen", sagte Schwarzenberg.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind Forstwirt, Unternehmer, Jurist, Politiker und seit Beginn des Jahres auch noch Außenminister der Tschechischen Republik. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Karel Schwarzenberg: Politik hat mich Zeit meinen Lebens interessiert, Außenpolitik insbesondere. Und die vorerwähnten Beschäftigungen habe ich aufgegeben, weil – wie ich Außenminister geworden bin – ich meine sämtlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten aufgegeben habe. Ich habe sie meinem Sohn übergeben und habe mich selber glücklich in Pension versetzt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben immer gesagt, dass Sie gerne in der zweiten Reihe arbeiten, mit dem Schlenker, dann könnten Sie "andere Leute besser ärgern".
Schwarzenberg: Das ist völlig richtig.
Deutschlandradio Kultur: Warum haben Sie jetzt diesen anderen Job dann doch gemocht?
Schwarzenberg: Weil das nicht zu vermeiden war, weil es zur Konstruktion dieser Regierung, zur Formierung einer Koalitionsregierung notwendig war.
Deutschlandradio Kultur: Aber trotzdem, wenn wir in dem Bild bleiben, wen würden Sie denn gerne heute in der Funktion des tschechischen Außenministers ärgern?
Schwarzenberg: Ich will Ihnen was sagen: Zahlreiche Leute würde ich gerne ärgern, nur als Außenminister ist mir das vom Beruf her untersagt.
Deutschlandradio Kultur: Insofern werden wir Sie natürlich auch nicht zur Lage der Koalition fragen, werden Sie nicht fragen zum Staatspräsidenten Vaclav Klaus.
Schwarzenberg: Sie können alles fragen. Bekanntermaßen gibt es keine indiskreten Fragen, es gibt nur indiskrete Antworten.
Deutschlandradio Kultur: Oder keine Antworten. Aber die Grünen haben Sie aufgestellt, obwohl Sie nicht Mitglied der Partei sind. Die Grünen schätzen sie ein als wertkonservativ und als Menschenrechtskämpfer. Sind Sie mit dieser Charakterisierung einverstanden?
Schwarzenberg: Zweifellos das Zweite, weil mich durch lange Jahre, und bis es heute noch, Menschenrechte beschäftigt haben. Ich habe mich dafür eingesetzt, das ist richtig. Ich habe so ungern dieses moderne Wort "Werte". Und infolgedessen weiß ich nicht, was "wertkonservativ" ist. Wenn mir das mal jemand präzise erklären würde, was man damit meint, dann könnte ich sagen, ob ich damit einverstanden bin oder nicht.
Deutschlandradio Kultur: Kommen Sie mit den Grünen klar?
Schwarzenberg: Aber hervorragend, weil gerade aus meinem früheren Beruf als Forstwirt weiß ich, wie sehr unsere Umwelt und die Natur gefährdet ist, dass hier der Mensch in seiner Hybris tatsächlich zu weit geht, in seiner Konsumgier usw. Und wenn ich mir die Veränderungen in der Natur anschaue, die ich allein in meiner Lebenszeit beobachten kann, wenn ich mir die Veränderungen im Wald, im Klima usw. betrachte, so weiß ich, dass es höchste Zeit ist etwas zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sagen, dass es höchste Zeit ist, etwas zu tun, und wir bleiben mal bei der Ökologie, bei der ökologischen Frage, wo würden Sie denn ansetzen in Zeiten des Klimawandels, des drohenden Klimawandels? Was müssen wir in Europa tun, was müssen alle gemeinsam tun und was kann Tschechien tun?
Schwarzenberg: Wir müssen uns alle – das sage ich ganz ehrlich, so unpopulär das ist – selbstverständlich einschränken. Wir haben in der Republik pro Kopf oder im Verhältnis zum Bruttonationalprodukt einen viel zu hohen Energieverbrauch. Hier müssen wir wirklich aufschließen an das, was manche europäische Staaten schon erreicht haben. Wir müssen lernen ordentlich mit Abfällen umzugehen, Abfälle vermeiden etc., etc. Ich kann Ihnen da eine ganze breite Politikpalette darbieten. Aber letztlich kommt es darauf an, dass wir Selbstdisziplin lernen, dass wir das Verschwenden aufgeben, das uns selbstverständlich geworden ist. Das beginnt bei der Kindererziehung. Wenn ich sehe, wie heute Kinder eigentlich eine selbstverständlichen Neigung zum Verschwenden haben, ob es bei den Nahrungsmitteln oder bei den Kleidungsstücken usw. ist, dann weiß ich, wie sie sich im Erwachsenenalter verhalten werden. Wir müssen wieder zu einer gewissen Bescheidung, zu einer Sparsamkeit, zu einem Bewusstsein kommen, erkennen, dass das, was immer wir verbrauchen, auch eine Belastung ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben sich immer als "Mitteleuropäer" bezeichnet. Was zeichnet den Mitteleuropäer aus?
Schwarzenberg: Ein Lebensgefühl können Sie nie präzis definieren. Das sind Verhaltenweisen, das sind Gewohnheiten, das sind gemeinsame Vorurteile, aber schlicht auch einfach die geographische Tatsache, größtenteils die nicht zu großen Völker, die in der Mitte Europas leben.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja auch persönlich privilegiert. Wir könnten zu Ihnen Fürst Schwarzenberg sagen. Sie sind das Oberhaupt eines alten und bekannten Adelsgeschlechtes und Sie haben Ländereien gehabt, oder haben sie immer noch, in Franken, in Böhmen und in der Steiermark. Sie haben das Züricher Bürgerrecht. Das hat nicht jeder von uns. Im Grunde sind Sie schon etwas, was sich mancher vorstellen mag – über Grenzen gehen.
Schwarzenberg: Ich kann es nicht bestreiten, mir wurde viel im Leben gegeben. Das ist gar kein Zweifel. Von meiner Geburt an, von meinen Eltern und von der Umgebung, mir wurde im Leben sehr viel gegeben. Deswegen fühle ich manchmal dann doch die Verpflichtung, irgendetwas davon zurückzugeben.
Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise hat ja Vaclav Havel mal gesagt, mit Sie eng verbunden sind, Sie würden die Geschichte – er meinte wahrscheinlich die Geschichte Böhmens, Tschechiens, wie immer man es beschreiben möchte – besser kennen als andere. Sie seien Patriot und Weltbürger zugleich. Welche Europabild hat der Patriot, Weltbürger und Mitteleuropäer?
Schwarzenberg: Ein Bild, das sich aus dem Blickwinkel Mitteleuropas ergibt. Das heißt, wenn Sie zum Beispiel von der Europäischen Union sprechen, dass sie auch in dem eigenen Bewusstsein sich langsam wandeln muss von einer westeuropäischen Union, was sie in Wirklichkeit natürlich aus ihrer Entwicklung von der Montanunion über die EWG usw. war, irgendwie noch bei sehr vielen Beamten, bei sehr viel führenden Vertretern der Europäischen Union ist es irgendwie noch immer im back of the mind, indem wir sagen würden, irgendwo im Hintergrund ist die Vorstellung, dass es eine westeuropäische Union ist. Dass es heute eine europäische Union ist, dass also nicht nur Portugal, Holland, Luxemburg, sondern auch Rumänien und Bulgarien dazu gehören, das muss man sozusagen erst wirklich verdauen und es muss eine Selbstverständlichkeit im Gefühl sein.
Zweitens müssen wir nun mal erkennen, dass die Europäische Union nicht auf grüner Wiese gebaut wird, sondern dass sie ausgeht von Nationen, Staaten mit teilweise tausendjähriger Geschichte, und dass wir infolgedessen sehr vorsichtig und mit größtem Respekt vor dem, was da geworden ist, an die Zusammenführung und eine gemeinsame Zukunft herangehen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Das findet ja teilweise statt, die EU-Aufnahme von Tschechien, Ungarn, Polen.
Schwarzenberg: Ja, aber wir müssen uns auch klar sein, dass wir alle unsere Geschichte mitbringen und dass wir dies in der Gestaltung des künftigen Europas immer im Bewusstsein haben müssen, dass wir hier nicht auf grüner Wiese bauen, dass wir nicht ein sozusagen am Reißbrett entworfenes Konstrukt vor uns haben, sondern etwas, was eine unendlich lange Geschichte hinter sich hat, und diese Geschichte viel lebendiger in uns ist, als wir glauben.
Deutschlandradio Kultur: Da klingt so eine leise Mahnung durch. Wir reden ja gern von den Vereinigten Staaten von Europa, die wir anstreben. Ist das für Sie zu viel des Guten?
Schwarzenberg: Das ist etwas, dem wir uns asymptotisch nähern, aber das sicherlich – so, wie Sie es formulieren – wahrscheinlich in meiner Generation nicht mehr machbar ist.
Deutschlandradio Kultur: Aber erstrebenswert?
Schwarzenberg: Wenn wir es schaffen, wirklich so viel Gemeinsames zu finden. Man soll so etwas nicht sozusagen mit Gewalt zu erreichen versuchen, wobei ich nicht nur äußerliche Gewalt meine. Man soll die natürliche Entwicklung zueinander auch erwarten können. Der französische Außenminister Talleyrand hat immer seine Diplomaten gelehrt vor allem "nicht allzu viel Eifer".
Deutschlandradio Kultur: Hat dieses Denken auch etwas mit Ihrer eigenen Biographie zu tun? Ihr Vater war promovierter Historiker. Hat er Ihnen auch gelehrt, dass man in größeren Zeiträumen denken muss?
Schwarzenberg: Gar kein Zweifel. Sehr viel habe ich von meinem Vater, aber auch von meiner Mutter gelernt. Er hatte manchmal einen sehr originellen Blick auf die Geschichte, der einem ganz unerwartete Betrachtungsweisen gelehrt hat. Das war das Wertvollste, dass er sich sozusagen nicht damit zufrieden gab, was in Lehrbüchern steht, sondern uns gelehrt hat, die Sachen etwas zu hinterfragen.
Deutschlandradio Kultur: Was ist Europa? Wie groß ist Europa? Ganz praktisch, wo sind seine Grenzen? Was sagen Sie?
Schwarzenberg: Ich glaube, es gibt die natürlichen Grenzen Europas. Das ist eine Sache. Die sind seit Alters her überkommen. Eine andere Frage ist, ob ein politisches Konstrukt, eine Entwicklung, wie es die Europäische Union ist, eventuell auch bereit ist, mit der Zeit Staaten oder Länder aufzunehmen, die sozusagen mit uns synchron denken, die gemeinsame Vorstellungen für die Zukunft haben.
Deutschlandradio Kultur: An welche Länder denken Sie denn?
Schwarzenberg: Ich möchte hier keine Namen nennen, aber ich wäre schon froh, wenn wir alle Balkanstaaten wirklich in der Europäischen Union integriert haben. Das halte ich für etwas Unabdingbares und Notwendiges, wenn wir uns selber nicht Probleme für die Zukunft schaffen wollen.
Deutschlandradio Kultur: Ukraine auch?
Schwarzenberg: Schauen Sie, Ukraine ist ein sehr großes Land mit einer etwas verschiedenen Geschichte. Auf die Dauer würde ich es in der Zukunft sehr willkommen heißen, sehr. Ich bin ein Anhänger dessen, dass die Ukraine in Europa voll integriert wird. Es ist mir aber auch klar, dass dies noch eine längere Zeit braucht zum einen. Zweitens muss auch eine Mehrheit in der Ukraine selber davon überzeugt sein, dass es der richtige Schritt ist. Beides ist derzeit, glaube ich, noch nicht ganz der Fall. Ich bin für eine Integration der Ukraine, aber – wie gesagt – es ist mir bewusst, dass das eine Frage einer sehr langen Entwicklung ist.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir auf das alte Jugoslawien, auf den Balkan, zurück. Das ist ja eine europäische Aufgabe – Bosnien, Serbien, Kosovo. Tun wir das Richtige aus Ihrer Sicht?
Schwarzenberg: Ich glaube, Europa strengt sich an, wirklich, ehrlich, hier das Richtige zu tun. Dass die Probleme wegen der historischen Belastung unendlich schwierig sind, sollten wir einfach anerkennen. Und dass es Probleme gibt, wie zum Beispiel den Status von Kosovo, wo es keine ideale Lösung gibt, keine wirklich hervorragende Lösung gibt, wo wir nur zwischen Lösungen wählen können, die vielleicht noch die besten Chancen für die Zukunft bieten, das muss uns auch klar sein. Politik ist leider ein Geschäft, wo Sie manchmal mit den Realitäten so umgehen müssen, dass Sie auch Sachen, die Sie für nicht ideal betrachten, durchführen müssen, weil, es gibt keinen besseren Weg.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es gerade die Aufgabe eines tschechischen Außenministers sich als Makler auch innerhalb der Europäischen Union zu profilieren und diese Fragen nach vorne zu treiben?
Schwarzenberg: Schauen Sie, ich werde was sagen: Ein Makler kann sein Geschäft nur betreiben, wenn ihn jemand beauftragt. Ein Häusermakler ist nur zu etwas nutze, wenn es auf der einen Seite jemanden gibt, der ein Haus kaufen will, und auf der anderen Seite jemanden, der ein Haus verkaufen will.
Deutschlandradio Kultur: Dann Ideengeber.
Schwarzenberg: Wenn es kein Bedürfnis für einen Makler gibt, dann soll sich nicht jemand selber als Makler aufspielen.
Deutschlandradio Kultur: Aber die deutsche Bundeskanzlerin hat ja gerade auch als EU-Ratspräsidentin gesagt, sie sucht den Dialog auch mit den kleinen EU-Mitgliedsstaaten. Wenn Sie denn gefragt werden oder wo möchten Sie denn gefragt werden, was sind Themen, wo Sie Ihren Beitrag leisten wollen?
Schwarzenberg: Ich könnte mir manches vorstellen, was ich jetzt nicht nennen möchte. Ich bin sehr dankbar für das, was die Frau Bundeskanzlerin gesagt hat. Ich glaube, ihre Äußerung, dass sie auch mit den kleineren Staaten einen intensiven Dialog führen will, ist ein sehr wichtiges Signal. Selbstverständlich hat die Frau Bundeskanzlerin auch ein größeres Verständnis, weil sie ja mit den Bürgern dieses Landes oder auch Polens sehr viele gemeinsame Erfahrungen in den jüngeren Jahren teilt. Das ist sehr wichtig, da versteht man manches viel besser. Aber, wie gesagt, Maklertätigkeit, Kupplertätigkeit sind mehr eine Frage der Gelegenheit als etwas, was man von vornherein plant.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt ja ein Projekt, das ist sozusagen auf dem Markt, zum Beispiel eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union zu Russland.
Schwarzenberg: Ich glaube, das ist sehr notwendig. Ich fürchte, das wird längere Zeit dauern, weil natürlich die großen europäischen Staaten noch immer – und da ist die Bundesrepublik keine Ausnahme – glauben, dass eine eigenständige Russlandpolitik ihnen am meisten frommt – Frankreich dasselbe, Großbritannien auch. Das heißt, bevor wir hier wirklich lernen, dass da eine gemeinsame Politik nützlicher wäre, ich fürchte, das wird auch noch einige Jahre dauern.
Deutschlandradio Kultur: Es geht um einen Kooperationsvertrag zwischen der Europäischen Union und Russland. Der soll neu verhandelt werden. Die Russen hätten das gerne so. Sie wollen näher an die EU ran. Welche Empfehlung kann jemand wie Sie vielleicht der EU geben?
Schwarzenberg: Wir müssen von drei Grundbedingungen ausgehen. Erstens: Russland ist eine Großmacht, ist ein großer Staat. Diese Tatsache soll man respektieren. Wir müssen auch stets im Bewusstsein haben, dass derzeit und wahrscheinlich für lange Zeit Russland anders organisiert ist, als die übrigen europäischen Staaten. Das heißt, dass sie nicht unsere Vorstellungen von Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit teilen. Drittens, dass beide Seiten ihre Interessen haben. Man soll sich keine Illusionen machen, sondern einfach hart die Interessen verhandeln. Sehr, sehr nüchtern auf dem Boden der Tatsachen bleiben und sich nicht in Illusionen wiegen.
Deutschlandradio Kultur: Haben wir denn die richtigen Gesprächspartner oder ausreichend Gesprächspartner in Moskau? Sie haben sich selbst als Osteuropäer über Präsident Putin und seine Rede in München geärgert. Sie waren ja Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation. Da kennen Sie auch andere Leute.
Schwarzenberg: Es gibt hervorragende Leute in Moskau auf allen Ebenen. Russland ist eine große Nation, aber wir müssen jetzt einmal anerkennen, Russland wird heute sehr autoritär und sehr zentralistisch regiert. Das heißt, mit wem man sinnvoll über Politik reden kann, ist nun mal nur derjenige, der im Kreml zu Hause ist. Alles andere ist in Russland Nebensache, so wie es durch Jahrhunderte war.
Deutschlandradio Kultur: Schön wäre es natürlich, wenn es eine gemeinsame EU-Russlandpolitik gäbe und nicht bilaterale Abkommen. Ärgert Sie so was?
Schwarzenberg: Ich will Ihnen was sagen: Wenn man in der Außenpolitik tätig ist, soll man sich eins von vornherein nicht zulassen, über Missstände, über Fehlschläge, über Irrtümer sich ärgern. Man muss die Sachen zur Kenntnis nehmen, wie sie sind, versuchen die Sachen zu verbessern, was manchmal nur sehr langsam, millimeterweise, manchmal schrittweise gelingt. Mehr ist nicht zu erreichen.
Deutschlandradio Kultur: Ist dieser Raketenschirm, der in Polen und Tschechien von den Amerikanern aufgebaut werden soll, für Sie auch ein Hinweis oder ein Symptom dafür, dass für Sie die transatlantischen Beziehungen besonders wichtig sind?
Schwarzenberg: Für uns sind die transatlantischen Beziehungen wahnsinnig wichtig. Das ist überhaupt gar kein Zweifel. Die Erfahrungen sowohl der Polen wie die unsrigen sind, das wir unsere Unabhängigkeit und Freiheit im 20. Jahrhundert dreimal ohne die Vereinigten Staaten nie erreicht hätten – eine Grunderfahrung, die sozusagen tief drinnen in uns steckt. Die realistische Erkenntnis ist, Sicherheit bieten nun mal heute nur die Vereinigten Staaten. Die Europäische Union ist eine Friedensordnung, ist hervorragend und, Gott sei gedankt, dass wir sie haben. Nichtsdestotrotz sind die europäischen Divisionen derzeit nicht gerade überwältigend. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht als Vollmitglieder der Europäischen Union fühlen, mit allen Verpflichtungen und auch mit aller Freude, europäische Bürger zu sein. Diese großartige Entwicklung Europas in den letzten 15 Jahren, mit dem steigenden Wohlstand überall, mit der Reisefreiheit, mit dem, was für unsere Leute so wichtig ist, dass sie draußen studieren können, das wäre alles ohne die Europäische Union nicht vorstellbar. Gott sei Dank gibt es die Europäische Union. Aber, wie gesagt, Sicherheitsfragen sind Sicherheitsfragen.
Deutschlandradio Kultur: Und die Europäische Union hat vielleicht eine Hausaufgabe noch nicht so richtig erledigt, das ist die Verfassungsfrage. Welche Schritte sind notwendig, damit wir – was sich die Kanzlerin auch wünscht – schneller da vorankommen? Sehen Sie Möglichkeiten?
Schwarzenberg: Ich meine, ich bin Gott sei Dank nicht die deutsche Bundeskanzlerin, so dass ich dieses Problem nicht lösen muss. Ich habe sogar das noch größere Glück, dass sich innerhalb der tschechischen Regierung mein Kollege Vondra vorwiegend mit dieser Frage beschäftigt.
Natürlich brauchen wir ein Statut, eine Urkunde, ein Grundgesetz oder wie immer Sie es nennen wollen, wie wir das Zusammenleben in der Europäischen Union organisieren sollen. Wir sollten uns sehr gründlich überlegen, wie wir die Europäische Union bürgernäher gestalten, wie wir sie stärker demokratisch durchlüften und wie wir die Regeln und die Mechanismen dem Bürger näher bringen und ihm auch erklären können. Die Frustration mit der Europäischen Union, die – bitte, ich darf darauf aufmerksam machen – viel stärker ist in den alten EU-Staaten als bei uns neuen EU-Mitgliedern, kommt ja daraus, dass der Bürger mit Vorschriften aus Brüssel überrascht wird, die ihm unverständlich sind, wo er das Gefühl hat, das wird irgendwo in einer Bürokratie weit oben in Brüssel entschieden, ohne dass ihn jemand fragt und ohne dass er eigentlich direkt darauf einwirken kann. Das macht mir die größte Sorge. Mir macht Sorge die Europamüdigkeit in den alten EU-Staaten.
Deutschlandradio Kultur: 2009 wird Tschechien die EU-Präsidentschaft übernehmen. Wenn Sie bereits heute ein Motto schreiben sollten, was wäre Ihnen wichtig?
Schwarzenberg: Um es kurz zu fassen: Deregulation. Wir behindern unsere eigene Wirtschaft, unser eigenes Fortkommen durch viel zu viele Vorschriften. Wir müssen uns überlegen, in welcher Umwelt wir leben. Auch in der Europäischen Union betreiben wir viel zu viel europäische Innenpolitik, statt festzustellen, wie sehr sich die Welt um uns und verändert hat. Also, Deregulation ist das Wichtigste und, wie gesagt, überlegen, welche wesentlichen Funktionen wirklich europäisch sein sollten. Ich sage immer: Europa werde wesentlich! Es ist lächerlich, dass wir keine gemeinsame Energiepolitik haben, aber europäische Regelungen für die Form von Traktorsitzen oder welche Schimmel bei Käse zugelassen sind. Das ist doch ein Blödsinn. Das, was unten bestens geregelt werden könnte, auch unten lassen!
Deutschlandradio Kultur: Sie haben mal gesagt, wahrscheinlich öfters, "Adel verpflichtet", und, wo immer Sie hinkommen, seien Sie...
Schwarzenberg: Das habe ich nie gesagt.
Deutschlandradio Kultur: Das haben Sie nie gesagt?
Schwarzenberg: Das habe ich nie selber gesagt.
Deutschlandradio Kultur: Nein? Aber wir dachten, das passt vielleicht trotzdem, wenn man das dreht und sagt, Adel verpflichtet, was den Erhalt der Umwelt – darüber haben wir geredet, was Menschenrechte angeht, darüber haben wir auch geredet, all diese Sachen sind verpflichtend und das hat Ihr Leben bestimmt. Machen wir mal "schnipp" und sagen, Sie wären noch mal 30 oder 40 Jahre jünger und würden noch mal ein großes Projekt jetzt im Jahr 2007 angehen. Was wäre das?
Schwarzenberg: Ich werde Ihnen was sagen: heute wahrscheinlich etwas ganz anderes. Wahrscheinlich würde ich, nachdem die politischen Verhältnisse doch ganz anders sind als in meiner Jugend und diese Herausforderung, diese Notwendigkeit, sich gegen die Diktaturen und gegen die Systeme stellen, nicht mehr existieren, wahrscheinlich würde ich meinem stillen Hobby verfallen und versuchen, ein wirklich hervorragendes Werk zur modernen Architektur mit einem der besten Architekten der Welt zu bauen. Das würde mir einen wahnsinnigen Spaß machen. Vielleicht wäre das ein Projekt, das ich heute, wenn ich 30 wäre, angehen würde.
Deutschlandradio Kultur: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Schwarzenberg: Bitte.
Karel Schwarzenberg: Politik hat mich Zeit meinen Lebens interessiert, Außenpolitik insbesondere. Und die vorerwähnten Beschäftigungen habe ich aufgegeben, weil – wie ich Außenminister geworden bin – ich meine sämtlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten aufgegeben habe. Ich habe sie meinem Sohn übergeben und habe mich selber glücklich in Pension versetzt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben immer gesagt, dass Sie gerne in der zweiten Reihe arbeiten, mit dem Schlenker, dann könnten Sie "andere Leute besser ärgern".
Schwarzenberg: Das ist völlig richtig.
Deutschlandradio Kultur: Warum haben Sie jetzt diesen anderen Job dann doch gemocht?
Schwarzenberg: Weil das nicht zu vermeiden war, weil es zur Konstruktion dieser Regierung, zur Formierung einer Koalitionsregierung notwendig war.
Deutschlandradio Kultur: Aber trotzdem, wenn wir in dem Bild bleiben, wen würden Sie denn gerne heute in der Funktion des tschechischen Außenministers ärgern?
Schwarzenberg: Ich will Ihnen was sagen: Zahlreiche Leute würde ich gerne ärgern, nur als Außenminister ist mir das vom Beruf her untersagt.
Deutschlandradio Kultur: Insofern werden wir Sie natürlich auch nicht zur Lage der Koalition fragen, werden Sie nicht fragen zum Staatspräsidenten Vaclav Klaus.
Schwarzenberg: Sie können alles fragen. Bekanntermaßen gibt es keine indiskreten Fragen, es gibt nur indiskrete Antworten.
Deutschlandradio Kultur: Oder keine Antworten. Aber die Grünen haben Sie aufgestellt, obwohl Sie nicht Mitglied der Partei sind. Die Grünen schätzen sie ein als wertkonservativ und als Menschenrechtskämpfer. Sind Sie mit dieser Charakterisierung einverstanden?
Schwarzenberg: Zweifellos das Zweite, weil mich durch lange Jahre, und bis es heute noch, Menschenrechte beschäftigt haben. Ich habe mich dafür eingesetzt, das ist richtig. Ich habe so ungern dieses moderne Wort "Werte". Und infolgedessen weiß ich nicht, was "wertkonservativ" ist. Wenn mir das mal jemand präzise erklären würde, was man damit meint, dann könnte ich sagen, ob ich damit einverstanden bin oder nicht.
Deutschlandradio Kultur: Kommen Sie mit den Grünen klar?
Schwarzenberg: Aber hervorragend, weil gerade aus meinem früheren Beruf als Forstwirt weiß ich, wie sehr unsere Umwelt und die Natur gefährdet ist, dass hier der Mensch in seiner Hybris tatsächlich zu weit geht, in seiner Konsumgier usw. Und wenn ich mir die Veränderungen in der Natur anschaue, die ich allein in meiner Lebenszeit beobachten kann, wenn ich mir die Veränderungen im Wald, im Klima usw. betrachte, so weiß ich, dass es höchste Zeit ist etwas zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sagen, dass es höchste Zeit ist, etwas zu tun, und wir bleiben mal bei der Ökologie, bei der ökologischen Frage, wo würden Sie denn ansetzen in Zeiten des Klimawandels, des drohenden Klimawandels? Was müssen wir in Europa tun, was müssen alle gemeinsam tun und was kann Tschechien tun?
Schwarzenberg: Wir müssen uns alle – das sage ich ganz ehrlich, so unpopulär das ist – selbstverständlich einschränken. Wir haben in der Republik pro Kopf oder im Verhältnis zum Bruttonationalprodukt einen viel zu hohen Energieverbrauch. Hier müssen wir wirklich aufschließen an das, was manche europäische Staaten schon erreicht haben. Wir müssen lernen ordentlich mit Abfällen umzugehen, Abfälle vermeiden etc., etc. Ich kann Ihnen da eine ganze breite Politikpalette darbieten. Aber letztlich kommt es darauf an, dass wir Selbstdisziplin lernen, dass wir das Verschwenden aufgeben, das uns selbstverständlich geworden ist. Das beginnt bei der Kindererziehung. Wenn ich sehe, wie heute Kinder eigentlich eine selbstverständlichen Neigung zum Verschwenden haben, ob es bei den Nahrungsmitteln oder bei den Kleidungsstücken usw. ist, dann weiß ich, wie sie sich im Erwachsenenalter verhalten werden. Wir müssen wieder zu einer gewissen Bescheidung, zu einer Sparsamkeit, zu einem Bewusstsein kommen, erkennen, dass das, was immer wir verbrauchen, auch eine Belastung ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben sich immer als "Mitteleuropäer" bezeichnet. Was zeichnet den Mitteleuropäer aus?
Schwarzenberg: Ein Lebensgefühl können Sie nie präzis definieren. Das sind Verhaltenweisen, das sind Gewohnheiten, das sind gemeinsame Vorurteile, aber schlicht auch einfach die geographische Tatsache, größtenteils die nicht zu großen Völker, die in der Mitte Europas leben.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja auch persönlich privilegiert. Wir könnten zu Ihnen Fürst Schwarzenberg sagen. Sie sind das Oberhaupt eines alten und bekannten Adelsgeschlechtes und Sie haben Ländereien gehabt, oder haben sie immer noch, in Franken, in Böhmen und in der Steiermark. Sie haben das Züricher Bürgerrecht. Das hat nicht jeder von uns. Im Grunde sind Sie schon etwas, was sich mancher vorstellen mag – über Grenzen gehen.
Schwarzenberg: Ich kann es nicht bestreiten, mir wurde viel im Leben gegeben. Das ist gar kein Zweifel. Von meiner Geburt an, von meinen Eltern und von der Umgebung, mir wurde im Leben sehr viel gegeben. Deswegen fühle ich manchmal dann doch die Verpflichtung, irgendetwas davon zurückzugeben.
Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise hat ja Vaclav Havel mal gesagt, mit Sie eng verbunden sind, Sie würden die Geschichte – er meinte wahrscheinlich die Geschichte Böhmens, Tschechiens, wie immer man es beschreiben möchte – besser kennen als andere. Sie seien Patriot und Weltbürger zugleich. Welche Europabild hat der Patriot, Weltbürger und Mitteleuropäer?
Schwarzenberg: Ein Bild, das sich aus dem Blickwinkel Mitteleuropas ergibt. Das heißt, wenn Sie zum Beispiel von der Europäischen Union sprechen, dass sie auch in dem eigenen Bewusstsein sich langsam wandeln muss von einer westeuropäischen Union, was sie in Wirklichkeit natürlich aus ihrer Entwicklung von der Montanunion über die EWG usw. war, irgendwie noch bei sehr vielen Beamten, bei sehr viel führenden Vertretern der Europäischen Union ist es irgendwie noch immer im back of the mind, indem wir sagen würden, irgendwo im Hintergrund ist die Vorstellung, dass es eine westeuropäische Union ist. Dass es heute eine europäische Union ist, dass also nicht nur Portugal, Holland, Luxemburg, sondern auch Rumänien und Bulgarien dazu gehören, das muss man sozusagen erst wirklich verdauen und es muss eine Selbstverständlichkeit im Gefühl sein.
Zweitens müssen wir nun mal erkennen, dass die Europäische Union nicht auf grüner Wiese gebaut wird, sondern dass sie ausgeht von Nationen, Staaten mit teilweise tausendjähriger Geschichte, und dass wir infolgedessen sehr vorsichtig und mit größtem Respekt vor dem, was da geworden ist, an die Zusammenführung und eine gemeinsame Zukunft herangehen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Das findet ja teilweise statt, die EU-Aufnahme von Tschechien, Ungarn, Polen.
Schwarzenberg: Ja, aber wir müssen uns auch klar sein, dass wir alle unsere Geschichte mitbringen und dass wir dies in der Gestaltung des künftigen Europas immer im Bewusstsein haben müssen, dass wir hier nicht auf grüner Wiese bauen, dass wir nicht ein sozusagen am Reißbrett entworfenes Konstrukt vor uns haben, sondern etwas, was eine unendlich lange Geschichte hinter sich hat, und diese Geschichte viel lebendiger in uns ist, als wir glauben.
Deutschlandradio Kultur: Da klingt so eine leise Mahnung durch. Wir reden ja gern von den Vereinigten Staaten von Europa, die wir anstreben. Ist das für Sie zu viel des Guten?
Schwarzenberg: Das ist etwas, dem wir uns asymptotisch nähern, aber das sicherlich – so, wie Sie es formulieren – wahrscheinlich in meiner Generation nicht mehr machbar ist.
Deutschlandradio Kultur: Aber erstrebenswert?
Schwarzenberg: Wenn wir es schaffen, wirklich so viel Gemeinsames zu finden. Man soll so etwas nicht sozusagen mit Gewalt zu erreichen versuchen, wobei ich nicht nur äußerliche Gewalt meine. Man soll die natürliche Entwicklung zueinander auch erwarten können. Der französische Außenminister Talleyrand hat immer seine Diplomaten gelehrt vor allem "nicht allzu viel Eifer".
Deutschlandradio Kultur: Hat dieses Denken auch etwas mit Ihrer eigenen Biographie zu tun? Ihr Vater war promovierter Historiker. Hat er Ihnen auch gelehrt, dass man in größeren Zeiträumen denken muss?
Schwarzenberg: Gar kein Zweifel. Sehr viel habe ich von meinem Vater, aber auch von meiner Mutter gelernt. Er hatte manchmal einen sehr originellen Blick auf die Geschichte, der einem ganz unerwartete Betrachtungsweisen gelehrt hat. Das war das Wertvollste, dass er sich sozusagen nicht damit zufrieden gab, was in Lehrbüchern steht, sondern uns gelehrt hat, die Sachen etwas zu hinterfragen.
Deutschlandradio Kultur: Was ist Europa? Wie groß ist Europa? Ganz praktisch, wo sind seine Grenzen? Was sagen Sie?
Schwarzenberg: Ich glaube, es gibt die natürlichen Grenzen Europas. Das ist eine Sache. Die sind seit Alters her überkommen. Eine andere Frage ist, ob ein politisches Konstrukt, eine Entwicklung, wie es die Europäische Union ist, eventuell auch bereit ist, mit der Zeit Staaten oder Länder aufzunehmen, die sozusagen mit uns synchron denken, die gemeinsame Vorstellungen für die Zukunft haben.
Deutschlandradio Kultur: An welche Länder denken Sie denn?
Schwarzenberg: Ich möchte hier keine Namen nennen, aber ich wäre schon froh, wenn wir alle Balkanstaaten wirklich in der Europäischen Union integriert haben. Das halte ich für etwas Unabdingbares und Notwendiges, wenn wir uns selber nicht Probleme für die Zukunft schaffen wollen.
Deutschlandradio Kultur: Ukraine auch?
Schwarzenberg: Schauen Sie, Ukraine ist ein sehr großes Land mit einer etwas verschiedenen Geschichte. Auf die Dauer würde ich es in der Zukunft sehr willkommen heißen, sehr. Ich bin ein Anhänger dessen, dass die Ukraine in Europa voll integriert wird. Es ist mir aber auch klar, dass dies noch eine längere Zeit braucht zum einen. Zweitens muss auch eine Mehrheit in der Ukraine selber davon überzeugt sein, dass es der richtige Schritt ist. Beides ist derzeit, glaube ich, noch nicht ganz der Fall. Ich bin für eine Integration der Ukraine, aber – wie gesagt – es ist mir bewusst, dass das eine Frage einer sehr langen Entwicklung ist.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir auf das alte Jugoslawien, auf den Balkan, zurück. Das ist ja eine europäische Aufgabe – Bosnien, Serbien, Kosovo. Tun wir das Richtige aus Ihrer Sicht?
Schwarzenberg: Ich glaube, Europa strengt sich an, wirklich, ehrlich, hier das Richtige zu tun. Dass die Probleme wegen der historischen Belastung unendlich schwierig sind, sollten wir einfach anerkennen. Und dass es Probleme gibt, wie zum Beispiel den Status von Kosovo, wo es keine ideale Lösung gibt, keine wirklich hervorragende Lösung gibt, wo wir nur zwischen Lösungen wählen können, die vielleicht noch die besten Chancen für die Zukunft bieten, das muss uns auch klar sein. Politik ist leider ein Geschäft, wo Sie manchmal mit den Realitäten so umgehen müssen, dass Sie auch Sachen, die Sie für nicht ideal betrachten, durchführen müssen, weil, es gibt keinen besseren Weg.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es gerade die Aufgabe eines tschechischen Außenministers sich als Makler auch innerhalb der Europäischen Union zu profilieren und diese Fragen nach vorne zu treiben?
Schwarzenberg: Schauen Sie, ich werde was sagen: Ein Makler kann sein Geschäft nur betreiben, wenn ihn jemand beauftragt. Ein Häusermakler ist nur zu etwas nutze, wenn es auf der einen Seite jemanden gibt, der ein Haus kaufen will, und auf der anderen Seite jemanden, der ein Haus verkaufen will.
Deutschlandradio Kultur: Dann Ideengeber.
Schwarzenberg: Wenn es kein Bedürfnis für einen Makler gibt, dann soll sich nicht jemand selber als Makler aufspielen.
Deutschlandradio Kultur: Aber die deutsche Bundeskanzlerin hat ja gerade auch als EU-Ratspräsidentin gesagt, sie sucht den Dialog auch mit den kleinen EU-Mitgliedsstaaten. Wenn Sie denn gefragt werden oder wo möchten Sie denn gefragt werden, was sind Themen, wo Sie Ihren Beitrag leisten wollen?
Schwarzenberg: Ich könnte mir manches vorstellen, was ich jetzt nicht nennen möchte. Ich bin sehr dankbar für das, was die Frau Bundeskanzlerin gesagt hat. Ich glaube, ihre Äußerung, dass sie auch mit den kleineren Staaten einen intensiven Dialog führen will, ist ein sehr wichtiges Signal. Selbstverständlich hat die Frau Bundeskanzlerin auch ein größeres Verständnis, weil sie ja mit den Bürgern dieses Landes oder auch Polens sehr viele gemeinsame Erfahrungen in den jüngeren Jahren teilt. Das ist sehr wichtig, da versteht man manches viel besser. Aber, wie gesagt, Maklertätigkeit, Kupplertätigkeit sind mehr eine Frage der Gelegenheit als etwas, was man von vornherein plant.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt ja ein Projekt, das ist sozusagen auf dem Markt, zum Beispiel eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union zu Russland.
Schwarzenberg: Ich glaube, das ist sehr notwendig. Ich fürchte, das wird längere Zeit dauern, weil natürlich die großen europäischen Staaten noch immer – und da ist die Bundesrepublik keine Ausnahme – glauben, dass eine eigenständige Russlandpolitik ihnen am meisten frommt – Frankreich dasselbe, Großbritannien auch. Das heißt, bevor wir hier wirklich lernen, dass da eine gemeinsame Politik nützlicher wäre, ich fürchte, das wird auch noch einige Jahre dauern.
Deutschlandradio Kultur: Es geht um einen Kooperationsvertrag zwischen der Europäischen Union und Russland. Der soll neu verhandelt werden. Die Russen hätten das gerne so. Sie wollen näher an die EU ran. Welche Empfehlung kann jemand wie Sie vielleicht der EU geben?
Schwarzenberg: Wir müssen von drei Grundbedingungen ausgehen. Erstens: Russland ist eine Großmacht, ist ein großer Staat. Diese Tatsache soll man respektieren. Wir müssen auch stets im Bewusstsein haben, dass derzeit und wahrscheinlich für lange Zeit Russland anders organisiert ist, als die übrigen europäischen Staaten. Das heißt, dass sie nicht unsere Vorstellungen von Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit teilen. Drittens, dass beide Seiten ihre Interessen haben. Man soll sich keine Illusionen machen, sondern einfach hart die Interessen verhandeln. Sehr, sehr nüchtern auf dem Boden der Tatsachen bleiben und sich nicht in Illusionen wiegen.
Deutschlandradio Kultur: Haben wir denn die richtigen Gesprächspartner oder ausreichend Gesprächspartner in Moskau? Sie haben sich selbst als Osteuropäer über Präsident Putin und seine Rede in München geärgert. Sie waren ja Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation. Da kennen Sie auch andere Leute.
Schwarzenberg: Es gibt hervorragende Leute in Moskau auf allen Ebenen. Russland ist eine große Nation, aber wir müssen jetzt einmal anerkennen, Russland wird heute sehr autoritär und sehr zentralistisch regiert. Das heißt, mit wem man sinnvoll über Politik reden kann, ist nun mal nur derjenige, der im Kreml zu Hause ist. Alles andere ist in Russland Nebensache, so wie es durch Jahrhunderte war.
Deutschlandradio Kultur: Schön wäre es natürlich, wenn es eine gemeinsame EU-Russlandpolitik gäbe und nicht bilaterale Abkommen. Ärgert Sie so was?
Schwarzenberg: Ich will Ihnen was sagen: Wenn man in der Außenpolitik tätig ist, soll man sich eins von vornherein nicht zulassen, über Missstände, über Fehlschläge, über Irrtümer sich ärgern. Man muss die Sachen zur Kenntnis nehmen, wie sie sind, versuchen die Sachen zu verbessern, was manchmal nur sehr langsam, millimeterweise, manchmal schrittweise gelingt. Mehr ist nicht zu erreichen.
Deutschlandradio Kultur: Ist dieser Raketenschirm, der in Polen und Tschechien von den Amerikanern aufgebaut werden soll, für Sie auch ein Hinweis oder ein Symptom dafür, dass für Sie die transatlantischen Beziehungen besonders wichtig sind?
Schwarzenberg: Für uns sind die transatlantischen Beziehungen wahnsinnig wichtig. Das ist überhaupt gar kein Zweifel. Die Erfahrungen sowohl der Polen wie die unsrigen sind, das wir unsere Unabhängigkeit und Freiheit im 20. Jahrhundert dreimal ohne die Vereinigten Staaten nie erreicht hätten – eine Grunderfahrung, die sozusagen tief drinnen in uns steckt. Die realistische Erkenntnis ist, Sicherheit bieten nun mal heute nur die Vereinigten Staaten. Die Europäische Union ist eine Friedensordnung, ist hervorragend und, Gott sei gedankt, dass wir sie haben. Nichtsdestotrotz sind die europäischen Divisionen derzeit nicht gerade überwältigend. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht als Vollmitglieder der Europäischen Union fühlen, mit allen Verpflichtungen und auch mit aller Freude, europäische Bürger zu sein. Diese großartige Entwicklung Europas in den letzten 15 Jahren, mit dem steigenden Wohlstand überall, mit der Reisefreiheit, mit dem, was für unsere Leute so wichtig ist, dass sie draußen studieren können, das wäre alles ohne die Europäische Union nicht vorstellbar. Gott sei Dank gibt es die Europäische Union. Aber, wie gesagt, Sicherheitsfragen sind Sicherheitsfragen.
Deutschlandradio Kultur: Und die Europäische Union hat vielleicht eine Hausaufgabe noch nicht so richtig erledigt, das ist die Verfassungsfrage. Welche Schritte sind notwendig, damit wir – was sich die Kanzlerin auch wünscht – schneller da vorankommen? Sehen Sie Möglichkeiten?
Schwarzenberg: Ich meine, ich bin Gott sei Dank nicht die deutsche Bundeskanzlerin, so dass ich dieses Problem nicht lösen muss. Ich habe sogar das noch größere Glück, dass sich innerhalb der tschechischen Regierung mein Kollege Vondra vorwiegend mit dieser Frage beschäftigt.
Natürlich brauchen wir ein Statut, eine Urkunde, ein Grundgesetz oder wie immer Sie es nennen wollen, wie wir das Zusammenleben in der Europäischen Union organisieren sollen. Wir sollten uns sehr gründlich überlegen, wie wir die Europäische Union bürgernäher gestalten, wie wir sie stärker demokratisch durchlüften und wie wir die Regeln und die Mechanismen dem Bürger näher bringen und ihm auch erklären können. Die Frustration mit der Europäischen Union, die – bitte, ich darf darauf aufmerksam machen – viel stärker ist in den alten EU-Staaten als bei uns neuen EU-Mitgliedern, kommt ja daraus, dass der Bürger mit Vorschriften aus Brüssel überrascht wird, die ihm unverständlich sind, wo er das Gefühl hat, das wird irgendwo in einer Bürokratie weit oben in Brüssel entschieden, ohne dass ihn jemand fragt und ohne dass er eigentlich direkt darauf einwirken kann. Das macht mir die größte Sorge. Mir macht Sorge die Europamüdigkeit in den alten EU-Staaten.
Deutschlandradio Kultur: 2009 wird Tschechien die EU-Präsidentschaft übernehmen. Wenn Sie bereits heute ein Motto schreiben sollten, was wäre Ihnen wichtig?
Schwarzenberg: Um es kurz zu fassen: Deregulation. Wir behindern unsere eigene Wirtschaft, unser eigenes Fortkommen durch viel zu viele Vorschriften. Wir müssen uns überlegen, in welcher Umwelt wir leben. Auch in der Europäischen Union betreiben wir viel zu viel europäische Innenpolitik, statt festzustellen, wie sehr sich die Welt um uns und verändert hat. Also, Deregulation ist das Wichtigste und, wie gesagt, überlegen, welche wesentlichen Funktionen wirklich europäisch sein sollten. Ich sage immer: Europa werde wesentlich! Es ist lächerlich, dass wir keine gemeinsame Energiepolitik haben, aber europäische Regelungen für die Form von Traktorsitzen oder welche Schimmel bei Käse zugelassen sind. Das ist doch ein Blödsinn. Das, was unten bestens geregelt werden könnte, auch unten lassen!
Deutschlandradio Kultur: Sie haben mal gesagt, wahrscheinlich öfters, "Adel verpflichtet", und, wo immer Sie hinkommen, seien Sie...
Schwarzenberg: Das habe ich nie gesagt.
Deutschlandradio Kultur: Das haben Sie nie gesagt?
Schwarzenberg: Das habe ich nie selber gesagt.
Deutschlandradio Kultur: Nein? Aber wir dachten, das passt vielleicht trotzdem, wenn man das dreht und sagt, Adel verpflichtet, was den Erhalt der Umwelt – darüber haben wir geredet, was Menschenrechte angeht, darüber haben wir auch geredet, all diese Sachen sind verpflichtend und das hat Ihr Leben bestimmt. Machen wir mal "schnipp" und sagen, Sie wären noch mal 30 oder 40 Jahre jünger und würden noch mal ein großes Projekt jetzt im Jahr 2007 angehen. Was wäre das?
Schwarzenberg: Ich werde Ihnen was sagen: heute wahrscheinlich etwas ganz anderes. Wahrscheinlich würde ich, nachdem die politischen Verhältnisse doch ganz anders sind als in meiner Jugend und diese Herausforderung, diese Notwendigkeit, sich gegen die Diktaturen und gegen die Systeme stellen, nicht mehr existieren, wahrscheinlich würde ich meinem stillen Hobby verfallen und versuchen, ein wirklich hervorragendes Werk zur modernen Architektur mit einem der besten Architekten der Welt zu bauen. Das würde mir einen wahnsinnigen Spaß machen. Vielleicht wäre das ein Projekt, das ich heute, wenn ich 30 wäre, angehen würde.
Deutschlandradio Kultur: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Schwarzenberg: Bitte.