Tschechien und Slowakei

Glücklich getrennt

Zu Sehen ist Vaclav Havel nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten der Tschechoslowakei am 29. Dezember 1989.
Präsident Vaclav Havel war eine der entscheidenden politischen Figuren in der Tschechoslowakei. © picture alliance / dpa
Von Stefan Heinlein  · 10.11.2014
Mehr als 1000 Jahre lang lebten Tschechen und Slowaken in unterschiedlichen Staatsgebilden, seit 1918 bildeten sie eine gemeinsame Nation und scheiterten damit. Auf beiden Seiten ist deshalb heute zu hören, dass es richtig war, sich wieder zu trennen.
Es lebe die Slowakei – die unabhängige Slowakei. Solche Töne sind im Sommer 92 in Bratislava immer häufiger zu hören. Landesweit wächst die Sorge vor einem blutigen Bürgerkrieg. Doch die Trennung verläuft friedlich. Nüchtern kommentiert die Fernsehmoderatorin am 25. November 92 die historische Entscheidung des Föderalparlamentes:
Damit ist das Ende der Tschechoslowakei endgültig besiegelt. Die 1918 gegründete Nation hatte nie die Herzen der Menschen erreicht. Über eintausend Jahren lang lebten beide Völker zuvor in unterschiedlichen Staatsgebilden. Die gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede werden auch während der sozialistischen Jahrzehnte nur übertüncht. Die deutliche kleinere Slowakei fühlt sich durch Prag gegängelt und wirtschaftlich benachteiligt.
Ein Ultranationalist als Motor der Trennung
Der Streit um die Nationalhymne und den Namen des Landes wird nach der Revolution 89 zum Symbol für die wachsende Unzufriedenheit mit dem gemeinsamen Staatsgebilde. Viele Slowaken wollen nicht länger die zweite Geige spielen. Sie misstrauen dem tschechischen Reformeifer und der raschen Hinwendung zur Marktwirtschaft. 1992 wählen sie den Ultranationalisten Vladimir Meciar zum neuen Ministerpräsidenten ihrer Teilrepublik. Der neue starke Mann in Bratislava wird zum Motor der Trennung
"Es gibt keine Möglichkeit den jetzigen Zustand zu erhalten. Die Entwicklung könnte sonst außer Kontrolle geraten. Wir müssen deshalb die neue Realität anerkennen."
In Prag stoßen diese Forderungen auf offene Ohren. Ministerpräsident Vaclav Klaus will seine marktwirtschaftlichen Reformen ohne Rücksicht auf die ärmere Slowakei verwirklichen. In Vier-Augen-Gesprächen vereinbaren beide Politiker das Scheidungsverfahren.
"Ich bin erleichtert. Diese Entscheidung ist kein Zauberspruch der alle unsere Probleme löst. Der gordische Knoten in unserem Verhältnis ist jetzt aber durchschlagen."
Die Stimmungslage beiderseits der Grenze ist jedoch anders. Den lauten nationalistischen Forderungen zum Trotz ist die schweigende Mehrheit der Bevölkerung bis zum Schluss für den Fortbestand eines gemeinsamen Staates. Die politischen Führer in Prag und Bratislava verzichten deshalb bewusst auf eine Volksbefragung, erklärt der Politikwissenschaftler Jiri Pehe .
"Die Entscheidung wurde am grünen Tisch gefällt ohne eine demokratische Abstimmung. Sie war dennoch ein Beispiel für die erfolgreiche Trennung zweier Staaten. Sehr zivilisiert ohne größere Spannungen und ganz ohne Gewalt."
Deutliche Entspannung
Über 20 Jahre nach der friedlichen Scheidung sind die Gefechte der Vergangenheit inzwischen jedoch längst in Vergessenheit geraten. Das Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken hat sich deutlich entspannt. Nach schwierigen Anfangsjahren profitiert vor allem die Slowakei von der Trennung – meint der Publizist Martin Simecka:
"Wir Slowaken haben wirklich etwas gewonnen, während die Tschechen etwas verloren haben. Sie können nicht begreifen warum ihr Land plötzlich so klein geworden ist. Die Slowakei ist dagegen ganz neu aufgebaut worden. Unser Staat hat sich insgesamt sehr positiv entwickelt."
Tatsächlich hat das einstige Agrarland in den letzten Jahren kräftig aufgeholt. Nach tiefgreifenden Reformen gehört der selbsternannte "Tatra-Tiger" heute zu den attraktivsten Investitionsstandorten in Mitteleuropa. Seit über fünf Jahren haben die Slowaken den Euro in der Tasche. Nicht nur in der Boomstadt Bratislava haben sich seither die Lebensverhältnisse kontinuierlich verbessert. In wenigen Jahren wird die Slowakei auf Augenhöhe mit Tschechien sein. Dort herrscht mittlerweile Ernüchterung – so der Politikwissenschaftler Vladimir Handl:
"Die Tschechen hatten nach der Trennung alle Chancen ein erfolgreiches EU-Mitglied zu werden. Diese Dynamik ist jedoch nach vielen politischen Fehlentscheidungen völlig verpufft. Tschechien hat in Europa völlig die Orientierung verloren."
Beide Nationen haben sich im Haus Europa eingerichtet
Tatsächlich haben die vielen innenpolitischen Turbulenzen und eine europafeindliche Grundstimmung unter Präsident Vaclav Klaus Tschechien zum Außenseiter in Brüssel gemacht. Erst seit dem Amtsantritt der neuen Mitte-Links-Regierung verändert sich schrittweise die Stimmung in Prag. Dennoch haben sich beide Nationen bis heute auf unterschiedliche Art und Weise im gemeinsamen Haus Europa eingerichtet.
"Die Slowaken haben immer ihre nationale Identität auch mit Europa verbunden. Die Tschechen haben dagegen lange Jahre auf ihre eigenstaatliche Souveränität gepocht und dadurch den europäischen Integrationsprozess gebremst."
Über 20 Jahre nach der friedlichen Scheidung suchen beide Nationen im Fernsehen inzwischen gemeinsam den Superstar. Lukas Adamec ist populär bei jungen Menschen in Tschechien und der Slowakei Für die Nachwendegeneration ist die emotionale Trennungsdebatte längst kein Thema mehr. Auch sie wollen jedoch kein Zurück in die Vergangenheit.
Die Freiheit im neuen Europa ist ihnen wichtiger als die Trauer der Eltern und Großeltern über den Verlust der gemeinsamen Heimat. Die friedliche Scheidung der Tschechoslowakei gilt deshalb als ein Musterbeispiel für die Lösung innerstaatlicher Konflikte ohne Gewalt.
Mehr zum Thema